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IV: FORTSCHRITT UND KRISE. DAS NEUE STAATSBAHNSYSTEM ENTSTEHT. 1867 BIS 1876.

Während der dem Jahr 1866 zunächst nachgefolgten Periode machte die Entwicklung des österreichischen Eisenbahnnetzes großartige Fortschritte.

Der wiedergekehrte Friede nach außen, die Regelung der inneren Angelegenheiten der Monarchie, die Neufestigung der Verfassung, der Ausgleich mit Ungarn und die freundliche Gestaltung des Geldmarkts weckten und hoben sehr rasch das öffentliche Vertrauen und die Schaffenslust; die Aufschließung mächtiger Kohlenlager in Böhmen, überaus reiche Getreideausfuhr, das Aufblühen der Industriezweige aller Art steigerten die Erträgnisse vieler Bahnen zu seltener Höhe und gaben hierdurch einen kräftigen Anstoß ebenso zur Fortsetzung schon bestehender als wie zur Schaffung neuer Bahnlinien; die allgemeine Geschäftslage wurde daher eine immer günstigere und Kapitalisten wie Unternehmer suchten sich dieselbe zunutze zu machen.

So tauchten denn von Tag zu Tag neue Projekte auf, die auch meistens sogleich in einer Weise umworben waren, daß ihre Verwirklichung ganz leicht, in vielen Fällen auch ohne jede staatliche Unterstützung gelang und hierdurch zahlreiche Lücken des Eisenbahnnetzes, weit früher als dies je geahnt werden konnte, ausgefüllt wurden, was natürlich der Regierung nicht allein aus wirtschaftlichen, sondern auch aus staatlichen Gründen sehr willkommen war, da die eben vor­übergegangenen Kriegsereignisse die Leistungen der Bahnen ins glänzendste Licht gestellt, aber auch gezeigt hatten, um wie vieles jene Leistungen hätten noch hervorragendere sein können, wenn das Bahnnetz ein vollständigeres gewesen wäre.

Gleichsam den Weckruf zur neuen Regsamkeit bildete das allerh. Handschreiben vom 18. Oktober 1866, womit Seine Majestät der Kaiser gleich im Anfang der Bereisung der vom Krieg heimgesuchten Kronländer den allerh. Wunsch aussprach, daß die mährischen Landesbahnen (deren Bau vor Ausbruch des Kriegs Gegenstand der Beratung im mährischen Landtag gewesen) mit Aufgebot aller Kräfte in Angriff genommen werden, um den Notstand in Mähren zu lindern und der arbeitenden Klasse in umfassender Weise Beschäftigung zu geben.

Wenn von der Konzession für die Umgestaltung der Pferdebahn Wejhybka-Pinie und der Verbindung dieser, sowie der Buschtehrader Bahn überhaupt mit ihren Nachbarbahnen bei Luzna, Krupa, Bubna und Smichow, dann von jener für den österreichischen Teil der Anschlußstrecke Dzieditz-Emanuelsegen und von der Südbahnzweiglinie Bruck-Leoben abgesehen wird, waren es denn auch mährische Linien, welche den Reigen der Konzessionierung von neuen größeren Bahnen eröffneten.

Doch erhielt nicht das mährische Konsortium, das – angeeifert durch jene allerh. Willenskundgebung – die Herstellung mehrerer Bahnen in Mähren  und Schlesien übernehmen wollte, die Konzession, sondern die Nordbahn, welche behufs der Abwehr einer neuerlichen Konkurrenz rasch in die Bewerbung eintrat, anderseits aber vermöge ihrer Kapitalskraft und altbestehenden Dienstesorganisation die sicherste Gewähr bot, daß der Bau sofort in Gang gesetzt und mit Beschleunigung vollführt werde. Auch erstreckte sich die Konzession nur auf die „Mährisch-schlesische Nordbahn“ benannten (garantierten) Linien Brünn-Sternberg und Nezamislitz-Prerau.

Darauf folgte die Konzessionierung der Fortsetzung der Carl Ludwig-Bahn von Lemberg einerseits nach Brody, anderseits nach Tarnopol, und für die Fortsetzung der Lemberg-Czernowitzer Bahn bis Suczawa.

Von da ab erfolgten die Konzessionierungen wieder im verfassungsmäßigen Weg. Es wurden konzessioniert:

im Jahr 1868 die zum Netz lit. B der Buschtehrader Bahn gehörende „böhm. Nordwestbahn“, umfassend die Linien Prag-Karlsbad-Eger, Tirschnitz-Franzensbad, Komotau-Weipert und Luzna-Rakonitz, ferner die österreichische Nordwestbahn (Wien-Iglau-Kolin-Jungbunzlau) samt Zweigbahnen nach Pardubitz, Trautenau, Sigmundsherberg, Jicin, Hohenelbe und Freiheit und für die Fortsetzungsstrecke St. Michael-Leoben der Rudolf-Bahn;

im Jahr 1869: die Fortsetzungsstrecken Villach-Franzensfeste und St. Peter-Fiume der Südbahn, die Umgestaltung der Linz-Budweiser Pferdebahn in eine Lokomotivbahn und die Ausästung der letzteren nach St. Valentin, die Strecke Neratovic-Prag der Turnau-Kraluper Bahn, die Strecke Bensen-Böhm. Leipa der böhmischen Nordbahn, die Strecke Absdorf-Krems der Franz Joseph-Bahn, die Strecke Laibach-Tarvis der Rudolf-Bahn, die Ostrau-Friedlander Bahn, die Leoben-Vordernberger Bahn, die Dux-Bodenbacher Bahn, die österreichische Strecke Przemysl-Lupkow der ersten ungarisch-galizischen Eisenbahn, die mährisch-schlesische Centralbahn (Olmütz-Jägerndorf-Reichsgrenze, Jägerndorf-Troppau u.s.w.), die Vorarlberger Bahn (Bludenz-Bregenx-bayrische Grenze, Feldkirch-Buchs, Lautrach-St. Margarethen), die Wr.Neustadt-Grammat Neusiedler Bahn (jetzt zur Wien-Pottendorfer Bahn gehörig), die Salzburg-Halleiner Bahn (später in die Salzburg-Tiroler Linie der Elisabeth-Bahn aufgegangen), die Hohenstadt-Zöptauer Bahn (jetzt Seitenlinie der mährischen Grenzbahn) und die Ebensee-Ischler Bahn, statt deren später die gleiche Strecke der Salzkammergutbahn ausgeführt wurde.

Im Jahr 1870 erfolgte die Konzessionierung des österreichischen Teils der ungarischen Westbahn (Graz-Landesgrenze), der Pilsen-Priesener Bahn samt Zweigbahn nach Dux und Brüx, der Elbethallinie der österreichischen Nordwestbahn (Nimburg-Tetschen, Lissa-Prag, Wildenschwert-Niederlipka, Geiersberg-Chlumetz), der Prag-Duxer Bahn (gleichfalls mit Abzweigung nach Dux und Brüx), der seither an die Aussig-Teplitzer Bahn übergegangenen Bielathalbahn (Aussig-Bilin), der Lundenburg-Grußbacher Bahn (gegenwärtig der Nordbahn gehörig), der nunmehr einen Teil der galizischen Transversalbahn ausmachenden Dniesterbahn (Chyrow-Stryj nebst Zweigbahn Drohobycz-Boryslaw), dann der Verbindungsstrecke Budweis-Wessely der Franz Joseph-Bahn und der Verlängerung der Penzing-Hetzendorfer Verbindungsbahn bis Albern an der Donau.

Im Jahr 1871 gelangten verschiedene Fortsetzungsstrecken schon bestehender Bahnen, als: Komotau-Brunnersdorf der Buschtehrader Bahn, Lieboch-Wies der Graz-Köflacher Bahn, Rumburg-Schluckenau der böhmischen Nordbahn, Ossegg-Komotau der Dux-Bodenbacher Bahn, Villach-Tarvis und Hieflau-Eisenerz der Rudolfbahn, ferner die Albrecht-Bahn (Lemberg-Stryj-Stanislau und Skole) und die mährische Grenzbahn (Sternberg-Grulich-Reichsgrenze) zur Konzessionierung; desgleichen im Jahr 1872 abermals eine Reihe von Ergänzungen älterer Unternehmungen, als: Chotzen-Braunau-Reichsgrenze und Wenzelsberg-Nachod der Staatseisenbahngesellschaft, Selzthal-Wörgl (Salzburg-Tiroler Linie) der Elisabeth-Bahn, Reichenberg-Seidenberg (Reichsgrenze) und Eisenbrod-Tannwald der südnorddeutschen Verbindungsbahn, Krima-Reitzenhain der Buschtehrader Bahn, Zellerndorf-Neusiedl der Lundenburg-Grußbacher Bahn, Pilsen-Eisenstein und Mlatz - Joh. Georgenstadt*) der Pilsen-Priesener Bahn, Brüx-Klostergrab-Mulde*) der Prag-Duxer Bahn und Troppau-Vlarapaß*) der mährisch-schlesischen Centralbahn, ferner die Braunau-Straßwalchener Bahn (später durch den Staat angekauft), die Wien-Pottendorfer Bahn, die Wien-Pittener Bahn*), die Bozen-Meraner Bahn*), die böhmische Südwestbahn (Liebenau-Kuschwarda nebst Zweigbahn*), die Kahlenbergbahn und die Schafbergbahn*).((Die mit *) bezeichneten Bahnen sind teils gar nicht, teils erst später nach nochmaliger Konzessionierung (wie Bozen-Meran, Wien-Pitten-Aspang, Klostergrab-Mulde) zur Ausführung gekommen.))

Die Gesamtlänge aller dieser Linien, zu welchen in den ersten Tagen des Jahrs 1873 noch als Nachzügler die Altheim-Schärdinger Bahn*) hinzugekommen, betrug rund 6200 km und erweiterte also, selbst nach Abschlag der davon unausgeführt gebliebenen Strecken, das österreichische Eisenbahnnetz um beiläufig zwei Dritteile seines damaligen Gesamtumfangs von 8500 km.

Daß bei solch vielem Schaffen auch hie und da ein Irrtum rücksichtlich der Zweckdienlichkeit und Rentabilität einer oder der andern Linie unterlaufen mochte, ist erklärlich; es wäre dies aber sicherlich ohne weitergehende Bedeutung geblieben, wenn nicht zugleich das Gründertum jener Zeit einige der neukonzessionierten Bahnen in sein Treiben hineingezogen und die dabei geübten Machenschaften die Zahl der „schwachen Unternehmungen“, das heißt den Herd der nachmaligen Erschütterungen des Eisenbahnkredits in be­drohlichem Maß vergrößert hätten.

Welcher Art und Folge die beregten Unzukömmlichkeiten gewesen, das läßt sich, mit wenigen Worten kennzeichnen: große Gründungsspesen, Verquickung der Finanzierung mit der Bauunternehmung (gewöhnl. „General-Entreprise“), Überschwenglichkeit bei Bemessung des Anlagekapitals, hohe Geldbeschaffungskosten, Kargheit beim Aufwand für den Bau und die Ausrüstung der Bahn, Überhastung der Bauarbeiten, geringe oder gar keine Rücklagen für spätere Erfordernisse; daher auf der einen Seite übermäßige Lasten für Verzinsung und Tilgung des Kapitals, auf der andern Seite erschwerter und verteuerter Betrieb.

Den schädlichsten, weil geradezu lähmenden Einfluß auf die Fortentwicklung des Eisenbahnnetzes übte jedoch die im Jahr 1873 ausgebrochene große volkswirtschaftliche Krisis, welche durch die von ihr angerichteten Verheerungen auf dem Aktienmarkt das bis dahin überschäumende Vertrauen in das Associationswesen mit einem Schlag hinwegfegte, Handel und Verkehr auf das tiefste Niveau herunterbrachte und auf Jahre hinaus alle Unternehmungslust ertötete.

Die Staatsverwaltung gab sich viele Mühe, die immer mehr einreißende Unthätigkeit zu bannen; sie wollte, da für geraume Zeit an den Bau ungarantierter Bahnen nicht zu denken war, durch Gewährung sei es voller, sei es zeitlicher Staatsgarantie, nachhelfen oder sich durch Erteilung von Bauvorschüssen, die in Aktien zum vollen Nennwert rückzahlbar sein sollten, an den auszuführenden Unternehmungen beteiligen oder aber die im besonderen Interesse des Staats gelegenen Linien auf Staatskosten in Angriff nehmen, um eine neue Bauthätigkeit zu erwecken.

Sie entwickelte im Jahr 1875 ein vollständiges Eisenbahnprogramm, welches mannigfache Maßnahmen (Reorganisierung der Aufsichtsbehörde, richtige und rasche Prüfung der Betriebsrechnungen, Reformen auf dem Gebiet des Konzessionswesens und der Betriebsordnung, Fusion der kranken Unternehmungen, Neugruppierung des Eisenbahnnetzes, Vorsorge für die Erfordernisse der garantierten Bahnen durch Erhöhung der Garantie, Vervollständigung des Eisenbahnnetzes nach einem festen System) umfaßte und von einer Gesetzesvorlage über die Eröffnung von Specialkrediten für Zwecke des Eisenbahnbaues (begreifend die Arlbergbahn, Predilbahn, mehrere normalspurige wie auch schmalspurige Lokalbahnen, zusammen 530 km) begleitet war.

Ihre Bemühungen scheiterten jedoch ebensowohl an der Scheu des Parlaments vor der Bewilligung ausreichender Geldmittel als an der starren Zurückhaltung des Privatkapitals. Alles, was ihr damals gelungen, war die mit Hilfe großer Staatsvorschüsse bewirkte Sicherung des Ausbaues der schon früher konzessionierten Linie Pilsen-Eisenstein, sowie der neukonzessionierten Linien Falkenau-Graslitz (der Buschtehrader Bahn) und St. Pölten-Leobersdorf samt Zweigbahn (nunmehr niederösterreichische Staatsbahnen), ferner die erst nach Gewährung voller Staatsgarantie möglich gewordene Konzessionierung der Salzkammergutbahn (Steinach-Schärding, Achleiten-Thomasroith) und die Ausführung der Linien: Tarnow-Leluchow, Rakonitz-Protivin, Divaca-Pola samt Zweigbahn nach Rovigno und Siveric-Sebenico samt Zweigbahn nach Spalato.

Aus letzterem Anlaß wurde über allerh. Entschließung vom 16. August 1875 die k. k. Direktion für Staatseisenbahnbauten am 1. September 1875 errichtet. Im Jahr 1870 kamen noch an staatlichen Linien hinzu: Tarvis-Pontafel, die Donauuferbahn bei Wien und die Sekundärbahnen Erbersdorf-Würbenthal, Kriegsdorf-Römerstadt, Mürzzuschlag-Neuberg, Unter Drauburg-Wolfsberg.

Dagegen wurden aber mehrere ältere Konzessionen hinfällig. Ohne jede staatliche Beihilfe kam in der Zeit von 1873-1876 nur die 20 km lange Flügelbahn Bielitz-Saybusch (der Nordbahn) zu stande. – Aber wie tiefgehend auch die Nachwirkungen der Krisis für die Aktionäre gar mancher Unternehmungen gewesen – dem positiv Geschaffenen konnten sie nichts mehr anhaben; es blieb fortbestehend, einerlei ob selbständig oder als ein Teil einer andern Unternehmung.

Mit Ablauf des Jahrs 1876 und zugleich des vierten Jahrzehnts der Lokomotiveisenbahnära in Österreich hatten die Betriebslinien eine Gesamtlänge von 10.780 km (gegen 3960 km zu Ende 1866) erreicht. Für die räumliche Entwicklung des österreichischen Eisenbahnnetzes war also dieses Decennium unbedingt ein überaus nutzbringendes und darum denkwürdiges.

Zur Gewinnung weiterer Anschlüsse an die ausländischen Eisenbahnen sind in der Periode von 1867-1876 Staatsverträge abgeschlossen worden: mit Bayern am 4. Juni 1867 hinsichtlich der Linie Neumarkt-Braunau (Simbach) und am 30. März 1873 in betreff der Anschlüsse in Eisenstein und Kuschwarda; mit Preußen, bezw. Deutschland am 5. August 1867 wegen des Baues der Linien Landshut-Schwadowitz und Glatz-Wildenschwert, dann am 21 Mai 1872 hinsichtlich der Anschlüsse bei Reichenberg (Görlitz), Jägerndorf und Leobschütz; mit Rußland am 18. September 1869 wegen des Anschlusses bei Woloczysk; mit Sachsen am 29. September 1869 rücksichtlich der Anschlüsse bei Weipert, Warnsdorf und Georgswalde, dann am 24. Dezember 1870 wegen Abänderung einiger Bestimmungen älterer Verträge; mit Bayern und der Schweiz am 27. August 1870 neuerdings wegen der Anschlüsse der Vorarlberger Bahn in Buchs, St. Margarethen und Lindau; mit Rumänien am 22. Februar 1873 wegen des Anschlusses in Itzkany (welcher Vertrag jedoch erst am 15. Februar 1881 ratifiziert wurde).