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IV: „Wasserstraße“ und „Dampfschiff“ – Die beiden „Grossen Transportsysteme“ des frühen 19. Jahrhunderts. Wie die „Eisenbahn“ schließlich ihren Siegeszug antrat.

1)    Der „Erie-Kanal“(Albany/NY-Buffalo, 1825) und die „Eisenbahn“.

Der grundsätzliche Gedanke, das damalige US-Gebiet mittels „Großer Infrastruktur-Projekte“(= „Internal Improvements“) in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht zu heben, war eigentlich schon alt, als man am 4. Juli des Jahres 1817 endlich den Bau des sogenannten „Erie-Kanals“ von Albany im Staat New York bis nach Buffalo am Strand des „Erie-Sees“ begann. Die Eröffnung erfolgte sodann im Oktober 1825.(Vgl. zu diesem Beitrag v.a. GERSTNER 1839: 1 ff.)

Der „Erie-Kanal“(Albany/NY-Buffalo) heute:

Copyright: Elmar Oberegger

Der Wellandkanal und die St.Lorenz-Passage(nach dem Ausbau) sollen ihm schließlich den Rang ablaufen. Heute ist er nur noch von touristischer Bedeutung.

Die Vermittlerrolle von Albany zwischen dem Atlantikhafen New York einerseits und dem Gebiet an und bei den „Großen Seen“(Michigan, Indiana, Illinois, Ohio) andererseits bekam damit eine völlig neue, in der Tat höchst fortschrittliche Bedeutung.(s. Karte)

Albany/NY heute:

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Oder anders betrachtet: Seit 1825 existierte eine „Leistungsfähige Wasserstraßen-Linie“ zwischen dem Hafen New York und seinem nordwestlichen Hinterland. Auch Passagiere wurden befördert.

Das Gebiet der „Großen Seen“ – Eigentlich ein Binnen-Meer mit höchst ungünstigem Küstenverlauf:

Copyright: Elmar Oberegger

Dieses „Internal Improvement-Project“ wurde zur finanziellen Erfolgs-Story: Der vom Staat New York einst aufgenommene Kredit war alsbald getilgt, und fortan strömte reichlich der Gewinn in die Kasse. Und dies trotz des Umstandes, dass sowohl der neue Kanal als auch der Hudson jeden Winter unbrauchbar wurden.

Schleuse am Erie-Kanal(Alte Zeit):

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Treidel-Transport am Erie-Kanal um 1900:

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Allein das Verkehrsaufkommen außerhalb der Winterzeit(!) rechtfertigte sofort den Ausbau des Kanals, welcher sodann über die Jahrzehnte hinweg weiterhin betrieben werden soll.

Hinsichtlich des „Systems Eisenbahn“ – 1808 im US-Kongress noch grundsätzlich als „relativ unbrauchbar“ definiert(Vgl. LEYEN 1923) – ist nun historisch bemerkenswert(!), dass es hinsichtlich der Relation Albany-Buffalo plötzlich wirtschaftlich interessant wird; und dies nicht etwa deshalb, weil der Verkehr auf dem Kanal in der Winterzeit stillstand. Nein, vielmehr fungierte das System hier als (untergeordnetes) „Hilfs-System“ des Kanal-Verkehrs.

Die „Erste Eisenbahnlinie“ entlang des Erie-Kanals wurde schon im Jahre 1833 – also nur 8 Jahre nach dessen Verkehrsübergabe(!) – eröffnet. Sie führte von Albany nach Schenectady und gehörte einer „Eigenen Gesellschaft“.

Über die folgenden Jahre kam es zur Errichtung weiterer 6 Abschnitte, welche ihrerseits jeweils „Eigenen Gesellschaften“ gehörten – War die Kanal-Passage zuvor in „Schleusen-Abschnitte“ zerfallen, so zerfiel das „Hilfs-System Eisenbahn“ nun in „Gesellschafts-Abschnitte“.

Man soll aber in der Folge über dieses Konzept noch weit hinausgehen: Alsbald war eine Eisenbahn  von New York bis Albany(= „Hudson-Bahn“) i. Bau, ferner eine „Direttissima“ von New York bis zum Strand des Erie-Sees.(Vgl. GERSTNER 1839: 2 ff.)

Der „Erie-See“ bei Buffalo:

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Der Plan für eine solche Direttissima geht bereits auf das Jahr 1832 zurück.(Vgl. LEYEN 1912) Ab diesem Zeitpunkt hatte sich also die ausschließliche Bedeutung der Eisenbahn als „Hilfs-System entlang des Erie-Kanals(bzw. entlang der Wasserstraße New York-Buffalo)“ bereits aufgelöst, vielmehr erscheint sie im Verkehrsgeschehen als völlig selbständiges Moment in Konkurrenz zum Kanal. Ein Paradigmenwechsel.

Doch historisch interessant ist:

Dem Kanal-Verkehr schadete dieses Hervortreten des Eisenbahnsystems ökonomisch kaum. Es waren ganz andere Momente, welche das System „Erie-Kanal“ schließlich zum Einsturz brachten(Wellandkanal, ausgebaute St.Lorenz-Passage).

 

2)    Die (Binnen-)Dampfschiffahrt und die „Eisenbahn“.

Es war der Ingenieur Robert Fulton(1765-1815) aus Pennsylvania, welcher die legendär gewordene Epoche der „US-Dampf-Schiffahrt“ einleitete.(Siehe etwa HENNIG 2007: 68)

Ingenieur Robert Fulton(1765-1815):

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Er baute auch das erste U-Boot(„Nautilus“, 1805).

Schon im Jahre 1807 – also noch lange vor Errichtung des „Erie-Kanals“(s.o.) – wurden unter seiner Ägide die „Ersten Dampfschiffs-Kurse“ von New York bis Albany(Hudson-Linie) durchgeführt.

Das „Fultonsche Dampf-Schiff“ am Hudson:

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Fulton ging sodann nach Europa, doch dort glaubte niemand so richtig an seine „Neue Technologie“.

In den USA aber gelangte sein „Dampfschiff-Konzept“ letztlich zum historischen Durchbruch und löste am US-Verkehrssektor eine wahre „Revolution“ aus. Ab 1811 wurde der Ohio per Dampf befahren, ab 1817 der Mississippi, ein Jahr später schon das Seengebiet. 1819 begann der Gütertransport. Dabei nahm man nicht selten Boote einfach ins Schlepptau.(Vgl. zu diesem Abschnitt GERSTNER 1839: 35 ff.)

Das „Wasserstraßen-Netz“ der USA um 1930(ohne Alaska):

Copyright: Elmar Oberegger

Bisher hatte man auf den Flüssen mit Segel, Ruder oder Stangen ausgerüstete Barken verwendet, deren Beförderung stromaufwärts schwierig war. Im Mai 1817(n. Gerstner 1839: 36)  fuhr das Dampfschiff „Enterprise“ von New Orleans stromaufwärts auf Mississippi und Ohio bis nach Louisville.

Früher hatte man für diese Strecke ganze 3 Monate(!) gebraucht, die „Enterprise“ war jedoch schon in 25 Tagen am Ziel. Die Bewohner von Louisville waren aufgrund dessen höchst entzückt und brachten dem Kapitän größte Ehrungen entgegen. Und in der Tat: Eine derartige Fahrzeitverkürzung war schlicht „revolutionär“.

Die „Enterprise“: New Orleans-Louisville in 25 Tagen!(1817)

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Die US-Dampfschiffe waren je nach den geographischen Erfordernissen konstruiert. Gerstner schreibt darüber 1839:

Die Dampfschiffe in America, und die auf denselben gebrauchten Maschinen sind von dreierlei ganz verschiedener Construction. Jene auf den östlichen Gewässern(= Hervorhebungen d.Verf.), wohin man die Seeküste von Boston bis Charleston und alle daselbst einmündenden Flüsse rechnet, brauchen Condensations-Maschinen mit grossen aufrecht stehenden Cylindern und langem Kolbenzuge; die grössern Boote gehen meistens nur 5 bis 7 Fuss tief im Wasser, und haben eine Geschwindigkeit von 10 bis 15 engl. Meilen per Stunde. Auf dem Hudson-Flusse wird die Strecke von New York bis Albany, von 145 Meilen Länge, stromaufwärts in 11 bis 12 Stunden, und stromabwärts in 9 Stunden zurückgelegt, worunter die Aufenthalte an 15 bis 20 Orten wegen Zu- und Abgang der Passagiere begriffen sind; während der wirklichen Fahrt werden häufig stromabwärts vier und stromaufwärts drei deutsche Meilen gemacht … Die Dampfschiffe im Westen oder auf den ‚Western Waters‘ sind durchaus sehr flach gebaut, und gehen mit Ladung gewöhnlich 5 Fuss, manche aber auch nur 30 bis 36 Zoll tief. Wo nur 30 Zoll oder weniger Wassertiefe vorhanden ist, wird blos die Maschine und das Brennholz, nebst den Cajüten für die Mannschaft auf dem Dampfboote angebracht, und dann zwei oder drei Boote mit Gütern beladen an Tauen angehängt … Alle Dampfschiffe auf den western waters haben Hochdruckmaschinen, mit einer Spannung des Dampfes von 60 bis 100 Pfund per Quadrat-Zoll. Gewöhnlich sind zwei Maschinen vorhanden, deren jede ein Wasserrad für sich betreibt. Die Cylinder der Maschinen liegen horizontal, ihr Kolbenzug misst 8 bis 10 Fuss, und der Dampf wird gewöhnlich bei 5/8 des Kolbenzuges abgeschnitten, worauf er in der übrigen Länge durch Expansion wirkt. Der entweichende Dampf wird zum Erhitzen des aus dem Flusse gepumpten Wassers verwendet. Die dritte Gattung der Dampfschiffe kommt auf den grossen Seen im Norden und Nordwesten der Union vor; diese Schiffe gehen gewöhnlich viel tiefer, als die vorgenannten, und es werden auf den­selben theils Condensations-, theils Hochdruckmaschinen gebraucht“(: 37 f.).

Gerstner gibt uns in seinem Bericht auch einen kurzen Einblick in den Reisealltag auf einem US-Passagier-Dampfschiff:

„Ich fuhr am 23.November 1838 mit dem Dampfboote ‚North-America‘ von New-York  nach Albany; da am nächsten Tage der Fluss schon zur Hälfte mit Eis bedeckt war, so ging bereits viel Treibeis herab; das Boot ging Abends um 5 Uhr von New-York ab, und kam am folgenden Morgen um 7 Uhr in Albany an; wir hatten also mit Einschluss alter Aufenthalte über 10 engl. Meilen in der Stunde stromaufwärts zurückgelegt. Die Länge des Schiffes beträgt 200 Fuss, seine grösste Weite 26 Fuss; es hat zwei Verdecke, wovon das untere, auf welchem die Maschine ruht,  gegen  drei Fuss über dem Wasserspiegel liegt; im obern Verdecke ist der grosse Speisesaal mit rings herum angebrachten Betten  für die Herren, und nebstbei ein zweiter Saal mit Betten für die Damen. Der Speisesaal ist mit einer Platform bedeckt, worauf man sich während des Tages aufhält; im Sommer wird auf dieser Plattform ein Zelt aufgeschlagen. Wir waren 320 Personen(Cabin Passengers) am Bord, welche in zwei Abteilungen zu Nacht speisten, und deren jeder sodann in einem Bette schlief; es mussten aber viele Betten auf eigenen Gestellen im Speisesaal aufgemacht werden. Da durchaus noch ein hinreichender Raum übrig blieb, so kann man hieraus auf den Coloss eines solchen schwimmenden Gebäudes schliessen“(: 37).

Gerstner fielen übrigens die durchaus zahlreichen Kessel-Explosionen auf den Schiffen auf und erarbeitete diesbezüglich mehrere Erklärungen. Die folgende ist besonders in mentalitätsgeschichtlicher Hinsicht nicht uninteressant:

„Die Americaner sind bekanntlich das unternehmendste Volk der Welt, die mit Recht von sich sagen: ‚We always go ahead‘(Wir gehen stets mit dem Kopfe voran), Die hiesigen Democraten wollen sich von keinem ihrer Mitbürger zurückgesetzt sehen; im Gegenteile will jeder dem andern voraneilen. Kommen zwei Dampfboote einander in die Nähe, so fordern augenblicklich alle Passagiere den Capitän auf, in die Wette zu fahren, und nun beginnen die races(Wettfahrten) ohne Maass und Ziel. Der Kessel, welcher für einen Druck von höchstens 100 Pfund per Quadratzoll berechnet ist, wird durch den immer und immer stärkern Dampf bis auf 150, ja 200 Pfund, und oft so weit probirt, bis die Probe mit einer Explosion endigt; an den wenigsten Kesseln sind nämlich Platten wie in Europa angeschraubt, die bei einer gewissen Temperatur schmelzen. Die races sind anerkannter Weise die Veranlassung der meisten Explosionen, und doch finden sie noch fortwährend Statt. Das Leben eines Americaners ist ja eigentlich ein beständiges Racing, warum sollte er jenes auf den Dampfschiffen so sehr fürchten“(: 45)?

Transportgeschichtlich ist aber nun folgende Bemerkung Gerstners von Bedeutung. Er schreibt 1839, also ca. drei Jahrzehnte nach Einführung des ersten Dampfschiffes:

„Die Reisen auf Dampfschiffen entlängst der Seeküste haben … durch Anlage der Eisenbahnen im Innern des Landes in einer zu diesen Küsten mehr oder minder parallelen Richtung grossentheils aufgehört, und werden nach Vollendung des Eisenbahnnetzes wohl beinahe ganz aufhören …“(: 36).

Auch hier erkennen wir also bereits klar eine Konkurrenzierung des Systems „Dampfschiff“ durch die „Eisenbahn“.

Den Paradigmenwechsel schlechthin hatte jedoch schon die „Baltimore-Ohio-Eisenbahngesellschaft“(Vgl. dazu DILTS 1996) um die Mitte der 1820er Jahre eingeleitet, indem sie die Errichtung eines Schienenweges von der Handels- und Hafenstadt Baltimore bis Wheeling am Ohio ins Auge fasste(s. Konzessionen vom Frühjahr 1827). Die Anlage gewisser Zweigbahnen – so z.B. nach Washington(vollendet 1835) – war ebenfalls vorgesehen. In Wheeling sollte ein Bahn/Schiff-Terminal entstehen – Von dort aus war sowohl der Weg ins Seengebiet(damals noch via Cleveland am Eriesee) als auch der Weg hinunter nach New Orleans möglich.

Der Hauptstrang der „Baltimore-Ohio-Eisenbahn“:

Copyright: Elmar Oberegger

Man hatte sich deshalb für das „System Eisenbahn“ entschieden, da die Errichtung eines „Kanals“ über die Appalachen als allzu schwierig und teuer erschien. Spät aber doch wurde Wheeling am 24. Dezember 1852 erreicht.

Bemerkenswert ist, dass es dieser Eisenbahn gelungen ist, noch vor der Fertigstellung ihres Hauptstranges das Kanalprojekt Washington-Ohio(= „Grand Old Ditch“, begonnen 1828) wirtschaftlich zu ruinieren(1850): Es endete schließlich unvollendet in Cumberland, ca. 300 Kilometer vom Ohio entfernt. 1924 soll dieser Kanal sodann aufgelassen werden. In der Folge wurde dort ein National Historical Park” eingerichtet.(Vgl.CAMAGNA 2006)

Zwischen 1830 und 1850 wuchs das US-Eisenbahnnetz von ca. 64 km auf ca. 13799 km(!) an(s.o.) – Ein wahrer Siegeszug!

Es ist nicht bestreitbar, dass es die „Baltimore-Ohio-Eisenbahngesellschaft“ war, welche im Bereich des „Großen Verkehrs“ mit größter Entschlossenheit ein ganz neues Paradigma setzte; andererseits aber ist auch zu bedenken, dass man sich in den USA zunehmend „Verkehrsproblemen“ gegenübersah, welche mittels „Wasserstraße“ nicht befriedigend zu lösen gewesen wären.

Abschließend noch ein paar Daten zur Geschichte des „US-Wasserstraßensystems“:

Gerstner wurde 1839 berichtet, dass im Land allein per Dampfschiff ca. 161.000 Kilometer befahren würden.(Vgl.: 36) Für 1922 ist überliefert, dass das System nur noch ca. 52.400 km betrug.(Vgl. RIEDEL 1928: 176) In heutiger Zeit besitzt das System eine Ausdehnung von ca. 41.000 km. Es ist zwar noch von volkswirtschaftlich nicht zu unterschätzender Bedeutung, jedoch aber im Vergleich zum Eisenbahnsystem auch in qualitativer Hinsicht stagnativ geprägt. Für nötige Ausbaumaßnahmen fehlen schlichtweg die Mittel.

 

Quellen und Verweise:

CAMAGNA Dorothy: The C&O Canal. From Great National Project to National Historical Park. –Gaithersburg 2006.

DILTS James D.: The Great Road. The Building of the Baltimore and Ohio, the Nation’s First Railroad. 1828-1853. –Stanford 1996.

GERSTNER Franz A.: Berichte aus den Vereinigten Staaten von Nordamerica. Über Eisenbahnen, Dampfschiffahrten, Banken und andere öffentliche Unternehmungen. –Leipzig 1839.

HENNIG Klaus J.: Ein Mann macht Dampf – Über und unter Wasser. Wie der amerikanische Technikpionier Robert Fulton vor 200 Jahren den Schiffbau revolutionierte. In: Die Zeit 33 (2007), S. 68.

HULBERT Archer B.: The Great American Canals. 2 Bde. –Cleveland 1904.

LEYEN Alfred: Eriebahn. In: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. Hrsg. v. Victor Röll. –Berlin/Wien 1912.

LEYEN Alfred: Vereinigte Staaten von Amerika. In: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. Hrsg. v. Victor Röll. –Berlin/Wien 1923.

POOR Henry V.: Railroads and Canals of the United States of America. –New York 1860.

RIEDEL Johannes(Hrsg.): Knaurs Weltatlas. –Berlin 1928.

Wiki-Artikel: “Wasserstraßen USA”, „Erie-Kanal“,“Grand Old Ditch“, “Baltimore &. Ohio-Railroad“.

 

Copyright: Elmar Oberegger 2012.