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D: TRIESTS EISENBAHNVERBINDUNG MIT DEM HINTERLAND(Carl Büchelen 1892/96).

I: Einleitung.

Der erste uns geschichtlich bekannte Völkerverkehr entwickelte sich an den Gestaden des drei Welttheile bespülenden Mittelmeeres, welches in Bezug auf Cultur und Verkehr als vermittelndes Glied dieser drei Welttheile bis zum Mittelalter eine hohe Bedeutung hatte, an welcher der tief in das Festland Europas einschneidende Meerbusen, das Adriatische Meer, hervorragend betheiligt war, wofür das unter den Römern zu hoher Blüthe gelangte Aquileja und die später an dessen Stelle getretene Handelsrepublik Venedig zeugen.

Das Meer und Länder beherrschende Venedig wurde durch die Vermittlung des Handels und Verkehrs zwischen dem Morgen- und Abendlande reich und mächtig und war ein Hort für Wissenschaft und Kunst, sank aber von seiner stolzen Höhe herab und verfiel allmälig, als durch Entdeckung des Seeweges nach Indien und die Entdeckung Amerikas der Welthandel in neue Bahnen gelenkt und vom Mittelmeer abgezogen wurde.

Das Erbe der italienischen Handelsrepubliken traten dann die Seehäfen an der Nordsee an, welche ihre alten, weitverzweigten Handelsbeziehungen nun noch durch die mit Indien und Amerika erweiterten, damit aber zum Vermittler des Verkehrs Mitteleuropas mit der ganzen Welt wurden.

Der im Kampfe mit seinen Rivalen gestählte Handelsstand dieser Seehäfen zeichnete sich allzeit durch hohe Intelligenz, weiten Blick, zähe Ausdauer und strenge Rechtschaffenheit aus. Er war der Pionnier, welcher in neue und unbekannte Gebiete vordrang, dieselben dem Handel und Verkehr erschloss, Colonien erwarb und dem Mutterlande sicherte. Dadurch wurden auch im Hinterlande der Nordseehäfen die Erwerbsquellen vermehrt, die produktive Thätigkeit gesteigert, der Verkehr gehoben, die Mittel zur Befriedigung des Lebensbedarfes und Genusses vervielfältigt und so mit Unterstützung der Flusschifffahrt Schritt vor Schritt die Grenzen dieses Hinterlandes gegen Süden und Südosten immer weitergerückt.

 

II: Der Fall Triest.

Unter ganz anderen Verhältnissen entwickelte sich in dieser Zeit Triest, das sich vor fünf Jahrhunderten im Schoosse der Austria geborgen, darin auch Schutz vor den Gewaltthätigkeiten Venedigs gefunden hatte und so zum privilegirten Seehafen Oesterreichs und zum Vermittler von dessen Handel mit der Levante wurde, wobei es mit keinem Adriahafen zu concurriren hatte, weil Venedig nicht mehr, Fiume aber noch nicht in Betracht kam.

Um die Wende unseres Jahrhunderts vermittelte Triest etwa die Hälfte des gesammten auswärtigen Handels der österr.-ung. Monarchie, was ein beredtes Zeugnis für die damalige Bedeutung Triests ist.

Mit der Einführung des Dampfes als betretende Kraft änderten sich aber diese für Triest günstigen Verhältnisse.

Da die Bedingungen für die Anlage von Eisenbahnen im Norden viel günstiger als im Süden waren, so drangen die Eisenbahnen vom Norden nach Süden vor und war im Jahre 1854 Laibach mit Hamburg durch eine Eisenbahn verbunden, während die Verbindung mit Triest erst drei Jahre später vollendet wurde, was für dieses von ungeheuerem Nachtheil war, da in der Zwischenzeit Colonialwaaren sogar bis Laibach vorgedrungen waren.

Die Eisenbahnen erwiesen sich für Triest nur während des circa 10jährigen Zeitraums günstig, wo es der einzige südliche Seehafen war, welcher mit dem Hinterlande eine Eisenbahnverbindung hatte.

Diese Zeit war vorüber, als Italien einig und Ungarn selbständig wurde, als auch Venedig und Fiume mit Triests Hinterland Bahnverbindungen erhielten, wodurch diese beiden Seehäfen in die Lage versetzt wurden, mit Triest in Concurrenz zu treten.

Durch den Suezcanal hat das Mittelmeer wiederum eine grosse Bedeutung im Welthandelsverkehr zurückgewonnen, weil über dasselbe die kürzesten Routen von allen europäischen Ländern nach Ostafrika, Indien, China und Japan führen. Die Handelsflotten aller europäischen Staaten durchfahren das Mittelmeer; das durch die Gotthardtbahn mit der Schweiz und Deutschland verbundene Genua blüht wieder auf, nur die Adriahäfen haben aus dieser Verkehrsänderung den ihnen vermöge ihrer günstigen geographischen Lage gebührenden Antheil noch nicht errungen

Unsere nationale Schiffahrt hat an dem Suezverkehr einen geringeren Antheil als die Schiffahrt Norwegens, einen sehr viel geringeren als diejenige Deutschlands, obwohl die Fahrt von Hamburg nach Port Said 13 Tage mehr Zeit beansprucht als die von Triest dahin.

Zur Zeit der Eröffnung des Suezcanales hatten eben die Nordseehäfen schon zahlreiche und gute Verbindungen mit dem Hinterlande und mit den Ländern des Ostens, so dass es sich lohnte, sofort den neuen Schiffahrtsweg zu benützen, während man es sich in Oesterreich längere Zeit überlegte, bis Triest eine regelmässige Schiffahrtsverbindung mit Ostindien erhielt, in welche dann erst viel später auch China und Japan einbezogen wurden. Wäre Ungarn nicht vorangegangen, so hätte Triest noch heute keine Verbindung mit Brasilien, der jetzt erst die mit Nordamerika folgt. Die Erhaltung regelmässiger Schiffahrtslinien erfordert eben Opfer, wenn nicht genügend Frachten vorhanden sind, diese aber fehlen Triest, weil dessen Bahnverbindungen mit dem Hinterland ungenügend sind, darum Hamburgs Concurrenz nicht eingeschränkt werden kann, ausserdem es den über bessere Bahnverbindungen verfügenden Seehäfen Genua, Venedig und Fiume möglich wurde, Verkehrs- und Handelsbeziehungen mit Ländern anzuknüpfen, welche das natürliche Hinterland Triests bilden, oder für welche früher Triest der einzig in Betracht kommende Seehafen war.

Triest im Kontext des Eisenbahnnetzes der Donaumonarchie ab 1874:

Copyright: Elmar Oberegger

Die drei Adriahäfen theilen sich heute in den Verkehr, welchen Triest zu vermitteln hätte, wenn die politischen und die Verkehrsverhältnisse dessen Entwicklung nicht gehemmt hätten.

Der naturgemässen Entwicklung Venedigs und Fiumes kann und soll nicht entgegengetreten werden, auch ist das Hinterland gross genug, damit drei Seehäfen ihr Auskommen finden können, deren Vorhandensein zudem mancherlei Vortheile für das Hinterland wie auch für Triest hat.

 

III: Triests mangelhafte Einbindung ins Eisenbahnsystem.

Dem sichtbar zu Tage tretenden Niedergang Triests muss aber energisch entgegen getreten und demselben die Superiorität unter den drei Adriahäfen errungen werden, welche ihm als dem Seehafen Oesterreichs und vermöge seiner günstigeren geographischen Lage auch von rechtswegen gebührt, was durch Schaffung besserer Bahn- und Zugsverbindungen mit dem Hinterlande leicht erreicht wird.

Triest hat nicht nur mit Fiume über St. Peter, sondern auch mit Venedig und Fiume über Tarvis hinaus gleich lange Bahnverbindungen(1), was man bei einem Blick auf die Karte als naturwidrig erkennt, weil Tarvis geographisch Triest sehr viel näher liegt als Venedig und Fiume.

Venedig hat über den Brenner nach Franzensfeste und darüber hinaus nach Süddeutschland etc. um 184 Km. näher als Triest und erkennt man, dass dieser bedeutende Unterschied in den Bahnverbindungen beider Seehäfen nicht begründet ist, wenn man sieht, um wie Vieles weiter Genua von Franzensfeste entfernt liegt als Triest, und wenn man weiss, dass beider Seehäfen Bahnverbindungen mit Franzensfeste gleich lang sind.

Nördlich der Tauernkette treten die Misstände noch drastischer hervor. Wir sehen da, welch‘ enorme Umwege die Bahn von dem nördlich von Triest auf der Wasserscheide zwischen der Salzach und der Enns gelegenen Eben nach Venedig macht, Umwege, welche annähernd den Längen der Bahnstrecken Eben-Innsbruck mit 216 Km. und Verona-Venedig mit 118 Km. gleichkommen, und können aus dem Umstande, dass die Bahnverbindung von Eben mit Triest ebenso lang ist, wie die mit Venedig, ermessen, welche Umwege die Bahn von Eben nach dem geographisch näher gelegenen Triest macht.

Diese Umwege werden aber umso schwerer empfunden, weil sie zur Zeit, als der Verkehr ausschliesslich durch Strassenfuhrwerke vermittelt worden, nicht bestanden, weil dieselben durch die Eisenbahnen erst geschaffen und durch diese Triest und das Hinterland einander ferne gerückt wurden.

Triest und das Hinterland empfinden aber den Nachtheil der viel zu langen Bahnverbindungen umso mehr, je schlechter die Zugsverbindungen sind.

Eine directe Zugsverbindung besteht nur zwischen Triest und Wien und selbst diese entspricht nicht mehr den heutigen Anforderungen. Hohe Tarife, lange Fahrzeit und der Zwang, bei der Hin- und Rückreise die gleiche Route benützen zu müssen, sind der Entwicklung eines grösseren Verkehres sehr abträglich. Derselbe ist auch thatsächlich gering, da es sonst gewiss nicht hätte vorkommen können, dass der Luxuszug von Wien einmal ohne Passagier abfuhr und in Triest gleichfalls ohne Passagier ankam.

Ueber Wien hinaus und westlich von der Südbahnlinie Triest-Wien verkehren aber überhaupt keine directen Züge, steigern sich demgemäss die Uebelstände und ist daher der Verkehr ein noch viel geringerer.

In Prag z. B. bekommt man nach allen möglichen Seehäfen, nach Hamburg sogar für sechs verschiedene Routen Fahrkarten, nur nicht nach Triest. Ebenso wenig erhält man dort Auskunft, welche Route zu benützen wäre und wie viel Zeit und Geld eine Reise nach Triest beansprucht. All‘ das muss man sich mühsam aus den verschiedenen Fahrplänen erst selbst heraussuchen.

Die Reise über Wien wird dadurch vertheuert, dass man dort einen Tag oder eine Nacht auf einen Zugsanschluss warten muss. Von den über die Rudolfsbahn führenden Zügen können zwei benützt werden, wobei man abwechselnd Eil- und Personenzüge benützen und öfters umsteigen muss, und 28-36 Stunden zu der Fahrt nach Triest benöthigt, 3 ½ Stunden aber weniger nach dem entfernter gelegenen Venedig.

Aehnlich mangelhaft sind alle Zugsverbindungen in dem von der deutschen Grenze bis zur Adria reichenden Gebiete.

Vergegenwärtigen wir uns einmal, wieviel Zeit und Bequemlichkeit geopfert werden muß, um von Linz nach Triest zu gelangen.

Wenn wir mit dem Localzuge um 1.50 Uhr nachmittags von Linz abfahren, dann haben wir in St. Valentin genügend Zeit, in den von Budweis kommenden Zug überzusteigen, müssen denselben jedoch schon in Kleinreifling wieder verlassen und von hier ab den von Wien kommenden Zug benützen, mit welchem wir abends 10 Uhr nach St. Michael kommen. Von hier ab können wir aber nicht die nach Süden führende Staatsbahnlinie benützen, müssen uns vielmehr nordöstlich, gegen Wien hin, wenden, um über Leoben nach Bruck zu gelangen, von wo wir den abends 8.20 Uhr von Wien abgegangenen Südbahn-Eilzug zur Weiterreise nach Triest benützen müssen, wo wir um 9.28 Uhr vormittags, d.h. nach einer Fahrtdauer von 19 Stunden 38 Minuten anlangen, während man von Wien nach Triest nur 13 Stunden 8 Minuten benöthigt.

Verbindung Linz-Triest via Bruck/M.:

Copyright: Elmar Oberegger

Durchschnittsgeschwindigkeit ca. 15 km/h auf 300 Kilometer(Luftlinie).

Wollten wir aber ab St. Michael die Staatsbahnlinien benützen, um die sosehr gerühmten Vortheile des Zonentarifs genießen zu können, dann müßten wir entweder um 8.22 Uhr abends oder um 8.38 Uhr vormittags von Linz abfahren, benöthigten aber, da wir mit diesen Zügen erst den folgenden Tag um 6.13 Uhr abends, beziehungsweise um 9.28 vormittags, in Triest ankämen, im ersteren Falle 21 Stunden 20 Minuten, im zweiten Falle gar 24 Stunden 50 Minuten oder rund 25 Stunden Fahrzeit nach dem in der Luftlinie nur circa 300 Kilometer entfernten Triest, während man beispielsweise nach dem 1200 Kilometer entfernten Paris von Linz aus in 29 Stunden gelangt.

Verbindung Linz-Triest via Judenburg:

Copyright: Elmar Oberegger

Durchschnittsgeschwindigkeit ca. 14 bzw. 12 km/h auf 300 Kilometer(Luftlinie).

Von Linz und Salzburg gelangt man nach Paris so rasch wie nach Triest, vom Semmering dahin so rasch als wie von Klagenfurt. Die Fahrgeschwindigkeit aller Triester Züge bewegt sich eben in den bescheidensten Grenzen und wird die Fahrzeit noch durch oftmaliges Umsteigen und Abwarten von Anschlüssen verlängert.

Billigkeit, Raschheit, Sicherheit und Bequemlichkeit lassen im Triester Verkehr Alles zu wünschen übrig, daher die Personen- und Güterfrequenz eine sehr geringe ist, weil diese Factoren auch auf den Güterverkehr einen massgebenden Einfluss ausüben.

 

IV: Triest und Fiume.

Eine Besserung dieser den Verkehr und die wirthschaftliche Entwicklung vieler Kronländer hemmenden Uebelstände ist nur durch Herstellung kürzerer und besserer Bahnverbindungen möglich, umso notwendiger aber, weil solche die Rivalen Triests schon längst haben.

Durch den Bau der Fiume-Karlstädter Bahn, den Ankauf der Karlstadt-Agramer Südbahnstrecke und durch den Bau weiterer Privat- und Staatsbahnlinien erhielt Fiume von der Südbahn unabhängige Verbindungen nach dem ganzen Hinterlande, mit Agram aber eine um 50 Kilometer kürzere Verbindung, so dass Triest dahin um 56 Kilometer weiter als Fiume hat.

Darauf gestützt wurden für Fiume in Ungarn billigere Tarife erstellt als für Triest, und zwar beträgt der mit der Entfernung steigende Unterschied bis zu 23 fl. per Waggon, wenn derselbe nicht insgeheim noch durch Refactien erhöht wird.

Nur auf den ungarischen Strecken der Südbahn geniesst Triest mit Fiume die Parität, was aber wenig Werth hat, weil ja von den Knotenpunkten der Südbahn auch andere, Differentialtarife handhabende Bahnen nach Fiume führen.

Die Station Sissek jedoch ist von der Parität ausgeschlossen, weil die Südbahn im Jahre 1879 gelegentlich des Verkaufes der Agram-Karlstädter Bahn sich verpflichten musste, die Tarife nach Sissek für Triest um 14 Percent höher zu stellen, als die für Fiume, um demselben den slavonisch-bosnisch-serbischen Verkehr zu sichern.

Dadurch, dass Fiume eine zweite Bahnverbindung und durch diese niedrigere Tarife, ausserdem aber auch noch grössere Lagerfreiheiten erhielt und geringere Platzspesen als Triest hat, wurde es demselben möglich, Triest in überraschend kurzer Zeit aus Ungarn und dessen Nebenländern zu verdrängen. Fiume wurde auf Kosten Triests, das aus der zweiten Bahnverbindung gleichfalls grossen Nutzen ziehende Budapest auf Kosten Wiens gross, das mit jenem in Vielem nicht mehr concurriren kann.

Zum Aufblühen Budapests trägt auch der unter dem Einfluss der zweiten Bahnverbindung in den Provinzen wachsende Wohlstand bei, während umgekehrt die unter dem Mangel guter Verbindungen mit dem Seehafen leidenden Provinzen Oesterreichs verarmen, nicht mehr consumtionskräftig sind; es besteht eben auch der staatliche Organismus aus der Gesammtheit seiner Einzelorgane und steht das Wohlsein aller in Wechselwirkung.

Triest kann mit Fiume in Ungarn nicht mehr, wohl aber dieses mit Triest in Oesterreich concurriren, obwohl Mitte der Achziger Jahre Oesterreich zu Repressalien griff und zu Gunsten Triests Differentialtarife erstellte.

Da aber die Südbahn Triest und Fiume paritätisch behandeln muss, kommen die Differentialtarife erst über die Südbahnstationen hinaus zur Geltung, steigen erst von dort allmälig mit der Entfernung bis zum Maximum von 20 Gulden per Waggon. Dort, wo die Differentialtarife vermöge ihrer Höhe allenfalls wirksam werden könnten, wendet sich aber der Verkehr schon Hamburg zu. Während aber Ungarn seine Fiume begünstigenden Tarife mit dessen meist kürzeren Bahnverbindungen wenigstens einigermassen begründen kann, fehlt Oesterreich eine derartige Entschuldigung gänzlich und verfehlt zudem die Repressalie ihren Zweck.

Von 43.792 Waggonladungen à 10 Tonnen, welche im Jahre 1894 die Südbahn über St Peter von oder nach Fiume beförderte, waren 14.000 Waggons oder 32 Percent österreichischer Provenienz.

Fiume importirt schon vielmehr Jute nach Oesterreich als Triest, beginnt auch jetzt mit dem Import von Baumwolle, exportirt dagegen Zucker mit der Provenienz von Lundenburg, Angern, Austerlitz etc. nach der Türkei und nach Italien, und beginnt mit dem Export von Malz aus Mähren nach England.

Schritt vor Schritt erkämpft sich Fiume Terrain auch in Oesterreich und drängt Triest auch von hier ab. Je mehr aber Oesterreichs Handel und Industrie in ihrem Im-und Export sich Fiumes und der ungarischen Schiffahrt bedienen, desto mehr werden diese gekräftigt, gleichzeitig aber Oesterreichs Seehafen und Schifffahrt geschwächt, Ungarn aber befähigt, seinem Handel und Industrie im Im- und Export durch Refactien weitere Begünstigungen zuzuwenden, und so deren Wettbewerb mit Oesterreichs Handel und Industrie zu erleichtern und zu ermöglichen.

Triests Stellung würde Fiume gegenüber durch die Verstaatlichung der Südbahn nicht gebessert. Ungarn, welches vermöge der zweiten Fiumaner Bahnverbindung nur ein untergeordnetes Interesse daran hat, die ungarischen Strecken der Südbahn in seinen Besitz zu bekommen, ist in der Lage, seine Zustimmung zur Verstaatlichung der Südbahn an Bedingungen zu knüpfen, die nur auf Kosten Oesterreichs und Triests erfüllt werden können. Billiger Erwerb der Südbahnstrecken, tarifarische Gleichstellung von Fiume mit Triest in Oesterreich wäre das Mindeste, was Ungarn fordern würde. Das allenfalls von Ungarn zu machende Zugeständnis, dann auch Triest mit Fiume paritätisch behandeln zu wollen, hätte keinen Werth, weil Ungarn und Fiume sich eins fühlen, gleiche Sprache und gleiche Interessen haben und die Ungarn aus Patriotismus die Anknüpfung neuer Handelsbeziehungen mit Triest unmöglich machen würden. Fiume ist und bleibt der See- und Handelshafen und der Stützpunkt für den wirtschaftlichen Aufschwung Ungarns und dessen Hauptstadt.

Triest muss dies für Oesterreich erst werden und wird es, sobald es kurze und gute Verbindungen mit dem Hinterlande erhält, und zwar kürzere und bessere als dessen Rivalen haben oder erhalten, weil dann die Erstellung wesentlich niedrigerer Tarife für Triest auch rechtlich begründet ist Niedrige Tarife machen es dann Triest möglich, nicht bloss mit den Mittelmeer- sondern auch mit den Nordsee-Häfen, so insbesondere mit Hamburg die Concurreuz in Mitteleuropa aufzunehmen und erfolgreich zu bestehen.

 

V: Neue Eisenbahnen für Triest.

Kurze Bahn- und gute Zugsverbindungen mit Triest erstreben ja auch viele österreichische Länder, was die Menge der vorgeschlagenen Ergänzungslinien beweist, was aber gerade die Herstellung der gewünschten zweiten Bahnverbindung verhinderte, weil deren Gegner den Interessentenstreit ausnützten, die ihnen unschädlichen Ergänzungslinien anpriesen, dagegen die Oesterreich nützlichen verfehmten.

Leider liess sich Oesterreichs Bevölkerung sein selbständiges Denk- und Urtheilsvermögen in der so hochwichtigen Eisenbahnfrage einengen und eine Vormundschaft gefallen, welche nicht die Wahrung seiner eigenen, vielmehr die fremder Interessen bezweckt.

Der in Triest geführte Tracen-Streit fand im Inlande kein Verständnis und keine Sympathie, trug vielmehr nur zu dem Glauben bei, dass es sich bei der Triester Bahnfrage nur um Triests Interessen, um ein wiederum Triest zu bringendes Opfer handle, daher auch die angeblich billigsten Linien als für diesen Zweck genügend erachtet wurden.

In vollständiger Verkennung des Zweckes einer zweiten Triester Bahnverbindung wurde den Baukosten der Ergänzungslinien eine viel zu grosse Bedeutung beigelegt, dieselben auch tendenziös zu niedrig oder zu hoch angegeben, weiters auch noch den Baukosten der Predilbahn z. B. nur die der Laak oder nur die der Loiblbahn gegenübergestellt, während nur die Laak-Loibllinie mit der Predilbahn, darum auch nur die Baukosten beider Ergänzungslinien in Vergleich gestellt werden dürfen und die Baukosten sich durchgehends auf Haupt- und Adhäsionsbahnen beziehen müssen.

Man wird der Wahrheit ziemlich nahe kommen, wenn man die Baukosten annimmt: für die Gasteiner Tauerntrace(Sachsenburg-Schwarzach) mit 28, für die Lungauer Tauerntrace(Spital-Eben) mit 30, für die Predilbahn(Tarvis-Görz) mit 25 und inclusive der Vallonebahn(Görz-Triest) mit 30, für die Laak-Loibllinie mit 17+24 = 41, für die Wochein-Karawanken-Rosenthallinie mit 24 +17,5 + 3,5 = 45 und inclusive der Vallonebahn mit 50 Millionen Gulden.

Die Tauernbahn nimmt eine Ausnahmestellung ein und ist, strenge genommen, nicht in die Triester Bahnfrage einzubeziehen, die durch den Bau dieser Bahn durchaus nicht gelöst wird.

Die Planungsvarianten für neue Triester Bahnen (zusammengestellt um 1900):

Copyright: Elmar Oberegger

Die Tauernbahn ist schon rücksichtlich der Ermöglichung eines regeren Verkehres der durch die 270 Kilometer langen Tauernkette von einander getrennten Länder unter sich, wie auch für die Hebung des Fremdenverkehres absolut nothwendig, ist aber für alle drei Adriahäfen gleich zugänglich. Trotz der höheren Baukosten(2) erscheint die Lungauer Trace vortheilhafter, weil durch dieselbe das zu Salzburg gehörige Lungau mit demselben verbunden wird und weil sich dieselbe für die über die Knotenpunkte Steinach-Irdning, Liezen (künftiger Anschluss der Pyhrnbahn) und Selzthal (Wien) gehenden Verkehre günstiger erweist.

Die durch die verschiedenen Ergänzungslinien zu erzielenden Wegkürzungen geben uns einen Maasstab zur Bemessung des Verkehrswerthes dieser Linien, weil der Verkehr umso mehr steigen, der finanzielle und volkswirtschaftliche Erfolg umso grösser sein wird, je mehr die Bahnverbindungen gekürzt werden; Triest aber wird einen umso grösseren Vortheil daraus ziehen, je weniger die Wegkürzungen auch Venedig und Fiume zugute kommen.

Auf Grund der ziffernmässigen Angaben über die Wegkürzungen ist es jedoch sehr schwer, ein richtiges Bild von dem Verkehrswerth der Ergänzungslinien zu bekommen, dagegen leicht, wenn man die „Verkehrsgebiete“ auf Grund der effektiven Längen der heutigen und künftigen Bahnverbindungen berechnet und in Karten einträgt.

Auf jeder Masche des das Hinterland bedeckenden Bahnnetzes treffen die von zwei benachbarten Seehäfen kommenden Bahnen zusammen und ergibt sich hier durch Rechnung der Punkt, welcher von beiden Seehäfen gleich weit entfernt ist.

Die Verbindung aller dieser Punkte ist die Grenze der Attractionsgebiete der von diesen beiden Seehäfen zum Hinterlande führenden und sich dort verzweigenden Bahnen.

Zwei solcher Attractionsgrenzen schliessen dann ein Gebiet ein, dessen Orte zu dem zu diesem Gebiete gehörigen Seehafen näher haben als nach einem Nachbarseehafen, und kann man dasselbe als „Verkehrsgebiet“ dieses Seehafens bezeichnen, das allerdings in den meisten Fällen mit dessen Handelsgebiet nicht übereinstimmt, aus dessen Grösse aber geschlossen werden kann, ob dieser Seehafen gute Bahnverbindungen hat.

Diese auf Grund der heutigen Bahnen bestimmten Verkehrsgebiete werden durch jede der Ergänzungslinien eine Aenderung erfahren, die uns dann erkennen lassen, welche der Ergänzungslinien die zweckentsprechendste und nützlichste ist, und zwar wird es diejenige sein, durch welche das heutige – weisse – Triester Verkehrsgebiet die grösste Ausdehnung erhält, und durch welche die Grenze, von wo die Bahnen nach Triest und Hamburg gleiche Längen haben, am weitesten gegen Hamburg hin verrückt wird.

 

Anmerkungen:

1)    Da die Bahn Triest Laibach-Tarvis 248 Km. lang ist, da die Bahn Fiume Laibach-Tarvis 245 Km lang ist, da die Bahn Venedig-Pontebba 230 Km lang ist so hat thatsächlich Triest nach Tarvis um 5 Km. weiter als Fiume und um 18 Km. weiter als Venedig, jedoch können diese Differenzen vernachlässigt, und die Bahnverbindungen gleich lang angenommen werden.

2)    Während der Drucklegung wurde mir die Mittheilung gemacht, dass nach den von Regierungsorganen ausgearbeiteten Projecten und Kostenvoranschlägen die Baukosten der Lungauer Trace um 6 Millionen Gulden höher sein sollen als die der Gasteiner Trace, darum auch Letztere bevorzugt werde, weil man das Lungau durch die Obermurthal-Bahn genügend erschlossen erachte, sobald dieses auch politisch von Salzburg getrennt und Steiermark einverleibt würde. Die Gesammtheit hat nur ein untergeordnetes Interesse daran, ob diese oder jene Trace, ein sehr grosses Interesse aber daran, dass überhaupt eine Tauernbahn – gleichviel welchen Eigennamens – gebaut werde. Wird die Gasteiner Trace gebaut, dann erfordert es aber die Gerechtigkeit und Billigkeit, die seit Jahrzehnten den Bau ihrer Tauerntrace erstrebende und erhoffende Bevölkerung des Lieserthales durch den gleichzeitigen Bau einer Localbahn wenigstens theilweise zu befriedigen, da diese Bevölkerung durch den Bau der um die Tauern herumführenden Bahnen und durch den dadurch herbeigeführten Verlust des Strassenverkehres über die Tauern in ihren Erwerbsverhältnissen ungeheuer geschädigt wurde.