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FRANZ GARY(1932-2003), ÖSTERREICHISCHER SCHAUSPIELER: Leben und Karriere im Überblick. von Elmar Oberegger
Franz Gary war in der Tat ein Schauspieler, welcher gleichzeitig bekannt und unbekannt ist: Fast jeder kennt sein markantes Gesicht, doch fast niemand seinen Namen, auch über sein Leben ist nur wenig bekannt. Franz Gary 1985(Autogrammkarte):
Seine Auftritte in Film und Fernsehen bestanden fast immer aus Nebenrollen, welche er aber immer höchst eindrucksvoll zu gestalten vermochte. Er war eben – ob nun mit oder ohne Vollbart – ein echtes Original, so wie etwa Klaus Kinski(1926-1991) oder auch Herbert Fux(1927-2007). Seine Stimme stets gewaltig, sein Körperbau kräftig. Unvergesslich sein Auftritt als aggressiv-komischer, aber grundehrlicher „Woditschka“ neben Fritz Muliar(1919-2009) als Schwejk in mehreren Teilen der TV-Reihe „Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk“(1972-1976). Die beiden verabredeten sich 1914 „nach dem Krieg um Sechs“ auf ein Bier im Prager Gasthaus „Zum Kelch“. Ein Unternehmen, welches fast gelang: Schwejk kam nur zehn Minuten zu spät, trotzdem war die Freude groß. Dann sein derber Auftritt in „Der Mond is‘ nur a nackerte Kugel“(1981) mit Bruno Dallansky(1928-2008) in der Rolle des Bärböck: Gary verrichtete in einer hölzernen Klohütte gerade sein Geschäft, als Bärböck völlig betrunken mit einer Friedhofs-Kanone(Standböller) heranfuhr und ihm mehrmals mit Beschießung drohte. „Schieß Du nur, ich scheiß‘“, tönte es aus der kleinen Hütte. Bärböck schoss, die Hütte wurde weggeblasen, der Rauch senkte sich, und da saß Gary mit ziemlich verdutztem Gesicht… Nicht zu vergessen sein Auftritt in der Folge „Räuber und Gendarm“(1980) der TV-Reihe Kottan ermittelt, wo er als biederer Bürger Zeuge eines Post-Überfalls wird und bemerkt, dass die Räuber ein Bündel Geldscheine am Trottoir verloren hatten. Nach kurzem, innerem Kampf steckte er dieses sodann unter Glockengeläut ein… In „Kottan ermittelt“, wo Peter Patzak(1945-2021) bis 1984 Regie führte, kam er auch noch in der Folge „Kansas City“(1982) vor, dann aber auch in dessen Film „Tiger – Frühling in Wien“(1984), den unerbittlichen „Gläubiger Weniger“ darstellend. Franz Gary trat aber u.a. auch auf in „Fett macht Fett“(1978, Serie Kommissariat 9), „Merlin“(1979), „Die fünfte Jahreszeit“(1983), „Die schwarzen Engel“(1985, Serie Der Fahnder), „Die fünf Sinne“(1988, Serie Heiteres Bezirksgericht). Ferner im mehrteiligen Drama „Alpensaga“(1976-1980), und in der Krimi-Reihe „Derrick“(1977): Einmal gemeinsam mit dem legendären Rudolf Platte(1904-1984) in „Offene Rechnung“, ferner in der Folge „Tote im Wald“. Filmauftritte u.a. in: „Thomas More“(1964),„Stellenangebote weiblich“(1969), „Die Barrikade“(1970), „Prosperos Traum“(1977), „Der Mann im Schilf“(1978), „Dorf an der Grenze“(1979), „Tarabas“(1981), „Der Aufsteiger“(1981), „Lebenslinien“(1983), „Der Dichter vom Bahnhof“(1983), „Widerspenstige Victoria“(1992). Im Zuge der Serie „Wagner“(1983) stand er sogar mit dem weltweit berühmten Filmstar Richard Burton(1925-1984) vor der Kamera. Sein letzter großer Auftritt war die Rolle des Russen „Mischa“ im Damiano Damiano-Film: „Der Zug“(1988). Auf diese Rolle war er besonders stolz und schrieb an den Cousin Max am 6. September 1987: „Lieber Max, endlich komme ich dazu, Euch zu schreiben. Ich war 3 Monate in Wien und habe eine große, schöne Rolle, einen Russen, <Mischa> in der internationalen Produktion <Der Zug> unter der Regie von Damiano Damiani in englischer Sprache gedreht. Der Film, ein TV-4 Teiler, kommt im Frühjahr in Österreich ins Fernsehen … Die Arbeit war mehr als anstrengend, wir arbeiteten täglich bis zu 17 Stunden, mit einer kurzen Mittagspause von 2/2-3/4 Std., aber künstlerisch war die Arbeit schön u. befriedigend …“. Mit diesem Cousin Max – dem Besitzer eines schönen, alten Forsthauses bei Vöcklabruck(Oberösterreich) – verband Gary eine lebenslange Freundschaft. War das Wetter schön, dann schwang er sich in Salzburg auf seinen Motorroller und fuhr kurzerhand zu ihm. Oftmals erfolgte die Anmeldung sehr kurzfristig, sodass es „nur“ Suppe und Haschee-Knödel gab, welche in diesem (abgelegenen) Hause immer in der Gefriertruhe – quasi als „Kulinarischer Notgroschen“ – bereitstanden. Aber gerade diese Einfachheit gefiel Gary sehr. Man redete über die Familie, Gott und die Welt… Und da Gary ja eine so imposante Stimme hatte und im Stiegenhaus des alten Forsthauses so eine gute Akustik vorhanden war bzw. ist, spielte er mit dem Cousin manchmal Passagen aus dem Werk Shakespeares oder eines anderen berühmten Autors nach. Cousin Max nahm einmal alles – offenbar heimlich – auf Tonband auf und schickte dieses dem Cousin Franz, welcher ihm am 6. September 1987 in einem Brief mitteilte: „Anbei sende ich Dir das Band zurück, ich habe mich köstlich amüsiert“! Gary hatte sich als Hauptwohnsitz schließlich Salzburg gewählt, wohl wegen der Nähe zur „Boomtown München“. In der Mozartstadt hatte er mit seiner Frau Edith eine geräumige Wohnung im dritten Stock eines Mehrparteienhauses neben der relativ jungen Erentrudis-Kirche bezogen, welche Teil des 1957 in Angriff genommenen Bauprojektes „Gottessiedlung zur Heiligen Erentrudis“ ist. Auch der Stadtteil „Josefiau“ bzw. „Herrnau“ – wo sich diese Kirche befindet – ist relativ jung und erhielt bekanntlich erst nach 1945 durch die Ansiedlung von Kriegsflüchtlingen größere Bedeutung. Es erfolgte eine großzügige bauliche Erschließung. Von dieser Wohnung aus hatte er nicht weit zur Autobahnauffahrt „Anif“, zur durch Busverkehr erschlossenen Alpenstraße mit ihren Geschäften und zum grünen Nordland des Schlosses Hellbrunn, wo man hervorragend spazieren und sich erholen kann. Der Ort, wo sich Garys ehemalige Wohnung befindet, gleicht irgendwie einem großen Dachs-Bau, wo jeder auf jeden schaut und besonders „Fremde“ sofort entdeckt werden. Der Autor dieser Zeilen grüßte aber immer freundlich und erklärte sich sofort. Es gab keine Probleme. Eine neugierige Dame, welche gerade am Balkon rauchte, interessierte sich für das Thema ganz besonders, obwohl sie den Namen „Gary, Franz“ noch nie gehört hatte. Dasselbe galt für die serbische Hausmeisterin, welche plötzlich erschien: „Seit Jahre 1990 bin I jetz‘ do, oba Naum‘ Gary hob‘ I nu nia g’ghert‘“. Na gut. Alles blieb freundlich und gewaltlos. Letztlich aber war es wohl kein Fehler, dass Gary den „Dritten Stock“ bezog, und damit eine gewisse erhabene Stellung besaß. Leider trägt das Haus kein dem Schauspieler gewidmetes Erinnerungsschild. Ob er an diesem Wohnort auch kirchlich engagiert war, ist nicht bekannt. Es steht aber fest, dass er zeitlebens der katholischen Religion eng verbunden war. Eigentlich war Gary – wie viele andere – „Wahl-Salzburger“: 1932 wurde er in Linz an der Donau in eine gutbürgerliche Familie hineingeboren und sein Vater Franz(1905-1997) sah für ihn eigentlich eine „Technische Karriere“ vor, war dieser doch selbst diesem Metier verhaftet. Doch schon vor der HTL-Matura zog es ihn auf die Bühne. Sein erstes Engagement erhielt er am Linzer Landestheater. Und schon bald darauf gelang es ihm, die Grenzen zu überschreiten. Es ging in den nächsten Jahren vor allem in die Bundesrepublik Deutschland: Köln, Frankfurt/M., Ruhrgebiet, Bremen, Wien Josefstadt, Helsinki und auch West-Berlin, wo er mit dem berühmten Schauspieler Dieter Borsche(1909-1982) – weltweit bekannt vor allem durch „Dr. Mabuse“ und „Winnetou“ – im Stück „Equus“ auf der Bühne stand. In der neuen Münchner Vorstadt, am „Wilhelm Dieß-Weg 9“ nahm er sich eine Wohnung. Bemerkenswert ist, dass er für seine Rolle im 1964 entstandenen Elias Canetti-Stück „Die Befristeten“ vom Meister selbst eine große Ehrung erfuhr: Er schenkte ihm ein Buch mit der Widmung: „Für Franz Gary, dessen Zartheit, Versponnenheit und Güte in den ‚Befristeten‘ ich nie vergessen werde“. Die „68er-Bewegung“ scheint ihn eigentlich nie berührt bzw. belästigt zu haben. Doch der dann folgende, offiziell erlaubte „MARSCH DURCH DIE INSTITUTIONEN“ war ihm schließlich widerlich: Kostbare Theaterstücke würden willkürlich verstümmelt und er könne das nicht verstehen. Viel weniger könne er verstehen, dass eine solche Perversion dann noch „Theaterstück“ genannt werde, und dass das alles dann von den „Kritikern“ noch gutgeheissen werde… Man weiß nicht, ob diese Totale Abkehr von der damaligen „Wirklichkeit des Theaters“ eine wirklich konkrete Ursache hatte. Gary jedenfalls ging in „Theater-Pension“. Mit nicht einmal 60 Jahren. Dieses Metier erschien ihm als „sinnlos“. Dem Film aber blieb er treu. Ungefähr zur selben Zeit spielte Thomas Bernhard übrigens mit dem Gedanken, „Ein Fest für Boris“ nur noch mit Fleisch-Klumpen & Tonband aufzuführen. Das allerdings würde nur im progressiven West-Berlin gehen, und er glaube gar nicht daran, dass das überhaupt machbar wäre… Gary musste sich in dieser Zeit also ganz neu erfinden, und bezog schließlich ein Haus in Grödig-Fürstenbrunn, südlich der Stadt Salzburg. Wer hier nun ländliche Weitläufigkeit vermutet, wird bitter enttäuscht: Auch dieser Wohnsitz glich einem Dachsbau bzw. einem Bollwerk, was übrigens für die gesamte Siedlung gilt. Das Haus besitzt noch weitere Nachteile: Eine steile, als Kurve angelegte Garageneinfahrt vom Straßenniveau bis ins Souterrain. In der Garage selbst keine Wendemöglichkeit. Schwer befahrbar besonders im Winter. In der Winterzeit wird ferner die Sonne durch den Untersberg verdeckt, sodass das Haus in Schatten und Kälte verbleibt… So ist es gar nicht verwunderlich, dass es ihn immer wieder zum Haus des Cousins zog(s.o.): Ländliche Weitläufigkeit, Wald, schon nach ein paar Schritten herrlicher Gebirgs-Ausblick. Eine exzellente Mischung! „Sinn“ erblickte Gary schließlich im Abhalten von Lesungen an verschiedensten Orten. Diese Tätigkeit – welche ihm in Salzburg, Oberösterreich und Bayern einen ganz neuen Bekanntheitsgrad(!) verschaffte – dürfte er im Jahr 1985 aufgenommen haben, jedenfalls trägt die älteste überlieferte Autogrammkarte dieses Datum. Hinsichtlich der Schauplätze seiner Lesungen war Gary im Grunde nie wählerisch, denn er suchte letztlich „Neuen Sinn in seinem Leben“: Er las in Schulen und Altersheimen genauso gern wie in (renommierten) Kulturzentren. Sogenannte „progressive 68er-Texte“ lehnte er als Konservativer strikt ab. Seine großartige Stimme und seine Erscheinung waren schon „an sich“ tief beeindruckend. Es steht historisch fest, dass Gary seit seinem Ausscheiden aus dem „Theater-Betrieb der Zeit“ im deutschsprachigen Raum ein „Politikum“ war, indem er sich ganz einfach verweigerte. Als „Politischer Agitator“ betätigte er sich allerdings nie. Seine „Große Verweigerung“ blieb somit nahezu „privat“. Sie passte nicht ins „Bild der Zeit“. Sein „Kultureller Stützpunkt“ war in Salzburg zuerst St.Peter, seit 1994 dann das „CORSO“ mit dem Sitz „Imbergstr. 2“: Ursprünglich Kaffeehaus, dann zusätzlich Hotel. Der in Österreich weltberühmte Schauspieler Hans Moser(1880-1964) war hier u.a. Gast. Von 1981 bis 2014 diente dieses Haus der „Erwachsenenbildung“. 1991 machte er eine Kulinarik-Veranstaltung unter dem Titel „Berühmte und ihr Essen“. 1988 las er erfolgreich im Stift Reichersberg(OÖ). Die Neue Karriere endete letztlich mit einem Schock-Zustand, welcher einen sehr traurigen Anfang hatte und sich zunehmend aufbaute: Am 17.08.02 verstarb seine Frau Edith nach langem Leiden. Sie war über all‘ die Jahre sein „Eigentlicher Lebens-Anker“ gewesen. Dieser war nun weg. Dazu kam dann ein Autounfall, bei dem er zwar körperlich völlig unverletzt blieb, aber offenbar dennoch seinen psychisch-körperlichen Niedergang einleitete – Und dies obwohl er für sein Lebensalter im Grunde relativ gesund war, wie die Ärzte immer gesagt hatten. Die Schwester war ihm weder Ersatz für seine verstorbene Ehefrau, noch wollte er sich ihrer katholisch gemeinten Fürsorge fügen. Auch der Kontakt zum Cousin brach schließlich völlig ab. Das Öl des „Großen Russischen Tankers“ war offenbar verbraucht, wie aus einem Brief seiner Schwester an den Zwillingsbruder des Cousins vom 08.10.03 hervorgeht: „Trotz dieser Aufregung(= Der Unfall, Anm.d.Verf.) wollte er am darauffolgenden Sonntag zur Kirche – also fuhren wir mit dem Taxi. Er trug die Lesung ganz besonders schön vor und sank dann erschöpft auf die Kirchenbank, in die er noch zurückgekehrt war. Auch zur hl. Kommunion gingen wir Hand in Hand“. Am 18. September 2003 fand ihn seine Bedienerin im Fürstenbrunner Haus. Seine Schwester überliefert im obgenannten Brief: „…sein Herz dürfte einfach stehengeblieben sein. Er sah aus, als ob er schlafen würde, zur Seite gedreht, die Hand unter der Wange“. Seine Ehefrau Edith war 2002 im Wiener Friedhof „Kahlenberger-Dorf“ bestattet worden und dort wollte auch er seine letzte Ruhe finden. So wie die letzten Salzburger Wohnstätten Garys erinnert auch dieser auf einer Anhöhe gelegene Friedhof an einen Dachsbau: Die Gräber zuweilen dicht gedrängt, am Fuße dessen noch dazu enge Gassen, welche die Parkmöglichkeit stark einschränken. Hier ruht man in der Tat „in Frieden“… Szene vom Wiener Friedhof „Kahlenbergerdorf“:
Im oben bereits zitierten Brief hält Garys Schwester zum Begräbnis-Procedere fest: „Das Erdbegräbnis fand am 3. Oktober … in Wien-Kahlenbergerdorf statt. Einige Tage vor der Verabschiedung(in Salzburg, Anm.d.Verf.) telephonierte ich mit der städt.-Bestattung, daß ich … eine Überführung meines verstorbenen Bruders nach Wien wünsche. Die Feier blieb, da ich die Paten schon abgeschickt hatte. Den Sarg aber trugen sechs Männer zu Grabe. Von dem kleinen historischen (schon aufgelassenen) Bergfriedhof sieht man über Wien, Franz wollte unbedingt bei Edith beigesetzt werden. Ihr Großvater war einmal Bürgermeister von Kahlenbergerdorf – daher dieses Familiengrab … Wir sangen den Sonnengesang des hl.Franziskus und meine Freundin … spielte dieses Lied noch auf der Pan-Flöte – Arno las zum Abschluss … ein Gedicht von Weinheber vor (Himmelswiese) … Anschließend waren wir im Kahlenberg-Restaurant zum gemeinsamen Essen. Es war gerade Sonnenuntergang über Wien – ein warmer Herbsttag – die Leute saßen auf der Terrasse mit der herrlichen Aussicht über Wien … Von meinem Schmerz kann ich nicht schreiben – aber die Hoffnung auf ein Wiedersehen bei Gott hält mich aufrecht“. Totenbild Franz Gary(Städt. Bestattung Salzburg-Maxglan):
Literatur: OBEREGGER Elmar: Franz Gary(1932-2003). Über das Leben eines bekannten, unbekannten Schauspielers. Essai und Dokumente. –Sattledt 2022(Buster Shooter’s Finest 1).
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