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II: VOM BEGINN DER LOKOMOTIVEISENBAHN-ÄRA BIS 1856.

1)    Die Ferdinands-Nordbahn.

Für die Nutzbarmachung der neuen Erfindung in Österreich wirkte zu allererst der damalige Chef des Wiener Hauses Rothschild, Freiherr Salomon Maier von Rothschild, der, ihre Tragweite sogleich ermessend, den ihm schon von früher her als Verfasser verschiedener Pferdebahnprojekte bekannten Professor der Wiener Polytechnik, Franz Riepl, wiederholt in Begleitung von Beamten des eigenen Hauses nach England entsendete, um die Lokomotiveisenbahnen an ihrer ersten Heimstätte kennen zu lernen, hernach auch im Inland vielfache Erhebungen und technische Vorarbeiten ausführen ließ und schließlich die Kaiser Ferdinands-Nordbahn schuf, welche weite Strecken der von Riepl und seinem ersten Reisebegleiter, Leopold Edlen von Wertheimstein, schon zu jener Zeit vorgeschlagenen großen Linie Stryj-Przemysl-Bochnia-Weißkirchen-Lundenburg-Wien-Bruck/M.-Wieselburg-Warasdin-Laibach-Triest samt Abzweigungen umfaßt und die älteste Lokomotiveisenbahn in Österreich ist.

Die staatliche Bewilligung zum Bau derselben erfolgte mittels des am 4. März 1836 dem Wechselhaus S. M. von Rothschild auf 50 Jahre verliehenen ausschließlichen Privilegiums zur Errichtung einer Eisenbahn zwischen Wien und Bochnia mit den Nebenbahnen nach Brünn, Olmütz und Troppau, dann zu den Salzmagazinen in Dwory, Wieliczka und Bochnia.

Die erste Generalversammlung der zur Durchführung dieser Unternehmung errichteten Aktiengesellschaft wurde am 25. April 1836 abgehalten; allein schon wenige Monate nachher war das Vertrauen in die Bestandfähigkeit einer Lokomotiveisenbahn durch feindselige Ausstreuungen so arg erschüttert worden, daß die provisorische Leitung der kaum ins Leben gerufenen Unternehmung sich bemüßigt sah, neuerdings eine Generalversammlung einzuberufen, um Aufschlüsse zu erteilen, die aufgetauchten Bedenken zu zer­streuen und den Aktionären die Frage: ob die Gesellschaft den bereits begonnenen Bau der ersten Abteilfing der Nordbahn von Wien nach Brünn fortsetzen oder sich wieder auflösen wolle, mit dem Beifügen vorzulegen, daß im letzteren Fall das Haus Rothschild alle Einlagen nebst Zinsen aus Eigenem zahlen und die aus dem Privilegium hervorgehenden Rechte und Pflichten rückübernehmen würde

Diese denkwürdige Versammlung, welche, wenn auch nicht für immer, so doch wahrscheinlich für lange Zeit hinaus über das Sein, oder Nichtsein der Lokomotivbahnen in Österreich zu entscheiden hatte und Dank dem herzhaften Eintreten Rothschilds sich für den Fortbestand des Unternehmens erklärte, wurde am 19. Oktober 1836 abgehalten. Der Bau wurde nun eifrigst weitergeführt, die erste Teilstrecke Wien-Wagram am 6. Januar 1838 und die ganze 143 km lange Strecke Wien-Lundenburg-Brünn am 7. Juli 1839 eröffnet.

Von da ab waren wohl auch noch der Schwierigkeiten genug zu überwinden, aber daran, daß die Eisenbahn keinen Bestand haben werde, glaubte niemand mehr. Die Ära der Lokomotiveisenbahnen war auch in Österreich für alle Zeit begründet.

 

2)    Wien-Raaber-Bahn.

Angeeifert durch die Gründung der Nordbahn unternahm Freiherr Simon von Sina in Gemeinschaft mit den Teilhabern seines Bankhauses ebenfalls die Errichtung einer Eisenbahn.(1)

Dieselbe sollte gewissermaßen den zweiten Teil des großen Riepl‘schen Projekts verwirklichen, da Freiherr von Sina sich anheischig machte, die von ihm zunächst angestrebten Linien Wien-Bruck a.d. L.-Raab und Wien-Wr.Neustadt-Ödenburg-Raab einerseits bis Triest (Kaiser Ferdinands-Südbahn) anderseits bis Ofen zu verlängern.

Die allerh. Baubewilligung vom 2. Januar 1838 lautete indes nur auf die erstgenannten Linien und deren Verlängerung bis Preßburg, daher auch die Bahn den Namen „Wien-Raaber Bahn“ erhielt. Als jedoch der im März 1831 begonnene Bau schon ziemlich weit vorgeschritten war, erhob der ungarische Landtag Einwendungen gegen die Ausführung der auf ungarischem Gebiet liegenden Strecken und beschloß (1841) die Herstellung einer am linken Donauufer von Pest über Preßburg nach Wien führenden Eisenbahn (ungar. Centralbahn), was die Wien-Raaber Eisenbahngesellschaft bestimmte, die Brucker Linie gänzlich aufzugeben, die andere Linie statt nach Ödenburg u.s.w. nach Gloggnitz zu führen und die Firma „Wien-Gloggnitzer Eisenbahngesellschaft“ anzunehmen.

Die erste Strecke (Baden-Wr.Neustadt) dieser bald danach – auf Grund der Konzession vom 4. Februar 1844 – auch mit Abzweigungen nach Laxenburg und nach Katzelsdorf (ungar. Grenze) ausgestatteten Bahn wurde am 16. Mai 1841, die letzte (Neunkirchen-Gloggnitz) am 5. Mai 1842 dem öffentlichen Verkehr übergeben.

 

3)    Die erste Staatsbahnphase. Anfang und Ende.

Bis dahin lediglich von der Privatthätigkeit abhängig, erhielt das österreichische Eisenbahnwesen nun von Seite des Staats kräftigen Vorschub, indem die allerh. Entschließung vom 19. Dezember 1841 den Bau von Eisenbahnen auf Staatskosten anordnete und zugleich eine erste Richtschnur für die Gestaltung des Eisenbahnnetzes gab, dahin zielend, daß ebenso auf den Zug des Welthandels (Hamburg-Triest) wie auf die Verbindung der einzelnen Teile des Reichs untereinander und mit der Haupt- und Residenzstadt desselben Bedacht genommen werde.

Die Durchführung dieser hochwichtigen Verfügung wurde von dem mit der obersten Leitung der ganzen Angelegenheit betrauten Präsidenten der Hofkammer, Freiherrn von Kübeck, mit großer Rührigkeit ins Werk gesetzt; am 1. April 1842 trat die k. k. Generaldirektion für Staatseisenbahnen, an deren Spitze der Hofrat Francesconi gestanden, in Wirksamkeit; im Herbst desselben Jahrs noch begann der Bau der Staatsbahnen – und zwei, bezw. drei Jahre später gelangten bereits die Strecken Mürzzuschlag-Graz und Olmütz-Prag zur Eröffnung.

Den Betrieb der staatlichen Linien führten jedoch einstweilen die nächstgelegenen Privatbahnen, nämlich: auf der nördlichen Linie die Nordbahn, welche inzwischen die Konzession auch für die Flügelbahnen Floridsdorf-Stockerau (1840) und Gänserndorf-Marchegg (1845) erhalten hatte, auf der südlichen dagegen die Wien-Gloggnitzer Bahn. Während der nächstnachfolgenden Jahre wurden die Fortsetzungsstrecken sowohl nach Bodenbach als gegen Triest und im Jahr 1848 auch die Semmeringstrecke Gloggnitz-Mürzzuschlag in Angriff genommen, welch letztere die von Karl Ritter von Ghega ausgeführte erste Überschienung der Alpen bildet und zu den hervorragendsten Eisenbahnbauten zählt. Abermals ein Jahr später gelangte auch die Karststrecke Laibach-Triest zum Bau.

Gleichwohl hielt die räumliche Entwicklung des österreichischen Bahnnetzes nicht gleichen Schritt mit dem Fortgang der Eisenbahnbauten im Ausland. Das Haupthemmnis bestand einerseits in der allerh. Entschließung vom 10. Juli 1845, vermöge deren bis zum Jahr 1850 die Konzessionierung neuer Privatbahnen ausgeschlossen war(2), anderseits aber in der Unzulänglichkeit der finanziellen Mittel, welche die Staatsverwaltung dem Eisenbahnbau zuzuwenden vermochte, besonders nachdem sie sich bemüssigt sah, sehr bedeutende Kapitalien vorerst (1847) zur Stützung und, als dies allein nicht ausreichte (1850-1854), zur völligen Einlösung mehrerer, meist außerhalb des Gebiets der Erblande gelegenen Privatbahnen, nämlich der Krakau-oberschlesischen Bahn (Slupun-Krakau nebst Abzweigung nach Granica), der ungarischen Centralbahn (Marchegg-Pest u.s.w.), der lombardisch-venetianischen Ferdinands- und der Mailand-Comoer Bahn und der Wr.Neustadt-Ödenburger Bahn, zu verausgaben.

Die Eisenbahnbehörde vermeinte jedoch, diese Widrigkeiten unschwer überwinden und das Staatsbahnsystem dauernd erhalten zu können. Ihre rühmliche Thätigkeit blieb denn auch fortgesetzt eine gleich unermüdliche.

Sie übernahm den Betrieb der staatlichen Linien in die eigene Regie, errichtete in Prag, Graz und Wien einheitlich organisierte k. k. Betriebsdirektionen (1850-1853), bewirkte die Fortsetzung, bezw. den Ausbau der eingelösten Privatbahnen, von welchen die galizischen Linien nunmehr „östliche Staatsbahn“ und die ungarischen Linien „südöstliche Staatsbahn“ genannt wurden, ließ die Wiener Verbindungsbahn und die Nord-Tiroler Bahn in Angriff nehmen, bewirkte den Ankauf der Gloggnitzer Bahn(3), um alleiniger Eigentümer der ganzen Linie  Wien-Triest zu sein, und schloß zum Zweck der Sicherstellung des Anschlusses der beiderseitigen Eisenbahnen die ersten Staatsverträge mit Sachsen (am 31. Dezember 1850 wegen des Anschlusses in Bodenbach und am 24. April 1853 wegen Herstellung der Zittau-Reichenberger Bahn), mit Baiern (am 21. Juni 1851 wegen des Anschlusses bei Salzburg und Kufstein - abgeändert am 21. April 1856), den italienischen Herzogtümern (1851) u.s.w. ab.

Als es sich aber zeigte, daß der gerade in jenem Zeitabschnitt auch für andere wichtige Zweige der Staatsverwaltung überaus in Anspruch genommene Staatsschatz kaum im stande sein werde, bloß mit seinen eigenen Mitteln gleichmäßig all den zahlreichen Anforderungen zu genügen, welche hinsichtlich des Baues von Eisenbahnen nun sozusagen auf einmal in den verschiedensten Provinzen des Reichs erhoben wurden, da entschloß sich die Regierung, hierbei eine neuerliche Mitwirkung der Privatthätigkeit zuzulassen.

 

4)    Eine neue Privatbahnphase.

Das erste Anzeichen hierfür war in der mit kaiserl. Verordnung vom 16. November 1851 hinausgegebenen Eisenbahnbetriebsordnung enthalten. Der Eingang des dritten Abschnitts derselben verweist nämlich in betreff der Art und Weise, auf welche die Konzession für eine Privateisenbahn zu erwirken sei, ausdrücklich auf ein Eisenbahnkonzessionsgesetz und ließ also folgern, daß die Absicht, neue Privatbahnen zu konzessionieren, wieder bestehe.

Thatsächlich vollzogen hat sich die Wendung aber erst mit der Verlautbarung der für alle Kronländer (ausschließlich Militärgrenze) gültigen Verordnung vom 14. September 1854 über die Erteilung von Konzessionen für Privatbahnen (Eisenbahnkonzessionsgesetz) und der unmittelbar darauf, am 10. November 1854, erfolgten Bekanntmachung des allerh. genehmigten Entwurfs für das österreichische Eisenbahnnetz; denn während das erwähnte Gesetz die bei Konzessionsbewerbungen vorhin in Übung gewesenen Förmlichkeiten verringerte, die Befugnisse und Verbindlichkeiten der Privatbahnen genau umschrieb, die Zeit, nach deren Ablauf die Bahn samt Zubehör (jedoch nicht auch die Fahrbetriebsmittel, besondere Realitäten u.s.w.) dem Staat unentgeltlich anheimfällt oder, mit anderen Worten, die Maximaldauer der Konzession von 50 auf 90 Jahre erweiterte, die Gewährung staatlicher Zinsengarantien oder sonstiger Unterstützungen in Aussicht nahm, also der Unternehmungslust neuen Antrieb gab - zeigte der Entwurf des Eisenbahnnetzes das weite Feld, welches nun der Eisenbahnbauthätigkeit erschlossen ward.

Diese Maßnahmen riefen in der That sofort die gewünschte Anteilnahme der Privatthätigkeit hervor, aber sie führten auch bald weit über diesen ihren ursprünglichen Zweck hinaus.

Französische Geldkräfte, welche die neue Sachlage in umfassender Weise zur vorteilhaften Unterbringung ihrer Kapitalien benutzen mochten, verbanden ihre Konzessionsbewerbungen mit Anträgen auf käufliche Erwerbung staatlicher Linien, denen die Regierung – vorwiegend aus finanziellen Gründen – willfahrte.

So wurde gleich am 1. Januar 1855 der Verkauf der nördlichen und südöstlichen Staatsbahn (Bodenbach-Brünn, bezw. Olmütz, Marchegg-Pest-Szegedin u.s.w.) an die Gründer der Staatseisenbahngesellschaft abgeschlossen, im Jahr 1856 das lombardisch-venetianische Netz, dann im Jahr 1858 die südliche Staatsbahn (Wien-Triest samt Nebenlinien), die Tiroler Bahn u.s.w. den Gründern der Südbahngesellschaft, ferner die östliche Staatsbahn einesteils an die Nordbahn, andernteils an die Gründer der ostgalizischen (Carl Ludwig-) Bahn abgetreten, bezw. auf 90 Jahre konzessioniert, hierbei die staatliche Zinsengarantie zugestanden, somit ein weiterer Systemwechsel – das gänzliche Aufgeben des Staatsbahnprincips und die Ausstattung von Privatbahnen mit staatlichen Garantieleistungen – vollzogen.

Außer den eben genannten großen Unternehmungen entstanden in jener Periode noch die Kohlenbahnen: Brünn-Rossitz (1854), Graz-Köflach, Prag-Lana-Wejhybka-Kralup (Buschtehrader Bahn, 1855) und Aussig-Teplitz, ferner die mit Staatsgarantie bedachten Unternehmungen: Elisabeth-Bahn (Wien-Salzburg u.s.w.), welche nach Jahresfrist die alte Budweis-Linz-Gmundener Bahn („Erste österr. Eisenbahn“) in sich aufnahm, südnorddeutsche Verbindungsbahn (Pardubitz-Reichenberg), Kärntner Bahn (alsbald mit der Südbahn vereinigt), böhmische Westbahn (Prag-Pilsen) und Carl Ludwig-Bahn (Krakau-Lemberg u.s.w., 1857.(4)

Fast alle diese Linien wurden gleichzeitig in Ausführung genommen, was jedoch die Bauarbeiten nicht beeinträchtigte. Dieselben gingen vielmehr auf den neuen wie auf den alten Strecken (darunter jene über die norischen und julischen Alpen – die Semmering- und Karststrecke) mit erfreulicher Raschheit vor sich, so daß das österreichische Eisenbahnnetz, welches Ende 1846, d.i. nach Ablauf des ersten Decenniums seiner Lokomotiveisenbahnära eine Ausdehnung von 900 km besaß, am Schluß des Jahrs 1856 bereits eine Gesamtlänge von 1790 km hatte.(Hierin sind die Bahnen in den vormals italienischen Provinzen Österreichs nicht enthalten.)

Angesichts der raschen Ausbreitung der nun durchweg privaten Eisenbahnen sorgte die Regierung durch die Errichtung der k. k. Generalinspektion der österreichischen Eisenbahnen für eine weitreichende staatliche Beaufsichtigung des Eisenbahndienstes. Der Wirkungskreis dieser als ein Organ des Handelsministeriums fungierenden Behörde erstreckte sich vermöge der am 8. März 1856 hierüber erlassenen Instruktion auf die Überwachung der Sicherheit und Regelmäßigkeit des Betriebs, auf die Kontrolle der genauen Einhaltung aller einschlägigen Vorschriften, sodann aber, nachdem die Centraldirektion für Eisenbahnbauten infolge des Aufhörens der staatlichen Bauthätigkeit aufgelöst wurde, auch auf bauliche Angelegenheiten.