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B: DIE ANFÄNGE DER STAGNATION. DAS REVOLTELLA-MEMORANDUM VON 1865. NEUE WIRTSCHAFTSKRISE AB 1873(Franz X. v. Neumann-Spallart 1882).

I: Die sozio-ökonomische Selbstisolation Österreichs seit 1815.

Ein Blick auf die Schiffahrtslisten der Jahre 1820 bis 1847 genügt, um die Charakteristik dieser bekanntlich in ganz Oesterreich mit lethargischem Gleichmuthe durchlebten Friedensepoche zu entwerfen.

Während unsere Concurrenten, die Westmächte Europas es verstanden, diese Zeit zu ruhigem Schaffen auszunützen, sich nach allen Beziehungen auf dem Gebiete der Bodenproduction, des Bergbaues, der Grossindustrie, der Verkehrsmittel zu stärken und zu entwickeln, während sie Ansammlungen wirthschaftlicher Kräfte vornahmen, und damals die Grundlagen ihrer heutigen Uebermacht auf den Weltmärkten befestigten, ging es in Oesterreich still und gemüthlich her; die Panacee des Gedeihens ward in dem System geistiger und materieller Abschliessung gegen das Ausland gesucht!

 

II: Widerspiegelung dieser Selbstisolation in Triest.

Die maritime Entwicklung jener Epoche ist ein getreues Spiegelbild der allgemeinen Zustände unserer Volkswirtschaft.

In den zwanzig Jahren 1827 bis 1847, welche in anderen Theilen Europas und Amerikas zu gewaltiger Hebung des Seeverkehrs führten, hob sich die maritime Bewegung von Triest und Venedig nur sehr langsam.

Die Handelsmarine der übrigen Staaten, für welche Nachweise vorliegen, stieg in diesen zwanzig Jahren in Bezug auf Tragfähigkeit von 3,265.000 auf 6,133.000 Tonnen, also um 88 Percent; diejenige von Triest erfuhr nur einen Zuwachs um 21.784 Tonnen oder 22 Percent; mit anderen Worten der Schiffsstand der übrigen Staaten entwickelte sich gerade viermal so rasch als jener von Triest.

Die Schiffahrtsbewegung unseres Emporiums an der Adria oscillirte innerhalb der engen Grenzen von 300.000 bis 500.000 Tonnen, bald einen scheinbaren Aufschwung nehmend, bald wieder auf ein mittelmässiges Niveau zurücksinkend.

London, Liverpool, Marseille, Antwerpen, Hamburg und die anderen grossen Häfen der Nordsee, des atlantischen Oceans und des Mittelmeeres errangen ihre Weltstellung, Triest aber scheinbar mit seinen Erfolgen zufrieden, wurde durch dieses Vorwärtseilen seiner Concurrenten thatsächlich relativ zurück gedrängt.

Wie wenig endlich Triest für die Betheiligung Oesterreichs am Aussenhandel, namentlich für den Absatz österreichischer Producte, in diesem Zeitraum leistete, geht am klarsten aus dem Vergleiche der per mare über Triest kommenden und abgehenden Waaren hervor; die gesammte Ausfuhr hob sich seewärts nur um 11,8 Mill. fl. oder 36 Percent, die Einfuhr jedoch um 28,5 Mill fl. oder 83 Percent.

Der Charakter des Seehandels von Triest liegt in dieser Periode darin, dass er in den werthvollen Zufuhren der Colonialwaaren seine eigentliche Grundlage sucht, dass ihm aber das Hinterland nur unzureichende Waaren für den Export bietet; der von den ausländischen Hochseeschiffen vermittelte Verkehr beträgt ein Drittheil des Gesammtwerthes der Triester Hafenbewegung.

 

III: Das Streben nach Veränderung erwacht.

Wir sind hiemit in der neuen Zeit angelangt, in welcher die langsame Entwicklung Triests die Aufmerksamkeit der betheiligten Kreise wiederholt in solchem Grade erregte, dass Vorschläge und wirkliche Impulse zur Inangriffnahme von Reformen und Abhilfen erfolgen.

Das erste Stadium, dieser Strebungen reicht bis in die vierziger Jahre zurück, man hatte nun endlich in Triest selbst gefühlt, dass sich die Dinge in Zukunft ändern müssen und ändern werden.

Unter den Mitgliedern der Börsendeputation und des Handelsstandes wurde eine Subscription veranstaltet zur Ausrüstung der „Ostindischen Mission der Triester Börse“.

Unter Leitung eines gewissen P. Erichsen ging die Expedition im September 1843 nach Ostasien ab, mit der Aufgabe, die Handelsverhältnisse der Länder am rothen Meere und in Ostasien zu erforschen und die Vortheile, welche die Strasse über Suez für die Zukunft bieten könnte, möglichst zuverlässig zu ergründen.

Während der zweijährigen Dauer und nach Abschluss der Mission wurde durch Verbreitung der Berichte und Muster, durch persönliche Bereisung der österreichischen Industriedistrikte und durch Anträge in den Fachvereinen für die Einleitung von Handelsverbindungen mit dem ferneren Oriente gewirkt.

Es wird die Ueberzeugung ausgesprochen, dass „Ostindien und China Felder der höchsten Bedeutung für alle handeltreibenden Nationen sind“, und dass Oesterreich die Concurrenz dort nicht zu scheuen braucht, sondern „eine mögliche Umwälzung des indischen Handels durch Herstellung einer kürzeren Verbindung Südasiens mit Europa über Suez gebührend benützen wird können“(1).

Die auf eigener Erfahrung beruhende Schilderung der Aussichten, welche sich der Industrie und Schiffahrt Oesterreichs im Oriente darbieten, hat einen Anstoss gegeben, um überhaupt die Frage der Entwicklung unserer Seehäfen zu erörtern. Es steht wahrscheinlich damit im Zusammenhange, dass das österreichische Handelsministerium bald nachher die Opportunität der Freihafenstellung zum Gegenstande einer Untersuchung machen liess.

In den ersten fünfziger Jahren entbrennt die Polemik darüber; von einer Seite wird geschrieben: „die Wurzel aller Uebelstände liege in den Freihäfen, deren kosmopolitische Einrichtung einer nationalen Handelspolitik immer widerstehen wird und die unmöglich den unmittelbaren Antheil am Wohle des Vaterlandes nehmen werden, wie eine in das Staatsgebiet mit gleichen Rechten und Pflichten eingeschlossene Handelsstadt“; von anderer Seite wird dagegen die absolute Nothwendigkeit des Freihafen-Privilegiums vertheidigt und als eines der wesentlichen Motive angeführt, dass Triest erst anfängt, Welthandel zu treiben, dass es sich seine Handelsgrösse erst schaffen müsse, und dazu ausserordentlicher Hilfsmittel bedürfe.

 

IV: Das Revoltella-Memorandum(1865).

Die mit scharfen Waffen geführte Polemik über diese specifische Frage gibt den Anlass zu Gelegenheitsschriften, welche die thatsächlichen Zustände und den seit unzweifelhaften Niedergang Triests beleuchten.

Aus derselben ragt jenes Memoire epochemachend hervor, welches Pasquale Revoltella im Jahre 1865 veröffentlichte und welches wir als den Beginn des zweiten Stadiums in der neuzeitlichen Wirthschaftsgeschichte unseres Emporiums bezeichnen dürfen.(2)

Pasquale Revoltella(1795-1869):

WIKI GEMEINFREI

Es war ein rechtes Wort zur rechten Zeit, als Revoltella über die düstere Lage des österreichischen Seehandels mit Ueberzeugungstreue schrieb:

Oesterreich muss sofort Alles aufbieten, seinen handelspolitischen Horizont zu erweitern, und sich aktiv an dem transoceanischen Welthandel zu betheiligen; denn es wird auf seinem eigenen Seegebiete mit vollständiger Ueberflügelung bedroht und der Gefahr nahegerückt, für immer von einer thätigen Theilnahme am Welthandel ausgeschlossen zu werden. Was es „bedeutet, wenn der Handelszug im adriatischen Meere von der österreichischen Seeküste abgelenkt wird, - dass hierdurch die ganze politische Machtstellung an der Adria in ihren Grundvesten erschüttert würde, bedarf wohl kaum einer näheren Begründung. In unserem Zeitalter des Positivismus üben die materiellen Interessen die stärkste Anziehungskraft und entscheiden über die Geschichte der Staaten“.

Die patriotische Denkschrift, welche eine Reihe eingehend motivirter Vorschläge enthielt, erregte bekanntlich ein bedeutendes Aufsehen und fand die allseitige Würdigung.

Eine ihrer ersten Folgen war das allerhöchste Handschreiben Seiner Majestät des Kaisers vom 9. Februar 1864, mit welchem die Einsetzung eines Comités in Triest angeordnet und demselben die Aufgabe gestellt wurde, „die ungünstige Stellung Oesterreichs im überseeischen Welthandel und die Mittel zur Abhilfe zu prüfen“.

Da die Angelegenheit als eine die Interessen nicht nur Triests, sondern der ganzen Küste und des gesammten Reiches berührende erklärt worden war, so veranstaltete das Comtité eine umfassende Enquete und resumirte das Ergebniss derselben in einer Reihe von Postulaten zur Förderung des äusseren Handels.

Wir werden Gelegenheit finden, auf diesen Bericht und auf die zur Abhilfe vorgeschlagenen Mittel noch im Zusammenhange zurückzukommen und beschränken uns an dieser Stelle darauf, zu constatiren, welche unmittelbaren praktischen Erfolge die Initiative Revoltellas herbeiführte.

Von den motivirten Vorschlägen des Comités stimmte der erste mit der damaligen Richtung der österreichischen Handelspolitik überein; er forderte die „Einführung eines niedrigeren Zolltarifes“ und fand einen Widerhall in dem Abschluss der freisinnigen Handelsverträge, welche durch die Meistbegünstigungs-Clausel generalisirt wurden.

Leider gehören diese Verträge heute nur mehr der Geschichte an, und die handelspolitische Reaction der verflossenen Jahre verträgt sich wenig mit der Pflege der Welthandels-Interessen unseres Seehafens.

Eine andere auf Anregung Revoltella‘s gefasste Resolution des Comités wurde in noch erfolgreicherer Weise und zwar genau so verwirklicht, wie der Bericht dieselbe formulirt hatte.

Die Entsendung zweier Kriegsschiffe nach China und Japan, zur Aufnahme einer Expedition, deren Zweck der Abschluss von Handelsverträgen mit den erwähnten Ländern zur Sicherung des Handels und der Schiffahrt im Osten Asiens wäre, wurde bekanntlich im Oktober 1868 ins Werk gesetzt. Die von der Fregatte „Donau“ und der Corvette „Friedrich“ mit einem Stabe diplomatischer und fachmännischer Persönlichkeiten in den Jahren 1868 bis 1871 ausgeführte Reise bildete die erste „ostasiatische k. k. Mission“, welche positive Resultate erzielte.

Durch den Abschluss der Verträge mit Siam, China und Japan, durch die Einsetzung eines Minister-Residenten und die Einrichtung von Consularämtern in diesen drei Staaten, durch das Bekanntwerden der österreichisch-ungarischen Flagge in jenen Gewässern, durch die Sammlung reicher volkswirthschaftlicher Erfahrungen in Britisch Indien und Ostasien, welche in vorzüglicher Weise publicirt wurden(3), hat diese Expedition fruchtbare Keime commercieller Verbindungen für das ganze Reich, insbesondere für Triest gelegt; leider sind dieselben nicht in jenem Masse ausgebildet worden, wie man damals hoffen durfte.

Ausserdem hatten aber die Discussionen im Schosse des Revoltella-Comités noch zu einer anderen, für die Stellung Triests ungemein wichtigen Massregel geführt.

Schon in der Erörterung der Vortheile und Nachtheile des Freihafen-Privilegiums war mit Recht auf die ungemein mangelhaften technischen Einrichtungen des Triester Hafens hingewiesen worden. Revoltella stellte in freimüthiger Zuversicht die Aenderung dieser Verhältnisse als selbstverständlich hin. „Wir rechnen darauf“, schreibt er, „dass die Schienenverbindungen künftighin nicht nur bis an das Meer, sondern bis in das Meer reichen werden, dass also die kaiserl. Regierung alle erforderlichen Vorkehrungen treffen werde, durch welche, wie dies in allen ersten Hafenplätzen Europas der Fall ist, auch in unsern Seehäfen mit Vermeidung aller Zwischenspesen die directeste Verbindung zwischen der Eisenbahn und den Handelsschiffen bei der Ein- und Ausladung der Güter sowie die mindest kostspielige Aufspeicherung in den Hafenmagazinen hergestellt wird“.

Die im Comité-Berichte ausgesprochene Hoffnung, dass „die schon mehrere Jahre sich hinziehenden Berathungen, Prüfungen und Erhebungen, die Hafen-Verbesserungen in Triest betreffend, in möglichster Kürze mit einem Gesetze abgeschlossen werden“, verwirklichte sich durch die im Jahre 1868 begonnene Ausführung des neuen Hafen-Projektes.

So wird in dieser zweiten Phase der neuesten Wirthschaftsgeschichte von Triest die Denkschrift Revoltella‘s zum Anlasse, um überhaupt die Hindernisse der gedeihlichen maritimen Entwicklung Oesterreichs objectiv und in gediegenster Weise zu erörtern, die bestehenden Schäden aufzudecken, Abhilfe nach den mannigfachsten Beziehungen zu fordern, viele Reformen in motivirtester Weise vorzuschlagen, und durch die ostasiatische Expedition, sowie durch den Beginn einer grossartigen Hafenanlage auch äussere Resultate rasch herbeizuführen.

 

V: Österreich als „Deutsche Ostmark“ am Mittelmeer. Ein vorerst gescheitertes Konzept.

Um so unbegreiflicher erscheint es, dass in den unmittelbar folgenden Jahren 1869-1873, welche als eine Epoche des allgemeinen wirthschaftlichen Aufschwunges in ganz Europa und Amerika gelten dürfen, Triest nur wenig und vorübergehend aus seinem Marasmus gerüttelt wird.

Wie wir im folgenden Abschnitte nachweisen werden, halten nur zwei Jahrgänge einen fühlbaren Reflex, vom Hochgange der „wirthschaftlichen Production in der ganzen Welt und von dem für diesen Hafen gerade so viel verheissenden Ereignisse der Eröffnung des Suez-Canals empfunden.

Kein Zweifel; schon kalt erwägende Calculationen, um so mehr solche, die von patriotischen Wünschen geleitet waren, mussten von dieser neuen Wasserstrasse für die Häfen der Adria augenblicklichen und gewaltigen Nutzen hoffen. Durch die Eröffnung des Suez-Canals wurde die österreichische Monarchie den Handelshäfen an der Westküste Indiens um 7.500 Seemeilen näher gerückt und so erschien kein europäischer Staat mehr berufen, von der Eröffnung der neuen Wasserstrasse nach Indien und Ostasien zu gewinnen, als unser Vaterland.

Triest und Fiume durften nun als die vortheilhaftesten Häfen für den Handel Indiens mit dem südwestlichen Europa angesehen werden. Denn der Weg nach Indien war durch die neue Weltverkehrs-Passage mit Benützung der Dampfkraft um 37 Tage, jener nach China sogar um 57 bis 60 Tage abgekürzt. Man konnte daher voraussagen, dass Waaren aus dem südwestlichen Europa, welche damals noch über England und Holland, oder über Bremen und Hamburg ihren Weg ums Cap der guten Hoffnung nach Osten nahmen, die neue Route einschlagen und direct ins Herz von Europa gebracht werden müssten. Man durfte mit Recht hoffen, dass Triest, dessen Bedeutung gerade damals sehr mittelmässig stand und auf einen Bruchtheil des Verkehrs im Mittelmeer beschränkt war, in Zukunft jenen Rang im Welthandel erringen werde, den es nach seiner Lage einzunehmen berufen ist.

Aus Suez heimgekehrt, sprach ich selbst in einem öffentlichen Vortrage die Ueberzeugung aus: „dass Oesterreich, was es seit Jahrhunderten an der Donaulinie war, auch am Mittelmeere werden soll: eine Ostmark des deutschen Reiches für dessen Handel und materielle Cultur“. Leider erwies sich die Voraussicht nicht blos in Betreff von Triest, sondern überhaupt in Betreff der adriatischen und Mittelmeerhäfen als nicht zutreffend.

Die Rathschläge, welche von allen Seiten in Betreff der Vorbereitungen für den neuen Handelsweg gegeben wurden – und zwar nicht post festum, sondern ganz rechtzeitig, wie beispielsweise die schon im Jahre 1866 von Tegethoff niedergeschriebene Mahnung: „Oesterreich muss sich für einen ausgedehnten Dampferverkehr rüsten, will es sich einen guten Antheil am Handel mit Indien und China sichern“ – blieben unbeachtet.

England dagegen, früher der grösste Antagonist des Suez-Canals, ergriff von dem Tage an, wo die Fahrbarkeit desselben gesichert war, mit nachahmungswerther Consequenz und Energie alle technischen und commerciellen Mittel, um den Handel durch die neue Wasserstrasse und die Letztere selbst zu beherrschen. Die britische Flagge hat sich durch die Erbauung specieller für die neue Route geeigneter Dampfer und durch Benützung seiner übrigen, den indischen Handel betreffenden reichen Hilfsmittel den Löwenantheil im Suez-Canal-Verkehr errungen und die britische Regierung besitzt in Folge einer klugen Operation Beaconsfield’s 17.600 Actien und hiermit einen massgebenden Einfluss in der Verwaltung.

Wenn schon die mediterranen Häfen nicht jenen Nutzen aus dem Suez-Canal zogen, welchen man erwarten durfte, so erfuhr Triest eine noch grössere Enttäuschung. Nur in den Jahren 1869 bis 1872 war ein Aufflackern des Seehandels wahrzunehmen; aber schon im Jahre 1873 folgte ein Rückgang, der seither im Grossen und Ganzen zum Stillstande geworden ist. In dieser ganzen Zeit wurde nur ab und zu die Lloydfrage ventilirt, um die Ausdehnung der Fahrten nach Ostasien durchzusetzen und die Eisenbahnanschlüsse wurden akademisch erörtert. Im Uebrigen herrschte ziemliche Ruhe und Thatenlosigkeit. Endlich aber wurden die Erscheinungen zu beunruhigend, als dass man den­selben gegenüber noch ferner in Passivität verharren konnte. Mit dieser Erkenntniss und den sich daran knüpfenden agitatorischen Schritten beginnt die dritte neueste Phase der Triester Lebensgeschichte.

Die Charakteristik dieses jüngsten Zeitabschnittes liegt im offenen Eingeständnisse, dass die Triester Handelsthätigkeit allmalig in Verfall geräth. Die Vertreter der Municipalität und der Kaufmannswelt, die im Jahre 1875 zu einer Enquete-Commission delegirten Mitglieder des Stadtrathes und der Handels- und Gewerbekammer von Triest selbst sprechen dieses beklagenswerthe Urtheil aus. Das Mandat derselben bestand eben darin, „die nöthigen Erhebungen und Studien zu pflegen, um die zur Verbesserung der traurigen commerciellen und industriellen Verhältnisse Triests zweckmässig und wirksam erscheinenden Mittel zu eruiren“.

Nach zweijährigem Verlaufe dieser Enquete, deren schleppender Gang kein sehr günstiges Licht auf die Thatenlust der Commission wirft, erschien im Jahre 1878 ein umfangreicher Bericht, welcher die zwischenzeitig sich häufenden und immer lästiger werdenden Uebelstände und die Mittel zur Abhilfe darlegt. Und wieder vergingen mehrere Jahre ohne andere Fortschritte, als diejenigen der Vollendung des neuen Hafens.

Aber in diesen letzten Jahren war der Handelsgeist in Europa und Amerika, der in Folge der kritischen Erschütterungen der 1873er Krise nur geschlummert hatte, wieder erwacht. Mit erstaunlicher Lebhaftigkeit suchten andere Länder das Versäumte nachzuholen, die Productionsmengen, die Umsätze im Welthandel, der Schiffahrtsverkehr, Alles wurde rapid vermehrt und nur Triest blieb nahezu stabil auf einem und demselben mittelmässigen Niveau. Nicht blos die fremde sondern auch die Concurrenz des Schwesterlandes zeigte ihre drohenden Waffen; Fiume trat mit Triest in die Schranken und das ungarische Litorale begann dem österreichischen gefährlich zu werden.

 

VI: Ausblick.

Noch hat Triest seine Zeit nicht versäumt, noch hat es die Mittel zur Wiederbelebung nicht verloren.

Neue, grosse Thatsachen stehen im Becken des Mittelmeeres und in den angrenzenden Küstengebieten bevor.

Nord-Afrika wird von der europäischen Colonisation und den Eroberungs-Gedanken der Westmächte mehr als je ins Auge gefasst.

Algier, Marokko, Tunis und Tripolis gehen diesen befruchtenden Einflüssen ebenso entgegen wie Aegypten.

Die Engländer werden den Suez-Kanal, nicht nur in seiner bisherigen Bedeutung für den Welthandel pflegen, sondern vielleicht einen zweiten bauen, weil der erste den Bedürfnissen des Verkehres bald nicht mehr genügen wird.

Die Durchstechung der Landenge von Korinth ist bereits in vollen Angriff genommen und wird für die adriatischen Häfen eine Abkürzung des Seeweges nach Ost-Asien bringen, die abermals die Concurrenz-Fähigkeit erhöht; die Länder der Balkan-Halbinsel mit ihren Debouchés am ägaischen Meere gehen grossen Umgestaltungen entgegen, und Kleinasien wird vielleicht auch nicht mehr lange im orientalischen Halbschlafe ruhen.

In China sind manche Anzeichen des Vorwärtsdringens europäischer Einflüsse aus allerjüngster Zeit zu verzeichnen, deren Tragweite heute noch unberechenbar ist.

Ostindien und Japan endlich entwickeln ihre productiven Kräfte in so erstaunlichem Schritte, dass sie ein immer lohnenderes Verkehrsziel bieten.

Diese Blicke in die nächste Zukunft müssen schon jetzt zu raschen Vorbereitungen antreiben, damit Triest den sich vollziehenden Ereignissen gegenüber gerüstet dasteht und aus denselben grösseren Nutzen zieht, als leider in der Vergangenheit der Fall war.

Unser Augenmerk sei desshalb auf die Bedingungen einer baldigen Entwicklung gerichtet; denn es ist keine Zeit zu verlieren, „jam proximus ardet Ucalegon“!

 

Anmerkungen:

1)    Die Ostindische Mission der Triester Börse. Summarischer Bericht von P.Erichsen, Triest 1846.

2)    Oesterreich’s Betheiligung am Welthandel. Betrachtungen und Vorschläge von P.Revoltella. Triest 1864. Wir brauchen kaum zu erwähnen, was allgemein bekannt ist: dass diese Schrift zumeist aus der Feder des ausgezeichneten Vice-Admirals Bernh. Freiherr v. Wüllerstorf-Urbair, nachmaligen österr. Handelsministers stammt und von dem klaren Blicke dieses ausgezeichneten Staatsmannes ein glänzendes Zeugnis ablegt.

3)    Fachmännische Berichte über die österreichisch-ungarische Expedition nach Siam, China, Japan. Im Auftrage des k.k. Handelsministeriums redigirt und herausgegeben von Dr. K.v. Scherzer, Stuttgart 1872.