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DAS DICKE BUCH

Eine Vorkriegs-Phantasmagorie

von

Elobert Stifter

 

Es gibt – meine liebenswerten und von mir von Herzen geliebte Leser – Geschichten, die man eigentlich totschweigen sollte, da sie einen Ehrenwerten Geschichtsschreiber aufgrund ihrer unglaublichen Struktur dem Vorwurfe der Übertreibung oder gar der Lüge ausliefern könnten. Dennoch ist es die Pflicht des Ehrenwerten Geschichtsschreibers, all das zu erzählen, was er – durch verschiedenste hochwertige Quellen gespeist – erfahren hat, um somit seinem Bildungsauftrag gerecht zu werden. Aber nichts Schlimmeres gibt es, als mit dem Ruf eines Schwätzers versehen ins kalte Grab hinab-zu-steigen. Nach diesen kurzen Vorbemerkungen berichte ich nun über das, was sich vor nicht allzu langer Zeit im südsteirischen Belling(Ostr.Dun.) ereignete.  

Eines Nachts brachte der MAIER Gustl vom Fallbach - alias „SCHWARZBART-GUST“ – dem Pater Lukas ROCKZIPFLER(OSB Admont, geb. in Wildalm) ein gut gefülltes A4-Couvert in den Pfarrhof. Er öffnete es und fand darin hoch-infektiöse Maria-Magdalena-Literatur in Form der aktuellen Monatsausgabe des im Südosten erscheinenden Magazins „OBSESSION“.

Sofort ließ er alles fallen, ihm wurde übel und der Schweiß stand ihm alsbald auf der Stirn. Er setzte sich an seinen alten Schreibtisch und nahm einen tiefen Schluck aus dieser Plastikflasche, einst gefüllt mit diesem ortsüblichen Heilwasser, von ihm aber stets mit Slivowitz wieder-aufgefüllt.

Dann hob er alles auf, und legte es vor sich auf den Schreibtisch. Ein kurzer Blick in dieses Machwerk und schon kündigte sich stampfend die Pfarrersköchin an, um nach ihm kurz zu sehen, denn er war ja krank. So versteckte er alles unter seinem Heiligen Gewande, so wie er schon immer alles unter seinem Heiligen Gewande versteckt hatte. Er versprach, sich bald zur Ruhe zu legen.

Danach veranlasste ihn eine Dunkle Macht, noch einen Blick zu wagen und er trank blubbernd vom Heilwasser. Er fühlte plötzlich deutlich seinen Gefangenen-Status, flüchtete aber nicht nach außen, sondern immer weiter nach innen und so sang ihm seine Hand ganz plötzlich das Hochzeitslied. „Der Vater im Himmel sieht alles“(Matthäus) verkam dabei zum lächerlichen Slogan, so wie die Katholiken dieses hohe Bibelwort schon immer auf einen lächerlichen Slogan herabgedrückt haben und solange es sie gibt, auf einen lächerlichen Slogan herabdrücken werden.

Die HEILIGE SCHRIFT befand sich während dieses skandalösen Vorgangs ganz oben im Buchregal, beobachtete alles und war beeindruckt von derartiger Hingabe und derart mächtigen Gefühlen, und fragte sich, warum sie denn selber all das nicht auslösen könne.

Nachdem Pater Lukas sodann in sein Schlafgemach wankte, aufs Bett fiel und sofort einschlief, blieb das Pornomagazin am Schreibtisch liegen, und begann ein schändliches Gespräch mit der Heiligen Schrift:

Sie sei eben zu dick, zu fett mit ihren ca. 1500 Seiten. Vor allem viel zu alt mit ihren über 2000 Jahren. „Während Du in deiner ekelhaften Fettheit völlig verkommst, werde ich jeden Monat neu geboren, bin wunderschön und schlank mit meinen ca. 150 Seiten und gleite dann durch die Männerhände“, sagte das Pornomagazin mit satanischer Miene.

Da wurde das Dicke Buch sehr, sehr traurig und begann damit, sich selbst Seiten auszureißen und diese auf sinnreiche Weise verschwinden zu lassen. Es beschritt also konsequent den Weg in Richtung Schlankheit und Schönheit. Treffender: In Richtung angeblicher Schönheit. Bald würde Pater Lukas es wieder begehren und mit Lust lesen. Ist man attraktiv, spielt das Alter ja keine Rolle.

Das Dicke Buch beschritt damit jenen unheilvollen Weg, welchen auch viele Menschen beschreiten: Die KÖRPERLICHE SELBST-BEARBEITUNG bzw. SELBST-ZERSTÖRUNG bzw. SELBST-VERDAUUNG.

Im vorhergehenden Sommer hatte man etwa im Schwimmbad noch wunderbarste Frauen mit ihren üppigen Formen beobachten können, dann aber ließen sie sich Fett absaugen, die Brüste verkleinern und der MUNDGERUCH DES HUNGERS wurde zu ihrem permanenten Begleiter. Abrasiert das Schamhaar.

Stattliche Männer – von deren erotischer Erscheinung so manche (verheiratete) Frau nachts träumte – ließen sich einst den Penis verlängern und trugen sodann eine besonders knappe Badehose. Entfernt das üppige Brusthaar, abgesaugt das Bauch-Fett, Fitness-Studio-Muskeln. Abrasiert das Schamhaar.

Im Sommer darauf dann nur noch arme Krüppel sichtbar, welche keinerlei sexuelle Ausstrahlung mehr besitzen, sich diese jedoch massiv einreden oder durch un-verantwortliche Psycho-Therapeuten einhämmern lassen.

Und „OBSESSION“ wurde im nächsten Monat - wie vorhergesagt - wiedergeboren, lag am Schreibtisch des ROCKZIPFLERS und sprach das Dicke Buch erneut an:

„Also abgenommen hast Du nicht, wie ich sehe. Du bist angefüllt mit Scheiße, weißt Du das eigentlich? Zuerst dieses durch und durch vulgäre ‚Alte Testament‘, dann dieser Merkwürdige Sammelband, genannt ‚Neues Testament‘, wo sich ja gar nichts reimt, dieser Jesus einerseits als Terrorist aufscheint, andererseits als sanfter Wohltäter. Jesus macht also im Tempel gegen seine Feinde massiven Terror, bereitete sich zuvor sogar seine Waffe selbst zu. Dann diese Hass-Aktion gegen den armen Feigenbaum. Jesus hier also als wirklich psychopathischer Terrorist. Und dann ist gleichzeitig die Rede von Widerstands-Vermeidung. Was bedeutet das? Nach dem Schlag auf die rechte Backe die linke hinhalten. Und weiter? Wenn der Feind dann nochmal zuschlägt, ihm was zwischen die Augen geben? Da ist er dann eben ausgelöscht, kein Widerstand mehr“.

Dass diese Rede des Satans rein aktionistisch und völlig un-theologisch war, muss ich als Ehrenwerter Geschichtsschreiber nicht betonen.

Und der Satan setzte fort:

„Und die Feinde lieben. HaHaHaHa! Liebe kommt hier – wenn man die Geschichte des Christentums so anschaut – offenbar von ‚Liebe machen‘, also ‚ficken‘. Die Botschaft also ‚Ficke deinen Feind‘. Und jeder, der da was Andres herausinterpretiert, ist ja schon krank im Hirn“.

Und der Satan setzte abschließend hinzu:

„Ich bin die Freude, ich bin die Freiheit. HaHaHaHaHa! Ich bin OBSESSION, ich werde jeden Monat neu geboren“!

Und da das Dicke Buch schwieg, richtete der Satan direkt in Richtung seines Standortes, hochdroben im Bücherregal:

„Wohin geht denn der ROCKZIPFLER nach den Anstrengungen des Tages? Zu mir oder zu Dir? Zu mir natürlich! Denn ich bin amüsant, leicht aufzunehmen, ergo problemlos. Und das alles bist Du nicht“!

Keuchend und schwitzend riss das Dicke Buch dabei Seite um Seite aus seinem Leib heraus und seine Schmerzen wurden mit jedem Mal heftiger.

„Interessant finde ich nur das letzte Kapitel des Merkwürdigen Sammelbandes alias Neues Testament. Es zeigt uns die Herausforderung, vor der WIR stehen. Es zeigt unsere CHANCE. Diesen APOKALYPTISCHEN KRIEG gewinnen WIR, klar? WIR werden vorstoßen, alles töten, was uns im Wege steht, und sodann über die GANZE WELT erstmals unbestritten und lückenlos herrschen. Diesen Krieg gewinnen wir, klar“?, sagte der Satan mit ernster Miene.

Sodann riss das Dicke Buch seine letzte Seite heraus und starb, damit vorbei die Schmerzen, und schon stieg sein Geist zum Vater im Himmel auf.

Pater Lukas ROCKZIPFLER saß völlig betrunken daneben.