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>> ALPENBAHNEN.

 

I: Die „Alpen“.

Die „Alpen“ stellen einerseits das größte europäische Gebirge und andererseits die Klima- und Wasserscheide zwischen Mittel- und Südeuropa dar.

Sie schließen im Westen an die „Bocchetta di Altare“(nördlich des Genueser Golfes) an und umfassen sodann in weitem Bogen die Po-Ebene. In der Gegend des „Lac de Bourget“ befindet sich die Grenze zum Jura. Richtung Osten erreichen die Alpen - sich schließlich brechend - die Wiener Gegend. Östlich davon setzen sie sich in Form der „Karpathen“ fort; südöstlich des „Triester Karstes“ schließlich in den „Dinarischen Gebirgen“. Damit ist das Alpengebiet in hohem Maße weitläufig.

In der vorliegenden Darstellung wird das Gebiet zwischen Lyon und Wien/Graz/Zagreb ins Auge gefaßt.

 

II: Zum Begriff „Alpen-Bahnen“.

Schon in vorrömischer Zeit gab es Verkehrswege durch die Alpen. Deren Erhaltung hing jedoch immer vom Stand der wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse ab. Die Römer forcierten den alpinen Transit-Verkehr. Aber dennoch blieben die „Alpen“ in der damaligen Mentalität ein feindliches Gebiet, beherrscht von eigenartigen Erscheinungen, Schneestürmen, Kobolden und Hexen. Die gesammelten Sagenschätze der alpinen Völker geben uns Aufschluß darüber.

Doch der „Rationalisierungs-Prozeß“ ging auch an den Alpen nicht vorüber: Schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts entstand die Idee, auch in diesem schwierigen Gebiet sowohl Ost-West- als auch Nord-Süd-Transit-Bahnen zu errichten.(1) Von besonderer Bedeutung waren in der Folge die Nord-Süd-Bahnen, da diese eine Verbindung zwischen den aktiven Wirtschaftsräumen des Nordens und den Hafenplätzen des Südens herstellten.

Nach der Realisierung solcher Projekte kam der Gedanke auf, alpine Lokalbahnen zu errichten. Dazu trat das Bestreben, Lokalbahnen herzustellen, welche von den im nördlichen Flachland verlaufenden Ost-West-Achsen ausmünden und bis zum Eingangsbereich der Alpen reichen sollten. Seither existieren also:

1) Alpine Bahnen mit transitärer Bedeutung(Brenner-Bahn, Arlberg-Bahn, Tauern-Bahn u.a.).

2) Alpine Lokalbahnen(Pinzgau-Bahn, Murtal-Bahn u.a.)

3) Lokalbahnen mit alpinem Bezug(Almtal-Bahn, Mariazeller-Bahn u.a.)

In diesem Beitrag sollen nur die Alpenbahnen mit transitärer Bedeutung behandelt werden.

Das Hauptnetz der alpinen Transitbahnen und dessen Zugangslinien:

Copyright: Elmar Oberegger

Die Errichtung der Nord-Süd-Bahnen war teurer als jene der Ost-West-Bahnen. Dasselbe Verhältnis besteht in der Regel auch hinsichtlich der Erhaltung. Insgesamt läßt sich feststellen: Die Alpenbahnen sind die teuersten Eisenbahnen der Welt. In wirtschaftlicher Hinsicht sind diese also unrentabel und damit für den privaten Investor relativ bzw. völlig uninteressant. Das „Problem Alpenbahnen“ ist also letzten Endes ein Problem des Staates bzw. der Staaten. Ihre volkswirtschaftliche bzw. europäische Bedeutung ist immens groß.

 

III: Zur Entstehung des Netzes.

Hinsichtlich der eisenbahnmäßigen Überwindung der Alpen in Nord-Süd-Richtung sind historisch vor allem folgende zwei Entwicklungslinien interessant:

1) Bis zum Jahr 1857 wurde die „Erzherzog Johann-Bahn“ von Wien nach Triest fertiggestellt, welche zwei schwierige Abschnitte zu überwinden hatte: Semmering und Karst. Beide wurden auf relativ sanfte Weise - d.h. ohne großen Tunnel - überwunden. Dort wie da wurden die geographischen Verhältnisse optimal ausgenutzt. Der Semmering-Abschnitt ging als „Erste Gebirgsbahn Europas“ in die Geschichte ein.

2) Im selben Jahr 1857 begann man im Ausland allerdings damit, ganz neue technische Maßstäbe zu setzen. Zwischen Frankreich und Italien(Relation Lyon-Turin) wurde die Errichtung des „Fréjus-Tunnel“(ca. 13 km) in Angriff genommen. Im Jahr 1871 konnte dieser erste große Alpen-Tunnel vollendet werden.(2)

Ab 1871 standen sich also zwei Konzepte gegenüber:

1) Ausnutzung des vorhandenen Terrains ohne großen Tunnel.

2) Errichtung eines Groß-Tunnels.

Angesichts des Fortschritts im Tunnelbau kam es in der Folge zur Errichtung von Bahnen, welche Gebiete durchquerten, die keinesfalls überschient werden konnten, sondern unterfahren werden mußten: Im Jahre 1881 wurde der ca. 15 Kilometer lange Gotthard-Tunnel eröffnet, gefolgt vom Arlberg-Tunnel(1884). Bereits 1885 wurde ernsthaft über die Errichtung eines Tauern-Tunnels gesprochen.

Im 19. Jahrhundert wurden aber noch etliche alpine Eisenbahn-Verbindungen hergestellt, welche ohne Groß-Tunnel auskamen, so z.B.: Die „Kärntner-Bahn“ von Marburg a.d. Drau nach Franzensfeste(1871), die Linien der „Kronprinz Rudolf-Bahn“(1873/77), die Strecken Zagreb/Pivka-Rijeka(1873), die Bahn Divaca-Pula(1876) und die Triester Hrpelje-Bahn(1887). Wenn eine Bahn entlang eines engen Flußtales errichtet wurde, dann wurde sie damit den Elementarereignissen(Muren, Lawinen) ausgesetzt. Besonders der Gesäuse-Abschnitt zwischen Selzthal und Hieflau ist bis heute gefährlich.

Um 1900 erklärte Österreich den Alpen erneut den Krieg: Es sollten mehrere „Neue Alpenbahnen“ zur Hebung des Adriahafens Triest geschaffen werden. Vorgesehen war die Errichtung gleich mehrerer Großtunnels, u.a. durch den Tauern(8,5 km). Dieses bis 1909 vollendete Programm umfaßte insgesamt folgende Projekte:

1) Pyhrn-Bahn(Klaus-Selzthal, mit hauptbahnmäßigem Umbau der Lokalbahn Klaus-Linz)

2) Tauern-Bahn(Schwarzach-St.Veit - Spittal-Millstättersee).

3) Karawanken-Bahn(Villach/Klagenfurt-Rosenbach-Jesenice, mit Zweigbahn nach Ferlach).

4) Wocheiner-Bahn(Jesenice-N.Gorica).

5) Karst-Bahn(N.Gorica-Triest).

Um 1900 wurde in der Schweiz die „Simplon-Bahn“ hergestellt, es folgte die „Lötschberg-Bahn“. Beide sind mit großen Tunnels ausgestattet. Bis 1910 wurde in Österreich die „Wechsel-Bahn“ errichtet, welche eine neue Verbindung zwischen Wien und Graz herstellte(Umfahrung des Semmering); bis 1913 die von Innsbruck ausgehende „Mittenwald-Bahn“. In Jugoslawien wurde bis 1967 die „Koper-Bahn“ von Koper nach Presnica vollendet.

 

IV: Die Alpenbahnen im 20. Jahrhundert.

Besonders angesichts der teils hohen Steigungen auf den Alpenstrecken und den im Gebirge vorhandenen Wasserkräften faßte man schon früh die Einführung der elektrischen Traktion ins Auge.

Vor allem die Abwicklung des Güterverkehrs bereitete dem Dampfbetrieb zuweilen große Probleme: Bei schlechter Witterung reichten oft drei Lokomotiven nicht aus, um einen Zug über eine Steilrampe von z.B. 25 Promill zu befördern. Die Schnell- und Personenzüge krochen dahin. Am Brenner lag die Durchschnittsgeschwindigkeit zwischen 26 und 37 km/h.

Im Jahr 1906 wurde die Elektrifizierung der „Jura-Simplon-Linie“ eingeleitet. Die im Jahr 1913 eröffnete Mittenwald-Bahn war von vorne herein auf den elektrischen Betrieb ausgelegt worden. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde aber auch eine große Anzahl anderer Alpenbahnen elektrifiziert, wie z.B.:

1) Gotthard-Bahn (ab 1920).

2) Arlberg-Bahn (ab 1923).

3) Rudolfsbahn-Linie Attnang-Puchheim - Stainach-Irdning(bis 1924).

4) Brenner-Bahn (ab 1927).

5) Tauern-Bahn (ab 1933).

6) Karst-Bahn (bis 1936).

7) Mont Cenis-Bahn (bis 1936).

8) Karawanken-Bahn (ab 1955).

9) Semmering-Bahn (ab 1956).

10) Schoberpaß-Abschnitt der Rudolfsbahn (bis 1964).

11) Pyhrn-Bahn (bis 1965/77).

12) Gesäuse-Abschnitt der Rudolfsbahn (bis 1971).

Trotz dieser großartigen Elektrifizierungen scheinen viele Alpenbahnen den Anforderungen des modernen Wirtschaftssystems nicht mehr zu genügen. Gestützt auf den neuesten Stand der Technik favorisiert der Politiker unserer Zeit das „Basis-Tunnel-Konzept“. Heute sind Tunnelanlagen in Planung oder im Bau, welche alle bisherigen in den Schatten stellen werden.

Das Schweizerische Projekt „NEAT“(= Neue Alpen-Transversalen) sieht folgende Maßnahmen vor:

1) Errichtung des Gotthard-Basistunnels von Erstfeld nach Bodio. Er soll die Fahrzeit zwischen Zürich und Mailand um über eine Stunde verringern (Höchstgeschwindigkeit im Tunnel: 250 km/h). Mit 57 km wird er nach seiner Fertigstellung der längste Tunnel der Welt sein. Voraussichtlicher Fertigstellungstermin ist das Jahr 2015.

2) Errichtung des Zimmerberg-Basistunnels als nördliche Ergänzung von 1).

3) Errichtung des Ceneri-Basistunnels als südliche Ergänzung von 1).

4) Errichtung des Lötschberg-Basistunnels von Frutigen nach Raron, welcher kurz vor seiner Fertigstellung steht. Dieser soll die Fahrzeit zwischen Bern und Mailand verringern.

Österreich plant die Errichtung eines Brenner-Basis-Tunnels und eines Semmering-Basistunnels. Der Koralm-Tunnel ist bereits im Bau. Aufgrund der neuen geopolitischen und eisenbahnmäßigen Lage in Europa wäre allerdings nur die Errichtung eines Brenner-Basistunnels wirklich sinnvoll.

 

Anmerkungen:

1) Vgl. zum Thema grundlegend: Art. „Alpenbahnen“. In: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. Hrsg. v. Victor RÖLL. -Berlin/Wien 1912 ff.; Klaus ECKERT: Alpenbahnen. -München 2000.; Geschichte der Eisenbahnen der österreichisch-ungarischen Monarchie. Bde. I-VI. -Wien u.a. 1898 ff.; Markus HEHL: Das große Buch der Alpenbahnen. -München 2005.; Georg SCHWACH: Schnellzüge überwinden Gebirge. -Wien 1981.

2) Zu erwähnen ist, daß auf der napoleonischen Paß-Straße(Höchststeigung 83 Promill!) zwischen Susa und St. Michel d.M. als Zwischenlösung bereits am 23. Mai 1868 eine Eisenbahn(1100 mm) eingerichtet wurde. Die genannten Steigungsverhältnisse verlangten allerdings nach der Einführung einer besonderen Beförderungs-Technik, welche auf den Engländer John B. Fell zurückging. Deshalb setzte sich für diese Linie der Name „Fell-Bahn“ durch. Nach Fertigstellung des Fréjus-Tunnels wurde sie aufgelassen.

 

Copyright: Elmar Oberegger 2006.