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C: GENAUE ANALYSE DER STAGNATION(Franz X. v. Neumann-Spallart 1882).

I: Vorbemerkung.

Es ist keine schwere Aufgabe, den leidigen Satz zu beweisen, dass Triest seit zwanzig Jahren im Stillstande, ja verhältnissmässig im Rückschritte begriffen ist; die Betheiligten selbst geben es unbefangen zu und beklagen den allmäligen Verfall dieses wichtigsten Seehandels-Emporiums von Oesterreich.

Die Statistik hat daher nichts sonst zu leisten, als eine Thatsache, deren Vorhandensein unbestritten ist, möglichst genau auf ihre Intensität zu messen und dadurch jene Uebertreibungen zu verhüten, welche im guten wie im schlechten Sinne meistens unterlaufen, wenn man über sociale oder wirthschaftliche Erscheinungen nur mit Worten und nicht mit Zahlen urtheilt.

Der Stillstand von Triest äussert sich als absolute Erscheinung, indem die meisten Elemente seiner maritimen Handelstätigkeit seit Jahren nicht weitergebildet worden sind; der Stillstand von Triest manifestirt sich aber noch greller und wird zum eigentlichen Rückschritt als relative Erscheinung, indem die übrigen Seehandelsplätze der abendländischen Welt rastlos vorwärts eilen, Triest dagegen nahezu auf derselben Stufe verweilt. Schon Revoltella‘s Denkschrift beklagt diese Wahrnehmung. „Man blicke auf Liverpool, auf Hamburg, Bremen, Antwerpen und Marseille und man wird erkennen, welch‘ gewerblicher Flor, welch‘ kaufmännischer Geist in ihren Hinterländern wohnt. Auch die österreichische Küste gewährt ein Abbild unseres inländischen Verkehrs, aber es ist leider nicht dasjenige des Zollvereins, Belgiens oder Frankreichs“. Der Verfall des Handels von Triest, die Unzulänglichkeit dieses Seeplatzes für gewisse Stapelartikel wird mit Bedauern zugegeben. Der Bericht der Fachmänner schildert die allgemeine Lage des österreichischen Seehandels und die Position von Triest insbesondere als eine äusserst gedrückte. Wie ein rother Faden zieht sich durch die Enquete die Wahrnehmung, dass der Stern von Triest im Erbleichen sei, dass es nach jeder Sichtung hin verloren habe.

Ebenso hat die grosse Enquete-Commission vom Jahre 1875 das bereits angeführte Verdict über die traurigen commerciellen und industriellen Verhältnisse von Triest gethan, ohne einen Widerspruch zu finden; und kürzlich wieder(Ende 1881) hat die Handels- und Gewerbekammer in einer der Regierung vorgelegten Denkschrift wörtlich erklärt, dass „Triest der neuerdings verstärkten Concurrenz nicht gewachsen ist und dass rasche Hilfe dringendst noththut, da Triest unmöglich allein gegen die Allianz Fiumes mit der ungarischen Regierung und den ungarischen Bahnen ankämpfen kann und ohne weiteres erliegen muss, wenn nicht seitens des Staates schleunigst die erbetene Unterstützung(in der Verkehrs- und Tariffrage) gebracht wird“(1).

Da also competente Organe des Triester Handelsstandes die Thatsache als solche einstimmig constatiren, bedarf es nur der Feststellung ihres Umfanges.

Man kann diese verlässlicher ausführen, als auf andern verwandten Gebieten der Statistik. Denn die wirthschaftliche Entwicklung eines Hafens lässt sich sehr genau verfolgen, da die administrativen und polizeilichen Vorschriften des Seedienstes bekanntlich eine stramme Verzeichnung aller einschlägigen Vorgänge, Veränderungen und faktischen Grundlagen mit sich bringen.

Der Masstab der maritimen Entwicklung liegt im Stande und den Fluctuationen der Handelsmarine; in der Zahl und Tragfähigkeit der ein- und auslaufenden Fahrzeuge, in dem Werthe der ein- und ausgeführten Waaren, in der Anzahl und Richtung der regelmässigen Schiffahrtslinien, in der Menge der nach dem Binnenlande versendeten Güter und in manchen anderen, ebenfalls registrirten Symptomen, wie Schiffsbau, Bevölkerungs-Zustände u. dgl. Alle diese Merkmale lassen sich in exacten Zahlen ausdrücken und wir werden dieselben nun einzeln verfolgen.

 

II: Statistische Analyse.(Entwicklung der Handels-Marine, Schiffahrts-Bewegung, Bilanz des Werthes und der Menge der über das österreichische Litorale und Triest in den Handel gebrachten Waaren, Schiffbau und Rhederei, Bevölkerungs-Verhältnisse, Resumee.)

1.Entwicklung der Handels-Marine. Der Stand der Handelsflotte des österreichisch-ungarischen Küstenlandes als Ganzes genommen und die Veränderungen desselben während der neueren Zeit erweisen sich bei einer strengen analytischen Untersuchung nicht so ungünstig, wie die oberflächliche Darstellung dieser Frage häufig angenommen hat. Würden ohne Kritik des statistischen Materiales die Grundzahlen einfach neben einander gesetzt, so käme man zu dem erschreckenden Resultate des bereits erfolgten Verfalles; denn nach den rohen Zahlen der amtlichen Quellen betrug die Tragfähigkeit der Handelsfahrzeuge von Oesterreich-Ungarn

Es wäre also gegenüber einer von 1830 bis 1860 beobachteten massigen Steigerung seit 1860 eine Verlangsamung des Zuwachses und seit 1870 eine Abnahme der Tragfähigkeit der Handelsmarine um rund 32.000 Tonnen zu beklagen.

Glücklicherweise stehen indessen die Dinge nicht so schlimm. Vorerst beruhen Schlussfolgerungen, welche aus diesen Daten gezogen sind auf dem Irrthume, dass Grössen neben einander gestellt werden, welche nicht gleichartig sind.

Die „Tonne“ Tragfähigkeit eines österreichischen Schiffes war in den Jahren 1830 bis 1875 eine andere, als in den seit 1876 vorgenommenen Registrirungen; daher muss (nach Kiaer‘s Vorgang) die Reduktion auf ein einheitliches Mass (die Netto-Tonne des Systems Moorsom) erfolgen, ehe man historische Parallelen ziehen darf.

Ferner darf bei einer vergleichenden Untersuchung der Tragfähigkeit der Handelsschiffe nicht ausser Betracht bleiben, dass durch die Dampfschiffahrt eine Verkehrsbeschleunigung erreicht worden ist, welche die Transportleistung eines solchen ungefähr dreimal so hoch, als diejenige eines Segelschiffes veranschlagen lässt, also bei der Beurtheilung des Standes der Handelsflotte als „Verkehrsmittel“ in Berechnung gezogen werden muss. Und endlich ist es wohl passend mit Rücksicht auf den eigentlichen Sinn der Untersuchung, die wir hier durchführen wollen, die Fischerbarken und numerirten Barken auszuscheiden, weil diese nicht dem Handel, sondern anderen Erwerbszweigen, beziehungsweise rein localen Transporten dienen.

Nach Vornahme dieser mühsamen Vorarbeiten stellen sich, wie Tabelle III zeigt, die Verhältnisse der österreichisch-ungarischen Handelsmarine absolut betrachtet günstiger.

Tabelle III:

Denn es betrug die

Während die erste Reihe, welche Segelschiffe und Dampfschiffe(nach erfolgter Reduktion der Tonnen auf das Moorsom Mass) gleich veranschlagt, von 1860 auf 1870 eine Abnahme und erst später wieder eine – allerdings nicht den Ausfall ersetzende – Ausgleichung zeigt, lässt die zweite Reihe eine massige Vermehrung anstatt des oft behaupteten absoluten Rückganges erkennen.

Aber in der niedrigen Ziffer dieses Zuwachses der Tragfähigkeit unserer Handelsmarine liegt schon an und für sich ein Symptom der Stagnation.

Wie unzureichend ist es, wenn die Handelsflotte der Monarchie nach der oben gegebenen Berechnung von zehn zu zehn Jahren nur um 1.900 bis 5.800 Tonnen zugenommen hat? Oder wenn im ganzen Zeitraum 1830 bis 1870 nach unserer ausführlichen Tabelle jährlich nur 7.640 Tonnen hinzugekommen sind und im letzten Decennium gar nur eine Vermehrung um jährlich 3.239 Tonnen erreicht wurde?

Ein einziges grosses englisches Handelsschiff der neuern Construction hat so viel Tragfähigkeit, als dieser gesammte Jahreszuwachs der Flotte von ganz Oesterreich-Ungarn!

Die Geringfügigkeit wird noch klarer und sie illustrirt recht eigentlich die ungesunden, rückläufigen Verhältnisse, wenn man die Veränderungen im Stande der Österreichisch-ungarischen Handelsflotte mit denjenigen anderer Staaten vergleicht. Wir haben der vortrefflichen „Internationalen Statistik der Handels-Marine“ von A.N. Kiaer eine graphische Darstellung entnommen, welche die Entwicklung dieses maritimen Verkehrsmittels in Grossbritannien, den Vereinigten Staaten von Nordamerika, dem Deutschen Reiche, in Frankreich, Italien und Oesterreich-Ungarn während des abgelaufenen halben Jahrhunderts veranschaulicht.

Ohne die Zifferncolonnen der darauf bezüglichen Tabelle (IV) lesen zu müssen, entnimmt man auf einen Blick aus dem Diagramm, wie weit Oesterreich-Ungarn auf diesem Gebiete gegen die anderen Staaten zurückgeblieben ist.

Tabelle IV:

Das Missverhältniss wird namentlich in den letzten zehn Jahren sehr grell, denn während die Handelsflotte Grossbritanniens um 4,6 Mill., jene von Deutschland um 306.000, jene von Italien um 209.000 Tonnen vermehrt wurde, kam die Handelsflotte von Oesterreich-Ungarn nur um 56.000(resp. 53.263) Tonnen höher!

Wir dürfen diesen Vergleich nicht schliessen, ohne speciell von Triest zu sagen, dass es trotz seiner primaten Stellung unter den österreichisch-ungarischen Seehäfen, doch international erst den 22. Rang einnimmt; viele englische, amerikanische, deutsche und andere Plätze überragen es durch den registrirten Tonnengehalt.

Aus der „Internationalen Statistik der Handels-Marine“ von A.N. Kiaer:

2.Schiffahrts-Bewegung. Zwar mahnt das bisher untersuchte Kriterium zu ernster Auffassung der maritimen Verhältnisse unseres Küstenlandes, doch würde es für sich allein nur wenig beweisen; denn ein Land kann auch ohne eigentliche Fortschritte im activen Schiffahrtsbetriebe seine Theilnahme am Welthandel steigern, wie das Beispiel der Vereinigten Staaten von Nordamerika klar zeigt.

Dort nimmt die registrirte Tonnenzahl der Hochseeschiffe seit 1878 und der Cabotagefahrzeuge schon seit 1874 beständig ab und dennoch bewundern wir dieses Land wegen seiner wirthschaftlichen Entwicklung und blicken nicht ohne Neid auf die rapid wachsende Lebhaftigkeit des Verkehrs in den grossen Hafenplätzen der Union, in New-York, Boston, Baltimore, New-Orleans, Philadelphia u. A.

Man muss also noch andere Elemente zur Vergleichung heranziehen, und als solche bieten sich zunächst die Nachweise über den Schiffahrts-Verkehr der Häfen. Auch nach diesem Masstabe lautet, wie unsere Untersuchung zeigt, das Urtheil für die maritimen Zustände von Oesterreich und für Triest insbesondere nicht günstig.

Die Aufbereitung und Analyse des weitläufigen, in den offiziellen Quellen zerstreuten Materiales führt zu der Ueberzeugung, dass überhaupt die österreichischen Häfen einen geringeren Antheil am Welthandel nehmen, als man häufig voraussetzt, dass vielmehr die in denselben vermittelte Schiffahrts-Thätigkeit zumeist auf den inneren Verkehr der Küstenplätze beschränkt ist, und keine grosse commercielle Tragweite hat. Ferner ergibt sich, dass dieser innere Verkehr verhältnissmässig rascher zunimmt, als der äussere Seehandel; und endlich, dass Triest, welches fast ausschliessend die ganze Schiffahrtsbewegung des auswärtigen Verkehrs concentirt, sich langsamer entwickelt als alle übrigen Häfen.

Das sind durchweg nicht zu bezweifelnde Kennzeichen der rückläufigen Bewegung auf demjenigen Gebiete, welches gerade für die maritime Entwicklung des Gesammtstaates das wichtigste sein sollte. Der concludente Beweis für diese Behauptungen ist in den beigegebenen Tabellen, welche wir nur aus amtlichen Quellen zusammengestellt haben, zu entnehmen und wir dürfen uns wohl begnügen in Kürze die letzten Resultate hier zusammenzufassen.

Der geringe Antheil der österreichischen Häfen am Welthandel wurde schon vor zwanzig Jahren beklagt, indem das Revoltella-Comité constatirte, dass sich das „eigentliche Handelsgebiet von Triest auf einen engen Rayon im Binnenlande, auf Istrien, Dalmatien, den albanesischen Küstensaum bis Durazzo und auf die Cabotage mit der gegenüber liegenden italienischen Küste beschränkt, dass aber weiter hinaus mit der Levante nur schwache Geschäfte betrieben werden, und dass endlich ein directer Verkehr der österreichischen Seehäfen mit Amerika und Ostindien so gut wie gar nicht vorhanden ist“.

Heute haben sich die Dinge ein wenig gebessert; aber nur ein wenig; denn für die Gegenwart erweisen wir die Thatsache, dass, obwohl die Gesammtbewegung der Schiffahrt im Laufe der letzten fünf Jahre in runder Zahl durchschnittlich je 5,2 Millionen Tonnen ein- und auslaufender Fahrzeuge umfasste(Tab. V), an dieser anscheinend bedeutenden Thätigkeit der auswärtige Verkehr doch nur einen Antheil von rund 1,4 Millionen Tonnen hatte. In Oesterreich entfallen demnach vom ganzen Seeverkehr kaum 27 Percent auf die internationalen Handelsverbindungen, während beispielsweise in England 44 Percent, im Deutschen Reiche und in Frankreich mehr als 86 Percent diesem wichtigen Zwecke dienen. Der Reflex dieser Erscheinung ist in der ebenfalls ziffermässig nachgewiesenen Thatsache zu erblicken, dass der Werth derjenigen Waaren, welche zu Schiff in Verkehr gebracht werden, trotz der zunehmenden Tonnenzahl der ein- und ausgelaufenen Fahrzeuge nicht vermehrt worden ist. In derselben Periode 1871-78, in welcher die Schiffahrtsbewegung in allen Häfen von 7,7 auf 11,8 Millionen Tonnen(im Ein- und Auslaufen) stieg, fiel sogar der Werth der Ladungen von rund 184 auf 170 Millionen fl. in der Einfuhr und blieb in der Ausfuhr nahezu auf gleichem Niveau. Die österreichische Seeschiffahrt hat also auch heute noch vorwiegend internen, auf die eigene Küste localisirten Charakter.

Tabelle V(2 Teile):

Leider haben die mächtigen Strömungen der Weltwirthschaft in der jüngsten Zeit auf Oesterreich nicht den günstigen Einfluss ausgeübt, unsere Handelsmarine zu grösserem Antheile an derselben anzuregen. Wir sehen dies aus folgender einfacher Vergleichung. Es umfasste die Schiffahrtsbewegung in den Österreichischen Häfen (ein- und auslaufende Fahrzeuge zusammengerechnet)

In diesem Jahrzehnt wurde demgemäss die gesammte Schiffahrtsbewegung aller österreichischen Häfen absolut zehnmal so rasch, percentuell dreimal so intensiv, als der Antheil am internationalen maritimen Verkehre vermehrt.

Ebenso zuverlässig können wir den dritten der oben aufgestellten Sätze analytisch nachweisen, dass sich Triest langsamer entwickelt, als alle übrigen Häfen zusammen, dass es seinerseits mithin selbst innerhalb des Lebenskreises unserer eigenen Küste noch fortwährend relativ zurücktritt.

Man kann die statistischen Ziffern der offiziellen Quellen gruppiren und calculiren wie man will, immer gelangt man mit zwingender Logik zu der Erkenntniss von der rückläufigen Bewegung des Emporiums an der Adria gegenüber der Gesammtheit der anderen kleinen Handels- und Schiffahrtshäfen des illirischen und dalmatinischen Litorale.

Wir stellen zwei Vergleiche an, um dies zu zeigen. Rechnet man, um einen mittleren Ausdruck der ganzen Erscheinung zu gewinnen, nach Durchschnitten von Jahrfünften, so erhält man das Resultat, (Tab. V) dass sich die Schiffahrtsbewegung von 1871-75 auf 1876-80 hob:

Mit anderen Worten: es hat sich Triest während dieser mittleren Zeitperiode relativ nur halb so rasch entwickelt, als das gesammte Litorale.

Untersucht man diese Erscheinung nach dem Anfangs- und Endpunkt des letzten Decenniums und für die ganze Bewegung(Ein-und Auslauf) der Schiffe zusammen, so ergibt sich als Verkehr des gesammten Litorale, wie wir oben gezeigt haben

eine Zunahme um 4 132 605 Tonnen dagegen

bei Triest allein nur eine Steigerung

vom J. 1871 mit 1 980 280 Steigerung

auf 1880 mit 2 172 648 Steigerung

daher um 192 368 Tonnen d. i. 9,7 Percent.

Mit andern Worten: Vom Beginn bis zum Ende dieser Periode hat sich Triest 5 ½ mal langsamer entwickelt, als das übrige Litorale, welches unser Emporium daher in gewissem Sinne überflügelt hat.

Beweisen die vorangehenden Ausführungen, dass der Seeverkehr an und für sich im ganzen Küstenlande und ganz besonders in Triest nicht so prosperirt, wie jeder Oesterreicher im Interesse der gesammten wirtschaftlichen Entwicklung wünschen müsste, so lautet das Urtheil leider nicht günstiger, wenn man die maritime Stellung unseres Vaterlandes durch Parallelen mit derjenigen anderer Mächte zu präcisiren sucht.

In grossen Totalziffern lässt sich folgende Reihe der für den Vergleich interessantesten Staaten aufstellen. Es betrug im Jahre 1880 die ganze Schiffahrtsbewegung(also Ein- und Ausfuhr zusammengerechnet):

 

*)Seeverkehr zwischen deutschen Häfen, also grossentheils auch internationalen Charakters mit Rücksicht auf die Selbständigkeit der Hansestädte, Oldenburgs und Mecklenburgs.

Diese Hauptsummen zeigen zwar die relative Geringfügigkeit des österreichischen Seeverkehrs, der im internationalen Handel nur beiläufig 1 1/20 der britischen, 1/11 der amerikanischen, 1/8 der französischen, 1/6 der holländischen, 1/5 der deutschen, kaum 1/3 der italienischen und weniger als 1/2 der holländischen Schiffahrtsbewegung aufzuweisen hat; sie bilden aber kein richtiges Kriterium, weil die Eigenart unseres Staates nach seiner continentalen Lage eben ganz anders in die Wagschale fällt, als diejenige eines Inselreiches, wie Grossbritannien, oder eines Landes, dessen ganze Productionsrichtung auf den grossen transoceanischen Austausch berechnet ist, wie Amerika oder von Staaten, deren Colonialbesitzungen den Grund zu regsamem Seeverkehr legen, wie dies bei Holland und in gewissem Sinne auch bei Frankreich der Fall ist, oder endlich bei einem Lande, dessen reich gegliederte lang gestreckte Küste in allen Provinzen zum Seehandel und zur Schiffahrt anleitet, wie Italien. Nur mit Deutschland verglichen, lassen schon die vorstehenden Totalziffern den bestimmten Schluss auf mangelhafte Zustände Oesterreichs zu.

Geht man jedoch von diesen Grundzahlen in der Absicht aus, um an denselben den Verlauf der maritimen Entwicklung retrospectiv zu verfolgen, so bieten sie zweifellos einen berechtigten Massstab; in diesem Sinne haben wir in einer Tabelle (VI) eine vergleichende Darstellung des ganzen letzten Decenniums gemacht und aus derselben entnommen, dass die mächtigen Concurrenten im Welthandel seit dem Jahre 1871 ihre Präponderanz erhöht haben.

Tabelle VI:

Es stieg während des letzten Jahrzehntes 1871-1880 der Seeverkehr

Die Differenzen lauten in der Tonnenzahl überall zu Ungunsten Oesterreichs und nur in der Percentualziffer sind wir mit unserem nächsten Nachbarn Italien gleichen Schrittes gegangen; Deutschland, Frankreich, Grossbritannien und Amerika überflügeln uns jedoch beständig mehr.

Auch hinsichtlich dieses Punktes lässt sich eine specielle Probe auf Triest ziehen und dessen Rangstellung unter andern Welthäfen in Betreff der Lebhaftigkeit des Verkehrs bestimmen.

Wir finden, dass Triest mit seiner Schiffahrtsbewegung überhaupt sehr tief zu reihen ist; englische, amerikanische, französische, holländische, deutsche, italienische Häfen gehen in einer Zahl von 22 voran, so dass es nach unserem Vergleiche erst den 23. Platz (fast ebenso wie in Bezug auf die registrirten Schiffe) einnehmen würde.

Schiffahrtsbewegung in den wichtigsten Häfen im Jahre 1880:

Ebenso überwältigend durch die Höhe der Zahlen ist der andere internationale Vergleich, welcher das stetige Anwachsen der Bewegung in den grossen Welthandels-Häfen gegenüber Triest zeigt und beispielsweise ergibt, dass in den letzten 18 Jahren Antwerpen eine Zunahme des Verkehrs um 150%, Dublin eine solche um 140%, Sunderland um 130%, Liverpool um 103% u.s.w. Triest dagegen gleichzeitig 1861-79 nur um 50% erfuhr.

Aufschwung der Schiffahrtsbewegung in den wichtigsten Häfen von 1860-1879):

Mit Recht konnte man aber wieder einwenden, dass Parallelen zwischen den mächtigen Pulsschlägen, im kosmopolitischen Leben von den Welthandelsstaaten und den Strömungen im kleinen adriatischen Becken unzulässig sind.

Aber auch in diesem Punkte kehren wir zu dem nächstliegenden Vergleichsobject zurück. Niemand wird in Abrede stellen, dass man an Triest den gleichen Masstab anlegen darf, wie an die italienischen Häfen in der Adria und im Mittelmeer und diese Letzteren haben ausnahmslos unser Emporium im Entwicklungsgange überholt. Eine kleine von uns für die letzten zwanzig Jahre zusammengestellte Tabelle (VII) beweist leider, dass insbesondere die Periode 1872 bis 1881 eine für Triest sehr nachtheilige Wendung herbeigeführt hat; denn es stieg die gesammte Hafenbewegung:

Tabelle VII:

Mit anderen Worten: Genua, Messina, Livorno und Palermo entwickelten sich in dem Jahrzehnt 1872-81, welches massgebender ist, als die 20jährige Reihe fast dreimal, Venedig fast viermal und Neapel sechsmal so intensiv als Triest.

Es ist selbstverständlich, dass wir auf den Vergleich zwischen Triest und Venedig als unmittelbar benachbarten Concurrenz-Hafen das höchste Gewicht legen. Für die Diagnose des Verfalles von Triest und für die Erkenntniss der Ursachen dieser bedauerlichen Erscheinung ist es ungemein wichtig zu constatiren, dass noch von 1862 bis 1871 die Hafenthätigkeit in Triest um 436.000 Tonnen oder 28% und jene von Venedig nur um 74.400 Tonnen oder 11% zunahm, dass dagegen von 1872 bis 1881 umgekehrt Triest blos um 320 500 Tonnen oder 16% und Venedig um 501.000 Tonnen oder 57% an Intensität stieg.

Jedem unbefangenen Kenner dieser Zahlen wird sich die Ueberzeugung aufdrängen, dass hier ganz specifische Momente für Triest nachtheilig, für Venedig vortheilhaft, einwirken mussten.

3.Bilanz des Werthes und der Menge der über das österreichische Litorale und Triest in den Handel gebrachten Waaren. Auch die Bilanz des Werthes und der Menge der über das österreichische Litorale und Triest in den Handel gebrachten Waaren bestätigt die Stagnation. Die Nachweise der Triester Börsendeputation zeigen, dass der Werth der im gesammten österreichischen Seehandel umgesetzten Waaren von 1871 bis 1880 stationär geblieben ist; die einlaufenden Schiffe brachten nicht mehr als für durchschnittlich 177 Mill. fl., die auslaufenden nahmen für 119 bis 130 Mill. fl. Waaren als Ladung (Tab. V/VIII).

Tabelle VIII:

Die Geringfügigkeit dieser Ziffer, in welcher Alles und Jedes, Einfuhr- und Ausfuhrhandel, Zwischen- und Durchfuhrhandel zusammengenommen enthalten sind, springt in die Augen; in demselben Zeitraume hat die gesammte in den Handelsausweisen verzeichnete Güterbewegung über die Österreichisch-ungarischen Grenzen(Ein-, Aus- und Durchfuhr) durchschnittlich rund 1400 Millionen Gulden betragen; die Schiffahrt der österreichischen Häfen hat also nach diesem günstigsten Calcul nur etwa 22 Percent beigesteuert.

Dass dieser Percentualtheil gering ist, lässt sich nicht blos aus dem Vergleiche mit den vielfach anders gearteten Verhältnissen von England, Amerika, Holland(wo die Einfuhr zur See rund 40% beträgt), sondern zunächst aus dem Vergleiche mit Italien entnehmen. Der Werth der Schiffsladungen hat dort im Jahre 1880 67% aller Importe und 54% aller Exporte des Specialhandels betragenn.

Da den Schätzungen der Ladungswerthe im Hafenverkehr jedoch vielleicht eine geringere Verläßlichkeit beizumessen sein könnte, als den Declarationen beim Zollverfahren an den Grenzämtern, so darf man nicht unterlassen, auch diese Quelle zu Rathe zu ziehen; sie bestätigt principiell die gleiche Wahrnehmung, reducirt aber noch die ziffermässige Höhe zu Ungunsten von Triest und der Küste.

Nach den officiellen Handelsausweisen ergibt sich die interessante Thatsache, dass der Antheil, welchen der österreichisch-ungarische Seehandel an dem gesammten auswärtigen Waarenhandel der Monarchie nimmt, dem Werthe nach beharrlich seit vielen Jahren je 16, 1% in der Einfuhr und 16,8% in der Ausfuhr der Menge nach aber gar nur 8,7 resp. 11,5 Percent im Durchschnitt betrug(Tab. VIII).

Von dem ganzen Import und Export des Jahres 1880 im Werthe von 1.341 Millionen Gulden haben unsere eigenen Seehäfen nur einen Umsatz im Werthe von 234 Millionen Gulden vermittelt; und von 136 Millionen Meter-Centnern, die im Jahre 1880 in allen Handelsrichtungen(Einfuhr, Ausfuhr und Durchfuhr) bewegt wurden, entfielen auf den Verkehr aller unserer Seehäfen nur 16,6 Millionen Meter-Centner oder 12,2 Percent.(Tab. IX)

Tabelle IX:

Die Ziffern an sich sind ein scharfes Kriterium; sie werden um so bedeutungsvoller durch die geringe Beweglichkeit des Verhältnisses während jener ganzen Reihe von Jahren, in welchen doch die Eröffnung des Suez-Canals, die Einrichtung direkter Fahrten nach Ostindien und China und eine allgemeine Steigerung der Welthandelsthätigkeit vor sich ging. Alle diese Factoren hatten – das kann man in den statistischen Daten klar lesen – nur den Einfluss, dass sich der See- und Küstenverkehr im gleichen Tempo mit dem Landverkehr entwickelte, aber sie übten nicht jene förderlichen Impulse aus, welche man von denselben mit Recht voraussetzen durfte.

Das bisher Gesagte enthält selbstverständlich auch das Urtheil über Triest; denn der Begriff Litorale von Oesterreich ist in Bezug auf den Aussenhandel, wie wir gesehen haben, identisch mit Triest. Zur schärferen Beleuchtung der specifischen Veränderungen, welche die Handelsthätigkeit dieses Emporiums mit Rücksicht auf die Werthumsätze erfahren hat, dient ein Einblick in das ausführliche Tabellenwerk der Handelskammer.(Tab IX)

Dieses lehrt uns, dass es dem Triester Hafenplatze in der ganzen Periode von 1871-1880 nicht gelungen ist, die Ein- und Ausfuhren via mare zu vermehren; denn sie schwankten stets um den Durchschnitt von 245 Mill. fl.(Tab. IX); auch die von Triest nach dem Hinterlande vermittelte Handelsbewegung machte kaum nennenswerthe Fortschritte, sondern hob sich nur wenig, indem sie immer den Durchschnitt von 190 Mill. fl. festhielt. Zusammen also betrugen alle Umsätze 435 Mill. fl. Erst das Jahr 1881 bekundet in allen Richtungen, im Import und Export, im Land- und Seehandel für Triest einen grossen Fortschritt; es hat die höchste jemals erreichte Total-Umsatzziffer von 523 Mill. fl., d.i. 87 Mill. fl. mehr als der Durchschnitt des vorangehenden Decenniums gebracht; ein Ergebniss, welches um so erfreulicher ist, als es sich vorwiegend auf die naturgemässe Erweiterung des Handels mit Griechenland, der Türkei, Aegypten, Indien u.s.w. zurückführen lässt. Von diesem ersten Ausnahmsjahre abgerechnet beweist also auch die Bilanz der durch unsere Häfen an der Adria und insbesondere durch Triest vermittelten Handelsumsätze einen beklagenswerthen Stillstand in der maritimen Entwicklung Oesterreichs.

4.Schiffbau und Rhederei. Auch auf diesem Gebiete vollzieht sich mit eherner Consequenz der schon vor Jahrzehnten von einsichtigen Beurtheilern vorausgesagte Verfall. Die Angaben über die Tonnenzahl der in Triest gebauten Schiffe im Vergleiche mit denjenigen von britischen, französischen, holländischen, selbst italienischen Häfen, liefern ein geradezu beschämendes Armuthszeugniss unserer mercantilen Thätigkeit.

Es genüge aus den vorhandenen reichen Quellen zu entnehmen, dass die gesammten auf den Werften des österreichischen Litorale neu gebauten Fahrzeuge in den letzten 5 Jahren durchschnittlich nur je 11.000 Tonnen im Werthe von 2 ¼ Mill. fl. repräsentirten, wogegen in England zwischen 730.000 und 1 Mill. tons vom Stapel liefen und die Schiffswerften am Clyde im Jahr 1881 allein Fahrzeuge von 330.000 tons Tragfähigkeit und im Werthe von beiläufig 8 Mill. Pf. St. producirten.

Mit Recht rühmte man in der Revoltella-Enquete, dass die Technik des österreichischen Schiffbaues jenem der am „weitesten vorgeschrittenen Seestaaten ebenbürtig und im Stande wäre, aus den Bezugsquellen des eigenen Landes alle Anforderungen zu befriedigen.

Aber schon damals hob ein Experte hervor, dass das Dampfschiffahrtswesen zu sehr zurückgeblieben und durch die privilegirte Stellung des Lloyd in der freien Entwicklung gehemmt sei. Die jüngste Triester Enquete (1875-78) endlich führte abermals den fachmännischen Nachweis, dass die Schiffbau-Industrie zurückgeht und vor der Gefahr des beklagenswerthen Verfalles steht. Die Hauptursache erblickt man heute in dem Uebergange von der Segel- zur Dampfschiffahrt; wie wenig aber die Rhederei-Industrie in dem Bau der Letzteren eine regere Concurrenz ermöglicht, haben bekannte Erfahrungen der letzten Zeit erwiesen.

5.Bevölkerungs-Verhältnisse. Zweifellos üben Erwerbsgelegenheit und Aussicht auf günstige wirtschaftliche Stellung überall und immer eine mächtige Attraction auf die Menschen aus und führen zu jenen localen Anhäufungen, die wir in grossen Industrie- und Handelsstaaten oft mit wunderbarer Raschheit vor sich gehen sehen.

Das pilzartige Anwachsen der amerikanischen Handelsplätze, welche in wenigen Decennien hunderttausende von Bewohner an sich zogen, ist ebenso dem commerciellen Geiste zuzuschreiben, wie die erstaunlich schnell vollzogene Colonisation von Australien. Wenn Chicago das im Jahre 1830 erst angelegt wurde, jetzt über eine halbe Million Einwohner zählt, oder Brooklyn, der Hafen nächst New-York, in den letzten zehn Jahren allein um fast 200.000 Bewohner zugenommen hat, so ist dies ein sicheres Symptom grosser kaufmännischer und maritimer Thätigkeit.

Mit Recht kann man daher auch umgekehrt aus dem langsamen Schritte der Vermehrung auf die entgegengesetzten Ursachen, nämlich die Stagnation eines commerciellen Platzes schliessen.

Nun hat Triest in der That leider keinen raschen Zuwachs zu verzeichnen; im Jahre 1808 schon zählte die Stadt 33.000 Einwohner; nach dem letzten Census vom Jahre 1880 war dieselbe von 74.544 Menschen bewohnt; also in 72 Jahren nur ein Zuwachs von 41.500 Einwohnern oder jährlich 1,7 Percent.

Ebenso lassen die Nachweise der drei letzten Volkszählungen (1857, 1869 und 1880) mit Sicherheit auf ein relatives Zurückbleiben schliessen. Die Bevölkerung von Triest und Gebiet hat im Zeitraume 1869 bis 1880 nur um 17.297 Einwohner oder 13, 6 Percent, also jährlich um 1.572 Menschen, d.i. kaum 1 ¼ Percent zugenommen.

Vergleicht man damit die im neuesten Volkszählungs-Operate leicht zu findenden Zuwachsprocente anderer städtischer Gebiete, z.B. des Wiener Vorortes Hernals mit 75, 7% oder von Sechshaus mit 39%, Marburg mit 37, 4%, Krakau und Olmütz mit 32, 5%, Görz, Innsbruck, Prag, Lemberg mit mehr als 25%, Wien mit 19%, ganz Niederösterreich mit 17%, so ist das Urtheil über den Stillstand von Triest gesprochen.

Dasselbe wird bekräftiget, wenn man die im letzten Census enthaltene Berufsstatistik etwas aufmerksamer durchsieht. Es ruft keine sehr, hohe Meinung hervor, wenn man die geringe Anzahl von Kaufleuten, Banquiers und Schiffsrhedern betrachtet, die in dem österreichischen Handels-Emporium an der Adria aufzufinden waren. Unter den 74.544 Bewohnern der Stadt Triest sind fast ebenso viele active und pensionirte Civil- und Militärbeamte, Geistliche, Aerzte, Advokaten, Notare und Aufsichtsorgane als eigentlich commercielle Elemente; die Anzahl der direct für Handel und Schiffahrt thätigen Personen(männlichen Geschlechtes) beschränkt sich nämlich auf:

Alles in Allem betreibt also nur das Häuflein, von 9.333 Menschen berufsmässig Handel, Verkehr und Schiffahrt in Triest; da sich darunter natürlich auch alle Kleinkrämer, Inhaber von Kaufläden, deren Commis und Diener, dann ebenso die Kutscher der Lohnfuhrwerke, Stadtträger u.s.w. befinden, so ist die Ziffer gewiss nicht als imponirend zu bezeichnen.

6.Resumee. Hiemit sind die wichtigsten Elemente einer analytischen Untersuchung der maritimen Zustände Oesterreichs überhaupt und speciell des Hafens von Triest erschöpft, sie begründen die Diagnose auf folgende wesentliche Punkte:

a)     Die österreichische Handelsmarine ist seit zwanzig Jahren in Stagnation gerathen und bleibt hinter den Flotten anderer Länder zurück.

b)    Die Schiffahrtsbewegung in den österreichischen Häfen hat nur einen geringen Antheil am internationalen Verkehr und einen beschränkt nationalen Charakter. Dieser letztere ist in den letzten Jahren noch ausgeprägter hervorgetreten als früher.

c)     Die Schiffahrtsbewegung in Triest, welches allein für den Welthandel Bedeutung hat, entwickelt sich langsamer als diejenige des Litorale im Ganzen und bleibt weit hinter derjenigen anderer Handelsplätze des Auslands insbesondere auch von Italien zurück.

d)    Der Antheil des maritimen Verkehrs am ganzen Aussenhandel von Oesterreich-Ungarn ist geringfügig und seit langer Zeit unverändert gleich geblieben, namentlich hat Triest bis 1880 keine erhöhte Thätigkeit entwickelt.

e)     Der drohende Verfall von Triest und die rückläufige Bewegung in allen commerciell-maritimen Prägen manifestiren sich auch im Schiffbau-Gewerbe, in der Rhederei und in den Bevölkerungszuständen.

Die objective Grundlage der vorangehenden Untersuchung bewahrt uns hoffentlich vor dem Vorwurfe einer Parteinahme in einer oder der anderen Richtung.

Was wir bisher gesagt haben, soll nur die ungeschminkte Wahrheit constatiren.

Nichts liegt uns ferner, als die Absicht der Anschuldigung oder aufreizender Kritik; im Gegentheile, wir wollen Selbsterkenntniss, um zur Energie anzuregen, um den Marasmus zu brechen und neue Impulse auf einen halb erschlafften Körper auszuüben.

 

III: „…auch das Nervensystem von Triest ist erschüttert“. Pathologische Untersuchung der Ursachen des Rückganges. Der „Porto Nuovo“ als Therapie?

Mit Hilfe des statistischen und geschichtlichen Beweismateriales haben wir in den vorangehenden Abschnitten versucht eine zuverlässige Diagnose der maritimen Zustände zu stellen und sowohl das Vorhandensein, als auch die Intensität eines krankhaften Rückbildungs-Processes zu beweisen.

Es hiesse jedoch der guten Sache einen schlechten Dienst leisten, wollte man sich darauf beschränken, die drohenden Kennzeichen des Verfalles zu schildern. Wie der Kranke vom Arzte fordert, dass er an die Diagnose das Heilverfahren knüpft, so darf man vom Wirthschafts-Politiker begehren, dass er von der Erkenntniss des Leidens zur Erforschung der Ursachen, –zur Pathologie – übergeht und naturgemäss an diese Letztere wieder die Therapie, die Frage nach möglicher Behebung des Leidens, nach Wiederherstellung normaler Verhältnisse anreiht.

Im vorliegenden Falle können diese weiteren logischen Schritte mit um so grösserer Ruhe gethan werden, als wir uns der Zuversicht hingeben, dass Triest kein unheilbarer Patient ist, sondern zu voller Gesundheit und Kraft gebracht werden kann, wenn mit gutem Willen, Verständniss und Energie an die Anwendung der richtigen Heilmittel gegangen wird. Wenden wir uns demnach getrost zum pathologischen Theile.

Die Ursachen der Stagnation von Triest sind selbstverständlich nicht einfacher Natur, sondern beruhen, auf einem weitverzweigten Complexe von Ursachen; sie hängen einestheils mit dem allgemeinen geographischen Gange des Seehandels zusammen; anderntheils, und zwar ganz hervorragend, sind sie jedoch von localen Verhältnissen abhängig.

Die allgemeinen Umstände sind insoferne nicht gering zu veranschlagen, als die Erfahrung der letzten Zeit, wie wir im ersten Abschnitte ausführlich besprochen haben, die Thatsache erkennen lässt, dass die Küsten und Hafenplätze der Nord- und Ostsee und des atlantischen Oceans in ihrem Antheile am Welthandel relativ rascher steigen, als die Häfen des adriatischen und mittelländischen Meeres. Jeder einzelne Hafen, und daher auch Triest, leidet unter diesem Zuge der Zeit.

Erklärlich aber wird derselbe vorerst durch die enorme Uebermacht der britischen Handelsmarine, bei gleichzeitigem raschen Anwachsen der Handelsmarine anderer atlantischer und Nordsee-Häfen; ferner durch die ungeahnte Vermehrung der Dampferflotte(insbesondere in Grossbritannien), welche die Zeitdifferenzen zwischen den verschiedenen möglichen Seewegen vom Osten nach dem Westen ausgleicht; und endlich durch die viel billigere und leichtere Anlage von Eisenbahnen im Flachlande, den Niederungen und Thälern, welche aus den Nord- und Ostsee-Häfen ins Innere von Europa führen, als über oder durch die Gebirgswälle, welche die Küsten des mittelländischen und adriatischen Meeres von dem centralen Binnenlande trennen.

Ein Blick auf irgend eine Höhenschichtenkarte Europas lässt diese geographischen Factoren sofort erkennen und erläutert im Grossen und Ganzen, wesshalb Massengüter des Welthandels leichter über Rotterdam, Hamburg, Lübeck, Bremen, Stettin oder Danzig ins Herz des Continentes und selbst in unsere Nordwestländer gebracht werden können, als über Genua, Venedig oder Triest, von wo sie mindestens zwei Alpenrücken zu durchbrechen haben.

Die Stagnation von Triest steht also zweifellos in einem gewissen Zusammenhange mit diesen allgemeinen Erscheinungen; doch kann der Einfluss derselben eben nur ein entfernter sein und nicht eigentlich den Ausschlag geben; denn sonst müssten auch Marseille, Genua, Livorno, Messina, Palermo und Venedig im Rückschritte begriffen sein, während wie wir oben nachgewiesen haben, das gerade Gegentheil der Fall ist.

Daraus folgt also, dass Triest durch specifische Ursachen in seiner Entwicklung gehemmt ist; dass es nicht die Kraft besitzt, den widrigen Factoren der Concurrenz Trotz zu bieten und aus eigener Initiative gleichen Schritt mit seinen nächsten Rivalen zu halten.

Diese specifischen Ursachen sind kein Geheimniss, und wir sind nicht die Ersten, die sie aufdecken. Seit fast zwanzig Jahren wird darüber geschrieben und berathen; es existirt darüber eine Bibliothek von Denkschriften, Enqueten, Berichten und Vorschlägen, deren grössten Theil anzuführen wir bereits in den vorangehenden Abschnitten Gelegenheit hatten. Das Studium dieser umfangreichen Literatur, die eigenen Wahrnehmungen und die statistische Analyse der genau verzeichneten Erscheinungsreihen lassen den Sitz der Krankheit an den verschiedensten Punkten des ganzen Circulationsapparates erkennen.

Wir stellen uns die Function eines Emporiums in der Volkswirthschaft analog derjenigen des Herzens im thierischen Organismus vor; es soll durch die unendlich mannigfaltig und weit verästelten Adern, d.i. die Verkehrswege die Güter aufnehmen in den „Vorhöfen“ und „Innenräumen“(Herzkammern), hier den Magazinen, Entrepots, Docks und Speichern ansammeln und dann wieder durch andere Adern oder Verkehrswege in den wirthschaftlichen Körper hinaustreiben. Erfolgt dieser Kreislauf wegen irgend einer Stauung oder eines constitutiven Fehlers nicht rasch und regelmässig, so fühlt die Volkswirthschaft das Leiden gerade so wie ein Patient.

Im Falle von Triest sind nun so ziemlich alle Theile des Circulationsapparates erkrankt; es fehlt im Herzen selbst, d.i. dem Hafen, in seiner technischen Ausrüstung und einzelnen Theilen der commerciellen Beschaffenheit; es fehlt in den verschiedenen Systemen der Blutgefässe, der Venen und Arterien, d.i. den Verkehrswegen zu Land und zu Wasser: Eisenbahnen und Schiffahrtslinien. Liegt in diesen drei Cardinalpunkten der vorwiegende locale Grund des Leidens, so kommt noch ein viertes Moment hinzu, welches wir mit der „Innervation“ vergleichen möchten. Der Nervenzustand eines Handelsplatzes äussert sich im commerciellen Geiste desselben. Je nach seiner grösseren oder geringeren Lebhaftigkeit, je nach der Unternehmungslust und Rührigkeit wird auch die Ausnützung der Mittel und Kräfte eine ganz verschiedene; und auch das Nervensystem von Triest ist erschüttert. Hiermit ist das Programm unserer weiteren Untersuchung gegeben.

Seit Jahren waren es die Klagen über die mangelhafte Beschaffenheit des Hafens von Triest, welcher man den grössten Antheil an der unbefriedigenden Entwicklung des dortigen Seehandels zuschrieb. In Wort und Schrift suchte man zu beweisen, dass in dem Zustande des Hafens der eigentliche Grund dafür zu suchen sei, wesshalb Triest weder mit irgend einem der britischen Emporien zu vergleichen noch im Stande sei, auch nur die nächstliegende Concurrenz von Hamburg für den binnenländischen oder Marseille und Genua für den Levantiner Handel zu bestehen.

Zwar konnte man nicht leugnen, dass die Rhede von Triest eigentlich zu den sichersten von ganz Europa gehöre, und die Erfahrung vieler Jahre lehrte, dass Schiffe, die vor Triest ankern, von Schiffbruch, Strandung oder Havarie nichts zu besorgen haben; aber eine sichere Rhede biete keinen Ersatz für einen Handelshafen, in welchem die Operationen des Ladens und Löschens bequem und rasch vollzogen werden.

Als Uebelstände wurden in den damaligen Untersuchungen recht viele von bedeutendem Gewichte bezeichnet. Die Längenentwicklung der Ausladungsplätze(Canäle, Bassins, Moli und Quais) stehe nicht im richtigen Verhältnisse zur Schiffsfrequenz, sondern es müssen regelmässig viele Fahrzeuge auf der Rhede selbst, entfernt von Quais und Moli vertauen und entweder warten, also Zeit verlieren, oder ihre Ein- und Ausladungs-Operationen mit Lichterbarken vollziehen. Dazu komme, dass der grössere Theil der ohnehin beschränkten Uferstellen nur für Schiffe geringerer Tauchung zugänglich sei, und dass selbst die wenigen Schiffe, welche diesfalls ihre Operationen an den Uferstellen vornehmen können, den störenden Einflüssen der offenen See von Südwest bis Nordwest ausgesetzt sind.

Während der Bora sei die Verbindung für die an Pfahlwerken vertauten Schiffe überhaupt nicht zu bewerkstelligen und so werde während eines grösseren Theiles des Jahres die Vornahme der Ladungs-Operationen in Triest ganz verhindert oder verhältnissmässig doch sehr erschwert.

Das waren die wesentlichsten Beschwerdepunkte über die Beschaffenheit des Hafens selbst. Als weitere Hindernisse der Entwicklung erwähnte man schon damals – zu Anfang der sechsziger Jahre – die unerhört primitive und kostspielige Art der Manipulationen.

Sämmtliche Ein- und Ausladungen wurden – wie leider noch heute – nach althergebrachter Weise durch Händearbeit verrichtet. Die Zeit und Geld ersparenden mechanischen Vorrichtungen, welche in anderen Häfen längst eingebürgert waren, wurden hier nicht angewendet. Von den Landungsplätzen in die weit entlegenen Magazine und umgekehrt wurden die Waaren mittelst zweispänniger Karren gebracht; die Magazine selbst hatten noch die altgewohnte Einrichtung und wurde z.B. Getreide in Säcken von Lastträgern bis in das dritte und vierte Stockwerk der Kornspeicher geschleppt. Endlich beklagte man die unzweckmässigre Anlage des Triester Bahnhofes, welcher wegen bedeutender Niveau-Unterschiede das directe Umladen vom Schiff in den Waggon und umgekehrt unmöglich machte.

Der „Erste Eisenbahnhafen“ von Triest(1857):

Aus: J. Dultinger, Die Erzherzog Johann-Bahn, Rum 1985, 160.

Ab 1868 wurde er überbaut und durch den „Porto Nuovo“ ersetzt.

Mit Recht konnte aus diesen Uebelständen gefolgert werden, dass sie die Antheilnahme Triests am Weltverkehr, bei welchem häufig die Differenz weniger Pfennige per Centner über Concurrenz und Absatzfähigkeit von Massengütern entscheidet, wesentlich behindern.

Schon in jener Zeit zählte ja die Nordküste des europäischen Continents von Havre bis Stettin eine stattliche Reihe grosser Handelshäfen, welche im Zusammenhange mit der weit vorgeschrittenen Ausbreitung des nord- und mitteldeutschen Schienennetzes das Handelsgebiet der ganzen westlichen Hälfte der Monarchie in ihren Bereich gezogen hatten. Die Lösung der Triester Hafenfrage galt mit Recht als eine Aufgabe, welche weit über die Localinteressen hinausreichend, im innigsten Zusammenhange mit der Gesammt-Entwicklung des Staates stehe.

Ein äusseres Ereigniss, der ausnahmsweise reiche Getreide-Export des Jahres 1861 gab den Anlass, die Unzulänglichkeit der in Triest für grössere Handels-Operationen bestehenden Einrichtungen in drastischer Weise zu fühlen und der Bau eines neuen Hafens ward rascher, als man hoffen durfte, beschlossen.

Zwar mussten demselben, wie gewöhnlich, vielköpfige Commissions-Sitzungen, Gutachten, Polemiken(1862), in Folge dessen Ueberprüfungen der bereits gefassten Beschlüsse und neuerliche Gutachten in einer zweiten Commission(1863) vorangehen. Schliesslich aber wurde, wie bekannt, das Project des Ingenieurs Talabot, des Erbauers des neuen Marseiller Hafens mit gewissen Modifikationen als das einzig Zweckmässige anerkannt.

Seit dem Jahre 1868 befindet sich bekanntlich dieses, allerdings zwischenzeit wieder mehrmals abgeänderte Project in Ausführung. Es umfasst principiell die Beseitigung aller früher geschilderten localen Uebelstände. Die ganze nordöstliche Hälfte der Rhede ist in einen geschlossenen Hafen umgewandelt; dort sind der Schiffahrt geräumige Lagerflächen längs der neuen Riva und zwar in der Ausdehnung von 26, 1 Hectaren geschaffen; dort erstanden drei Moli, breit genug, um Waarenschuppen, Geleise und Strassen aufzunehmen; dort sind Quais, mit einer Längen-Entwicklung von 2.800 Meter dem Verkehr eröffnet; dort befinden sich drei grosse Bassins mit einer Wasserfläche von zusammen 35, 55 Hectaren, welche eine Minimal-Wassertiefe von 8, 5 Meter besitzen, daher den grössten Handelsfahrzeugen genügen; zwei dieser Bassins(300 Meter Länge) dienen allen, das dritte kleinere(230 Meter Länge) speciell den Petroleum-Schiffen. Ein im offenen Meere stehender, im Jahre 1874 vollendeter riesiger Damm schützt die Bassins gegen die Winde von aussen, ohne die Schiffahrt zu beengen. Durch die Tieferlegung des alten Bahnhofplateaus und die Erbauung eines neuen Bahnhofes in Triest, wurde die unmittelbare Verbindung zwischen den Landeplätzen der Schiffe und den Geleisen hergestellt.

Der „Porto Nuovo“(1883):

Aus: J. Dultinger, Die Erzherzog Johann-Bahn, Rum 1985, 160.

Da das erste der Bassins mit dem Zugehör der Quais und Moli im Jahre 1876, das zweite im Jahre 1879 eröffnet wurde, das Petroleum-Bassin seit Jahresfrist bereits theilweise im Gebrauche steht und demnächst ebenfalls fertig sein wird, so darf der neue Hafen schon heute als eine vollendete That gelten.(2)

Die bauliche Anlage desselben behebt augenscheinlich die wesentlichsten Mängel des alten Hafens, welche wir oben als Klagepunkte früherer Zeiten angeführt haben. Denn derselbe hat die nöthige Längenentwicklung der Quais, die nöthige Tiefe für die grössten Schiffe, bietet den Schutz, zur ungestörten Löschung und Ladung direct ins Magazin oder in den Eisenbahnwagen und gestattet die Anbringung aller maschinellen Vorrichtungen für rasche billige Manipulation. Da die Landeplätze längs der alten Riva vom Molo del Sale bis hinüber zum Leuchtthurm ungeschmälert blieben, da der Canal grande, die Moli del Sale, San Carlo, Giuseppina, Sartorio, Borland und Santa Teresa auch nicht die geringste Einschränkung erfuhren, so ist die durch den neuen Hafen gewonnene Fläche als reiner Zuwachs anzusehen.

Herr F.Bömches veranschlagt, dass in einem gut angelegten und mit entsprechenden Apparaten für die Waarenmanipulation ausgerüsteten Hafen ein laufender Meter Quai eine mittlere Jahresbewegung von 600 Tonnen zulässt, so dass der neue Hafen allein für einen jährlichen Waarenverkehr von 1,680.000 Tonnen genügen würde. Triest könnte daher vermöge dieser Vorbedingung seine Handelstätigkeit nahezu verdoppeln.

Auch die unerlässliche Ergänzung der neuen Hafenanlage durch Magazine und Lagerhäuser ist in Angriff genommen und theilweise ausgeführt worden. Zu Ende des Jahres 1879 wurde zu diesem Zwecke dem Municipium von Triest im Vereine mit der dortigen Handels- und Gewerbekammer die Concession zur Errichtung und zum Betriebe von öffentlichen Lagerhäusern und Güterschuppen unter den denkbar günstigsten Bedingungen ertheilt. Gegen einen blos nominellen Grundzins, thatsächlich unentgeltlich, erhielt die Lagerhaus-Gesellschaft die Grundfläche überlassen, um zunächst sechs ebenerdige Lagerhäuser und zwei Hangars zu errichten und nach Bedarf weitere Magazine anzulegen. Diese Baulichkeiten sind auch bereits ausgeführt und seit nahezu zwei Jahren dem Verkehr übergeben. An dieselben schliessen sich, unmittelbar mit dem Bahnhofe in Verbindung stehend, die Magazine und Silos der Südbahn-Gesellschaft an. Auch die meisten kleineren Ausrüstungen für das Vertauen und Anlegen der Schiffe, für die Operationen des Ein- und Ausladens u.s.w. sind hergestellt worden, allerdings nicht immer mit Benützung der neuesten technischen Erfahrungen, sondern – wie das Beispiel der Dampfkrähne illustrirt hat, – in einer manchen Tadel herausfordernden technischen Ausführung.

Wir wollen nicht in Details eingehen, die den Betheiligten in Triest ohnedies bekannt, anderen Lesern aber gleichgiltig sind; es handelt sich uns lediglich darum, zu constatiren, dass in Folge der im Jahre 1861 ausgeübten Impulse, die damals begründeten Beschwerden über den Zustand der Rhede von Triest durch die mit colossalen Kosten und Opfern durchgeführte Anlage des neuen Hafens behoben sind.(3) Alles, was die Triestiner und deren Fürsprecher von der Regierung für die Hafen Verbesserung verlangten, ist erfüllt worden.

Man wird nach dieser Darstellung der Dinge die Frage aufwerfen, wo nun ein Anlass zu pathologischen Untersuchungen liegt?

Fürwahr nicht in den grossartigen Hafenanlagen, die heute ein Schmuck von Triest sind und dieses Emporium mit Marseille und Genua ebenbürtig stellen würden; sondern nur in dem erstaunlichen Ausbleiben des gehofften Erfolges!

Mit betrübter Miene blicken wir auf die drei mächtigen Bassins; statt sie mit einem Walde von Masten bedeckt zu sehen, sind an den Moli regelmässig nicht mehr als drei bis vier grosse Seeschiffe, die langsam und gemächlich geladen oder gelöscht werden, und daneben eine Anzahl kleiner Fahrzeuge für Cabotage und Fischerei, Trabakeln, Barken und wie sie sonst noch benannt werden, von denen man sich unwillkürlich sagen muss, dass für solche Schiffe doch offenbar nicht die Bassins mit 8 bis 13 Metern Tiefe und die aus Quadern kostspielig erbauten Moli und Quais bestimmt waren.

Und in den Lagerhäusern selbst sieht es nicht erfreulicher aus, als auf den Moli; keine Spur jenes geschäftigen Getriebes, jener unermüdlichen Hantierung mit Waarenballen und Kisten und Säcken, die hier herbeigeschleppt, dort durch einen Krahn gehoben, hier wieder entleert, dort umgefüllt, sortirt, neu emballirt würden, wie es Jeder in den Londoner Docks oder den Entrepots in Marseille oder den Speichern in Hamburg tagtäglich sehen kann und mit Vergnügen sieht.

So macht der neue Hafen zusammt Hangars und Lagerhäusern den ernüchternden Eindruck, als wäre er keine Nothwendigkeit für Triest, sondern eine überflüssige Kapitals-Vergeudung.

Im Canal grande und in der alten Rhede, vom Molo San Carlo bis hinüber zu Santa Teresa und zum Leuchthurme, liegt oft Schiff an Schiff; da wird eifrig aus- und eingeladen, und da scheint man sich heimischer eingerichtet zu haben.

Leider hat aber diese alte Gewohnheit den Uebelstand, dass an diesen Moli und Quais von einem Lagerhause oder Hangar nicht die Rede ist und dass diese Theile des Hafens von der Eisenbahnstation unzweckmässig weit entfernt sind. Kurz gesagt: wo die besten Einrichtungen für die grossen Umsätze bereits bestehen, sind keine Schiffe und keine Waaren, und umgekehrt dort, wo Schiffe und Waaren zu erblicken sind, bestehen nur mangelhafte hafenbauliche und technische Einrichtungen.

Die Wirkungen dieser eigentümlichen Zustände sind leichter nachzuweisen, als ihre Motive zu beheben. Sie äussern sich vor Allem darin, dass das Ein- und Ausladen jedes Schiffes in Triest eine ganz ungebührlich lange Zeit in Anspruch nimmt, daher sowohl sehr kostspielig wird, als auch die Leistungsfähigkeit des Hafens vermindert.

Die eigenthümlichen Zustände bringen es ferner mit sich, dass viele Waaren des Triester Handels durch die unter freiem Himmel und auf ungefegtem Boden erfolgenden Manipulationen offenbar leiden. Und die Folgen sind endlich – last but not least – dass die Platzspesen in Triest auch heute noch durchschnittlich eine Höhe erreichen, welche oft allein genügt, um eine Handelsconjunctur zu vereiteln, die Concurrenz mit andern Häfen unmöglich zu machen.

Um nur die wichtigsten Punkte, nämlich solche, welche die Concurrenzfähigkeit des ganzen Hafens bestimmen, etwas eingehender zu erörtern, muss vor Allem des Tempo der Lade-Operationen gedacht werden. Auch noch in allerneuester Zeit wird, in Triest diesem wichtigen Momente so geringe Aufmerksamkeit geschenkt, dass nach den im neuen Hafen gewonnenen Erfahrungen, dort die Schiffe gerade doppelt so lange Zeit zum Aus- oder Einladen brauchen, als in den grossen Häfen des Auslandes.

In Hamburg beispielsweise kann, wie uns persönlich von glaubwürdiger Seite im grossen Regierungs-Quaispeicher versichert wurde, wenn man diese Operationen aufs Aeusserste beschleunigen muss, ein Ocean-Dampfer grösster Capacität in 36 Arbeitsstunden aus- und eingeladen werden. Wie hoch man die Raschheit veranschlagt, geht aus jener Bestimmung des Reglements der Quaianlagen hervor, welche die Lösch- und Ladezeit regelmässig auf vier laufende Werktage festsetzt und den Schiffsführer überdies verpflichtet, wenn es für nöthig erachtet wird, auch zur Nachtzeit arbeiten zu lassen.

In Triest geht es ruhiger und gemüthlicher zu; ein grosses Seeschiff wird dort bestenfalls in 8 bis 9 Tagen gelöscht und in ebenso vielen Tagen geladen; denn man hat bei der bisherigen Einrichtung dieser Operationen die Erfahrung gemacht, dass bei grossen Fahrzeugen täglich höchstens 200, bei den kleinen aber selbst nur 10 Tonnen aus- oder eingeschifft werden.

Die Folgen der Langsamkeit äussern sich in doppelter Richtung; einerseits in den höheren Spesen; denn während der ganzen Ladezeit liegt das im Schiffe engagirte Capital todt, es laufen die Löhne, Gehalts- und Regiekosten fort und vertheuern die Fracht; es werden die Quai- und Lagergebühren, Assecuranzen u.s.w, kurz die meisten Bestandtheile der Transportkosten vermehrt.

Andererseits vermindert das unglaublich schleppende Tempo, wie schon oben bemerkt, die Ausnützung der Leistungsfähigkeit des Hafens: so lange der Verkehr so gering ist wie gegenwärtig, fällt dies freilich nicht in die Wagschale, sollte sich jedoch eine plötzliche Hebung in Folge irgend einer Conjunctur ergeben, so würde man diese verrotteten Zustände als gewaltiges Hemmniss empfinden.

Nach einem beiläufigen Anschlage, welcher uns aus bester Quelle handschriftlich vorliegt, kann die Leistungsfähigkeit des Triester Hafens für die Waarenbewegung via mare Alles in Allem jetzt nicht höher als auf etwa 3 Millionen Tonnen geschätzt werden.(4)

Die Ursache dieser, im ersten Augenblicke unverständlichen Verhältnisse liegt zumeist in den altererbten Uebelständen des Triester Platzes, und nur theilweise in der mangelhaften technischen Ausrüstung des neuen Hafens und seiner Lagerhäuser.

Die Opposition, welche schon in den ersten Phasen laut gegen alle Hafenprojecte polemisirte, weil das Privatinteresse der Besitzer der längs der alten Ladeplatz gelegenen Häuser und Magazine gefährdet schien, ist noch nicht erstickt. Der Hafenbau gilt Vielen als der Anfang einer so radicalen Veränderung im Handelsverkehre von Triest, dass das Althergebrachte noch immer der neuen, fürs erste kaum übersehbaren Ordnung der Dinge vorgezogen wird.

Deshalb greift man nicht mit Lust und Freudigkeit nach der günstigen Gelegenheit, welche der neue Hafen für alle Handelsoperationen bieten würde, sondern überträgt auf denselben viele der alten Schwerfälligkeiten, oder lässt ihn ganz und gar unbenutzt.

Der Oesterreichisch-Ungar. Lloyd selbst geht mit schlechtem Beispiele voran; statt seine Schiffe in die neuen Bassins einlaufen zu lassen, statt den für seine Operarationen reservirten Molo zu benützen, hält er an seinen alten Ausladungsplätzen starr fest und tritt nicht mit den Lagerhäusern in jene directe Verbindung, die doch naturgemäss geboten wäre.

Unter offenem Himmel sieht man auf dem Molo San Carlo, oder im Canal grande tagelang der Sonne und dem Regen ausgesetzt: Corinthen, Feigen, Baumwollenballen, Indigo, Bretter und andere Güter, während jenseits im neuen Hafen die Hangars, und Magazine leer stehen!

Ein wesentliches, dem Fremden kaum glaubliches Motiv der Beibehaltung des Verkehrs in diesem alten Theile von Triest liegt in der Rücksicht für die zahlreichen Fachini und einige Fuhrwerker des Platzes, welche einen fast terroristischen Druck auf die Handelswelt und die grossen Transportunternehmungen ausüben und deren Verdienst beeinträchtigt würde, wenn man alle Operationen in den neuen Hafen verlegen und dort direct vom Schiff in den Waggon und umgekehrt verladen würde.

Um diesen Elementen der Bevölkerung, die selbstverständlich bei wirklicher Blüthe des Hafenplatzes in Hinkunft eine weitaus günstigere Erwerbsgelegenheit fänden, nicht momentan einen Theil ihrer unproductiven Beschäftigung zu entziehen, vergeudet man täglich grosse überflüssige Summen. Bei geringem Anschlage lässt sich dasjenige, was durch Verlegung der Handelsoperationen in den neuen Hafen erspart würde, ganz abgesehen von allen übrigen Vortheilen, blos an localen Fachinage- und Speditions-Spesen beim jetzigen Verkehr auf mehr als eine halbe Million Gulden beziffern.

Mit diesen Zuständen hängt innig zusammen, dass die mechanischen und maschinellen Vorrichtungen, welche in neuerer Zeit zur Beschleunigung und Verbilligung der Lade-Operationen in allen grösseren Hafenplätzen angewendet werden, in Triest bis vor Kurzem überhaupt unbekannt waren, gegenwärtig aber nur wenig Benützung finden.

Ein auf dem Gebiete des Lagerhaus-Betriebes erfahrener Techniker, Ober-baudirector Franzius stellt den Erfahrungssatz auf, dass in grossen Häfen das Aus- und Einladen mittelst Dampfkrähnen bei normaler Einrichtung der Quais (wie in Triest) gerade um den vierzigsten Theil, sage 2, 5%der Handarbeit verrichtet werden kann. „Man sollte“, so schreibt er wörtlich, „überall von vorneherein die Benutzung der Menschenkraft nur ausnahmsweise in Betracht ziehen … diese darf vernünftiger Weise nur da angewendet werden, wo wegen des seltenen Gebrauches eines Krahnes die Anschaffungskosten eines Motors sich nicht lohnen würden“.

Gerade das Gegentheil dieser rationellen Anschauungen wird heute in Triest als Regel gehandhabt; man scheut die motorische Kraft des Dampfkrahnes und verwendet die Muskelkraft des Fachino.

Während in Hamburg Krahne verschiedenster Construction (im Ganzen 350!) die ausschliesslichen Lösch- und Lademittel an den neuen Quais sind, bewegliche Dampfkrahne mit unveränderlicher Auslegerweite die überwiegende Zahl bilden und dem Hamburger Quai-Verkehr jenes eigenthümliche ihn besonders auszeichnende Gepräge geben, sind unseres Wissens in ganz Triest nur 4 Dampfkrahne im neuen Hafen und diese stehen grossentheils unbenutzt.

Als man sich derselben zu bedienen begann, wurde eine förmliche Revolte von Seite der Fachini dagegen in Scene gesetzt, weil sie für ihren Erwerb fürchteten und das Einschreiten der Sicherheitsorgane war nöthig um die Ruhe wieder herzustellen.

Und wie beruhigt hätte die Gilde der Lastträger diesen Dampfkrahnen zusehen können, die vorläufig mit ihrer mangelhaften Einrichtung stündlich nur 2 bis 2 ½ Tonnen aus- oder einladen, was gegenüber den Leistungen der Dampfkrahne in Hamburg, London, Liverpool oder Marseille geradezu minimal zu nennen ist.

Ebenso wenig wie diese Einrichtungen dürften für die Zukunft die Lagerhäuser und Hangars genügen. Bei der Anlage der Magazine wurde unserer Auffassung nach der Fehler begangen, dass sie von den Quaimauern zu weit entfernt sind und sich zu sehr in die Breite, zu wenig in die Höhe entwickeln. Wer die Docks in London, die Entrepots in Marseille, die Speicher und Verladeschuppen in Hamburg u.s.w. auch nur flüchtig besucht hat, – und welcher Reisende würde nicht mit Interesse dem geschäftigen Treiben in diesen Welthandels-Werkstätten zusehen – wird sich erinnern, dass sie alle möglichst nahe an den Kanten der Ufermauern stehen und emporstreben; man erreicht dadurch den Vortheil, ohne Brücken, Karren oder andere zeitraubende Vermittlungsglieder die Ladung mittelst Krahnen direct vom Schiff in das Magazin oder unter Dach zu bringen, mittelst Aufzügen und Elevatoren in die verschiedenen Etagen zu vertheilen oder möglichst rasch und billig in Eisenbahnwaggons zu bringen.

In Triest sind die Abstände der Anlandeplätze der Schiffe von den Magazinen so gross, dass noch immer mehr Zeit und Arbeit benöthigt wird, als anderwärts. Der Bau höherer Stockwerke soll vorläufig noch nicht rathsam sein, weil man nicht überzeugt ist, ob das Terrain der neuen Riva schon zu voller Ruhe gelangt ist oder sich nicht vielleicht unter starker Belastung vorläufig noch setzen würde. Diesen Uebelstanden wird also in Hinkunft wohl abzuhelfen sein.

Fassen wir die Ergebnisse der vorangehenden Darstellung zusammen, so führen sie zu der erfreulichen Ueberzeugung, dass im Grossen und Ganzen die Anlage des neuen Hafens einer mächtigeren Erweiterung des Verkehrs in Triest kein Hinderniss entgegensetzt, und dass nur verhältnissmässig secundäre mechanische und bauliche Ergänzungen durch Dampfkrahne, Anlage- und Ladungsvorrichtungen, Vergrösserung und weiteren Ausbau der Magazine und Hangare erforderlich waren, um alle Bedingungen rascher und billiger Schifffahrts-Operationen zu gewährleisten.

An den technischen Qualifikationen für die Entwicklung des Hafenverkehrs fehlt demnach nur wenig; desto schlimmer steht es mit den commerciellen Voraussetzungen. Die Abneigung des Triester Handelsstandes, der Schiffsrheder, der verschiedenen Mittelspersonen bis herab zu den Lastträgern gegen die Concentration des Verkehrs im neuen Hafen ist ein weitaus gefährlicheres Moment für die künftige Ausgestaltung dieses Emporiums, als man gemeiniglich anzunehmen scheint. Da die Betheiligten selbst nicht die Kraft und Energie, oder nicht den guten Willen oder das Verständniss zu besitzen scheinen, um den passiven Widerstand gegen zeitgemasses Einlenken in neue Bahnen zu brechen, so dürfte es wohl gerechtfertigt sein, von der Wirthschaftsverwaltung des Staates einen Eingriff in diese Dinge zu fordern. Freilich kann die Staatsverwaltung nicht den einzelnen Kaufmann und Spediteur in der Ausübung seines Berufes bevormunden, aber sie kann in dem vorliegenden Falle dadurch einen kräftigen Druck ausüben, dass sie anstatt ganz Triest als Freihafen fortbestehen zu lassen, auf verfassungsmässigem Wege eine Beschränkung des Freihafen-Rayons auf den neuen Hafen vornimmt: mit anderen Worten ausschliessend die in dessen Umkreis gelegenen Magazine und Lagerhäuser als Freilager (Entrepots reels) erklärt. Der Erfolg dieser Massregel, die mit dem Fortbestand von Entrepots fictifs in den Magazinen der Stadt und des Canals ähnlich wie in anderen grossen Seeplätzen vereinbar wäre, liegt auf der Hand; es würde denselben sofort die Concentration des ganzen Verkehrs, seine technische Verbilligung und rationelle Organisation von selbst folgen. Da indessen die nähere Begründung dieser Ansicht mit den Fragen über die allgemeinen Platz- und Creditverhältnisse, und mit der Charakterisirung des Handelsgeistes von Triest aufs innigste zusammenhängt, werden wir uns derselben in dem darauf bezüglichen späteren Abschnitte erst ausführlicher zuwenden.

 

Anmerkungen:

1)    Denkschrift über die dem Triester Handel durch die hohen Sätze der bestehenden Eisenbahntarife erwachsenden Nachtheile, sowie über die Mittel zu deren Beseitigung. Triest, 1881.

2)    Näheres in den Publikationen des verdienstvollen Hafenbau-Leiters F.Bömches; insbesondere: Le nouveau port de commerce à Trieste 1856, dann: Der Bau des neuen Hafens in Triest. Wien 1879.

3)    Den Verhandlungen der Commission vom Jahr 1862 lag ein Kostenvoranschlag von 18 Millionen, dagegen denjenigen vom Jahr 1863 für das modificirte Projekt Talabot nur mehr von 16 Mill. fl. vor. Nach späteren Abänderungen wurde schliesslieh im Jahr 1868 von der Staatsverwaltung die Herstellung sämmtlicher Bauten der Südbahn-Gesellschaft übertragen, und derselben eine in 14 Jahresraten zu erlegende Pauschalsumme von 14,6 Mill. ff. contractlich zugesichert. Da aber die Kosten der Abtragung des alten und Errichtung des neuen Bahnhofes, dann der Aufwand für die Lagerhäuser (nahezu 1 Mill. fl.) in dieser Summe nicht inbegriffen sind, so darf man den gesammten Geld-Aufwand für den neuen Hafen auf mehr als 17 Mill. fl. veranschlagen.

4)    Die Grundlagen dieser (vielleicht pessimistischen) Schätzung sind folgende. Die Uferentwicklung beträgt (vor Vollendung des Petroleum-Bassins): im neuen Hafen 2.149 , im alten Hafen 2.530, im Canal grande 540 Meter; also an nutzbarem Raume eine Länge von zusammen 5.219 Meter. Davon sind mit Rücksicht auf die Tiefenverhältnisse verwendbar; für grosse Seeschiffe 3.049, für kleine Schiffe 2.170 Meter. Ein grosses mit Breitseite am Ufer liegendes Schiff braucht durchschnittlich 100 Meter Raum, so dass gleichzeitig 30 solcher Schiffe operiren können, von welchen bei genügenden Arbeitskräften per Tag 200 Tonnen ein- oder ausgeladen werden. Daraus ergiebt sich für die überseeische Schifffahrt an den Landeplätzen(Quais, Moli etc.) eigentlich nur eine Leistung von 6000 Tonnen per Tag oder höchstens 2 Millionen Tonnen jährlich. Dieselbe wird thatsächlich dadurch erhöht, dass ausserdem viele Schiffe operiren können, welche an den Pfahlwerken sich vertäuen und sich der Lichter bedienen; dabei aber treten wieder Mehrkosten ein. Was die kleinen Fahrzeuge betrifft, so können durchschnittlich 90 gleichzeitig an den Landeplätzen sich vertäuen, man pflegt aber deren tägliche Leistung in der Regel nicht über 10 Tonnen zu bringen, da sie nur Handarbeit und auch diese meist nur soweit verwenden, als ihre Bemannung hinreicht. Für diese wäre also die Leistung der Hafenanlagen mit rund 900 bis 1000 Tonnen per Tag oder jährlich mit 350.000 Tonnen zu veranschlagen. Unter beiläufiger Veranschlagung der an Pfahlwerken vertäuten mit Lichtern die Operationen vollziehenden Schiffe auf die Zahl von circa 115 und eine Leistung von ebenfalls 900 Tonnen per Tag gelangt man zu der Totalsumme von circa 3 Mill. Tonnen für die bei der jetzigen mangelhaften Organisation mögliche Waarenbewegung im Seeverkehr von Triest.