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II: Zur Struktur der „Belgischen National-Revolution“(1830) – „Kulturnation“ oder „Staatsnation“? Europäische Vergleiche.

Der Gegenstand jenes Konfliktes, welcher als „Belgische Revolution“ in die Geschichte einging, war kurz gesagt das, was man heute mit „Bürgerlicher Freiheit“ tituliert. Er endete mit der nationalstaatlichen Lostrennung Belgiens vom Niederländischen Mutterland.(4)

Im August 1830 kündigte sich die Revolution bereits in aller Deutlichkeit an, und zwar in der Oper von Brüssel(!), also einem Ort der „Echten Bürgerlichkeit“: Nach einer Vorstellung brach plötzlich der laute Ruf „Vive la Liberté“ los. Im Schlepptau des revolutionären Projektes befanden sich sodann aber auch all‘ jene, welche sozial benachteiligt waren, damals also nicht die Oper besuchen konnten.

Der primäre Stein des Anstoßes war der autoritäre, fast mittelalterlich geprägte Führungsstil des niederländischen Königs Wilhelm I.

In Frankreich war im Juli 1830 per „Revolution“ der „Bürger-König Ludwig Philipp“ an die Macht gekommen. Die Grundlage des Staates war nun eine „Konstitutionelle Monarchie“ - das „Mittelalter“ war (scheinbar) endgültig besiegt.

Die belgischen Revolutionäre waren davon immens beeindruckt und suchten nach einer Möglichkeit, einen solchen Zustand auch daheim herbeizuführen.

Doch wie sollte der neue Staat nun genau aussehen? Was bedeutete in der Geschichte eigentlich „belgisch“?

Jeder brave Lateinschüler weiß, dass Caesar – der „Glückliche Catilina“ der römischen Geschichte - in seinen Kommentaren zum Gallischen Krieg gleich zu Beginn von den „Belgern“ spricht, welche aber kein „Volk“, sondern vielmehr einen „Kelto-germanischen Stammesverband“ darstellten. Derartige „Verbände“ waren in Antike und Frühmittelalter durchaus üblich und oftmals die Grundlage für eine „Ethnogenese“(s. etwa „Alemannen“, „Franken“, „Bajuwaren“).

Später wurde dann im unterworfenen Gallien eine Verwaltungseinheit namens „Belgica“ eingerichtet, deren Hauptstadt Reims war, damals „Civitas Remorum“ genannt. Diese „Remer“ tauchen auch schon bei Caesar auf. Die Städte Brüssel und Antwerpen wurden erst viel später gegründet(s. Karte).

Die „Belgica“ mit der Hauptstadt „Civitas Remorum“ im Kontext:

Copyright: Elmar Oberegger

Die politische Macht der „Alten Belger“ war mit Sicherheit vor der Eroberung durch Caesar am größten. In der Spätantike bzw. im Frühmittelalter trat das Terrain der „Belgica“ nie machtvoll bzw. selbstbewusst hervor und wurde dann im Zuge der ersten Teilung des Frankenreiches(843) sogar territorial aufgesplittert.           

Vom Stammesverband der „Alten Belger“ blieb schließlich nur die französische Bezeichnung „belgisch“ für „niederländisch“ übrig. Sehr oft bleibt in der Geschichte nur ein „Name“ erhalten, welcher sodann mit den aktuellen Verhältnissen so gut wie nichts mehr zu tun hat. Zu verweisen wäre hier besonders auf den Namen „Böhmen“, welcher von den keltischen „Boiern“ herrührt.

Im „Deutschen Raum“ dagegen konnte man aufgrund der Berichte antiker Schriftsteller(bes. Tacitus) an einer soliden „National-Ideologie“ basteln. Wir gegenwärtigen hier historisch also den typischen Fall einer „Kultur-Nation“, welche ihr „Kultur-Bewusstsein“(= „Blut &. Hoden-Identität“), lange vor dem „Staat“ hatte.(5)

In Frankreich jedoch haben wir seit der „Revolution von 1789“ eine „Staatsnation“ vor uns, deren starke Wurzeln bereits bestanden – Die Losung „L’Etat, c’est moi“ des alten Königtums gibt darüber Auskunft.

Dieser „Etat“(= Staat) wurde im Zuge der Revolution ganz einfach mit neuen Inhalten gefüllt(= „Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit“). Dass hierbei sodann die Definitionen(!) von  „Freiheit &. Co“ auseinandergingen, die „Revolution“ schließlich „ihre Kinder fraß“, das ist wieder ein anderes Problem. Festzuhalten ist jedenfalls: In Frankreich kommt historisch zuerst der „Staat“, dann erst – davon durchaus abgeleitet - die „Kultur“. Mit dem Problem der „Ethnischen Heterogenität“ war man kaum konfrontiert.

Und die „Belgische Revolution“ von 1830?

Auch sie folgte den Edlen Prinzipien der Neuzeit. Doch die Bezeichnung „Belgien“ war – wie schon gesagt - historisch höchst un-definiert und noch dazu musste man gegenwärtigen, dass der neue Staat de facto ethnisch geteilt sein würde, nämlich in Germanischstämmige Flamen und Romanischstämmige Wallonen. Später, nach 1918, sollen dann sogar noch „Deutsche“ hinzukommen. Und in Brüssel redete und redet man in der Oberschicht dieses „Brüsseler Französisch“, um sich von den Bauern bzw. Proletariern abzugrenzen.(s. Karte)

Die Sprachgrenzen in Belgien seit 1918:

Copyright: Elmar Oberegger

„Belgien“ konnte also von vorne herein keine „Kulturnation“, sondern immer nur eine „Staatsnation“ sein.

Eine vorrangige Aufgabe der politischen Führung bestand also darin, das Staatsgebiet auf moderne Weise verkehrsmäßig zu vernetzen, sodass ein sozio-ökonomisch wirksamer „Kommunikations-Zusammenhang“ als „Nation“ entsteht. „Nationalität“ besteht nach Karl W.Deutsch „…in der Fähigkeit, wirksamer zu kommunizieren, und zwar über eine Vielzahl von Gegenständen und mit Mitgliedern einer großen Gruppe mehr als mit Außenstehenden“(6). Somit ist eine „Nation“ „… das Ergebnis der Transformation eines Volkes oder einiger ethnischer Elemente innerhalb eines sozialen Mobilisationsprozesses“(7).

Die allgemeinen wirtschaftlichen Belange bzw. die wirtschaftlichen Erfolgschancen aufgrund „Nationaler Einheit“ sollten also vor der nun einmal historisch gegebenen ethnischen Trennung betrachtet werden – Die „Nationale Einheit“ sei letztlich die „Einzig wesentliche Macht des Staates“ – So, und nicht anders ist auch die Belgische Nationalformel „L’Union fait la Force“ zu verstehen.

Wie wir heute sehen, besaß die „Belgische Revolution“ von 1830 nicht dieselbe historisch-identitätsstiftende Kraft wie etwa die „Schweizer Nationswerdung“. Dort galt und gilt heute eigentlich das, was in Belgien scheinbar nicht mehr so richtig gilt, nämlich „L’Union fait la Force“.

Die Errichtung eines „Belgischen Eisenbahnnetzes“ - und das war damals die Ausstattung eines gerade unabhängig gewordenen Landes mit einer Top-Kommunikations-Technologie der Zeit(!) – war nach der Revolution für alle wachen Geister gewissermaßen ein Gebot der Stunde.(s.o.)

Der „Nationale Repräsentant“ dieses Konzeptes wurde schließlich König Leopold I.