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SKINWALKER Eine Allegorie zum Dannerconda-Mythos von Quincy Maheep
Der Regensburger Psychotherapeut, Erich E. Schmatzler, ein vielbeschäftigter, ehrgeiziger und karrierebewusster Universitätsprofessor, fährt auf der Trattberger Panoramastraße, in Richtung Seewaldsee. Sein Blick ist streng geradeaus auf die Straße gerichtet, in seinem Kopf kreisen die Gedanken um einen Interviewtermin mit dem norddeutschen Rundfunk, den er gestern Abend, nach einer therapeutischen Sitzung mit einem sogenannten schizophrenen Patienten, kurzfristig mit dem Redakteur vereinbart hatte „Ein Befund über den Zustand der Gegenwart, aus psychologischer Sicht.“ Das skizzierte der Redakteur des Wissensmagazins als Thema. „Das schütteln Sie doch sicherlich locker aus dem Ärmel“, fügte der Interviewer lässig an. „Dauert nur eine knappe Stunde ... 10 Minuten Bericht im Hauptabendprogramm ... plaudern sie nur drauflos ...“ Der Professor hat ein sehr unangenehmes Gefühl, als er sich die Stimme des Rundfunkmitarbeiters in Erinnerung ruft. Diese Lässigkeit, denkt er, ist einfach nicht angebracht. Ich muss versuchen, dort mich nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen, denkt er, aber ich muss auch auf meine Reputation achten, und darf nicht beliebig wirken oder unklar in meinem Aussagen, überlegt er. Ich hätte da nicht einfach zusagen dürfen, ohne vorher zu recherchieren, mit wem ich es zu tun bekomme, das war ein Fehler, so der Professor. Schmatzler trifft pünktlich um 11:30 Uhr an diesem Mittwoch, am Treffpunkt Parkplatz Seewaldsee ein. Er hat einen Termin mit einem Klienten vereinbart, den er das letzte Mal vor acht Jahren gesehen hatte. Auch das war gestern, kurzfristig telefonisch vereinbart worden, knapp bevor der Patient mit der Diagnose „Schizophrenie“ bei ihm eintraf. Nervös steckt sich der Professor eine Zigarillo an, die erste seit 4 Wochen. In Gedanken ist er bei seinem schizophrenen Patienten, der ihn gestern bis spät in die Nacht beschäftigt hat. Er hat ihn beschäftigt, seine Aussagen haben ihn wachgehalten. Sein Gedankenfluss wird abrupt gestoppt, als der silbergraue Toyota vorfährt, am Steuer der Klient, mit dem der Professor sich telefonisch verabredet hatte. Der 45-jährige Mann steigt aus dem Auto, nachdem er zuvor die Fahrertüre vehement aufriss. „Der Zögerer“, so nannte ihn der Professor scherzhaft, und lächelt in Erinnerung an die Sitzungstermine von damals. Allerdings läuft ihm ein kalter Schauer über den Rücken, als er sich daran erinnert, denn der Mann der da aussteigt, hat sich verändert, er wirkt entschlossen und zielstrebig. „Dann hatte die Therapie womöglich doch Erfolg", denkt der Professor, merklich unsicher geworden, und diese Gedanken denkt er auch nur, um sich selber zu beruhigen. „Professore!“ schreit ihm der Mann entgegen. „Schön sie zu sehen“. Der ehemalige Klient lacht laut auf, und nähert sich schnellen Schrittes. Der Professor streckt seinem ehemaligen Klienten artig die rechte Hand entgegen, mit der Hoffnung, dass sie ihm nicht abgerissen wird. Kräftig schlägt der Neuankömmling in die Hand des Professors, und mit der linken klopft er ihm stürmisch auf die Schulter. „Sie haben sich gar nicht verändert, Professor. Anti-Aging-Pilien?“ Gequält lächelt der Professor, und setzt dazu an, das Kompliment zurückzugeben, aber er ringt sich nur zu einem kleinlauten „Freut mich sie wiederzusehen!“ durch. „Gehen wir fos?“ ruft der Klient laut. „Ich habe ihnen etwas zu zeigen. An diesen Ort komme ich immer wieder zurück, seit damals, in dieser kalten Winternacht, als ich das erste Mal am Ufer des Sees stand, und im Spiegel des Wassers das Nichts erblickte,... die Finsternis, die ich nie mehr vergessen kann.“ Der Professor bemüht sich um gefälligen Small-Talk und fragt nach dem Befinden seines Klienten. Dieser schaut ihn an, reagiert aber auf das Angebot einer oberflächlichen Unterhaltung nicht. „Sie sind schweigsam“, sagt der Professor in Richtung seines ehemaligen Klienten. „Ich habe aufgehört Müll abzusondern, nur um dazu zu gehören“, entgegnet ihm der Klient. „Wir gehen durch den Wald zum See. Der Wald duldet dumpfes Geplapper nicht. Es stört ihn. Sein Boden wird sauer, die Bäume wütend, und das Gras ätzend und giftig. Die Natur will von uns wahrgenommen und in ihrem Wesen erkannt werden.“ Der Professor ringt um Fassung, versucht seinen ehemaligen Klienten mit wertschätzenden Worten wieder „in das Boot“ zurückholen, in dem er über das Meer des Lebens zu fahren immer gewohnt war. „Lassen sie es“, sagt der Klient energisch. „Ich warf ihre Bücher ins Feuer, nachdem ich damals einen Indianer am See traf. Ich habe sie feierlich und mit großer innerer Freude verbrannt, hier an diesem Ort. Es war der erste Akt der Befreiung aus dem Dreck, in dem ich lebte. Ihr universitäres Wissen ist Gift und erzeugt nur Schlacke, in der wir alle irgendwann ersticken werden, zwangsläufig.“
Am Seeufer Der Professor steht am Seeufer. Der Klient einige Meter von ihm entfernt. Sie stehen sich schweigend gegenüber. Die Sonne strahlt vom Himmel herab. Der Wind streicht leise und friedlich über die Landschaft. Es ist ein warmer Frühlingstag. Am liebsten würde Prof. Dr. Schmatzler sofort weggehen, ins Auto steigen und losfahren. Aber er weiß (noch) nicht warum. „Begeben wir uns auf eine Forschungsreise, Professor. Ich will ihnen zeigen, wie man mit den Polen spielt.“ Der Klient geht ganz nah ans Wasser, fährt sich mit beiden Händen durch die Haare, und schreit aus voller Kehle über den ruhig daliegenden See hinweg: „Ahura Mazdao!“ Er breitet die Arme aus, erhebt sie zum Himmel, und reißt seine Augen weit auf. „Ich lasse das Licht der Vergangenheit in meinem Herzen der Wahrheit entgegenleuchten, und die Finsternis der Zukunft ehre ich mit Respekt und Anerkennung. Er macht eine kurze theatralische Pause. Das ist Selbsterkenntnis, Professor“ ruft ihm der Klient zu, während er ihm den Rücken zuwendet. Ohne sich umzudrehen, nimmt er die Verwirrung des Professors wahr, er hört ihn denken, er riecht die Angst, die sich im Gehirn des Therapeuten breitmacht. „Ich kann sie riechen, ihre Angst, Professor, sie rinnt aus Ihnen heraus, durch die Wiese tröpfelt sie in den See. Diese Scheiß-Seelenangst, was? Damit kennen Sie sich doch aus, oder? Ein ganzer See voller Schweiß und Angst. Der Klient dreht sich um, geht auf den Professor zu, und rempelt ihn an der rechten Schulter leicht an. Im Vorbeigehen flüstert er dem verwundert Dreinblickenden ins Ohr: „Ich höre wie es mir aus der Zukunft zurückschreit, hören sie es auch? Wissen Sie, je lauter ich schreie, umso lebendiger bin ich.“ Ein Schmerz übermannt den Professor. Er hat zittrige Kniee und starrt sinnenlos ins Wasser. Er ist nicht mehr in der Lage, die „Kurve zu kriegen“, er kramt in seiner Erinnerung nach Möglichkeiten der Selbstregulation, der Aufrechterhaltung seiner Souveränität. Er scannt alle Tipps und Tricks des NLP-Ausbildungswissens sekundenschnell in seinem Denken ab und findet den roten Faden dennoch nicht mehr. Seine Kniee schmerzen, sein Rücken kann ihn nicht mehr aufrecht halten, der Magen drückt und rumort, und im Kopf spürt er ein starkes Pochen und Ziehen. Langsam sinkt er zu Boden und stützt sich ab, damit er nicht völlig seine Haltung verliert. „Was für ein herrlicher Tag!“, ruft der Klient voller Vergnügen, „ich habe sehr viel von Ihnen gelernt, Professor, Respekt! Ihre Methode hat mein Leben von Grund auf verändert“. “Wissen‘s Sie's noch? – Shoot the day – or fucking eat him! Hahaha!“ Das grelle Lachen erschüttert den Professor und sein Rückenmark beginnt zu vibrieren. „Das habe ich doch nie gesagt“, stammelt dieser verlegen. „Wir haben uns mit ihrer emotionalen Entwicklung befasst, und herausgefunden, dass die frühkindlichen Prägungen in ihnen, einen Entwicklungsstopp verursacht haben, den wir behutsam Schritt für Schritt bearbeitet haben. Sie waren auf einem guten Weg. Das habe ich Ihnen doch damals bestätigt. Ich war sehr stolz darauf, wie Sie sich entwickelt hatten.“ In dem Moment wird ihm das Ausmaß seiner gewohnheitsmäßigen Lügen schlagartig bewusst. Er weiß, dass alles, was er sagt, von Grund auf gelogen und geheuchelt ist. Der Klient schaut den Professor mit einem eindringlichen Blick an, und scheint alle körperlichen Regungen, die er wahrnehmen kann, in sich aufsaugen zu wollen, Schmatzlers Gedanken sind in dem Moment in einem automatisierten Abwehrreflex wieder bei dem schizophrenen Patienten, den er gestern „therapiert“ hatte. Er rekapituliert im Kopf das Kapitel aus seinem letzten Buch, in dem er über die Möglichketten und Therapieformen in der Zusammenarbeit mit Schizophrenen bzw. Patienten mit bipolarer Störung (den Begriff mag Schmatzler nicht - er mochte ihn noch nie!) beschäftigt hatte. Er plädiert darin besonderes Augenmerk auf die Rückfallprophylaxe zu legen, neben dem Einsatz von Psychopharmaka. Obwohl er ganz genau weiß, dass diese Tabletten den Patienten körperlich und geistig zugrunde richten. Dennoch spricht er sich in diesem Kapitel seines Buches dafür aus, Neuroleptika vom Start weg zu verabreichen, parallel zur Gesprächstherapie. „Nach der ersten Stabilisierung empfehle ich Antidepressiva als vorbeugende Maßnahme“, zitiert sich Schmatzler selbst gedankenversunken. Valproinsäure, ein Antiepileptikum ist als sogenannter „Stimmungs-Stabilisierer“ im weiteren Verlauf der Behandlung notwendig, empfiehlt der Professor in seinem Buch mit dem Titel „Die Heilung spezifisch diagnostizierter psychosozialer Störungen“. Er bekam dafür eine hohe Auszeichnung der „fachärztlichen Sparte der gemeinnützigen Vereinigung deutscher Psychiater:innen.“ Mit der Methode der „familienzentrierten organischen Rhythmustherapie" hat Schmatzler sich überregional einen Namen gemacht. „Mit dieser Methode lassen sich selbst transgenerationale Gefühle und Gedanken, die den Patienten funktionsunfähig machen im Alltag, gezielt und sicher erkennen.“ So steht‘s im Klappentext des Buches. „Wissen Sie, Professor, als ich vor acht Jahren ihre Praxis verlassen, und wie von Ihnen empfohlen das Lamotrigin über 3 Monate eingenommen hatte, habe ich am ganzen Körper gezittert. Hier am See, am Ufer, stand ich, alleine, einsam, verzweifelt, bleich vor Angst. Mir war übel, ich hatte Herzrhythmusstörungen und kotzte mir die Seele aus dem Leib. Und dann traf ich diesen Indianer. Ich sah ihn am anderen Ufer stehen. Sein Blick war klar, seine Augen weit offen, die schwarzen Haare wehten majestätisch im Wind. Er hat mich berührt, wie noch nie ein Mensch zuvor. Er war echt, das habe ich sofort erkannt.“ Der Professor schwankt und versucht wieder Halt und Orientierung herzustellen. In seiner großen inneren Unruhe unternimmt er einen weiteren Versuch sich in den Alltag „zurückzurudern“, und das Heft des Handelns irgendwie nochmals zu ergreifen. Er beginnt zu erzählen: „Wissen Sie, ich soll ein Interview geben, dem norddeutschen Rundfunk, nächste Woche schon. Das beschäftigt mich sehr. Vielleicht können sie mir dazu einen Rat geben, nachdem Sie doch offensichtlich Vieles schon erkannt haben, in Ihrem Leben, was sie augenscheinlich zu einer stabilen Persönlichkeit werden ließ. So nehme ich sie heute wahr. Ich habe dem Redakteur sofort zugesagt, ohne genauer zu recherchieren, mit wem ich es da zu tun haben werde. Es soll um einen Gegenwartsbefund gehen, um das Heute, aus psychologisch-therapeutischer Sicht“, erzählt der Professor seinem Klienten. „Ich kenne die Problematik in der Gesellschaft, aber man muss es ja differenziert betrachten, ..., es ist nicht möglich die Wahrheit einfach zu sagen, das wäre dumm. Schließlich muss ich auch betrachten, dass ich Verantwortung trage für meine Familie. Mein Umfeld könnte negativ in Mitleidenschaft gezogen werden, und schließlich siegt die Wahrheit dann doch am Ende immer. Davon bin ich überzeugt. Ich muss da nicht vorpreschen oder mich überzogener Kritik aussetzen. Wie groß mein Beitrag dazu ist, das kann ich ja gar nicht selber beurteilen, das hängt nicht alleine von mir ab. Die Forschung ist es, die mich als Student schon in ihren Bann gezogen hat, und da wollte ich etwas weitergeben an meine Klienten. Mein Mentor an der Uni hat mich gelobt für meinen Wissensdurst, und mir eine große Karriere in der psychologischen Forschung vorhergesagt. Ich will ja nur damit sagen, dass...“. „Hören Sie auf, mit ihren kleinbürgerlichen, stumpfsinnigen Gedanken und ihrem moralischen Gewinsel“, fällt ihm der Klient ins Wort. „Sie zerstören die Erhabenheit des Moments. Haben Sie mir nichts von wahrer Bedeutung zu sagen? Dann seien sie ruhig und hören Sie mir zu, was ich ihnen zu erzählen habe“: „Nach der Trennung von meiner damaligen Frau, machte ich eine abschließende Paartherapie. Auch das hatten sie mir empfohlen. Die vierte Stufe in ihrem achtstufigen Therapieprogramm. Ich hielt nie viel davon. Aber ich tat es in gutem Glauben. Ich war eigentlich froh damals, diese Frau verlassen zu haben. Sie waren der Meinung ich sollte in meinem Zustand keine vorschnellen Urteile fällen bzw. Entscheidungen treffen. Die bevorstehende Scheidung war ein Tiefpunkt, und ich war wütend. Sie rieten mir dazu, mich zu hinterfragen, und mich zu versöhnen, in christlichem Sinne. Ihre katholischen Wurzeln haben sie mir vor die Augen gehalten. Ich sage Ihnen heute: Noch nie habe ich so einen Gestank vernommen.“ „Als ich dieses Weib dann in einem spontanen gerechten, göttlich-heiligen Zorn mit der flachen Hand zu Boden schlug, fühlte ich mich wirklich frei. Der Richter - ein weiser Mann - sprach mich frei von Schuld. Sie wissen ja sicherlich noch, dass meine damalige Frau Alkoholikerin war, und zudem cholerisch wie ein nordfrischer Fernfahrer. Sie hat es verdient, so behandelt zu werden. Das habe ich sofort verstanden, damals in diesem Augenblick. Ich gab ihr eine Chance - sie hat sie nicht genutzt. Mein Handeln war richtig.“ Kurz ballt der Klient seine linke Hand zur Faust, um sie dann wieder zu lockern. „Was ist wirklich gerecht?“, fragt er den Professor, der sich verlegen räuspert, um dann einen Versuch der Erwiderung zu starten. „Nun, sie wissen ja, dass Gewalt keine Lösung ist. Ich habe in meinem Buch über die Zusammenhänge von Sicherheit und aktiver mentaler Life-Balance, die ich in meiner Methode auf gelungene Weise integrieren konnte, gesagt, dass...“ Der Klient unterbricht den Professor abrupt und fährt fort: „Wie geht‘s eigentlich ihrer Frau, Professor? Ich habe sie ja nie wirklich kennengelernt. Einmal habe ich sie gesehen, als ich bei Ihnen Zuhause war. Damals, als sie nicht gehen konnten, nachdem Sie das Blutgerinsel hatten, und frisch operiert waren.“ Der Klient nimmt einen runden Stein in die Hand, streicht behutsam mit seinem rechten Zeigefinger über die mineralische Oberfläche, und fährt fort: „Eine feinsinnige Frau. Das sah ich sofort. Ich glaube die größte Angst ihrer Frau ist es, sich selber erkennen zu müssen. Davor hat sie Angst. Sie tut alles dafür, um ihr Wesen vor sich selber und der Welt zu verstecken.“ Der Klient setzt sich auf einen Baumstumpf und spricht weiter, ohne den Professor anzusehen. „Wie geht‘s ihnen denn damit? - Nein, Sie brauchen es nicht auszusprechen. Ich kann es sehen, es ist sichtbar geworden, in ihrem Gesicht, an ihrer Haut, in ihrem Ausdruck: Sie sind neben ihr vertrocknet, und ausgeronnen. Zur blutleeren Gestalt sind sie geworden.“ „Wir haben einen Anspruch an unsere Eltern haben Sie damals gesagt. Wir haben die Sehnsucht in unserem Herzen erkannt zu werden. Man muss den Schmerz in der Dimension fühlen, in der er in Erscheinung tritt. Das haben Sie mir gesagt. Der Schmerz ist ihr Handicap, Professor. Was haben Sie getan, um ihrem Leben einen Sinn abzuringen? Wer sind Sie? Was wollen Sie? Aber nicht für sich und ihr kleinbürgerliches Leben, sondern für die Wahrheit, für die Natur, für MICH, als Ihrem Nächsten, der sie brauchte, der sich auf Sie verließ, der Ihnen vertraute, der Ihnen zuhörte? - Sie haben NICHTS getan. Absolut Nichts! Sie haben das Leben verraten, die Freiheit mit Füßen getreten, sie sind auf meinen Empfindungen herumgetrampelt, und haben selbstgefällig doziert wie ein Waschweib!“ Unvermittelt stößt er dem Professor einen Ast in den Bauch. Sofort schreit dieser in großem Schmerz auf. „Der Schmerz ist Dein Handicap, Du Jammerlappen.“ Der Professor windet sich am Boden, und presst stammelnd hervor: „Warum tun Sie denn das? Sie sind doch völlig verrückt geworden!“ Der Klient schaut auf den Professor hinunter: „Ich mache Ihnen etwas bewusst. Ich gebe Ihnen die Möglichkeit Ihren Schmerz zu fühlen. Das ist echte Therapie. Sie können mir dankbar sein dafür. Ich bringe Ihnen bei, was es bedeutet, sich zu spüren, den eigenen Körper wahrzunehmen. Nachdem ich den Dreck, den Sie mir verabreicht haben, aus meinem Körper herausgewaschen hatte, im See, - abgestreift hatte, an der Rinde der Bäume hier im Wald, war ich in der Lage, wieder einzuziehen, hineinzukriechen, in meine eigene Haut. Es war ein Schmerz wie ein Bad in heißen, dampfenden Quellen. Jede Windung in meinem Körper habe ich durchschritten, ich habe mich hineingebissen in meine Nervenbahnen. Alles, was mich zurückhalten wollte, habe ich durchbrochen. Ich habe mich so lange tief in mich selbst vergraben, bis die Widerstände mich verlassen hatten, und sich ein neues Opfer suchten, das sie mit ihrem Schmerz heimsuchen und inhalieren konnten.“ „Lust und Schmerz sind zwei Seiten derselben Medaille: Es ist Mensch sein. Wissen Sie, was es heißt, Lust und Schmerz zu empfinden. Sie halten den Schmerz nicht aus, schieben ihn weg, jammern gegen ihn an. Was tun Sie denn, wenn Sie Lust empfinden? Verlegen kichern und verschämt, unterdrückt hecheln wie ein Hund, damit die Nachbarn nichts hören? Oder brüllen sie die Lust mit aller Macht dem absterbenden Körper entgegen?“ „Wann haben sie das letzte Mal ihre Frau gepudert?“ Der Professor stammelt dem Klienten entgegen: „Bitte hören Sie auf. Ich will nach Hause.“ Der Klient setzt sich wieder hin, und beginnt in ruhigem Ton weiterzusprechen. „Nehmen Sie Haltung an, und sammeln Sie den letzten Rest an Würde zusammen, der vielleicht noch da ist, und hören Sie mir zu. Denn heute ist der Tag, der ihr Leben verändern kann.“ Während der Professor japsend Luft holt, und sich zu beruhigen versucht, macht der Klient Feuer, und deutet mit seiner rechten Hand in Richtung des Waldes. „Wussten sie, dass es der Legende nach hier Werwölfe gegeben haben soll? Ich mag diesen Ort. Erst vor zwei Wochen war ich hier, mit einer feschen Sekretärin aus der Landesregierung. Ich habe sie in einem Klub in Linz kennengelernt. Sie war von Anfang an sehr offen“, erzählt der Klient mit einem eindeutigen Grinsen. „Ich schwärme den Frauen gerne vor, vom Seewaldsee, von dem erfrischenden Badengehen und dem eiskalten Wasser, das ich in alle Körperöffnungen hineinströmen lasse. Und dann sage ich ihnen, dass ich vom Seewaldsee nackt in den Waldseewald laufe, - diese Wortspiele wirken erotisierend auf viele Frauen - und mich naturtrocknen lasse, und intensiv beobachte wie sämtliche Flüssigkeiten wieder aus meinen Körperöffnungen herausströmen, genauso schmerzhaft-lustvoll wie ich sie zuvor in mich hineinrinnen ließ. Dann lächeln sie verlegen und ihre Lippen beben vor Erregung. Alle werden heiß und kalt, ich sehe es in ihren Augen, ich spüre das Knistern in ihren Haaren. Sie werden sofort feucht!“ berichtet der Klient lächelnd. „Nun, das ist sehr interessant, und ich kenne ja den Reiz des Verbotenen auch“, erwidert Schmatzler hilflos kichernd, in dem ausweglosen Versuch eine Brücke zu seinem ehemaligen Klienten zu bauen. „Aber in meiner Stellung und replizierend auf den gesellschaftlichen Status, den ich mir mit meiner Frau aufgebaut habe, und angesichts unseres doch schon fortgeschrittenen Alters, verbietet es sich, wenn ich so etwas tun würde.“ Ein weiteres Mal schlägt ein Ast mit großer Wucht im Bauch des Professors ein. Diesmal übergibt sich der Psychiater und starrt entsetzt in eine Leere, die er noch nie gefühlt hat. Er hält sich die Hände vor den Bauch, beginnt zu weinen, und schaut mit flehentlichen Blick nach oben. Er zittert und stöhnt. „Was soll denn das, warum?“ stammelt er. „Sie liegen hier vor mir, winselnd, auf dem Boden. Stehen Sie auf, Mann! Der Indianer steht vor Ihnen, da drüben, mitten im See. Schauen Sie ihn an und springen Sie ins Wasser. Sofort! - Jetzt!“ Der Professor holt tief Luft, nimmt sich zusammen und sagt: „Aber ich sehe ihn doch nicht. Ich kann nicht. Es ist zu kalt. Das Wasser hat doch bestimmt nicht mehr als 15 Grad. Ich habe seit der Kindheit chronische Stirnhöhlenentzündungen. Das wäre viel zu gefährlich für mich.“ „Spring endlich, du jämmerlicher Feigling!“ entgegnet ihm der Klient in ruhigem, sanftem Tonfall. „Ich kann es nicht, ich kann es nicht!“, jammert der Therapeut. „Dann geh nach Hause, Du bist es nicht wert. Du bist nichts wert. Du hast Deine Chance nicht genutzt!“ erwiderte der Klient. Danach blickt er in die Lichtung des Waldes, wo er den Indianer sieht. Ein mächtiges Bärenfell bedeckt dessen Oberkörper und ein Löwenkopf ziert sein Haupt. Fest und tief verwurzelt, steht er da, regungslos, „Skinwalker“ spricht der Klient ehrfürchtig, steht auf und verneigt sich vor ihm.
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