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DER GOLDFISCH IM HAIFISCHBECKEN: von Quincy Maheep
Ein Goldfisch langweilt sich unter seinen Artgenossen,und beschließt mit aller Kraft, die er hat, vom Grund des Glases, in dem er lebt, sich abzustoßen, und an die Oberfläche zu schwimmen. Er baut immer mehr Geschwindigkeit auf, und springt aus dem Wasser, über den Beckenrand, fliegt durch die Luft, erreicht das große Becken, das er seit er ganz klein war, immer schon durch die Scheiben seiner Heimat gesehen hat, und taucht dort ein, in das viel kältere Wasser, das sein Blut im Körper sofort in heftige Wallungen versetzt. Er fühlt sich erfrischt, stark und spürt die Helligkeit, die sich in seinem Gehirn ausbreitet. Alle Zellen werden von Sauerstoff durchflutet. Er ist im Haifischbecken gelandet. Die anderen Goldfische sehen das, schütteln mit dem Kopf, ob der Wahnsinnstat ihres Mitbewohners, und tuscheln untereinander. „Was für ein Idiot! Ich habe es ja immer gewusst!“ Ähnliches an Aussagen kann man vernehmen, wenn man die Fähigkeit entwickelt hat, im Wasser zu hören. Die dunklen Augen seiner neuen Artgenossen, die ihn an Größe, Stärke und Gewicht um hunderte von Jahren an Evolution überlegen sind, schauen ihn grimmig, herablassend und verächtlich an. Sie beginnen ihn zu jagen, im Wissen, dass es nur ein kurzes Zubeißen sein wird, nur ein kleiner Happen, eine Beiläufigkeit, keine Nahrung. Im eigentlich bedeutungslosen Wettstreit drängeln sich die Großfische aneinander vorbei, jeder will den kleinen Happen fassen. Jeder Biss geht ins Leere, der Frust nimmt zu, der Ärger und die Wut, darüber diese Kleinigkeit nicht erledigen zu können. Irgendwann sind alle erschöpft, der kleine Goldfisch, der durch ein paar schnelle Drehungen und Wendungen immer ausweichen kann, der jede Bewegung der Großfische in seinem Körper spürt, ist als Beute nicht geeignet. Die Großfische geben die Jagd auf, ermüdet und uninteressiert geworden, und leben ihr Leben weiter. Der artfremde neue Genosse, der ein Fremdkörper ist, aber ungefährlich und kein Konkurrent in der Nahrungskette wird von den Großfischen schließlich akzeptiert und in Ruhe gelassen. Eines Tages schaut der Goldfisch aus seiner neuen Heimat, die unglaublich groß, weit, tief, in dunkle und helle Spektralfarben getaucht, und eine sprudelnde Quelle der Erneuerung, ist, hinaus, und richtet seinen Blick gegen die alte Heimat. Er winkt seinen alten Freunden zu, die ihn müde, traurig, deprimiert und fassungslos beobachten und die Welt nicht mehr verstehen. Alle wollen sie ihm jetzt folgen, keiner hat mehr Kraft. Das Wasser ist fahl geworden, die Nährstoffe knapp. Als sie ihn so sehen, stirbt der Erste an Herzverfettung. Alle anderen folgen ihm, und schwimmen nur wenig später mit dem Bauch nach oben, auf der Wasseroberfläche. „Die sind ja alle tot!“, ruft das neunjährige Kind, dem das Goldfischglas gehört, und spült sie ins Klo.
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