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>> SCHWEIZER EISENBAHNEN.

 

I: Geographie und Bautechnik.

 

Die Schweiz ist grundsätzlich von zwei Landschaftstypen gekennzeichnet:

1) Hügelland mit flachen Zonen(= sog. „Mittelland“, 30 % des gesamten Territoriums).

2) Gebirge(= Jura und Alpen, 70 % des Territoriums).

Geographische Gliederung der Schweiz:

Copyright: Elmar Oberegger

Damit bot das Land die denkbar schlechtesten Voraussetzungen für die Errichtung eines flächendeckenden Eisenbahnnetzes. Der Ingenieur Robert Stephenson, welcher um die Mitte des 19. Jahrhunderts aus dem relativ flachen England als „Eisenbahn-Experte“ in die Schweiz berufen wurde, stand den geographischen Gegebenheiten ziemlich unbeholfen gegenüber. Einerseits plädierte er für eine Bedeutungssteigerung der Wasserstraßen, andererseits für die Einführung des (partiellen) Drahtseil-Betriebes. Sein Konzept besaß also den Charakter eines regelrechten Not-Programms.

Die Eisenbahntechnik blieb jedoch nicht stehen: Im Jahre 1854 vollendete der Österreicher Karl Ritter von Ghega die Linie über den Semmering und zeigte damit, daß das Gebirge eisenbahnmäßig zu bezwingen ist. 1871 wurde der ca. 13 Kilometer lange „Frèjus-Tunnel“ eröffnet, welcher in der Folge Frankreich mit Italien verband. Damit wurde gezeigt, daß sowohl die Errichtung als auch der Betrieb eines „Großen Alpentunnels“ möglich ist. Grundsätzlich sollten beide Methoden in den Schweizer Eisenbahnbau einfließen. Daneben wurden aber auch einige Spezial-Methoden entwickelt, mit denen internationale Maßstäbe gesetzt wurden. Hervorzuheben wäre einerseits die Anlage von „Kehrtunnels“(Lucchini) zur Steigungsverminderung, andererseits die Einführung der „Zahnstange“(Riggenbach). Die zweite Methode fand nach ihrer Verbesserung durch Roman Abt sogar weltweite Verbreitung.

Kühne Bautechnik: Partie der „Rhätischen Bahn“ in Graubünden(Foto um 1964):

Int.Eisenbahnarchiv L.K. Pernegger

Ferner gelangte man bereits relativ früh zur Erkenntnis, daß die Einführung des elektrischen Betriebes vorteilhaft sei. Nicht nur hinsichtlich der Traktion, sondern auch angesichts des Umstandes, daß die Schweiz permanent große Mengen Kohle importieren mußte, um ihr Netz betreiben zu können. Die erste elektrische Linie wurde bereits im Jahre 1888 eröffnet. Seit 1960 befinden sich alle Schweizer Linien unter Fahrdraht. Der 1912 gefaßte Plan, ein einheitliches Stromsystem einzuführen, wurde nicht realisiert.

Schnellzug Chur-Sargans-Buchs-St. Gallen in Chur(1975):

Copyright: Leopold K. Pernegger

Da manche Gebrigsbahnen mittlerweile technisch veraltet erscheinen, wird in heutiger Zeit die Methode der Errichtung von „Basis-Tunnels“ verfolgt. Im Jahre 1982 wurde der „Furka-Basistunnel“ eröffnet. Folgende Projekte sind im Bau:

1) „Gotthard-Basistunnel“(Erstfeld-Bodio): Mit 57 Kilometern Länge wird er einst den längsten Eisenbahntunnel der Welt darstellen. Voraussichtlicher Fertigstellungstermin: 2015.

2) „Zimmerberg-Basistunnel“ als nördliche Ergänzung von 1).

3) „Ceneri-Basistunnel“ als südliche Ergänzung von 1).

4) „Lötschberg-Basistunnel“(Frutigen-Raron): Dieser wird voraussichtlich 2007 eröffnet werden.

Alle diese Projekte werden mit dem Begriff „NEAT“(= „Neue Eisenbahn-Alpentransversale“) bezeichnet.

 

II: „Bahn 2000“ - Netz und Betrieb heute.

Das Eisenbahnnetz der Schweiz umfaßt heute eine Länge von ca. 5030 Kilometern. Neben den normalspurigen existieren auch schmalspurige Strecken. Die „Rhätische Bahn“(1 m) in Graubünden stellt überhaupt ein eigenes Netz dar.

Das heutige Netz:

Nach: Kartenbeilage im Schweizer Kursbuch 2005/06. Der Verfasser bedankt sich bei Herrn Bgm.Alois Eckmann(ÖBB-Selzthal) für die freundliche Genehmigung zur Einsichtnahme.

Der Umfang der erfolgten Streckenstillegungen ist im internationalen Vergleich höchst gering. Genauso verhält es sich mit den Neubau-Strecken.

Betrieben wird das Gesamtnetz zu ca. 60 % von den „Schweizer Bundes-Bahnen“(SBB). Daneben existieren ca. 120 private Bahnunternehmungen. Besonders bedeutend sind:

1) Die „Rhätische Bahn“.

2) Die „Bern-Lötschberg-Simplon-Bahn“.

3) Die „Furka-Oberalp-Bahn“.

Triebwagen der „Rhätischen Bahn“ in Chur(1975):

 

Copyright: Leopold K. Pernegger

Hinsichtlich des Personenverkehrs trachtete man schon früh danach, alle Linien zu „vertakten“. Ende der 1980er Jahre wurde der Stundentakt eingeführt. Seit dem Jahr 2004 ist jedoch ein noch leistungsfähigeres System wirksam, welches sich „Bahn 2000“ nennt. Die Herstellung von Hochgeschwindigkeits-Strecken nach französischem Vorbild unterblieb bisher und ist auch nicht geplant, da die Schweiz ein relativ kleines Land darstellt. Die heute aktuelle Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h reicht völlig aus. Auch der neue Gotthard-Basistunnel(s.o.) wird mit nur 250 km/h befahren werden können.

Zwei „stolze Schweizer“ am Bahnhof von Buchs(2006):

Copyright: Leopold K. Pernegger

Aufgrund des flächendeckenden Siegeszuges des LKWs im Transitverkehr verfolgt man in der Schweiz beharrlich das Ziel der Verlagerung dieses Verkehrs auf die Schiene. Vor diesem Hintergrund ist das oben geschilderte NEAT-Projekt zu betrachten. Ist dieses einst umgesetzt, dann wird die Schweiz einerseits ihrer Transit-Funktion optimal gerecht, andererseits werden Umwelt und Landschaft nicht beeinträchtigt. Mit Recht werden beide Faktoren als volkswirtschaftlich bedeutend herausgestellt.

Güterzug in Sargans(2006):

Copyright: Leopold K. Pernegger

 

III: Zur allgemeinen Geschichte des Schweizer Netzes.

Die Schweiz trat relativ spät in den „Club der Eisenbahn-Staaten“ ein, was sowohl auf die geographischen Verhältnisse im Land(s.o.) als auch auf ihre föderale politische Struktur zurückzuführen ist. Während anderswo bereits längst umfassende Pläne zur Ausgestaltung des Eisenbahnnetzes bestanden und in Europa bereits ca. 8000 Kilometer Strecke errichtet waren, wurde in der Schweiz am 15. Juni 1844 nur die 1,8 Kilometer lange Linie von Basel bis zur Staatsgrenze bei St. Louis(St. Ludwig) dem Verkehr übergeben. Diese stellte übrigens den ersten Abschnitt der „Basel-Straßburger-Bahn“ dar. Am 9. August 1847 wurde die ca. 23 Kilometer lange Strecke von Zürich nach Baden eröffnet. Deren Verlängerung bis Basel via Aare- und Rheintal war vorgesehen. Einen allgemeinen, natürlich nur vom Bund aufzustellenden Eisenbahnplan gab es jedoch aufgrund der damaligen Verfassung nicht.

Erst die Verfassungsänderung des Jahres 1848 brachte einen Umschwung mit sich. Schon ein Jahr später wurde der Bundesrat offiziell beauftragt, folgende Probleme zu regeln:

1) Aufstellung eines allgemeinen Eisenbahnplans.

2) Entwurf eines Enteignungs-Gesetzes.

3) Erörterung der Frage der Beteiligung des Bundes am zukünftigen Eisenbahnbau.

4) Erörterung der „Konzessions-Frage“ hinsichtlich des privaten Bahnbaus.

Zunächst wurde das Enteignungsgesetz verabschiedet. Hinsichtlich der Aufstellung eines Eisenbahnplans wurden in der Folge die ausländischen Experten Robert Stephenson und Henry Swinburne beigezogen. Das Resultat war der ca. 650 Kilometer umfassende, sogenannte „Stephensonsche Eisenbahnplan“.

Doch diese Zentralisierungstendenz stieß auf heftigen Widerstand in den Kantonen, welche ihrerseits hinsichtlich des herzustellenden Eisenbahnnetzes genaue Vorstellungen hatten. Somit wurde dieses Bundes-Konzept am 28. Juli 1852 vom Nationalrat abgelehnt, welcher sogleich ein Gesetz erließ, wo vor allem festgehalten wurde:

1) Bau und Betrieb von Eisenbahnen ist Angelegenheit der Kantone bzw. privater Unternehmungen.

2) Es obliegt den Kantonen, die nötigen Konzessionen zu vergeben. Diese müssen allerdings vom Bund genehmigt werden.

3) Der Bund hat für die technische Einheit(Spurweite usf.) der Bahnprojekte zu sorgen.

Das Enteignungsgesetz blieb in seiner Grundsubstanz unangetastet. Im August desselben Jahres wurde bereits die erste Konzession vergeben.

In der Folge erfuhr das Schweizer Netz seinen ersten, großen Entwicklungsschub: Bis zum Jahr 1860 waren bereits mehr als 1000 Kilometer Strecke zu verzeichnen.

Die quantitative Genese des Schweizer Netzes(1844-1913):

Nach: Art. „Schweizerische Eisenbahnen“, in: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. Hrsg. v. Victor RÖLL, Berlin/Wien 1912 ff.

Das war ein beachtlicher Erfolg, mit dem im Jahre 1849 noch niemand gerechnet hätte. Der Umfang der neu errichteten Bahnen übertraf auch die Ausmaße des „Stephensonschen Eisenbahnplanes“(ca. 650 km) bei weitem. Die Verfechter des Gesetzes vom 28. Juli 1852 sahen sich bestätigt.

Ein Eisenbahnnetz kann aber nur dann wirklich volkswirtschaftlich fruchtbringend sein, wenn der Betrieb in wesentlichen Bereichen(Tarife, Anschlüsse u.a.) zentral gesteuert wird. Da dies jedoch in der Schweiz nicht der Fall war, kam es zu Konflikten zwischen den Bahngesellschaften. Dieser Umstand veranlaßte Bundespräsident Stämpfli im Jahre 1862 zu einer kühnen Aussage: Alle bisher errichteten Linien sollten vom Bund erworben werden.

Die Frage war jedoch, wer dann den weiteren Eisenbahnbau bezahlen solle. Daß dieser sehr teuer sein würde war klar, trachtete man doch danach, demnächst die Alpen zu überqueren. Um diesbezüglich privates Kapital mobilisieren zu können, behielt man das Privatbahn-System bei.

Die Alpen sollten an drei Stellen überquert werden:

1) Simplon(Übergang-West).

2) Gotthard(Übergang-Mitte).

3) Splügen oder Lukmanier(Übergang-Ost).

Die Gotthard-Bahn wurde bereits im Jahr 1882 eröffnet und verband die Schweiz mit dem italienischen Hafen Genua.

Der Zugang zum Hafen Genua:

Copyright: Elmar Oberegger

Endgültig fertiggestellt wurde das Gotthard-Bahnprojekt erst im Jahr 1897(nördl. Zufahrtslinien). Festzuhalten ist, daß die Schweiz in der Folge keineswegs auf Genua fixiert war. Auch Marseille blieb bedeutend. Die größte Konkurrenz Genuas war freilich der Rhein-Hafen Basel(Linie Basel-Rotterdam).

1906 wurde die Simplon-Bahn dem Verkehr übergeben. Allein das Projekt einer Splügen- bzw. Lukmanier-Bahn blieb unausgeführt. Dafür wurde bis 1909 die schmalspurige(1 m) Verbindung Chur-Thusis-Albulatunnel-Berninapaß-Staatsgrenze-Tirano errichtet.

Ab Mitte der 1880er Jahre wurde das Schweizer Netz mit noch nie dagewesenem Leben erfüllt, war es doch erstmals sowohl Teil des Nord-Süd(Gotthard), als auch des Ost-West-Transits(Arlbergbahn, 1884 eröffnet).

Besonders nachdem Stämpfli(s.o.) dem partikularistischen Privatbahn-System im Jahre 1877 erneut erfolglos entgegengetreten war, wurde sein Konzept verstärkt diskutiert. Man machte sich Gedanken über die finanzielle Lage der Bahngesellschaften, die einzelnen Tarife und die Zukunft des Netzes. Vor diesem Hintergrund wurde schließlich um 1900 ein „Verstaatlichungs-Programm“ begonnen, dessen Umsetzung bis in die erste Nachkriegszeit hinein dauerte. Im Jahre 1902 wurden die SBB gegründet.

Von nachhaltiger Bedeutung waren die in der frühen Staatsbahnphase umgesetzten Baumaßnahmen: Zu erwähnen wäre die Vollendung des zweiröhrigen Simplon-Tunnels(1906/21), die Errichtung des Ricken-Tunnels(8,6 km) und die Herstellung der Linie Gelterkinden-Tecknau(mit ca. 18 km langem Tunnel). Ferner wurden viele Linien doppelgleisig ausgestaltet und die Brückenanlagen verstärkt.

 

Quellen:

Art. „Alpenbahnen“. In: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. Hrsg. v. Victor RÖLL. -Berlin/Wien 1912 ff. und in dieser Enzyklopädie.

Art. „Schweizerische Eisenbahnen“. In: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. Hrsg. v. Victor RÖLL. -Berlin/Wien 1912 ff.(dort weitere Verweise hinsichtlich der Schweizer Privatbahnen).

Bilder von der Electrification der schweizer Bundesbahnen. -Bern 1926.

GOHL Ronald: Das große Buch der Schweizerischen Bundesbahnen. 100 Jahre SBB. 1902-2002. -München 2001.

Ders.: Schweizer Bergbahnen. -Zürich 1988.

100 Jahre Schweizer Eisenbahn. -Zürich 1947.

STAUDACHER Peter u.a.: Die Eisenbahn in der Schweiz 1847-1997. -Zürich 1997(CD-Rom).

 

Copyright: Elmar Oberegger 2006.