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II: DAS PROJEKT „AUSTROTAKT 21“ IM KONTEXT DES DULTINGERSCHEN PHASENMODELLS(1970). Im Jahre 1970 veröffentlichte Hofrat DI Dr.Josef Dultinger – damals Gen.-Dir.Stellvertreter der ÖBB - in der Zeitschrift „Nachrichtenblatt der Generaldirektion der Österreichischen Bundesbahnen“ einen hochinteressanten und durchaus kämpferischen Artikel mit dem Titel „Technische und wirtschaftliche Aspekte der Zusammenarbeit von Eisenbahn und Industrie“.(1) Herr Dr.Dultinger wurde im Jahre 1909 in Amstetten/NÖ geboren und verstarb 1996 in Innsbruck.(2) Dr.Josef Dultinger(1909-1996):
Aus: „Die ÖBB in Wort und Bild“ 7/72, S. 14. Er studierte an der Technischen Universität in Wien und trat sodann als einfacher Fahrdienstleiter in den Eisenbahn-Dienst ein. In der Folge wurde er immerhin zum „Strecken-Ingenieur“ befördert. Nach dem sogenannten „Anschluss“(1938) fungierte er zunächst als „Vorstandstellvertreter“ der Reichsbahnbetriebsämter Klagenfurt, Leoben und Knittelfeld. 1940 sodann wurde er Vorstand des „Neubauamtes Mallnitz“(Tauernbahn), 1941 erfolgte die Versetzung zum nach dem Einmarsch Hitlerdeutschlands(und dessen Verbündeten) in Jugoslawien neu gegründeten „Betriebsamt Aßling(= Jesenice)“.(3) Aufgrund seiner mittlerweile fast schon berühmt-berüchtigten Tatkraft und seiner großen beruflichen Erfahrung wurde er auch nach dem Zweiten Weltkrieg weiter bei der „Österreichischen Eisenbahn“ verwendet. In der Wiederaufbauzeit meisterte er mehrere, höchst schwierige Aufgaben vorbildlich. 1969 wurde er „Gen.Dir.StV.d.ÖBB“. Die Berufung zum „Generaldirektor der ÖBB“ war dem damals immerhin schon 60-jährigen Dultinger allerdings nicht mehr beschieden. 1972 berichtet die Zeitschrift „Die ÖBB in Wort und Bild“ zu seiner weiteren beruflichen Zukunft: „Auf Wunsch des Bundesministers für Finanzen, einer Berufung in den Vorstand der Tauernautobahn und der Brenner Autobahn AG folgend, ist der Stellvertreter des Vorsitzenden des Vorstandes und Generaldirektor-Stellvertreter der Österreichischen Bundesbahnen … mit Ablauf des 30. Juni 1972 aus dem Vorstand der Österreichischen Bundesbahnen ausgeschieden“(4). In seiner späten Lebensphase trat Dultinger sodann als ganz hervorragender Eisenbahn-Historiker in Erscheinung(„Brenner-Bahn“, „Arlberg-Bahn“ etc.). Im Jahr 1970 jedenfalls publizierte er noch seinen oben genannten Aufsatz, welcher auch ein bemerkenswertes „Eisenbahn-Zukunftsprogramm“ enthält. Dultinger war bei all‘ seiner Tatkraft immer ein Mann von Kontenance, weshalb die Kritik an den politischen Verhältnissen in Österreich im Beitrag letzten Endes nicht hinhaltend-quengelnd, sondern klar und direkt, und v.a. sachlich-scharf vorgetragen wird. Er schreibt somit 1970, als sich die ÖBB als Transportsystem bereits im Niedergang befanden(Hervorhebungen/Einfügungen d.Verf.): „Der Durchbruch zum Erfolg und damit der Anschluß an die allgemeine Wirtschaftsentwicklung wird solange nicht gelingen, als der Schienenverkehr nicht in der Lage ist, sein Leistungsangebot den Erfordernissen einer modernen Industriegesellschaft voll anzupassen(!). Dazu gehört freilich auch eine Änderung der bisherigen Verkehrspolitik durch den Staat, um verbesserte Leistungen der Schiene im Rahmen eines vernünftigen Wettbewerbes auch tatsächlich absetzen zu können. Schienenfeindliche Aspekte, wie sie die bisherige Verkehrspolitik(!) aufweist, müssen ebenso beseitigt werden wie etwa Vorurteile in Fragen der Investitionspolitik“(5). Dultinger spricht hier zuletzt also konkret die Frage an: Kann die Industrie überhaupt im Kontext einer allgemeinen technischen Weiterentwicklung der Eisenbahn „Geld“ verdienen? Seine Antwort ist ganz klar: JA! Und dieses Moment zieht sich konsequent durch die zweite Hälfte seines Artikels(Modernisierung/Ausbau der Strecken, des Fahrparks etc.). „Geld“ sei also für die Industrie nicht nur durch den „Autobahn-Bau“ oder den „Strassen-Ausbau“ zu holen. Alles aber sei letzten Endes eine Frage der „(Verkehrs-)Politik“(s.o.)! Natürlich spricht Dultinger in seinem Artikel nie explizit von einem „(Neuen) Austro-Takt“, geht es ihm doch letzten Endes viel mehr um die allgemeine Skizzierung einer neuen, tragfähigen und zukunftsträchtigen Partnerschaft zwischen „Eisenbahn“ und „Industrie“. Aus obigem Zitat jedoch ergibt sich die Forderung nach einem solchen „Takt“ zumindest implizit(s.o.: „ … als der Schienenverkehr nicht in der Lage ist, sein Leistungsangebot den Erfordernissen einer modernen Industriegesellschaft voll anzupassen“.) Interessant für unseren Zusammenhang ist aber vor allem sein „50-Jahre-Eisenbahn-Phasenmodell von 1830-2030“(s. Graphik), welches den ersten Teil seines Beitrages beherrscht und nun vorgestellt werden soll. Das „50-Jahre-Eisenbahn-Phasenmodell von 1830-2030“ nach Dultinger(1970).
Copyright: Elmar Oberegger Sic: Phase 1980-2030 - „Aufstieg oder Niedergang“?(!) Dazu schreibt Dultinger: „Die ersten beiden Bestandsphasen der Eisenbahn … waren Expansionsphasen. Die erste Phase begann 1830 und endete … 1880. Sie führte durch den Bau der großen Linien zu einem Weltnetz mit einer Gesamtlänge von rund 370.000 km“(6). Für das „System Österreich-Ungarn“ führt er in dieser Beziehung konkret aus: „Von 1830 bis 1880 vergrößerte sich das Schienennetz Österreich-Ungarns auf 18.400 km. Die Produktion im Kohlenbergbau stieg in dieser Zeit von 3,8 Millionen auf rund 190 Millionen Meterzentner an. Die Roheisenproduktion stieg von 1,3 Millionen Meterzentnern im Jahre 1848 auf 280 Millionen Meterzentner im Jahre 1895. Auch die Zuckerindustrie wuchs sehr erheblich. Während 1857 rund eine halbe Million Meterzentner Rüben verarbeitet wurden, waren es im Jahre 1895 nicht weniger als 76 Millionen Meterzentner. Der Nutzen, den die Eisenbahnen aus dieser Expansion ziehen konnte, war beträchtlich: im Jahre 1880 genügten 47% der Roheinnahmen zur Deckung des gesamten Betriebsaufwandes“(7). Historisch-kritisch wäre hierzu allerdings anzumerken, dass es nur relativ kleine Regionen innerhalb Österreich-Ungarns waren, welche diesen wirtschaftlichen Aufstieg verursachten(v.a. Nordböhmen, Mähren, Schlesien). Von einer „Starren Interdependenz Eisenbahn-Industrialisierung/Industrie“ ist letzten Endes in der Analyse nicht auszugehen. Das zeigt etwa ganz klar das „Problem Triest“. Auch in globaler Hinsicht sollte man weniger von einem „Interdependenz-Verhältnis“, als vielmehr von einem „Affinitäts-Verhältnis Eisenbahn/Industrie“ ausgehen.(8) Zur Phase 2 schreibt Dultinger in seinem Beitrag: „Die zweite Bestandsphase … galt (vor allem in Europa) der Netzergänzung, der Verbesserung der Flächenbedienung durch den Bau zahlreicher Nebenbahnen und der Festigung des Schienenmonopols im Landverkehr. Das Schienennetz der Erde vergrößerte sich in dieser Phase auf 1,255.000 km. Das Verkehrsaufkommen im Weltnetz der Eisenbahnen betrug im Jahre 1930 rund 9.7 Milliarden Fahrgäste und etwa 3,6 Milliarden Nettotonnen an Gütern“(a.a.O, S. 2). Zu Phase 3: „ … 1930 begann schließlich die dritte und schwierigste Bestandsphase der Eisenbahn. Rechnet man auch in diesem Fall mit einer Bestandsdauer von 50 Jahren, so würde das Phasenende im Jahre 1980 erreicht werden. Im bisherigen Verlauf dieser Bestandsphase gab es drei bedeutungsvolle Ereignisse: die Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre, den Zweiten Weltkrieg und schließlich die ungeheure Expansion des motorisierten Straßenverkehrs … Die Kriegszerstörungen … konnten relativ rasch überwunden werden. Im Jahre 1950 lag die österreichische Industrieproduktion bereits um 15% und die Verkehrsleistung der Österreichischen Bundesbahnen sogar um 22% über den Leistungsziffern des Konjunkturjahres 1929. Diese Aufwärtsentwicklung hielt auch nach 1950 an. Eisenbahn und Industrie konnten Jahr für Jahr ihre Leistungen steigern. Als jedoch das dritte markante Ereignis dieser Eisenbahnbestandsphase eintrat, nämlich die Verkehrsexplosion auf den Straßen, kam es im Eisenbahnverkehr zu einer Wende. Während die Industrie weiterhin expandierte, kam es im Schienenverkehr zu einer Stagnation und in weiterer Folge sogar zu einem Rückschlag. Hiezu einige Zahlen: Von 1950 bis 1960 nahm in Österreich das reale Bruttonationalprodukt um 74%, die Industrieproduktion um 110% und die Verkehrsleistung der Österreichischen Bundesbahnen (in Verkehrskilometern) um 45% zu. Von 1960 bis 1969 erhöhte sich das reale Bruttonationalprodukt um 46% und die Industrieproduktion um 54%. Die Verkehrsleistung der Österreichischen Bundesbahnen blieb hingegen unverändert; sie stagnierte. Hingegen nahm die Verkehrsleistung der Straße im gleichen Zeitraum um mindestens 80% zu … Während von 1950 bis 1960 die Anzahl der Fahrgäste um 42% und die Tonnage im Güterverkehr um 22% zunahm, reduzierte sich von 1960 bis 1969 die Anzahl der Fahrgäste um 25% und das Güteraufkommen blieb unverändert … Diese divergierende Entwicklung von Aufwand und Ertrag erhöhte naturgemäß den Betriebsabgang, der um rund 110% zunahm“(a.a.O., S. 2f). Und schon 1970 rechnet Dultinger mit einer „Phase 4“(1980-2030), d.h. mit der in der Tat „Kritischen Phase“, in der wir uns heute befinden(Hervorhebungen d. Verf.): „Der dritten Eisenbahnbestandsphase wird zweifellos eine vierte Phase folgen. Für diese vierte Phase, die bei einer bisherigen Phasendauer von 50 Jahren im Jahre 1980 beginnen würde, gibt es zwei Alternativen: Aufstieg oder Niedergang. Eine weitere Stagnationsphase wird es jedenfalls nicht mehr geben, denn die Eisenbahnunternehmungen würden sie aus finanziellen Gründen nicht mehr verkraften können„(a.a.O., S.4). Es ist heute für Österreich offensichtlich, dass Dultinger mit seiner Diagnose/Prognose aus 1970, dass nämlich eine weitere Stagnation für das System nicht mehr verkraftbar ist, rechtgehabt hat. Seine Vision von einer „Großen Partnerschaft Eisenbahn-Industrie“, welche das Eisenbahnsystem zum Wohl der „Modernen Industriegesellschaft“ nach vorne hätte bringen sollen, kam - wie wir leider zur Kenntnis nehmen müssen – bisher nicht in wünschenswerter Weise zustande. Die Schweiz hat ihre Hausaufgaben bezüglich „Schienenverkehr“ bzw. „Öffentlicher Verkehr“ längst erledigt! Österreich bleibt nicht mehr viel Zeit! Wird der „Niedergang“ noch aufzuhalten sein?!
Anmerkungen: 1) Siehe Nachrichtenblatt der Generaldirektion der Österreichischen Bundesbahnen 6 (1970), S. 5 ff. Um diesen bemerkenswerten Artikel sozusagen dem „Staub des Archivs“ zu entreißen, wurde er 2008 durch das „Info-Büro f. österr. Eisenbahngeschichte“ neu publiziert. Die folgenden Zitate orientieren sich an dieser Ausgabe. 2) Siehe zu seiner Biographie den entsprechenden Artikel in der Wikipedia-Enzyklopädie bzw. die Angaben in „Die ÖBB in Wort und Bild“ 7 (1972), S. 14. 3) Siehe zur Aufteilung Jugoslawiens nach dem Einmarsch von 1941 etwa die Karte bei Holm SUNDHAUSSEN: Geschichte Jugoslawiens. –Stuttgart u.a. 1982, S. 115 f. 4) Die ÖBB in Wort und Bild 7 (1972), S. 14. 5) DULTINGER a.a.O., S. 4. 6) DULTINGER a.a.O., S. 2. 7) DULTINGER a.a.O., S. 1. 8) Siehe dazu und v.a. zum „Problem Triest“(= Wirtschaftliche Dauerkrise trotz zweigleisigem Eisenbahnanschluss aus 1857) Elmar OBEREGGER: Das Fach „Eisenbahngeschichte“. Spezifik und Methode(n) im Grundriss. –Sattledt 2009, S.20 ff.
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