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I: Auf den Spuren von Prof. Franz Anton Ritter v.Gerstner(1796-1840) … Am 15. November des Jahres 1838 lief im Hafen von New York das englische Dampfschiff „Great Western“ ein. Unter den Passagieren befand sich auch der Österreicher Franz Anton Ritter von Gerstner samt frischgebackener Ehefrau Clara. Sein offizieller Auftrag: Erforschung der „Inneren Kommunikationsstrukturen“ der USA. Der offizielle Auftraggeber: Der russische Zar. Der offizielle Sinn des Auftrages: Gewinnung nützlicher Informationen zum „Aufbau“ des Russischen Reiches. Prof. Franz Anton Ritter von Gerstner(1796-1840):
Aus: M.Stepan, Prehledne dejiny czeskoslovenskih zelesnic, Praha 1958, 16 ff. „Mein Zweck wurde durch die gute Aufnahme, weiche ich überall fand, wesentlich befördert, allein auch ohne Empfehlungsschreiben kann hier Jedermann durch die überall bestehende Publizität Aufklärungen bekommen, welche man in Europa vergebens sucht. Ueber jede öffentliche Unternehmung wird nemlich in der neuen Welt jährlich, ein umständlicher Bericht an die Theilnehmer erstattet, und gewöhnlich in vielen Exemplaren gedruckt und vertheilt. Die Eisenbahngesellschaften müssen den betreffenden Staaten, von welchen sie das Privilegium(die Charter) erhielten, jährliche Berichte machen, und diese letztern werden im Staate Massachusetts, Virginien u.a. von Seite des Staates aus zur Belehrung des Publikums in vielen Exemplaren gedruckt und verteilt. Ueber die Genauigkeit dieser Berichte kann kein Zweifel Statt finden, denn selbe müssen, wenn sie an den Staat erstattet werden, von den Directoren der Gesellschaft durch einen Eid als richtig bekräftigt werten; überdiess nimmt man hier gar keinen Anstand, Bücher einer öffentlichen Unternehmung Jedermann zur Einsicht vorzulegen“. Gerstner hatte einst den Bau der „Ersten Eisenbahn Österreichs“(Budweis-Donau) geplant und zum Teil selbst errichtet. In der Folge ging er an den Zarenhof und war dort ständig darum bemüht, die sozio-ökonomische Entwicklung des Reiches durch die Anlage von Eisenbahnlinien zu fördern. Besonders erfolgreich war er hierbei nicht - Bis 1837 war nur die ca. 27 Kilometer lange Linie von St.Petersburg nach Pawlowsk vollendet. Überhaupt dürfte Gerstner der „Höfischen Gesellschaft“ mit seinem Tatendrang und seinen Visionen zunehmend auf die Nerven gegangen sein. Und so dürfte sich der Zar eben dazu entschlossen haben, ihm „im Ausland“ eine wichtige Aufgabe zuzuweisen, um ihn damit vom Hof vorerst zu entfernen. So stand seine Mission von vorne herein unter einem höchst zweifelhaften Stern.(Vgl. dazu OBEREGGER 2009: 19 ff.) Gerstner jedoch ließ sich nicht so einfach „entsorgen“ und veröffentlichte schon vor der Publikation des „Großen Endberichtes“ einige Forschungs-Berichte in der „Preussischen Staatszeitung“. Der Zar witterte daraufhin Verrat und ließ ihn fallen. Darüberhinaus schickte er am 1. Juni 1839 „verlässliche Leute“ in die USA(„Melnikov/Kraft-Mission“), deren Auftrag mit jenem von Gerstner ident war. Als Gerstner davon erfuhr, erlitt er einen gesundheitlichen Zusammenbruch. Doch er gab sich nicht geschlagen: Im August 1839 soll er seine bisherigen Forschungsergebnisse in Leipzig als Sammelband veröffentlichen. Den „Großen Endbericht“ legte er auf Eis. Sein Assistent Ludwig Klein solle sich fortan um diese Angelegenheit kümmern. Gerstner hatte schon bisher kein unbedingt glückliches Leben gehabt: Die Vollendung seiner Budweis-Donau-Eisenbahn war ihm durch ungünstige Entwicklungen und Ereignisse zunächst immens erschwert und sodann schlussendlich noch verwehrt worden.(Vgl. dazu OBEREGGER 2008) Noch während seiner aktiven Zeit an der Baustelle war ein erster gesundheitlicher Zusammenbruch erfolgt. Und sodann diese nervenaufreibende Tätigkeit in St.Petersburg – möglicherweise litt er längst an dem, was man heute mit „Burn Out-Syndrom“ bezeichnet. Ab dem Frühsommer 1839 ging es jedenfalls sukzessive bergab mit Gerstners Gesundheit. Im Zuge eines Regenerations-Aufenthaltes am Meer(Cape May/NJ) entstand sein letzter USA-Bericht(29. Juli 1839). Im Spätsommer ging das Paar nach Philadelphia, wo es am 1. September 1839 ankam. Zunächst lebte man im Hotel, zog dann aber in ein Haus ein, welches die Ehefrau als Fundament für ein glückliches Familienleben betrachtete. Eine Rückkehr nach Europa war vorerst nicht mehr aktuell. Im November 1839 unternahm Gerstner eine letzte Eisenbahn-Forschungsreise nach Albany(NY). Clara brachte Ende 1839 eine Tochter zur Welt, welche – zur Ehrung ihrer neuen Heimatstadt – „Philadelphia“ genannt wurde. Um die Jahreswende 1839/40 wurde Gerstner schließlich ganz plötzlich wirklich ernsthaft krank und starb schließlich am 12. April 1840, also kurz vor seinem 44. Geburtstag. Seine Gattin interpretierte dies letztlich als Resultat einer „Überbeanspruchung“. Er wurde am „Laurel Hill-Friedhof" zu Philadelphia bestattet. 1842/43 erfolgte die Publikation des „Großen Forschungsberichtes“ durch Ludwig Klein. Offizieller Titel: „Die innern Communicationen der Vereinigten Staaten von Nordamerica“. Dieser stellt neben seinen „USA-Berichten“(1839) eine höchst wertvolle Quelle für die Frühzeit des US-amerikanischen Eisenbahnwesens dar. Im Jahre 1997 erschien in den USA die englische Übersetzung. Gerstner hatte sich jedoch nicht nur mit dem Eisenbahnsystem befasst, sondern u.a. auch zu folgenden Themen geäußert: „Geschichte und Struktur der Dampfschiffahrt“, „Das Bankensystem“. In seiner österreichischen Heimat ist Gerstners gesamtes Lebenswerk relativ unbekannt geblieben und somit wurde er dort bisher viel zu wenig geehrt. Jedenfalls hatte er – im Unterschied zu Karl Ritter v.Ghega – in der „Schillingzeit“ nicht die Ehre, mit seinem Antlitz einen Geldschein zieren zu dürfen. Mit seinem Namen assoziiert man in Österreich in der Regel keinen „Großen Eisenbahnfachmann“ bzw. „Großen USA-Fachmann“ von Weltgeltung, sondern vielmehr den geistigen Vater der „Putzigen Budweiser Pferdeeisenbahn“. Vor dem Gebäude der ÖBB-Dion Linz befindet sich eine dahinmodernde Steinbüste, wo er immerhin als „Eisenbahnpionier“ tituliert wird. Anders ist die Lage in den USA: Im Jahre 1940 wurde sein Grabstein durch die „Railway and Locomotive Historical Society“ restauriert. 1990 wurde durch dieselbe Gesellschaft der alte Grabstein beseitigt und durch einen neuen, aus Granit gefertigten, ersetzt. Und eindrucksvoll die Festrede... Die englische Übersetzung seines „Großen Buches“ wurde bereits erwähnt. Ohne Gerstners Schriften wäre das vorliegende Projekt wohl nie entstanden, wurde doch durch sie das Interesse des Autors erstmals auf das Thema „Eisenbahngeschichte der USA“ gelenkt. Der Anspruch dieses Projektes liegt im Versuch, das von Gerstner begonnene Werk weiterzuführen. E. Oberegger Sattledt, 17. Februar 2012
Quellen: GERSTNER Franz A.: Berichte aus den Vereinigten Staaten von Nordamerica. Über Eisenbahnen, Dampfschiffahrten, Banken und andere öffentliche Unternehmungen. –Leipzig 1839. KLEIN Ludwig(Hg.): Franz Anton Ritter v. Gerstner – Die innern Communicationen der Vereinigten Staaten von Nordamerica. Nach dessen Tode aufgesetzt, redigirt und herausgegeben von Ludwig Klein. 2 Bände. -Wien 1842/43. Engl. Ausgabe: Frederick C.GAMST(Ed.): Early American Railroads. Franz Anton Ritter von Gerstner's Die inneren Communicationen(1842-1843). -Stanford 1997. OBEREGGER Elmar: Die Erste (österreichische) Eisenbahngesellschaft und ihr Netz. 1824-1903. –Sattledt 2008 OBEREGGER Elmar: Professor Franz Anton Ritter v.Gerstner(1796-1840). Seine Bedeutung im Kontext der (österreichischen) Eisenbahngeschichte. Eine Standortbestimmung. –Sattledt 2009.
Copyright: Elmar Oberegger 2012. |
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