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>> JUGOSLAWISCHE EISENBAHNEN.

 

Zwischen 1918/19 und 1990/91 existierte zwischen Karawanken und Ohridsee ein Staat, welcher zunächst offiziell mit „SHS-Staat“, ab 1929 mit „Königreich Jugoslawien“ und schließlich ab 1945 mit „Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien“ bzw. „Tito-Jugoslawien“ bezeichnet wurde. Anfang der 1990er Jahre lösten sich die Teilrepubliken Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien aus diesem staatlichen Verband. Bis zum Jahr 2003 verstand man unter „Jugoslawien“ nur noch Serbien und Montenegro. Seither existiert kein jugoslawischer Staat mehr. In diesem Artikel soll die Phase von 1918 bis ca. 1991 behandelt werden.(1)

JZ-Diesellok in Skopje(Rep. Mazedonien) 1975:

Nachlaß L.K. Pernegger

Zunächst hatte das Land mit schwerwiegenden ökonomischen und infrastrukturellen Problemen zu kämpfen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erlebte es jedoch unter Tito, welcher einen eigenen politischen Weg abseits von Ost und West wählte, eine beachtliche Blütezeit. Auch im Bereich der Schiene. Damals wurde folgendes Konzept verwirklicht bzw. dessen Verwirklichung eingeleitet:

1) Elektrifizierung/Verdieselung des Hauptnetzes.

2) Ausbau des West-Ost-Korridors(Italien/Österreich-Zagreb-Beograd-Rumänien/Bulgarien/Griechenland).

3) Aus- bzw. Neubau von Adria-Verbindungen, welche diesen Korridor in Nord-Süd-Richtung durchschnitten.

Das jugoslawische Netz um 1991:

Nach: Kursbuch 1991/92

In Planung war die Errichtung eines neuen West-Ost-Korridors, welcher von Stalac bis nach Ljubljana verlaufen sollte.(2) Bis auf ein kleines Stück zwischen Zvornik und Uzice konnte dieses Projekt grundsätzlich umgesetzt werden.

Der „Zweite West-Ost-Korridor“:

Nach: F.STÖCKL, Eisenbahnen Südosteuropas, Wien 1976, 28.

Im Gespräch war ferner ein dritter, vor allem dem Tourismus dienender Korridor von Rijeka bis nach Montenegro(„Adria-Bahn“).

In den 1970er Jahren wurde die alte Idee(1867), den Bosporus eisenbahnmäßig zu überwinden, neu aufgegriffen.(3) Realisiert wurde jedoch keines der vorgeschlagenen Projekte, was sich natürlich auf die eisenbahnmäßige „Orient-Politik“ Jugoslawiens grundsätzlich kontraproduktiv auswirkte.

Jugoslawien als Vermittler zwischen Okzident und Orient:

Nach: Sava VASILJEVIC, Der Transitverkehr durch Jugoslawien und jugoslawische Seehäfen, Beograd 1984, 9.

Unter Tito wurden alle großen Transit-Probleme, welche den früheren jugoslawischen Staat geplagt hatten, einigermaßen aus der Welt geschafft. Das Hauptnetz erhielt zumindest ein Profil von internationaler Bedeutung. Hilfreich waren in dieser Hinsicht auch die Gebietsgewinne im Nordwesten(v.a. Istrien).

Die Staatsväter von 1918/19 waren vor folgenden Problemen gestanden:

1) Die Hauptstadt Beograd war ohne Direkt-Verbindung zur Adriaküste.

2) Teile des eigentlich transitären Netzes waren schmalspurig(76 cm).

3) Split, Sibenik und Dubrovnik-Gruz stellten keine leistungsfähigen Eisenbahnhäfen dar.

4) Rijeka war zwischen Italien und Jugoslawien geteilt. Somit stand nur Rijeka-Susak für einen modernen Seeverkehr zur Verfügung(s. Karte).

Obwohl für eine grundlegende Bereinigung dieser höchst ungünstigen Struktur die finanziellen Mittel fehlten, wurden ab 1918/19 z.B. folgende wichtige Projekte realisiert bzw. in Angriff genommen:

1) Lajkovac-Cacak(1922) und Uzice-Vardiste(1925) zur Herstellung einer neuen, kürzeren Verbindung Beograd - Dubrovnik-Gruz(76 cm).

2) Fertigstellung der unter österreichischer Herrschaft begonnenen „Lika-Bahn“(Verbindung Zagreb-Split/Sibenik). (1925).

3) Ausbau der mittels „Abtscher Zahnstange“ betriebenen 76cm-Trasse am Ivan-Paß durch Einschaltung eines neuen, 3223 Meter langen Tunnels. (1935)

4) Inangriffnahme des normalspurigen „Una-Bahn-Projektes“(B.Novi-Knin) unter Einbeziehung der alten 76cm-Trasse der „Steinbeis-Bahn“ im Bereich Knin-L.Kaldrma (1936).

5) Inangriffnahme der Linie Metkovic-Ploce(76 cm) zur Erschließung des geplanten Seehafens in Ploce. (1937) 

Jugoslawien 1937: Die wichtigsten Städte und ihre Eisenbahnzugänge zum Meer:

Copyright: Elmar Oberegger

Unter Tito konnten allerdings aufgrund massiver ausländischer Finanzhilfe folgende Transit-Projekte realisiert werden:

1) Strizivojna-Vrpolje - Sarajevo-Kardeljevo(Ploce). (Um- und Neubau, 1966).

2) Koper-Presnica(-Jesenice). (Neubau, 1967).

3) Beograd-Bar(Umbau, v.a. aber Neubau, 1976).

Dazu wären noch die Projekte „Una-Bahn“(1948) und „Zadar-Bahn“(1967) zu zählen, welche für den Güter-Transit allerdings nicht von größerer Bedeutung waren.

Im Jahr 1986 wurde in Form der „Titograd-Bahn“ der bereits zu Lebzeiten Titos beschlossene Eisenbahnanschluß an das albanische Netz vollzogen.(4) Zuvor hatten diesbezüglich mehrere Pläne existiert.

Entsprechende Konzepte hatte es schon in den 1970er Jahren gegeben, so z.B. den Eisenbahn-Plan „Split-Dubrovnik-Albanische Grenze“ als Teil einer „Adria-Eisenbahn“.(5) Letzten Endes war die „Titograd-Bahn“ für Jugoslawien nur ein „Politisches Projekt der Alten Männer(E.Hoxha/Tito)“. Der wirtschaftliche Nutzen für Jugoslawien war ja von vorne herein nicht gegeben.

Das jugoslawische Netz war bis zur Herrschaft Titos nach zentralistischen Maßstäben verwaltet worden. Schließlich kam es aber auch hier zu einer „Föderalisierung“. Dr. Bogomir Zizek, im Jahr 1972 Direktor der Generalrepräsentanz der JZ(= „Jugoslovenske Zeleznice“) in Österreich, berichtete damals dazu:

„Nach dem Prinzip der in Jugoslawien bestehenden Selbstverwaltung ... bestehen unsere Eisenbahnen aus fünf wirtschaftlich völlig autonomen, Unternehmungen, die in Zagreb, Sarajewo, Beograd, Skopje und Ljubljana jeweils ihren Sitz haben. Als Dachorganisation fungiert die ‘Gemeinschaft der Jugoslawischen Eisenbahnen’ mit Sitz in Belgrad, die mit dem Generaldirektor und dem Verwaltungsrat die Spitze bilden. Ihnen übergeordnet ist das sogenannte ‘Eisenbahnerparlament’(Skupstina). Dies alles darf jedoch nicht so verstanden werden, daß die Führung der fünf Eisenbahnunternehmungen in ihren Entschlüssen und in ihrer Gebarung etwa nicht selbständig wäre. Die Autonomie hat allerdings dort Grenzen, wo die Rentabilität einer Bahnlinie nicht mehr gegeben wäre ... Eine Bahnlinie, die nur Verlust bringt, verstößt gegen das Prinzip der Wirtschaftlichkeit“(6).

Bedauerlich war nur, daß dieses landläufig löbliche Prinzip der „Wirtschaftlichkeit“ in Bezug auf die 76cm-Linien in Bosnien-Herzegowina und Dalmatien allzu statisch ausgelegt wurde. Linien, welche landschaftlich überaus reizvolle Gebiete erschlossen, Linien, welche vor 1918 Gegenstand von namhaften „Reiseführern“ gewesen waren, wurden einfach aufgelassen. Obwohl Jugoslawien ein „Tourismus-Land“ war und somit auch die neue Beograd-Bar-Bahn entsprechend vermarktete(7), wurde der touristische Wert der alten 76cm-Linien nicht erkannt. Ende der 1980er Jahre wurden die letzten Geleise abgetragen.

Das Netz der JZ 1975/76: Noch mit den alten 76cm-Bahnen ausgestattet.

Nach: Kursbuch 75/76

Seit die JZ nicht mehr existieren, fehlt natürlich ein allgemein verbindlicher, eisenbahnmäßiger Ordnungsfaktor am Balkan. Es muß von europäischem Interesse sein, diesen zukünftig wieder herzustellen.

Titelblatt des letzten Kursbuches „Tito-Jugoslawiens“(1991/92):

 

Nachlaß L.K. Pernegger

 

Anmerkungen:

1) Vgl. zur Geschichte Jugoslawiens 1918-1980 Holm SUNDHAUSSEN: Geschichte Jugoslawiens. - Stuttgart u.a. 1982.

2) Vgl. Fritz STÖCKL: Eisenbahnen in Südosteuropa. -Wien 1975, S. 28.

3) Vgl. dazu v.a. „Die Brücke über den Bosporus wird Wirklichkeit. Ein Eisenbahnpionier und Wahlösterreicher schuf das erste Projekt(1867)“. In: Die ÖBB in Wort und Bild 6 (1973), S. 43.; ferners: Die ÖBB in Wort und Bild 4 (1971), S. 38.; Die ÖBB in Wort und Bild 8 (1971), S. 61.; Die ÖBB in Wort und Bild 7 (1972), S. 58.; Die ÖBB in Wort und Bild 5 (1974), S. 54.; ÖBB-Journal 5 (1976), S. 45.; ÖBB-Journal 3 (1978), S. 44.; ÖBB-Journal 8 (1978), S. 44.; ÖBB-Journal 9 (1978), S. 44.

4) Vgl. den entspr. Art. dieser Enzyklopädie.

5) Vgl. die Art. „Titograd-Bahn“ und „Albanische Eisenbahnen“ dieser Enzyklopädie; ferner Eisenbahn 7 (1975), 100.;

6) Die ÖBB in Wort und Bild 10 (1972), S. 42.

7) Vgl. dazu den Art. „Beograd-Bar-Bahn“ dieser Enzyklopädie. Vgl. zur Geschichte der Schmalspurbahnen in Bosnien-Herzegowina Keith CHESTER: The Narrow Gauge Railways of Bosnia-Hercegovina. -Malmö 2006.

 

Copyright: Elmar Oberegger 2007.