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III: Wirtschaft und Gesellschaft, Allgemeine Netzgeschichte. Zur Bedeutungsgeschichte des Systems „Eisenbahn“. 1) Das „Wirtschaftswunderland USA“. Zum Slogan „Go West, young man“! Das geheimnisvolle Bankensystem. “Kommunikation” und “Nation”. Johannes Riedel beschreibt uns im Jahre 1928 in „Knaurs Weltatlas“ die USA regelrecht als „Wunderland“(: 171 ff.). „Die Vereinigten Staaten von Amerika – auch U.S.A.(Abkürzung für United States of America) oder kurz Union genannt – sind die unbestrittene wirtschaftliche und politische Vormacht der Erde geworden. Ihr ungeheurer Reichtum hat ihnen bei der Kapitalnot der übrigen Länder diesen Vorsprung verschafft. Die Gaben der Natur übertreffen aber auch die aller anderen Länder. In den weiten Prärien des Mississippi reifen über drei Viertel der Maisernte der ganzen Welt, zwei Fünftel der Welt-Weizenernte werden hier geborgen. Im Süden werden zwei Drittel der Baumwolle der Erde gewonnen, und auf beiden Seiten des Alleghanygebirges steht über die Hälfte allen Tabaks der Weltproduktion auf den Feldern“. Mähdrescherkolonne(1957) in Montana:
Nachlass Theodor Eckerstorfer „Zuckerrohr gedeiht an der Südküste, die Reisfelder von Carolina und der Hopfenanbau liefern gleichfalls reiche Erträge. Der Nordosten läßt Obst – vor allem Äpfel – reifen; dazu gewinnt Kalifornien Wein und Südfrüchte, Florida Ananas und Bananen. Die Vorräte an Holz sind durch Raubbau etwas beeinträchtigt worden, aber noch gewaltig. Die reiche Futterernte ernährt unübersehbare Herden von Rindern, Pferden, Schafen und Schweinen; durch Milchverwertung, Wollgewinnung und Versandschlächterei (packing) verdienen die nördlichen Staaten große Summen. Diesen Ziffern fügen sich die Erträge des Fischfanges ein, der an der Ostküste von Alaska und an der Neufundlandbank mit besonderem Erfolge betrieben wird; ebenso ist die Austernzucht äußerst ergiebig. Dies alles wird aber durch den Reichtum an Bodenschätzen in den Schatten gestellt! Die Vereinigten Staaten gewinnen fast drei Viertel des gesamten Petroleums, die Hälfte des Kupfers der Welt. Außerdem nehmen sie im Abbau von Kohle, Eisen, Blei, Zinn, Aluminium, Naturphosphat, Schwefel, Naturgas und Salzen die erste Stelle der Erde ein, in der Quecksilber - und Silbergewinnung die zweite und in der Golderzeugung die dritte. Die großen Vorräte an Braunkohle werden zur Zeit kaum ausgenutzt. Während aber andere Länder meist ihre Rohstoffe gegen Fertigwaren austauschen, stellt die Industrie der Union weit über den. Bedarf des eigenen Landes Erzeugnisse her. Fast 90% des Automobilbaues, über 70% der Gummi- und Seiden Verarbeitung, 57% der Maschinenproduktion, fast die Hälfte der elektrischen, chemischen und der Papierindustrie, der Eisen- und Stahlerzeugung, sowie der Ausnutzung von Wasserkräften(für Elektrisierung und für Berieselung der Felder) der ganzen Erde entfallen auf die Vereinigten Staaten, die natürlich auch in anderen Branchen (Textilindustrie, Kunstseide) hervorragend beteiligt sind“. Industriehafen der Ford-Werke(1959):
Nachlass Theodor Eckerstorfer „Doch auch die ausgedehnteste Industrie kann die unermeßlichen Rohstoffmengen nicht verarbeiten, und so kann die Union mehr Rohstoffe und Fertigwaren ausführen, als sie an Zufuhr aus anderen Ländern bedarf. Dadurch wird ein großer Strom von Geld in das schon so reiche Land gelenkt: Amerika ist der Geldgeber der Erde geworden, New York die Weltbörse, der Weltmarkt, der sich durch die Zinszahlung der Schuldner neue Einnahmequellen erschließt. Zu diesen Vorteilen kommt die gesicherte Lage des Staates. Einen beachtenswerten Wettbewerb braucht er auf dem eigenen Kontinent nicht zu fürchten; er kann seine Willenskraft und sein Kapital unverkürzt dem Wirtschaftsleben zugute kommen lassen. Ferner berührt die Union an drei Küsten, die durch Erbauung des Panamakanals in enge Verbindung gebracht worden sind, das Weltmeer und hat so nach allen Ländern der Erde leichten Zugang. Der Verwaltungssitz des aus 48 Staaten, einem Bundesdistrikt und zwei Territorien bestehenden Bundesstaates ist Washington. Den Herzschlag der Union verspürt man aber am besten in New York. Der jederzeit eisfreie Hafen, die vorzügliche Verbindung im Hudsontal nach den großen Seen förderte die Entwicklung der Stadt“. New York City(um 1960):
Nachlass Theodor Eckerstorfer „Nachts von der Spitze des Empire State Buildings auf die Stadt hinabzuschauen – welch malerisches Erlebnis! Hinunterzusteigen aber und durch die Straßen zu gehen kann ein recht anderes Erlebnis werden … Vielleicht wird eines nicht fernen Tages die City nur noch ein riesiger Slum sein … Vielleicht werden selbst die Wolkenkratzer veröden, überzählige Monumente einer vergessenen Blütezeit“(Henry Miller 1979). „Das Tal des Mississippi, das vor dem Bau der Überlandbahnen von Süden her das Land erschloß, hat erst durch Eröffnung des Panamakanales wieder an Bedeutung gewonnen. Die Wirtschaft der Union weist also überwiegend Lichtseiten auf“. Schon ein Jahr später soll es in New York zu einem denkwürdigen Ereignis kommen: Die „Weltwirtschaftskrise“ brach aus und auch im Land selbst stellte sich erstmals massiv die „Soziale Frage“, auf die man bis heute keine befriedigende grundsätzliche Antwort gefunden hat. Vielleicht ist es aber auch völlig „un-US-amerikanisch“ nach einer solchen zu suchen, wird doch „Freiheit“ traditionsgemäß(!) viel höher bewertet als „Soziale Sicherheit“. In der Tat waren die Vorfahren der heutigen US-Amerikaner ins Land gekommen, um sich „frei zu entfalten“, und nicht um sich „vom Staat versorgen zu lassen“. Derjenige, der unfähig ist, sich „frei zu entfalten“, ist daran selbst schuld – So die simple US-Grundideologie. Die „Liberty“(New York):
Nachlass Theodor Eckerstorfer Bis zu jenen paradiesischen Zuständen, welche uns Riedel beschreibt, war es jedenfalls ein langer und harter Weg: Aus „unorganisierten Gebieten“ wurden „Territories“, und aus diesen sodann (mehr oder weniger) „Blühende Staaten“. Dass die Ureinwohner(sog. „Indianer“), welche sich mit ihrer grundsätzlichen (vielleicht höchst vernünftigen) Lebens- und Weltanschauung(= „Man kann Geld nicht essen“) nicht in die „Welt der Weißen“ integrieren konnten, und im Laufe der Zeit existentiell fast völlig untergingen, ist ein anderes Problem. Diese Historische Tragödie sei hier zumindest angesprochen. Übrigens ist es sowohl in wissenschaftlicher als auch in politischer Hinsicht höchst bedenklich, dass der „Geschichte der Ureinwohner“ im USA-Band der Fischer Weltgeschichte(1977) kein einziges Kapitel gewidmet ist. Schlacht am Little Bighorn(1876):
WIKI GEMEINFREI Dass die „West-Kolonisation“, getragen vom Slogan „Go West, young man!“, grundsätzlich eng mit dem Problem der „Industrialisierung im Osten“ zusammenhängt, ist offensichtlich: Rationalisierung bedeutet immer auch die Produktion von überschüssigen Arbeitskräften. Zwar gingen wohl nur sehr wenige städtische Proletarier als Farmer in den Westen, aber der Abzug der östlichen Farmer in Richtung Westen nahm gewissermaßen den Druck aus dem Arbeitsmarkt heraus. Hätte es die „Perspektive West“ nicht gegeben, dann hätten deren Söhne in die Städte gehen müssen, um sich ihr tägliches Brot zu verdienen.(Vgl. dazu KILLICK 1977: 153 f.) In Europa selbst hatte man diese Perspektive nicht und so musste sich bereits im 19. Jahrhundert der Denker Georg Hegel(1770-1831) intensiv mit dem – übrigens bis heute völlig ungelösten – Gegensatz zwischen „Kapital-Akkumulation“ und „Arbeitslosen-Erzeugung“ auseinandersetzen. Für ihn, den „Philosophen der Bürgerlichkeit“, war es undenkbar, die Armen per Almosen mitzufüttern. Ebenso schied für ihn das Mittel aus, sozial gestützte Jobs zu schaffen. Beides verstoße vor allem gegen die „(Freiheitlich-)Bürgerliche Ideologie“. Allein in der „Kolonisation“ erblickte er ein taugliches Mittel zur Lösung des Problems.(Vgl. „Rechtsphilosophie“, § 248) Er unterscheidet zwischen: a) Sporadischer Kolonisation. Dies bedeutet die Abwanderung von Menschen aus einem bestimmten Staat ohne weiterhin mit diesem verbunden zu sein. So gingen etwa viele Deutsche in die USA und wurden dort schließlich „Staatsbürger“. b) Systematischer Kolonisation. Dies bedeutet die Abwanderung von Menschen aus einem bestimmten Staat in Gebiete, welche diesem gehörten. So existierte schon lange vor Hitler(!) in manchem deutschen Gelehrtenkreis die Idee, „Lebensraum im Osten“ zu erobern. Dort könne das „Deutsche Volk“ endlich „so richtig durchatmen“. In den USA besonders des 19. Jahrhunderts kannte man „Atem-Probleme“ dieser Art gar nicht – Die Weite des Westens verhinderte jeglichen „Stau“. Und zu bemerken ist: Zusätzlich dem „Gedanken der Freiheit“ zu 100% verhaftet, war man bzgl. Armenfürsorge bzw. Versorgungs-Jobs in den USA auch in den unteren Schichten zu 100% der Meinung Hegels. Blockhütten im Westen(Mitte 19. Jh):
Aus: Fischer Weltgeschichte 30/77, 148. Man ging aber nicht nur freiwillig(!) in den Wilden Westen, sondern auch hinauf ins Rauhe Alaska, um „Neues Lebensglück“ zu finden. Die Russen hingegen taten sich schwer, ihre Leute auf freiwilliger Basis(!) massenhaft nach Sibirien – dessen Reichtum an Ressourcen im 19. Jahrhundert schon bekannt war – zu bringen. Man hatte dort eben einen ganz anderen Begriff von „Freiheit“. Jeder, der nicht als Häftling nach Sibirien geschickt wurde, konnte sich schon zu einem gewissen Grad „frei“ fühlen. Anfang des 19. Jahrhunderts wurden ca. 2000 Menschen jährlich deportiert, Ende des 19. Jahrhunderts waren es bereits 20.000.(Vgl. dazu THOMAS 1982) Die „West-Kolonisation“ in den USA war also – um auf Hegel zu rekurrieren(s.o.) – letzten Endes systematisch strukturiert, da der Kontakt zum Herkunftsland nicht abriss. Siedlerfamilie vor ihrem Heim(1880):
Aus: Fischer Weltgeschichte 30/77, 149. Der wirtschaftliche Erfolg der USA ist nicht zuletzt auf sein Bankensystem zurückzuführen, welches dem Europäer des 19. Jahrhunderts in der Tat unorthodox vorkam. Bezeichnend in Gerstners entsprechendem Bericht ist, dass er dieses System nicht mit eigenen Worten(!) schildert, sondern lieber einen Wagenbauer aus Philadelphia zu Wort kommen lässt. Dort heißt es: „Ich besuchte in Philadelphia einen Wagenbauer, der wegen seiner Geschicklichkeit allgemein bekannt ist, bisher aber noch kein Vermögen erwarb, indem er Alles auf fortwährende Versuche in Abänderung der Construction der Eisenbahn-Wagen verwendete. Können Sie eine grössere Bestellung übernehmen? fragte ich den Mann. – O ja, ich übernehme eine Bestellung von 20,000 Dollars und noch weit mehr, und verlange blos bei Ablieferung der Wagen Bezahlung in Wechseln auf 6 Monate Zeit – Aber wie wollen Sie diess anstellen, ohne bar Geld zu besitzen? erwiderte ich. –Nichts leichter als dieses, war die Antwort. So wie ich nämlich den Contract abgeschlossen habe, gehe ich in ein grosses Holz-Depot und suche mir den ganzen Bedarf von Holz und Bretern aus; der Holzhändler gibt mir auf blosse Vorweisung des Contractes Credit für wenigstens 8 Monate, innerhalb welcher ich die Bestellung ausführe. Auf gleiche Art erhalte ich. Eisen, Leder, Messing und was ich sonst benöthige gegen Credit von 8 Monaten. Nun bedarf ich aber noch baar Geld, um jede Woche meine Arbeiter zu bezahlen; ich stelle einen Wechsel aus, den ein oder zwei Freunde indossiren und welchen ich bei der Bank verkaufe; so arbeite ich ruhig fort, und wenn ich nach Ablieferung der Wagen mit Wechseln auf 6 Monat Zeit bezahlt werde, so rechne ich mit dem Holzhändler und allen Andern ab, und bezahle sie mit den empfangenen Wechseln. Der Holzhändler selbst, fuhr der Mann fort, hat seinen Lagervorrath bei weitem nicht bezahlt, er erhielt das Holz aus dem Innern des Landes von Waldbesitzern, welchen die Banken schon Vorschüsse darauf machten, wie man im Walde zu fällen anfing; derselbe Fall ist bei dem Eisenhändler und allen Anderen, die mir creditiren; sie geben mir Waaren auf Credit, welche sie selbst noch nicht bezahlten, die ersten Erzeuger haben aber bereits von den Banken bedeutende Vorschüsse hierauf erhalten“(1839: 30 f.). Der Wagenbauer zieht sodann gleich im Anschluss einen interessanten Vergleich zwischen Alter und Neuer Welt: „So geht es hier mit allen Geschäften, wir unternehmen. Alles auf Credit; wer hier etwas gelernt hat, thätig und rechtschaffen ist, findet Credit und Geld, um jedes vernünftige Geschäft durchzuführen. Zuweilen geschieht es, dass die Speculation fehl schlägt und der Unternehmer Banqueroute macht, dann gleicht er sich mit seinen Creditoren aus, gibt ihnen, was er hat, und beginnt von Neuem. Es gibt Leute, welche vier- bis fünfmal in ihrem Leben fallirten, jedesmal neu anfingen und immer wieder Credit fanden, weil man sie als thätige und rechtschaffene Leute kannte; manche derselben hatten zu Ende ihres Lebens ein bedeutendes Vermögen, andere blieben arm. Die Banken und übrigen Creditoren verschmerzen einzelne Verluste sehr leicht, weil die Masse ihrer Geschäfte so gross ist, dass sie im Ganzen genommen doch immer nur gute Gewinne machen. So geht es bei uns in der neuen Welt; in der alten Welt, sagt man, sei Alles auf einen bleibenden soliden Fuss eingerichtet, und darum fände ein junger fähiger und thätiger Mann keine Unterstützung, wenn ihm das baare Geld fehlt, darum würden so wenig Unternehmungen ausgeführt, weil nur diejenigen, welche man für ganz sicher und gewiss hält, Aufnahme finden; allein die Erfahrung soll dort zeigen, dass man auch hierbei sich manchmal verrechnet, und weil die Masse der Geschäfte verhältnismässig so unbedeutend ist, so muss der Gewinn eines Geschäftsmannes in der alten Welt auch viel weniger als bei uns betragen, und die allgemeine Wohlfahrt des Landes muss bei weitem weniger zunehmen, als diess in der neuen Welt unter einem arbeitsamen, vorurtheilsfreien, sich wechselweise unterstützenden Volke der Fall ist“. Es handelt sich hierbei also um das (bis heute gebräuchliche) „Wechsel-System“, welches interessanterweise im mittelalterlichen Europa und nicht in den USA entstanden ist. In Europa freilich war die Furcht des Kaufmanns, auf der Heimreise vom Markt ausgeraubt zu werden das hauptsächliche Moment der Einführung gewesen. Das Geld blieb in Sicherheit, der Wechsel war für den Dieb völlig wertlos. In den USA wurden damals jedenfalls am laufenden Band „Träume“ in die „Realität“ überführt, die „Möglichkeiten“ erschienen „unbegrenzt“. Gerstner schreibt voll Anerkennung: „Man sollte glauben, die vereinigten Staaten könnten ohne Banken oder ohne Credit gar nicht existiren, und fragt man, wodurch so viele volkreiche, gut gebaute Ortschaften in so wenig Jahren entstanden, wodurch die undurchdringlichen Waldungen in den westlichen Staaten cultivirt, wodurch die sumpfigen Ländereien am Mississippi in die schönsten Zucker- und Baumwoll-Plantagen verwandelt wurden, wodurch dieser allgemeine, überall sichtbare Wohlstand in so wenig Jahren bewirkt worden sei, so erhält man gewöhnlich zur Antwort: Wir verdanken diess unsern Banken oder unserm Credit-System, denn Credit ist das erste Element der Wohlfahrt der Union!“(: 30). Zum wirtschaftlichen Gedeihen waren aber auch leistungsfähige „Kommunikationssysteme“ nötig. Riedel schreibt 1928: „Eisenbahnen und Kanalwege entziehen jetzt einen großen Teil der Ernten und der Bergbauprodukte des Nordens ihrem natürlichen Wege zum Meere, dem Sankt Lorenzstrom. Endlich ist im Hinterlande von New York die hohe Kette der Alleghany unterbrochen und gewährt leichten Zugang zu den Tiefländern des Mississippi und zum Ohiotale, dessen reiche Bodenschätze hier eines der größten Industriezentren ins Leben gerufen haben. Von New York nehmen auch alle Pazificbahnen – Bahnen, die bis zum Pazifischen (Stillen) Ozean führen – ihren Ausgang“(: 174). Auch die Verwirklichung dieser Kommunikations-Systeme war angesichts des Bankensystems(s.o.) relativ problemlos. Wie noch detailliert ausgeführt werden wird, stand am Anfang das System „Wasserstraße“, welches sodann in seiner sozio-ökonomischen Bedeutung vom „Eisenbahnsystem“ überrundet werden soll. So war also die Wasserstraße die Grundlage bzw. Voraussetzung für das Gedeihen des Eisenbahnsystems, welches seinerseits das wirtschaftliche System hob. Mit anderen Worten: Das Eisenbahnsystem fiel nicht vom Himmel! Gerade am Beispiel USA kann man erneut erkennen, dass die populäre (und leider auch wissenschaftliche) Meinung, ein Eisenbahnsystem würde automatisch zu einer Industrialisierung führen, falsch ist: Es besteht keine Interdependenz, sehr wohl aber eine Affinität zwischen beiden.(Vgl. dazu OBEREGGER 2009) So viele Länder Europas wurden mit einem dichten Eisenbahnnetz ausgestattet, dennoch aber setzte keine Industrialisierung ein. Wir nennen hier etwa Ungarn oder Rumänien als Beispiele. Das System Eisenbahn baut vielmehr auf bestehenden Wirtschafts- und Transport-Strukturen auf, so etwa in Böhmen auf das vorzügliche Straßennetz(Vgl. OBEREGGER 2010: 2 f.)oder in Belgien auf das attraktive Kanal- und Straßennetz(Vgl. GERSTNER 1839: 47). Es ist nur in der Lage (massiv) zu verbessern(die schnellere und leistungsfähige Eisenbahn-Linie sozusagen als „Super-Straße“ bzw. „Super-Kanal“ im bestehenden Kontext!), nicht aber dazu geeignet, um von heute auf morgen moderne Wirtschaftsverhältnisse herbeizuführen. In den obengenannten Ländern jedoch saß man gerade diesem Trugschluss auf. Und auch der landläufige Historiker der heutigen Zeit sitzt diesem in der Analyse auf. Um es abschließend nochmals zu betonen: Die These „Durch die Eisenbahn kommt es immer zur Industrialisierung“, ist falsch. Die „Erste Eisenbahn der USA“ wurde übrigens 1826 im Staat Massachusetts eröffnet. Dazu ebenfalls an späterer Stelle genauere Ausführungen. In gesellschaftlicher Hinsicht war das Eisenbahnsystem glänzend dazu geeignet, eine regelrechte „Revolution“ auszulösen: Die Städte der USA wurden durch den innerstädtischen Verkehr einerseits auseinandergezogen, damit die Urbanität verbreitet, die Überlandbahnen rückten die Städte selbst näher zusammen bzw. stellten einen leistungsfähigen Kontakt zum westlichen Kolonisationsgebiet her. Vor der Eröffnung der Ersten Pazifikbahn(1869) dauerte die Reise vom Missouri bis zur Küste mit dem Planwagen ca. 90 Tage, mit der Eisenbahn jedoch nur 7 Tage. Der „Westen“ lag damit auch für den Bewohner der Ostküste gewissermaßen vor der Haustür. „Way out West“: Darstellung aus 1870.
Aus: R.Heinersdorff, Die große Welt der Eisenbahn, München 1985, 229. Dies nützte ganz zweifellos auch der Nationsbildung. „Nationalität“ besteht nach Karl W.Deutsch: „…in der Fähigkeit, wirksamer zu kommunizieren, und zwar über eine Vielzahl von Gegenständen und mit Mitgliedern einer großen Gruppe mehr als mit Außenstehenden“(1972: 27). Somit ist eine „Nation“ „… das Ergebnis der Transformation eines Volkes oder einiger ethnischer Elemente innerhalb eines sozialen Mobilisationsprozesses“(: 63). Diese Theorie ist zwar sicherlich nicht bestreitbar, doch es ist schwierig bis unmöglich, den genauen Anteil des Eisenbahnsystems in diesem Zusammenhang zu ermitteln.
2) Allgemeine Netzgeschichte. Wenn wir das heutige Hauptnetz der USA betrachten, so fällt auf, dass es sich von Washington DC aus betrachtet grundsätzlich fächerförmig ausbreitet. Das heutige Hauptnetz der USA:
WIKI GEMEINFREI Normalspurig ausgeführt. Weiters fällt auf, dass es ungefähr in der Mitte des Landes rapide an Dichtheit verliert. Auf die weiteren Ausführungen vorgreifend können wir schon jetzt feststellen, dass dieser Umstand nicht etwa auf „Streckenauflassungen“ zurückzuführen ist, sondern Tradition besitzt. Später wollen wir versuchen, eine Erklärung für dieses Phänomen zu finden. Knotenpunkt Chicago:
Nachlass Theodor Eckerstorfer Von hier aus wird traditionell der Schnellzug „California Zephyr“(AMTRAK) abgelassen. Der New Yorker Fahrgast, der an die Pazifikküste will, muss hier umsteigen. Reisedistanz New York-Chicago ungefähr soviel wie Wien-Paris. Hergestellt wurde dieses Netz – gemäß der US-amerikanischen Freiheits-Ideologie – durch vielerlei Privatgesellschaften, welche sich früher mit aller Härte bekriegten.(Vgl. etwa LEYEN 1885: 273 ff.) Dies ging so lange, bis der Staat schließlich intervenierte. Dies geschah 1887 zum ersten Mal. „Freiheit“ hin oder her: Wenn in den USA das „Chaos“ einen gewissen Grad überstiegen hat, dann greift immer der Staat ein. Heute gibt es grundsätzlich noch Vier Groß-Gesellschaften(zwei im Osten, zwei im Westen), welche im Grunde ziemlich friedlich zusammenleben, nämlich: a) Norfolk Southern(O). b) CSX(O). c) BNSF(W). d) Union Pacific(W). Ihr ausschließliches Tätigkeitsfeld ist der Güterverkehr. Damit ist in den USA nach wie vor viel Geld zu verdienen. Transportiert werden verschiedenste Güter: Kohle, Fleisch, Obst, Gemüse, Flüssiggas oder auch Fertighäuser. Hierbei ist man vor allem der Verlässlichkeit, weniger der Geschwindigkeit der Transporte verpflichtet. Im Bereich des Güterverkehrs gibt es heute auch noch hunderte andere(!) Klein-Gesellschaften. In diesem Kontext ist das „Prinzip des Eroberns“ noch nicht völlig verschwunden. „Primitive Eisenbahnkriege“ gibt es aber zumindest nicht mehr. Die Strecken in den USA stammen zum Teil noch aus der Gründerzeit, von teuren geschwindigkeitserhöhenden Maßnahmen, wie sie in Europa üblich sind(Frankreich, BRD etc.) sieht man ab und investiert vielmehr in kapazitätserhöhende Maßnahmen(Betriebsausweichen). Güterzüge mit bis zu 10 Kilometern Länge sind in den USA üblich, womit man der eigentlichen Natur des „Systems Eisenbahn“, nämlich möglichst viel Tonnage mit möglichst geringem Aufwand zu befördern, vollends gerecht wird. Langer Kohlenzug in Wyoming:
WIKI GEMEINFREI Ermöglicht wird dieses System durch die sogenannte „Janney-Kupplung“, welche schon 1873 patentiert wurde und seit 3. März 1893 für alle US-amerikanischen Eisenbahngesellschaften verpflichtend ist. Seither wurde es lediglich dem Bedarf nach höheren Zugkräften angepasst. Eine Janney-Kupplung:
WIKI GEMEINFREI „Es ist der am höchsten belastbare Kupplungstyp und ermöglicht auch den Einsatz von kilometerlangen Erz- und Kohlezügen“(Wikipedia). Der Personenverkehr im Großen Stil wird durch die staatlich subventionierte „AMTRAK“(gegr. 1971) abgewickelt, im Bereich des Nahverkehrs existiert eine Vielzahl kleinerer Gesellschaften(„Caltrain“, „Long Island Railroad“, „Tri-Rail“ etc.). Bedauerlicherweise ist das AMTRAK-System in vielerlei Hinsicht mangelhaft. Hervorzuheben sind besonders die an der Tagesordnung stehenden, stundenlangen Verspätungen, zurückzuführen auf den Umstand, dass in den USA grundsätzlich die Güterzüge Vorrang haben. Zu AMTRAK noch später. Das AMTRAK-Netz um 2007:
Copyright: Elmar Oberegger Die Eisenbahngeschichte der USA begann wie schon gesagt 1826 im Staate Massachusetts(„Quincy-Bahn“) und seither kam es – besonders im Osten – zu einer immer massiveren Netzverdichtung. Das US-amerikanische Netz im Jahre 1850:
Aus: American Railroads. Their Growth and Development, Washington 1951. Man beachte die bereits erfolgte, bedeutende Netzverdichtung im Staat Massachusetts, dem “Mutterstaat des US-amerikanischen Eisenbahnwesens”. Diese Tendenz soll sich übrigens fortsetzen. Das US-amerikanische Netz im Jahre 1860:
Aus: American Railroads. Their Growth and Development, Washington 1951. Das US-amerikanische Netz im Jahre 1870:
Aus: American Railroads. Their Growth and Development, Washington 1951. Die erste “Pazifik-Bahn” ist bereits dem Verkehr übergeben(1869). Doch erst durch die Herstellung der Missouri-Brücke zwischen Council Bluffs und Omaha im Jahre 1873 war eine nahtlose Schienenverbindung zwischen Ost- und Westküste hergestellt. Dazu noch später im Text. Rein statistisch betrachtet spielte sich der Aufschwung des Eisenbahnwesens zwischen 1830 und 1910 wie folgt ab: Statistik zum Aufschwung des Eisenbahnwesens der USA(1830-1910):
Copyright: Elmar Oberegger Das US-amerikanische Netz im Jahre 1950:
Aus: American Railroads. Their Growth and Development, Washington 1951. Im Westen schütter, im Osten dicht. Wie die folgende Statistik zeigt, befand sich das Netz im Jahr 1950 bereits in der Phase der Stagnation. Dies dürfte einerseits auf die negative Wirkung der „Weltwirtschaftskrise“, andererseits bereits auf den Aufschwung von PKW, besonders aber LKW zurückzuführen sein. In den USA begann sich dieser früher als in Europa deutlich abzuzeichnen. Quantitative Entwicklung des US-Netzes zwischen 1910 und 2012(Stichproben):
Copyright: Elmar Oberegger Nun soll das bereits angesprochene Problem der „Ungleichmäßigen Dichtheit des Netzes“ kurz erörtert werden. Wie obige Karte zeigt, beginnt die „Trennlinie“ in der Gegend von Houston, und verläuft sodann in ziemlich geradem Verlauf via Omaha bis zur Nordgrenze hinauf. Festzuhalten ist zunächst, dass der dichte Teil des Netzes durchaus mit der Bevölkerungsdichte korrespondiert. Ob hier ein kausaler Zusammenhang festgestellt werden kann, ist jedoch zweifelhaft. Die Frage, ob also die mangelnde Besiedlung Ursache oder Folge des mangelhaften Bahnbaus ist, sei offengelassen. Festzuhalten ist jedenfalls, dass westlich bereits die unwirtliche Region der Rocky Mountains beginnt, welche grundsätzlich nur wenige Menschen anzog. Grundsätzlich darf das Gebiet westlich der Trennlinie als agrarisch bezeichnet werden, wo das „Eisenbahnbedürfnis“ relativ gering war. Denn dieses ist nach Röll(1912) immer dort am größten, „… wo die meisten und schwersten Lasten mit größter Schnelligkeit befördert werden sollen“. Für Agrargebiete oder Steppen(Weideflächen) trifft dies nun einmal nicht zu und schon gar nicht für die Wüste. Wahrscheinlich ist dies die Hauptursache für die ungleichmäßige Dichtheit des US-Netzes. Die genauen Gründe dafür, warum man sich nicht dazu entschlossen hat, diese Gebiete zu industrialisieren, sind hier nicht von Belang. Betrachtet man die quantitative Entwicklung des frühen US-amerikanischen Eisenbahnwesens(s.o. Statistik), so würde man fehlgehen, von hier aus sofort auf „Qualität“ zu schließen. Angesichts des vom „Freiheits-Begriff“ abgeleiteten „Konkurrenz-Gedankens“ wurden von den einzelnen Gesellschaften – im wahrsten Sinne des Wortes(!) – viele „Doppelgleisigkeiten“ erzeugt. Das Stichwort ist hier „Wildwuchs“. Wenn sodann gewisse Linien durch Kauf oder Fusion in größere Zusammenhänge gelangten, wurden sie dort naturgemäß als überflüssig erkannt und es kam zur Auflassung. Die Eisenbahnstruktur in der Gegend des Großen Salzsees(Utah) 1928:
Copyright: Elmar Oberegger Heute längst gestrafft. Obwohl die Auflassungen von Linien für den Eisenbahnfreund immer ein schmerzliches Moment sind, so darf man diese im Kontext der USA hinsichtlich ihrer qualitativen Verkehrswirkung nicht überbewerten, umsomehr, als manche von ihnen nur fast menschenleere Gebiete durchzogen, also primär von transitärer Bedeutung waren(s. etwa Relation Duluth-Seattle). Die Funktion einer aufgelassenen Bahn wird in der Regel jeweils von der ehemaligen, besser ausgestatteten „Konkurrenzlinie“ übernommen. So war etwa die Auflassung der „Nordlinie“ am Salzsee(s. Karte), welche Teil der Ersten Pazifikbahn(1869) war, für den Liebhaber zwar ein trauriges Ereignis, dem Gesamtsystem schadete diese jedoch nicht. Mit der „Europäischen Struktur“ ist das US-System jedenfalls in keiner Weise vergleichbar. Aufgegebene Strecke in Nevada:
WIKI GEMEINFREI Der oben erwähnte „Wildwuchs“ ist vor allem darauf zurückzuführen, dass es in den USA unglaublich einfach war, eine Eisenbahn herzustellen. Alfred v.d. Leyen schreibt dazu 1923: „Zur Bildung einer Eisenbahn-Aktiengesellschaft genügt es, daß eine Anzahl von Personen – meistens 10 – zusammentreten und Satzungen entwerfen, in denen sie den Zweck des Unternehmens, die Höhe des Aktienkapitals(stock), die Zahl der Aktien(shares) und den Betrag der Einzahlung feststellen. Der Inhalt dieser Satzungen wird der Staatsbehörde(Hervorhebungen d.Verf.) angezeigt und von dieser formell geprüft, wobei sie sich um die materielle Seite, also beispielsweise die Richtung der Bahn, die Höhe des Aktienkapitals im Verhältnis zu den Herstellungskosten, das Verhältnis der Aktien zu den Obligationen u. dgl. nicht weiter kümmert. Die Kostenvoranschläge werden von der Gesellschaft meist ganz oberflächlich gemacht, unter Annahme eines Durchschnitts-Herstellungsbetrags für die Meile, der mit der angenommenen Länge der Bahn vervielfältigt wird. Auch eine genaue technische Prüfung und Feststellung der Bahnlinie durch die Regierung vor Feststellung des Anlagekapitals hält man nicht für erforderlich … Die Eisenbahnen stehen im Eigentum und Betrieb von Aktiengesellschaften, die sich in ihrer Bildung und Verwaltung von anderen dortigen Aktiengesellschaften nicht wesentlich unterscheiden. Das Aktienrecht ist nicht Bundesrecht, sondern Recht der Einzelstaaten; indessen stimmen die Rechte der verschiedenen Staaten in der Hauptsache untereinander überein. Hiernach bedarf es für eine Eisenbahngesellschaft keiner staatlichen Konzession für die ausschließlich innerhalb des Gebiets eines Einzelstaats gelegenen Eisenbahnstrecken. Man befürchtete, als es sich beispielsweise im Staat New York um Erlaß eines Eisenbahngesetzes handelte, daß ein Eingreifen der Staatsgewalt, d.h. die Verschacherung von Eisenbahnkonzessionen durch die jedesmalige Regierung bedenklicher sei als eine völlige Eisenbahnfreiheit, von der man damals noch annahm, daß sie in dem Wettbewerb der Eisenbahnen ihre natürliche Schranke finden werde. Es wurde also der Eisenbahnbau innerhalb der Staatsgrenzen freigegeben. Ein eigentlicher Freibrief, eine Konzession(Charter) ist nur erforderlich für die Bahnen, die von Anfang an bestimmt sind, die Gebiete mehrerer Staaten zu durchziehen, und dieser Freibrief wird von der Bundesregierung erteilt. Diese gewährt dann auch das Straßenrecht(right of way) durch die Gebiete der Einzelstaaten. Im übrigen ist es Sache der Eisenbahnen, durch welche Mittel sie sich in den Besitz des Grund und Bodens setzen wollen. Ein Enteignungsrecht wird ihnen nicht verliehen“. Der „Wildwuchs“ besaß aber noch einen anderen Aspekt, nämlich die technische Uneinheitlichkeit im Bahnbau. Die Herstellung von Bahnen spielte sich in den USA immer nach folgendem Muster ab: a) Man erkannte ein bestimmtes „Verkehrs-Bedürfnis“. b) Dieses konkrete Bedürfnis sollte mittels Bahnbau befriedigt werden. Mit der vollendeten Linie wollte man sodann möglichst viel Geld verdienen. c) Man entschied sich schließlich für einen bedarfsgerechten Bahnbau und es wurde dabei jede Baumaßnahme unterlassen, welche den Gewinn hätte schmälern können. So kam es – vor allem in der Frühzeit – zur Anlage vieler „Holz- und Eisenbahnen“. Erst wenn sich das Unternehmen wirtschaftlich befriedigend entwickelte, dachte man daran, das Gleis solide zu gestalten.(Vgl. LEYEN 1923) Die Struktur eines solchen „Holz- und Eisengleises“ kennen wir übrigens von der Budweiser Pferdeeisenbahn in Österreich. Entwickelte sich der Verkehr wie vorausberechnet, dann erfüllte eine solche Eisenbahn glänzend ihre Funktion. Und dies trotz des Betriebes mit Dampflokomotiven, von denen man immer behauptet, sie würden eine „Holz- und Eisenbahn“ durch ihr Gewicht grundsätzlich ruinieren.(Siehe dazu GERSTNER 1839: 20 f.) Eine Holz- und Eisenbahn(Pferdeeisenbahnmuseum Kerschbaum/OÖ):
Copyright: Elmar Oberegger In den USA befuhr man solche Trassen mit Dampf-Lokomotiven. Diese Bahnen waren in der Tat billig herzustellen. Jeder, der jedoch glaubt, dass man in den USA grundsätzlich billig baute, irrt sich. So berichtet uns Gerstner 1839 über die „Harlem Railroad“(New York City) als „Kostspieligste Eisenbahn in den vereinigten Staaten“(: 7): In ihrem Verlauf waren teure Kunstbauten(Tunnel und Brücke) anzubringen, doch diese finanzielle Herausforderung scheute man keineswegs, erachtete man sie doch als sinnvoll und notwendig für die Stadtentwicklung. New York City:
Nachlass Theodor Eckerstorfer Ein „Big Apple“, dem vorgeworfen wird, er würde dem „Baum USA“ zuviel „Saft“ entziehen… Auch hinsichtlich der Frage der Spurweite herrschten in den USA lange Zeit Wildwuchs und Chaos. So wurde etwa die Direktlinie von New York bis zum Eriesee breitspurig gebaut. Leyen schreibt 1923 allgemein zum Problem der technischen Heterogenität: „Bei dem Bau der Eisenbahnen wurde in den Vereinigten Staaten nicht gleichmäßig und systematisch vorgegangen und erst ganz allmählich brach sich die Überzeugung Bahn, daß es im Interesse aller Eisenbahnen ebensowohl als jeder einzelnen liegt, wenn auf eine Übereinstimmung in der Anlage und auch in den Betriebsmitteln Bedacht genommen wird. So finden sich anfänglich nicht nur in den verschiedenen Staaten, sondern auch in den verschiedenen Gegenden desselben Staates verschiedene Spurweiten, wobei sich anfangs jede Bahn dem von ihr durchzogenen Gebiet tunlichst anpaßt. Erst im Jahre 1886 ist eine Gleichheit in der Spurweite der Hauptlinien so weit hergestellt, daß ihre Betriebsmittel ohne Schwierigkeiten auf allen Linien fahren können(Hervorhebung d.Verf.). Ähnliche Verschiedenheiten zeigen sich bei der Wahl des Oberbausystems, bei der Anlage der Bahnhöfe, der Signale, dem Bau der Lokomotiven und Wagen“.
3) Zur Geschichte des „Großen Personenverkehrs“. So wie in den USA einst die „Wasserstraße“ von der „Eisenbahn“ in ihre Schranken gewiesen wurde(dazu später), so wurde diese ihrerseits durch die Systeme „Straße“(PKW, LKW, Bus) und „Luftfahrt“ in ihrer Bedeutung beschnitten. Besonders der PKW entspricht der US-Freiheitsideologie. Schon in den 1920er Jahren waren in den USA breite Bevölkerungsschichten mit einem PKW ausgestattet, es begann in den 1930er Jahren bereits die Planung jener großen, kreuzungsfreien Straßen, welche bei uns „Autobahn“ genannt werden. Unter Präsident Eisenhower(1953-1961) begann deren Bau.(Vgl. dazu LAY 1994) Und doch war (und ist) dieses Verkehrsmittel zur Überwindung der weiten Distanzen im Land(Entfernung New York-Chicago = ungefähr die Entfernung Wien-Paris) relativ unbequem. Somit war es vor allem die massive Ausbreitung der Luftfahrt in der Zeit nach 1945, welche dem Großen Eisenbahnverkehr schadete. Schnellzug der „Kansas City Southern“ Ende der 1950er Jahre.
WIKI GEMEINFREI In den 1950er Jahren war das Passagiersaufkommen bereits drastisch gesunken. Wie hoch man die Marktchancen der Eisenbahn in den 1930er Jahren noch veranschlagte, zeigt die Einführung des sogenannten „Super Chief“ im Jahre 1936. Es handelte sich hier um ein rollendes Luxushotel, welches Chicago mit der Pazifikküste verband. 1974 wurde er endgültig eingestellt. Der „Super Chief“(1943):
WIKI GEMEINFREI Große Hochleistungsstrecken wurden allerdings bis heute nicht errichtet, da diese allein dem Personenverkehr, nicht aber dem Güterverkehr genützt hätten. Somit war keine Eisenbahngesellschaft dafür zu interessieren. Eine Durchquerung der USA von Ost nach West würde übrigens bei 500km/h im Schnitt ca. 7 Stunden dauern(Richtwert). Auch das derzeit zur Diskussion stehende Hochleistungsstreckenprojekt besteht aus eher begrenzten Maßnahmen, welche einer umfassenden Raumerschließung kaum nützlich sein würden.(Vgl. Dok.) Ein Hochleistungsnetz für die USA: Vorschlag des Verfassers dieser Arbeit.
Copyright: Elmar Oberegger Primäres Ziel: Herstellung einer Schnellverbindung Atlantik-Pazifik mit Zweiglinien. Primär zu errichtende Linie: Boston-Washington-St.Louis-Los Angeles-Seattle(m. Erg.-Linien nach Miami, New Orleans, Houston). Ergänzungsbauten(eher sekundäre Bedeutung): St.Louis-San Francisco(= weitere Verkürzung Washington-San Francisco); Indianapolis-Seattle(= Washington mit Seattle erstmals auf ideale Weise verbunden). Herstellungszeitraum Primäre Linie: 5 Jahre; Herstellungszeitraum Gesamtprojekt: 15 Jahre. Allein auf der Strecke New York-Boston(= ca. Wien-München) – im US-Vergleich eine eher geringe Distanz – wurde von der „New York Central“ Ende der 1960er Jahre der Hochgeschwindigkeitsverkehr eingeführt. Angesichts der Bevölkerungsdichte des Raumes erschien dieser Schritt als kaufmännisch sinnvoll. Der Präsident der „New York Central“ vor dem neuen „Turbo-Train“(betrieben mit Düsentriebwerken) im Jahre 1967:
Int.Eisenbahnarchiv Leopold K.Pernegger 300 km/h Spitze. Am 16. Oktober 2000 nahm der „ACELA-EXPRESS“(Acela= „acceleration“/“excellence“) auf der Strecke Washington DC-New York-Boston den Verkehr auf. Der „Acela-Express“:
WIKI GEMEINFREI In den 1960er Jahren wurde der Große Personenverkehr von den Gesellschaften nur noch deshalb aufrechterhalten, weil sie dazu verpflichtet waren. Geld war längst keines mehr zu machen. Die Personenzüge waren nur noch lästig, behinderten sie doch den gewinnbringenden Güterverkehr. Entsprechend sank die Qualität ab. In der Folge bildeten sich im Land zwei politische Standpunkte zum Problem heraus: a) Die Demokraten waren dagegen, die Privatgesellschaften hinsichtlich der Aufrechterhaltung des Personenverkehrs zu subventionieren. Vielmehr sollten sie diesen aus den Güterverkehrs-Einnahmen bestreiten. Doch dies passte nicht zur US-Freiheitsideologie. Was ging denn die Privat-Gesellschaften das „Soziale Gemeinwohl“ an? b) Die Republikaner waren auf der Seite der Privatgesellschaften und wollten ferner um jeden Preis eine „Verstaatlichung“ verhindern. Vor diesem Hintergrund wurde im Jahre 1971 das halbstaatliche Personenverkehrs-Unternehmen „AMTRAK“ gegründet. Man war davon überzeugt, dass der sich im Sinkflug befindende Große Personenverkehr ohnehin in absehbarem Zeitraum von der Bildfläche verschwinden werde. Präsident Richard Nixon(1913-1994):
Nachlass Theodor Eckerstorfer Im Jahre 1970 unterzeichnete er jenes Gesetz, durch welches die „National Railroad Passenger Corporation“ entstand. Das neue Unternehmen erhielt den Namen „AMTRAK“. Doch tatsächlich wurde AMTRAK nicht zur „Sterbebegleiterin des Großen Personenverkehrs“: Vielmehr wurde diese „Institution“ sowohl vom Bund, als auch von den Staaten aus in der Folge sogar finanziell am Leben erhalten. Gerade erst 2002 wurde wieder ein Überbrückungskredit gewährt, welcher den Konkurs verhinderte. Auch so mächtige politische Gegner wie die Präsidenten Reagan, George Bush und George W. Bush waren nicht in der Lage gewesen, AMTRAK zu zerstören. AMTRAK-Schnellzug 1993:
WIKI GEMEINFREI Ungefähr ein Jahrzehnt nach der Gründung des Unternehmens stellten sich die Marktchancen wie folgt dar(Vgl. KENNEDY 1982): a) Ungefähr 20 Millionen US-Bürger besitzen kein Auto. b) Dieselbe Anzahl leidet unter Flugangst. Wenn wir für das Jahr 1982 von einer Gesamtbevölkerung von ca. 200 Millionen Bürgern ausgehen, dann kam damals – rein theoretisch-quantitativ(!) betrachtet, also etwa die Säuglinge mit einberechnet – fast die Hälfte dieser als potentielle Kundschaft in Frage. Praktisch betrachtet waren die Marktchancen also keineswegs schlecht. Einen besonderen Kundenansturm erlebte AMTRAK in der Zeit nach dem „11.September 2001“: Doch man verfügte – seit Jahrzehnten materiell auf Sparflamme gehalten – über viel zu wenig Ressourcen, um diesem gerecht werden zu können. Der Kunde war unzufrieden. Das Ergebnis war schließlich ein Image-Schaden. Fest steht aber bis heute: Für akzeptable Distanzen(etwa 1 Tag plus Nachtfahrt) ist die Eisenbahn in der Regel viel bequemer als PKW oder Flugzeug. Der Fahrgast kommt völlig ungebunden, und ohne einen „Stau“ durchmachen zu müssen, in einer Stadt an und kann dort sofort per Nahverkehrszug oder Metro in Richtung Zielort weiterreisen. Er hat kein Auto am Hals, welches er versorgen muss, ist nicht genötigt, den langen Weg vom Flughafen in die City auf sich zu nehmen. Ungünstig sind allein die oft sehr erheblichen Verspätungen der Züge. Zum Abschluss eine Liste der heutigen AMTRAK-Fernverbindungen: “Acela Express”: Boston – New York – Philadelphia – Washington. ”Adirondack”: New York – Albany – Staatsgrenze – Montreal. “Auto Train”: Lorton Auto Train Terminal(b. Washington) – Sanford Auto Train Terminal(b. Orlando). “Blue Water”: Chicago – Flint – Port Huron(Michigan). “California Zephyr”: Chicago – Kansas City – Denver – Salt Lake City – Emeryville(b. San Francisco). “Capitol Limited”: Washington – Pittsburgh – Cleveland – Chicago. “Cardinal”: New York – Washington – Cincinnati – Indianapolis – Chicago. “Carolinian”: New York – Washington - Raleigh – Charlotte. “City of New Orleans”: Chicago – Memphis – New Orleans. “Cascades”: Vancouver – Seattle – Portland – Eugene. “Capitol Corridor”: San Jose – Oakland(Emeryville) – Sacramento. “Coast Starlight”: Seattle – Portland – Sacramento – Emeryville (b. San Francisco) – Los Angeles. “Crescent”: New York – Washington – Atlanta – New Orleans. “Empire Builder”: Chicago – Minneapolis/St. Paul – Seattle/Portland. “Ethan Allen Express”: New York – Albany – Rutland(Vermont). “Heartland Flyer”: Fort Worth – Oklahoma City. “Hoosier State”: Chicago – Indianapolis. “Illini”/ “Saluki”: Chicago – Carbondale(Illinois). “Downeaster”: Boston – Portland(Maine). “Empire Service”: New York – Albany – Buffalo – Niagara Falls. “Hiawatha Service”: Chicago – Milwaukee. “Lake Shore Limited”: Chicago – Cleveland – Buffalo – Albany – New York/Boston. “Lincoln Service”: Chicago – St. Louis. “Keystone Corridor”: New York – Philadelphia – Harrisburg. “Maple Leaf”: New York – Albany – Buffalo – Niagara Falls – Staatsgrenze – Toronto. “Missouri Service”: St.Louis – Kansas City. “Pacific Surfliner”: San Diego – Los Angeles – Santa Barbara – San Luis Obispo. “Palmetto”: New York – Washington – Richmond – Savannah. “Pennsylvanian”: New York – Philadelphia – Pittsburgh. “Pere Marquette”: Chicago – Grand Rapids(Michigan). “Piedmont”: Raleigh – Charlotte(N. Carolina). “Quincy Service”: Chicago – Galesburg – Quincy. “Regional Service Northeast Corridor”: Boston – New York – Washington – Newport News/Washington – New York – Springfield. “San Joaquin”: Oakland - Emeryville(b. San Francisco) – Stockton – Fresno – Bakersfield; Sacramento – Stockton – Bakersfield. “Shuttle Northeast Corridor”: New Haven – Springfield. “Silver Meteor”: New York – Washington – Savannah – Orlando – Miami. “Silver Star”: New York – Washington – Orlando – Tampa – Miami. “Southwest Chief”: Chicago – Kansas City – Albuquerque(Santa Fe) – Los Angeles. “Sunset Limited”: Los Angeles – Tucson(Phoenix) – Houston – New Orleans – Orlando . “Texas Eagle”: Chicago – St.Louis – Dallas – Fort Worth – San Antonio (- Los Angeles). “Vermonter”: Washington – New York – New Haven – Springfield – St.Albans(Vermont). “Wolverine”: Chicago – Detroit – Pontiac.
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