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ÜBER SINN UND NUTZEN EINER „HISTORISCHEN KOMMUNIKATIONSWISSENSCHAFT“

Ein Dialog

 

A: Nun gut, „Historische Kommunikationswissenschaft“ also. Was meinen Sie denn da nun genau damit? Ich muss Sie übrigens darüber informieren, dass ich in den 1990er Jahren in Salzburg das Fach „Publizistik und Kommunikationswissenschaft“ studiert habe, also nicht ganz unbeschlagen bin. Betrachte ich nun Ihr Projekt, so fällt mir etwa auch das Thema „Seefahrt“ auf. Also mit „Seefahrt“ haben wir uns damals in Salzburg wirklich nie beschäftigt.

B: Ja, aber es gab doch dieses Seminar „Columbus und die Folgen“ des Prof. Schmolke.

A: Jetzt, wo Sie’s sagen… Aber mit Seefahrt

B: Nun sagen Sie mir nicht, dass dieses Thema mit „Seefahrt“ nichts zu tun hätte! Columbus hat über eine Seefahrt eine Kommunikationsschiene zwischen Europa und Amerika etabliert, was sodann eben gewisse „Folgen“ hatte. Also die Frage, wie es zu dieser Fahrt kam, wie sie technisch möglich wurde, auch z.B. wie man sich auf hoher See ernährt hat, das sind für mich lauter Themen einer „Historischen Kommunikationswissenschaft“. Aus der Problemstellung ergeben sich aber noch viel, viel mehr Themen. Das ist genauso wie beim Bau einer Kathedrale. Da geht es auch darum, wie das Baumaterial zur Baustelle transportiert wurde und wie es dann auf der Baustelle konkret verarbeitet wurde. Wie wurden Bausteine hochgezogen, welche Struktur besaß das Gerüst. Und woher kam eigentlich das „Know How“? Wie wurde dieses tradiert? Sehr viele Fragen wurden hier – wenn überhaupt – nur am Rande berührt.

A: Also „Geschichte der Seefahrt“, „Kathedralenbau“ als Themen der „Historischen Kommunikationswissenschaft“

B: Ja, und noch viel mehr! Und gestatten Sie mir bitte den Hinweis, dass Prof. Schmolke ursprünglich ausgebildeter Historiker war. Also so genau nahm man es ja an Ihrem Institut mit der Aufnahme nun auch wieder nicht. Man war durchaus fähig „Grenzen“ zu überschreiten. Übrigens bot damals zur selben Zeit wie Schmolke Herr Doz. Wagnleitner vom „Institut für Geschichte“ ein Seminar „Columbus und die Folgen“ an. Aber Schmolke war Ordinarius, Wagnleitner nur Dozent und so musste Wagnleitners Seminartitel in „Columbus und die Konsequenzen“ umbenannt werden. Aber bemerkenswert ist das schon: Zwei Disziplinen, im Grunde ein Titel, hervorgebracht von zwei Historikern. Und Wagnleitner hätte wohl von oben her gezwungen werden müssen, Seminararbeiten, in denen von „Kommunikation“ die Rede ist, zu untersagen.

A: Ja, aber beim Wagnleitner, da hatte man dann doch wohl eher eine historische Sicht. Nicht wahr?

B: Was ist denn die „Historische Sicht“?

A: Na, wie ein Historiker die Dinge halt typischerweise sieht

B: Und wie sieht ein Historiker die Dinge typischerweise?

A: Ja, historisch halt, rückblickend eben.

B: Das tut der „Kommunikationswissenschaftler“ nicht?

A: Ja, schon, aber…

B: Aber Sie würden sagen, dass sich ein Historiker nicht mit „Kommunikation“ befassen darf? Er befasst sich heute ja schon mit sehr vielen Themen. Würden Sie sagen, dass er eine Arbeit zum Thema „Europa und China in der Römerzeit“ schreiben darf?

A: Ja, warum nicht?

B: Und eine Arbeit „Zur Geschichte des Begriffs ‚Journalistische Ethik‘“?

A: Naja, das ist wieder eher unser Revier!

B: Das glauben Sie aber nur. In Wahrheit ist Ihr Begriff „Kommunikationswissenschaft“ total eingeengt, ich möchte sogar sagen „verstümmelt“. Er ist selbstverständlich verstümmelt worden, Begriffe verstümmeln sich ja nie selbst.

A: Vielleicht.

B: Sicher.

A: Ja, was ist denn nun eigentlich „Geschichtswissenschaft“?

B: Tja, welch‘ bedeutende Frage! Zunächst einmal haben wir es hier mit einem anerkannten „Universitäts-Fach“ zu tun, in dessen Einführungs-Vorlesungen viel über „Nachbarwissenschaften“ und „Themenvielfalt“ gefaselt wird. Dies natürlich erst seit der Abkehr vom „sogenannten Historismus“, also von der stupiden „Quellen-Herausgeberei“. Mit diesem Hinweis auf die „Nachbarwissenschaften“ will man halt zeigen, dass man sich weigert, sich wie ein Stück Zucker im „sozialwissenschaftlichen Kaffee“ aufzulösen. Und vielleicht strebt man damit gleichzeitig auch danach, der „Dickste Fisch“ im „sozialwissenschaftlichen Teich“ zu sein. Man agiert damit eigentlich ganz gleich wie die Soziologen. Meiner Meinung nach aber gibt es ohnehin nur noch einen einzigen „Sozialwissenschaftlichen Teich“, wo alles ineinandergeht. Die einzelnen Disziplinen existieren in Wirklichkeit eigentlich schon immer nur am Papier. Sehr hilfreich für die universitäre Bürokratie, sonst aber schon für nichts.

A: Was sagen Sie da? Es gibt keine „Soziologie“, keine „Anthropologie“, keine „Kultur-Anthropologie“, keine „Ethnologie“

B: Holen Sie nun ruhig einmal Luft!

A: Hmmm…

B: Darf ich Ihnen ein Zitat von Braudel bringen, der als „Historiker“ bezeichnet wird?

A: Aber bitte!

B: In seinem 1958 erschienenen Aufsatz „Histoire et Sciences Sociales“ schreibt er: Es gibt eine allgemeine Krise der Humanwissenschaften; sie werden von ihren eigenen Fortschritten erdrückt, schon allein durch die Aufhäufung neuer Erkenntnisse und die Notwendigkeit kollektiver Arbeit, deren rationelle Organisation noch auf die Beine zu stellen ist; direkt oder indirekt sind alle durch den Fortschritt der dynamischen Disziplinen betroffen, ob sie wollen oder nicht, aber dennoch bleiben sie in einem rückschrittlichen und hinterlistigen Humanismus befangen, der ihnen nicht mehr als Rahmen dienen kann. Alle beschäftigen sich mit mehr oder minder großer Einsicht mit ihrem Stellenwert im ungeheuren Miteinander alter und neuer Forschungen, deren nötige Übereinkunft sich heute nur ahnen läßt. Werden die Humanwissenschaften sich von diesen Schwierigkeiten durch das Bemühen um eine Neudefinition befreien oder wird die Unzufriedenheit zunehmen? Vielleicht haben sie diese Illusion, denn auf die Gefahr hin, auf Wiederholungen und falsche Probleme zurückzugreifen, sind sie bereits – heute mehr noch als bisher – damit beschäftigt, ihre Ziele, ihre Methoden, ihre bevorzugten Themenkreise zu definieren. Da werden sie von den Streitereien über die Grenzen, die sie von den Nachbardisziplinen trennen oder nicht trennen, ganz in Anspruch genommen. Denn jede träumt eigentlich davon, bei sich zu bleiben oder zu sich zurückzukehren“.

A: Nun gut…

B: Und er verweist auch auf Claude Levi-Strauss: „Einige isolierte Wissenschaftler versuchen, einen gemeinsamen Nenner zu finden: Claude Levi-Strauss treibt die strukturale Anthropologie in die Nähe der fortgeschrittenen Linguistik, in den Gesichtskreis der »unbewußten« Geschichte und in den neuen Herrschaftsanspruch der »qualitativen« Mathematik. Er strebt eine Wissenschaft an, die unter dem Titel Kommunikationswissenschaft Anthropologie, politische Ökonomie und Linguistik verbinden könnte. Aber wer ist schon bereit, bisherige Grenzen zu überschreiten und alles neu zu ordnen? Um ein Nichts schiede sich die Geographie von der Geschichte!“

A: Daher also Ihr Begriff „Kommunikation“.

B: Ja, genau. Vielleicht wirklich ein wenig polemisch, aber warum nicht? Zusätzlich bin ich von Franz Anton v.Gerstner beeinflusst, welcher ein Werk mit dem Titel „Die innern Communicationen der Vereinigten Staaten von Nordamerica“ vorbereitet hat. Es erschien post mortem 1842/43. Er beschäftigte sich vor diesem Hintergrund u.a. mit „Dampfschiffahrten“, „Postwesen“, „Eisenbahnen“. Wenn man den Begriff „Kommunikation“ weit fasst, dann ist das ja legitim. Ich selbst fasse ihn sowohl eng als auch weit.

A: Und die Hinzufügung „historisch“?

B: Das ist ein Angriff auf den Namen „Historische Sozialwissenschaft“. Unter diesem stolzen Banner brach man einst in Richtung „Methoden- und Themenvielfalt“ auf. Und man hat versagt. Immerzu wird derselbe Käse geschrieben und gepredigt„Geschichte der Familie“, „Geschichte der Jugend“, „Sozialgeschichte Österreichs“ undsofort. Nie „Geschichte der Luftfahrt“, „Geschichte der Eisenbahn“ oder so. Prof. Georg Schmid in Salzburg war der einzige, der neue Themen aufgegriffen hat! Doch er wurde ja immer irgendwie geringgeschätzt, zumindest empfand er das so, und schließlich zog er von dannen… Zuvor aber publizierte er gemeinsam mit Staudacher und Lindenbaum das Werk „Bewegung und Beharrung, Verkehrsgeschichte der österreichischen Zwischenkriegszeit“ – Bravo!

A: Der Haas ist aber auch ganz gut!

B: Ja, selbstverständlich. Er wollte den Schmid immer irgendwie imitieren. Besser als nichts.

A: Ja, und wer soll eine „Geschichte der Luftfahrt“ machen?

B: Naja, ein strebsamer und leistungsfähiger Historiker halt. Das Fach gehört längst aus dem Zustand heraus, den Schmid in Bezug auf die Eisenbahngeschichte „Spielzeugeisenbahn-Mentalität“ nannte. Siehe sein Aufsatz „Transportgeschichte“ aus 1979. Aber was passiert, wenn sich jemand mit sozialwissenschaftlicher Methode diesen Themen nähert? Er wird geringgeschätzt. Aus einem ambitionierten Eisenbahnhistoriker wird der „Mister Chou-Chou“, über den vielleicht sogar gelacht wird. Lächerlich aber ist in Wirklichkeit der „Alte Käse“ der „Historischen Sozialwissenschaft“.

A: Sie meinen diesen…

B: Wen?

A: Diesen…

B: Oberegger.

A: Ach ja!

B: Vielleicht. Naja, der hat ja immerhin klargestellt, dass „Eisenbahn“ nicht immer zu einer „sozio-ökonomischen Revolution“ führt. Er spricht also nicht von „Inter-dependenz“, sondern nur von „Affinität“. Kann sein, muss nicht, also. Von unseren großartigen „Historischen Sozialwissenschaftlern“ jedoch wird noch immer mit Vehemenz die alte These vertreten.

A: Und mit der „Historischen Kommunikationswissenschaft“ wollen Sie nun was genau?

B: Vor allem in erster Linie das leisten, was die „Historische Sozialwissenschaft“ nicht geleistet hat. Neue Fachgebiete gehören erschlossen! „Eisenbahngeschichte“, „Luftfahrtgeschichte“, „Straßengeschichte“, „Radiogeschichte“ undsofort. Und die sollen dann auch dasselbe Prestige haben wie etwa die „Hochheilige Wirtschaftsgeschichte“. Und vielleicht wird es dann in der Reihe „Sozialgeschichte Österreichs“ doch noch einen Band zur „Kommunikationsgeschichte“ geben!

A: Aber ist „Kommunikationsgeschichte“ nicht ein Teil der „Wirtschaftsgeschichte“?

B: Nein, es verhält sich genau umgekehrt!

A: Eine Polemik?

B: Natürlich…

 

Quellen:

BRAUDEL Fernand: Histoire et Sciences Sociales. La Longue Durée. In: Annales 13 (1958), S. 725 ff.

OBEREGGER Elmar: Geschichtswissenschaft als Historische Sozialwissenschaft. Ein kurzer Problemaufriss. In: Zur Eisenbahngeschichte des Alpen-Donau-Adria-Raumes 2010.

OBEREGGER Elmar: Das Fach Eisenbahngeschichte. Spezifik und Methode(n) im Grundriss. –Sattledt 2009.

SCHMID Georg: Transportgeschichte. Die materiellen Grundlagen der Mobilität. In: Zeitgeschichte 7 (1979/80), S. 218 ff.

 

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