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FRONTABSCHNITT „4/X/I/3/a/PAS“

Eine Erinnerung

4

RIO I. VON DEUTSCHLAND(1950-1996)

In Loving Memory

von

Elobert Stifter

 

„Nach längrem Studiren der vorhanden Litteratür gelangten wir zu Thesis, das mächtig‘ Baron‘ allzu nicht geneygent sind, bey ihrent auz Lustig-Freud veranststaltet Krieg‘ an die Kleinen ohnmächtig‘ Leut‘ zu denkend“(Albrecht Bibulus, 18. Jh). 

Alles flimmerte, die Hitze war übermächtig, als die Soldaten unter Commendant Bosko ungefähr 100 Meter vor dem kroatischen Straßenknoten PASKI ZAZELJAK im oberen Dalmatien mit ungefähr 77 Mann ihre Stellung bezogen. Die Grillen zirpten laut, das Gras war längst versengt, von der Sonnenglut sozusagen bereits aufgefressen.

Drüben im kleinen, gleichnamigen Weiler direkt am Knoten diese Kroaten, deren Hass – so die Zagreber Propaganda - gegen die Serben damals glühend war, genauso glühend wie die Sonne. Doch Gegner-Soldaten nicht da.

Die Einnahme dieses Knotens – so hatte man es Bosko mit größtem Nachdruck gesagt – würde für den Kriegsverlauf einst von ganz entscheidender Bedeutung sein. Und er gab Befehl, die Zelt-Unterkünfte aufzubauen, Patrouillen einzurichten.

Bosko war wie alle Teil dieses untergegangenen Staates zwischen Wurzenpass und Ohrid, Lehrer für Französisch und Deutsch in Belgrad, dann politisch radikalisiert, menschlich abgeglitten, immer eine GLOCK bei sich tragend, Führer eines Freikorps für „GROSS-SERBIEN“. Den Karadzic-Bart ließ er sich im Zuge der Radikalisierung wachsen. Und dann war er da, und er konnte seine Existenz eigentlich nie so wirklich richtig erklären.

Aber der Befehl zum Sturm auf PASKI ZAZELJAK kam nicht. Tagelang nicht, wochenlang nicht. Boskos Männer wurden unruhig. Und irgendwann waren die Vorräte fast aufgebraucht. Vor allem an Wasser fehlte es. So hatte es auch gar keinen Sinn mehr, sie zu Geländeläufen zu verpflichten. Das serbische Projekt sackte ab.

Doch der Kreis um diesen Patrouillenführer Slavko war immer zufrieden und heiter, und Bosko fand sehr schnell den Grund heraus: Man hatte Beziehungen zu den Bewohnern von PASKI ZAZELJAK aufgebaut.

Bosko ging eines Tages selbst hinüber, in Uniform, Aussehen und Gehabe ganz als Serbe.

Er klopfte an die erste Holztür, und eine wunderschöne Frau im deutschen Haushaltsmantel öffnete und fragte forsch: „Quesque tu veux, chouchon serbien“. Im Film hätte sie Brenda Vaccaro dargestellt. „Doucement bebe, Doucement“, sagte er, und blickte sie an. Sie stutzte. „Entrez“, sagte sie dann. Für Jahre war sie in Paris Putzfrau gewesen, über ihren Großonkel. Doch viel spreche sie nicht von deren Sprache.

Dass er in Beograd schon immer viel geträumt und gehasst habe, sagte er ihr dann, eine „Gesamtlösung für Jugoslawien“ schwebte ihm damals vor. Und sie machte ihm diesen Yugo-Kaffee. Dass nicht mehr viel Kaffee da sei, machte sie ihm klar. Auch sonst nicht mehr viel, immer wieder auf den Herd hinschimpfend. Ihr Mann sei eingerückt und melde sich nicht mehr, seit Monaten nicht.

Bosko verabschiedete sich und ging zur Truppe zurück, welche gerade am Feuer sang und soff. Doch woher kam denn der Sliwowitz, anstatt aus PASKI ZAZELJAK, woher denn sonst? Wuchs er auf den Bäumen? Nein. Soviel wusste er als Serbe. Als Ausgelieferter gelang es im trotzdem, ein paar Stunden zu schlafen.

Frühmorgens begann sich der Feuerball über Dalmatien erneut zu erheben, die verbliebenen Vögel zwitscherten. Er sagte seinem Stellvertreter kurz und knapp: „Ich Sonder-Patrouille“. Woraufhin dieser sagte „Jawohl“! und weiterschlief. Die Serben haben ja schon immer einen Spezial-Sensor dafür gehabt, wenn es ernst wird, und wann nicht.

Er ging hinüber. Sie fütterte gerade die Hühner, und er sagte: „Je m’appele Bosko“. Und sie sagte: „Ja sam Marinka“. Und dann war alles so, wie mein Rybniker Freund Weidinger – Mauszüchter - immer und immer wieder schilderte:

„Es gibt eine Höhere Macht, die Individuen zusammenführt. Wenns der eine Liebe nennen möchte, dann soll er es so nennen“.

Im Zuge ihrer Beziehung besprachen sie sehr viel. Dass ihr am Boden liegender Haushaltsmantel vom Cousin aus Duisburg stamme, ihr Waren-Wohlstand immer von Deutschland hergekommen sei, von ihrer Unterwäsche gar keine Rede, denn sie war inexistent am Ort.

Sie liebte ihn, obwohl verboten. Und er liebte sie, obwohl verboten. Und ständig machten sie diese „VERBOTENEN DINGE“. Den Geruch ihres Haares soll er aus seinem Schädel nie wieder rausbekommen. Es geht hier also auch nicht so sehr darum, dass er sie dann verloren hat, sondern wie er sie verloren hat.

Und dann kamen eines Tages noch vor Sonnenaufgang „POLIT-KOMMISSARE“ nach PASKI ZAZELJAK und riefen die Bevölkerung – selbst jeden Großvater und jedes Kind - dazu auf, eine KALASCHNIKOW in die Hand zu nehmen, vorzustürmen und zu schießen. Die regulären Truppen waren anderswo gebunden.

Boskos Truppe war informiert und bereit.

Marinka begegnete dabei in ihrem Duisburger Haushaltsmantel ihrem Bosko und schoss mit geschocktem Blick an ihm zwei Meter vorbei.

Bosko schoss ihr mit seiner Glock zwischen die Augen.

Er wollte seither grundsätzlich „Gar kein Leben in Jugoslawien“ mehr, und saß am Ende im Nachtzug Beograd-Wien. Dass dieses laute „TACK-TACK“ auf der Fahrt auf „MARINKA“ hindeuten könnte, musste er ganz einfach verdrängen. Eisern.

Sein Blick wäre überhaupt immer kühl gewesen und nach Südost gerichtet gewesen, sagten seine Schüler in Frankfurt/M. am Ende.