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>> MITTENWALD-BAHN.

 

Unter dem Begriff „Mittenwald-Bahn“ versteht man im erweiterten Sinne die Verbindung Innsbruck - Mittenwald - Garmisch-Partenkirchen - Griesen - Reutte.(1) Diese zerfällt jedoch in drei Segmente, welche ihrerseits eigenständige Bezeichnungen aufweisen.(2)

Verlauf und Segmente der „Mittenwald-Bahn“:

Copyright: Elmar Oberegger

Das Teilstück von Innsbruck bis Scharnitz(Staatsgrenze) wird mit „Karwendel-Bahn“ bezeichnet, jenes von Griesen(Staatsgrenze) bis Reutte „Ausserfern-Bahn“. Beide werden durch die über Mittenwald und Garmisch-Partenkirchen in Bayern führende „Mittenwald-Bahn im engeren Sinne“ verbunden.(3)

Im erweiterten Sinne stellt die Bahn ein eingleisiges Nebenbahn-Projekt dar, dessen Errichtung bis 1913 vollendet war. Interessant ist, daß man schon von Beginn an - teils aus technisch-experimentellen, teils aus ökonomischen Gründen - auf die elektrische Traktion setzte.

Der erste Abschnitt der Karwendel-Bahn(Innsbruck-Scharnitz) stellt den schwierigsten des gesamten Projektes dar. Die Bahn „... erklimmt den Zirlerberg(1185 m) mit einem Höhenunterschied von rd. 600 m. Die Entfernung dieses Punktes vom Ausgangspunkt beträgt 21,2 km, daher die mittlere Steigung 27,3 Promill“(4). Auf diesem Streckenteil befinden sich auch beinahe alle großen Kunstbauten, wie z.B. die Schloßbach-Brücke(60 m über der Talsohle) und eine Vielzahl von Tunnels, deren insgesamte Länge 4408 m beträgt.

Bahnhof Scharnitz:

Copyright: Elmar Oberegger

Die Höchststeigung auf der Mittenwald-Bahn im erweiterten Sinne beträgt etwas über 36 Promill. Damit übertrifft sie also sogar die schwierige Arlberg-Bahn(Innsbruck-Bludenz), wo die höchste Steigung von „nur“ 31 Promill Anwendung gefunden hat.(5)

Eine ökonomische Bewältigung dieser überaus großen Steigung war nur durch die Auslegung der Bahn auf den elektrischen Betrieb möglich. Hätte man auf den Dampfbetrieb gesetzt, dann wäre eine um ca. 3 km längere und um ca. 3 Millionen Kronen teurere Trasse zu errichten gewesen.

Innerhalb der Monarchie wurde bereits vor dem Ersten Weltkrieg die allgemeine Einführung der elektrischen Traktion erörtert. Doch da die Dampflokomotive um die Jahrhundertwende einen guten Wirkungsgrad erreicht hatte und der Staat darüber hinaus über ausreichende Kohlevorkommen verfügte, wurde die Sinnhaftigkeit dieses Projektes immer wieder in Zweifel gezogen. Das Blatt begann sich erst ab 1918/19 zu wenden, als das territorial verkleinerte Österreich nach neuen Energiequellen für seine Eisenbahnen suchen mußte.

Daß die herkömmliche Dampflokomotive auf dem Großteil der „Alpenbahnen“ keineswegs optimal funktionierte, zeigt etwa das Beispiel der Güterzug-Beförderung auf dem Abschnitt Most na Soci-Podbrdo der Wocheiner-Bahn, wo die höchste Steigung ca. 24 Promill beträgt: Obwohl im Vorspann- und Schiebebetrieb oftmals sogar drei Dampflokomotiven zum Einsatz kamen, blieben gewisse Güterzüge dennoch liegen.(6) Und das auf einer Bahnlinie, welche das wichtigste Bindeglied zwischen Böhmen bzw. Süddeutschland und dem Adriahafen Triest darstellte.

Die Einführung der elektrischen Traktion hätte derartige Verhältnisse im transalpinen Güterverkehr sicherlich nicht über Nacht revolutionieren können, denn der Weg hin zu den modernen Hochleistungs-Lokomotiven war noch weit. Aber heute kann es keine Diskussion darüber geben, ob die technische Richtung, welche beim Bau des Mittenwald-Bahn-Systems eingeschlagen wurde, falsch oder richtig war - Die Avantgarde-Funktion der Bahn steht historisch unbestritten fest.

Die Bedeutung der Mittenwald-Bahn besitzt sowohl regionale als auch transitäre Aspekte. Über die Karwendel-Bahn wurde eine zweite Verbindung der Tiroler Landeshauptstadt mit München hergestellt, welche kürzer ist als die bestehende via Kufstein.

In ihrer Gesamtheit diente sie jedoch vorwiegend der regionalen Erschließung Tirols: Seit ihrer Errichtung ist Innsbruck mit Reutte nahtlos per Schienenstrang verbunden. Daß Direkt-Züge in Garmisch-Partenkirchen die Fahrtrichtung ändern müssen (bzw. der Fahrgast in diesem Bahnhof umsteigen muß) ist jedoch in dieser Hinsicht relativ unbedeutend.

Als ungünstig erwies sich dieser Umstand aber bezüglich der erhofften transitären Abkürzung in der Relation Innsbruck-Reutte-Augsburg(bzw. westliches Deutschland). Bis heute präsentieren sich die entsprechenden Verbindungen als unterentwickelt.

Der Güterverkehr auf der Strecke war und ist regional geprägt. In ökonomischer Hinsicht trat die Mittenwald-Bahn in ihrer Geschichte hingegen immer mehr als Touristenbahn hervor, da sie dem Reisenden schöne Landschaften und Orte aufschließt.

Ende der 1990er Jahre wurde der - mittlerweile wieder aufgelassene - IC 118 „Karwendel“ von Innsbruck nach Dortmund eingeführt. Zwischen Innsbruck-Westbahnhof und Scharnitz war dieser mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von ca. 46 km/h unterwegs. Im Falle einer Durchfahrt hätte dieser Wert ca. 52 km/h betragen - angesichts der schwierigen Steigungsverhältnisse mit Sicherheit eine große Leistung!

Finanziert wurde die Errichtung der Mittenwald-Bahn vor allem durch das Land Tirol, die Stadt Innsbruck und den Staat, welcher auf den österreichischen Abschnitten bis 1918 den Betrieb führte. Heute sind diese Teil des ÖBB-Netzes.

 

Anmerkungen:

1) So die Definition im Art. „Alpenbahnen“ in der Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. Hrsg. v. Victor RÖLL. -Berlin/Wien 1912 ff., S. 137 ff. Hier: S. 139. Vgl. zur Geschichte der Bahn grundlegend Wolfgang KRUTIAK: Mittenwaldbahn. -Wien 1976; Johann STOCKKLAUSNER: Innsbruck - Garmisch-Partenkirchen - Reutte. -Fürstenfeldbruck 1987.

2) Vgl. dazu den Art. „Mittenwaldbahn“ in der oben genannten Enzyklopädie a.a.O., S. 299 f.

3) Im Art. „Mittenwaldbahn“ der oben genannten Enzyklopädie a.a.O. kennt man diesen „engeren Begriff“ jedoch nicht, obwohl er zur Orientierung des Lesers als überaus nützlich erscheint.

4) Art. „Mittenwaldbahn“ a.a.O., S. 299. Vgl. zur Geschichte der „Karwendel-Bahn“ Markus HEHL: Die Karwendel-Bahn. - Freiburg/Br. 2001.

5) Vgl. Art. „Alpenbahnen“ a.a.O., S.140.

6) Vgl. dazu die filmische Dokumentation „Transalpina-Saga II“ von Harald M. SEYMANN(S.R. Film & Video, Rosental, 1991), 0:41.

 

Copyright: Elmar Oberegger 2005.