[ HOME ] [ INHALTSVERZEICHNIS ] | |
|
>> BEOGRAD-BAR-BAHN. |
Diese von Beograd bis zum Seehafen Bar reichende Eisenbahn umfaßt eine Länge von ca. 476 Kilometern, ist eingleisig und stellt die kürzeste Verbindung zwischen Donau und Adria her.(1) Amtlich wird sie mit „Nord-Süd-Adriatische Magistrale“ bezeichnet. Angesichts der schwierigen Terrainverhältnisse im Gebirge und finanziellen Engpässen dauerte ihre Errichtung von 1952 bis 1976. Die Elektrifizierungsarbeiten wurden im Herbst des Jahres 1978 abgeschlossen.(2) Der nördlich von Bar gelegene „Sozina-Tunnel“(6171 m) stellte den längsten Eisenbahntunnel Tito-Jugoslawiens dar. Der Verlauf:
Copyright: Elmar Oberegger Die Bahn durchzieht serbisches, bosnisch-herzegowinisches und montenegrinisches Gebiet. Heute muß sie also auf ihrem Weg zum Meer drei Staatsgrenzen überwinden. Die Grenze zwischen Serbien und Montenegro verläuft bei Bijelo Polje. Hinsichtlich der Errichtung der Bahn konnte man sich teilweise auf bereits existierende Strecken im Norden und im Süden stützen, der Gutteil mußte jedoch völlig neu hergestellt werden. En détail betrachtet: 1) Beograd-Lajkovac: Linienverschwenkung, de facto also Neubau. 2) Lajkovac-Valjevo: Umbau des vorhandenen 76cm-Schmalspur-Abschnitts. 3) Valjevo-Pozega: Neubau. 4) Pozega-T.Uzice: Umbau. 5) T.Uzice-Podgorica(Titograd): Neubau. 6) Podgorica-Bar: Umbau bzw. Neubau. Den wirtschaftlichen Hintergrund der Strecke bildet die unter Tito eingeleitete „Adriahafen-Politik“: In Konkurrenz zu den ausländischen Häfen sollten an der Küste möglichst viele leistungsfähige Seehäfen entstehen, welche auf moderne Weise mit ihrem Hinterland verbunden sind. Den wichtigsten Vermittler stellte in diesem Zusammenhang der „Save-Korridor“(Sezana/Jesenice/Spielfeld-Beograd) dar. So sollte eine international bedeutende jugoslawische Gesamt-Kapazität entstehen.(3) Angesichts der hohen Baukosten des Beograd-Bar-Projektes wurde natürlich schon früh die Frage nach der volkswirtschatlichen Sinnhaftigkeit gestellt. Da der jugoslawische Staat mittlerweile zerfallen ist, kann diese allerdings nicht mehr befriedigend beantwortet werden. Der Güterverkehr entwickelte sich vor allem angesichts des ungenügenden Entwicklungsgrades des Hafens Bar zunächst nicht wie vorgesehen.(4) Serbische Firmen nahmen also den Umweg via Rijeka in Kauf, wo sich die Bedingungen in vielerlei Hinsicht günstiger gestalteten. Angesichts dessen ging man in der Folge daran, eine „Öl-Achse“ zwischen der Raffinerie Pancevo(nördlich von Beograd) und dem Hafen Bar aufzubauen. Damit konnte die Tonnage kurzzeitig gesteigert werden.(5) Im Jahr 1979 wurde Bar jedoch von einem schweren Erdbeben heimgesucht, dessen Folgen nur langsam behoben werden konnten. Interessant ist, daß die Beograd-Bar-Bahn sofort nach ihrer Eröffnung touristisch vermarktet wurde. Vor diesem Hintergrund wurde auch eine mehrsprachige Broschüre publiziert. Titelblatt der ersten Beograd-Bar-Bahn-Touristenbroschüre:
Int.Eisenbahnarchiv L.K. Pernegger. Bis zum Beginn des jugoslawischen Bürgerkrieges wurde die Fahrt auf der Bahn von den namhaften Reiseführern wärmstens empfohlen. Die Rückreise von Bar nach Beograd wurde in der Regel mit dem Flugzeug abgewickelt. Die Errichtung der Beograd-Bar-Bahn ist eigentlich ein alter serbischer Traum: Es ging um die eigenständige Erreichung des südlichen Meeres. Schon Garasanin hat in seinem 1844 vollendeten Memorandum „Nacertanije“(= „Programmentwurf“) die Errichtung eines Seehafens in Ulcinj verlangt, welcher Serbien vor allem aus den wirtschaftlichen Fängen der Donaumonarchie befreien sollte.(6) Dieses Projekt blieb jedoch unrealisiert. Im Jahre 1878 wurde Serbien zum unabhängigen Staat. Jedoch verhinderte die vorherrschende politisch-territoriale Lage eine zukunftsträchtige Verbindung zum Meer. Um 1900 tauchten allerdings vielerlei Pläne auf, im Südosten Europas die Donau mit der Adria zu verbinden. Diesen war aber die geringe Aussicht auf Verwirklichung gemeinsam.(7) Das Problem „Donau-Adria-Bahn“ 1912:
Nach: Art. „Donau Adria-Bahn“. In: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. Hrsg. v. Victor RÖLL. -Berlin/Wien 1912 ff. Es ging hier also um folgende Linien: 1) Beograd-Stalac-Kraljevo-Vardiste-Sarajevo-Metkovic/Dubrovnik-Gruz. 2) Beograd-Stalac-Kraljevo-Bar. 3) Beograd-Stalac-Nis-Pristina-Shengjini. 4) Beograd-Stalac-Nis-Skopje-Ochrid-Vlore. 5) Beograd-Stalac-Nis-Skopje-Dibra-Shengjini. 6) Beograd-Stalac-Nis-Pristina-Debar-Shengjini(mit Zweigbahn nach Ochrid). 7) Beograd-Stalac-Nis-Pristina-Debar-Ochrid-Igoumenitsa. Realistisch war für Serbien nur die Verwirklichung der Variante 1), welche nur des Lückenschlusses zwischen Uzice und Vardiste (ca. 40 km) bedurft hätte. Doch diese hätte neuerlich eine Bevormundung durch die Donaumonarchie mit sich gebracht. Auch die im Zuge der Balkankriege von 1912 und 1913 erwogene Idee, in Durres(Drac) einen serbischen Seehafen zu finden, schlug fehl.(8) Die Errichtung des „SHS-Staates“(1918/19) löste für Serbien das Problem seiner Adria-Bahn zumindest in territorialer Hinsicht. Doch nun war die Kostenfrage zu lösen. So finden wir in einem entsprechenden Eisenbahnprogramm aus dem Jahr 1922 auch Linien vor, welche das schwierige montenegrinische Gebirge großzügig umfahren.(9) Der Eisenbahnplan von 1922:
Nach F.STÖCKL, Eisenbahnen in Südosteuropa, Wien 1976, 27 f. Es ging hier also um folgende Linien: 1) Beograd-Sabac-Drinatal-Pivatal-Podgorica-Bar. 2) Beograd-Sabac-Drinatal-Pivatal-Podgorica-Tivat(Kotorbucht). 3) Beograd-Valjevo-Uzice-Visegrad-Drina-Piva-Niksic-Tivat. 4) Beograd-Sabac-Drina-Srebrenica-Drina-Trebinje-Hercegnovi. 5) Beograd-Sabac-Kladanj-Sarajevo-Mostar-Klek/Neum. 6) Beograd-Vinkovci-Samac-Doboj-Sarajevo-Mostar-Neretvamündung(Ploce). 7) Beograd-Sl.Brod-Banja Luka-Jajce-Split. 8) Beograd-Dubica-Vrnograc-Slunj-Zagorje-Dreznica-Vinodol-Susak/Rijeka. Ein kohärentes „Transit-Konzept“ wie später unter Tito besaß man damals also noch nicht. Erst dieses vermochte es schließlich, einerseits den strukturell wichtigen, direkten Schienenweg zwischen Beograd und der Adria herzustellen, um damit andererseits einen alten nationalen Wunsch zu befriedigen. Vor dem Hintergrund des heutigen Europa kann die Wichtigkeit der Beograd-Bar-Bahn nicht bestritten werden.
Anmerkungen: 1) Vgl. Art. „Donau-Adria-Bahnen“. In: Zur Eisenbahngeschichte des Alpen-Donau-Adria-Raumes. Hrsg. v. Elmar Oberegger. -Internet 2006 ff. 2) Vgl. ÖBB-Journal 10 (1978), S. 35. 3) Vgl. dazu die jährlichen Berichte von Sava VASILJEVIC zum Thema „Transitverkehr durch Jugoslawien und seine Häfen“. 4) Vgl. ÖBB-Journal 5 (1979), S. 48. 5) Vgl. ÖBB-Journal 11 (1979), S. 51. 6) Vgl. Ilija GARASANIN: Nacertanije/Programmentwurf. In: Die slawischen Sprachen 31 (1993), S. 44 ff. Hier: S. 80 ff. 7) Art. „Donau-Adria-Bahn“. In: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. Hrsg. v. Victor RÖLL. -Berlin/Wien 1912 ff. 8) Vgl. Art. „Eisenbahnhafen Durres“. In: Zur Eisenbahngeschichte des Alpen-Donau-Adria-Raumes. Hrsg. v. Elmar Oberegger. -Internet 2006 ff. 9) Vgl. Fritz STÖCKL: Eisenbahnen in Südosteuropa. -Wien 1975, S. 27 f.
Copyright: Elmar Oberegger 2006. |
|