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VI: Die „Römische Schiffs-Expedition“ in den „Germanischen Ozean“ von 5 bis 6 AD. Motivation, militärischer und wissenschaftlicher Ertrag.

Wie oben erwähnt, wurde ab 5 AD eine „Römische Schiffs-Expedition“ in Richtung Weichsel, dem legendären End-Ziel des Drusus Avidus, durchgeführt. „Allgemeines Staats-Interesse“(Augustus) und „Allgemeine Militärische Sorgfalt“(Tiberius) mögen sich hier die Hand gegeben haben.

Nach dem Weltbild des Eratosthenes(s.o.) ging man von einer „Glatten Küstenlinie“ vom Rhein bis in den Osten aus.

Doch dieses Bild entsprach – wie wir heute wissen – nicht der Realität: Die „Dänische Halbinsel“ ist im Weg.

Plinius/Ä.(23-79 AD) schreibt zur Expedition in seiner „Naturgeschichte“(2, 167) folgende Worte:

„Septentrionalis vero Oceanus maiore ex parte navigatus est, auspiciis Divi Augusti Germaniam classe circumvecta ad Cimbrorum promunturium et inde inmenso mari prospecto aut fama cognito Scythicam ad plagam et umore nimio rigentia“.

Die Frage ist angesichts dessen aber: Was will uns der Große Meister damit eigentlich genau sagen? Es ist höchst schade, dass sich der „Große Plinius“ hier nicht in ordentlicher, d.h. sofort nachvollziehbarer Form geäußert hat. Vielmehr spricht er fast wie im Drogenrausch.(1)

Offenbar wurde im Zuge dieser Expedition der „Nördliche Ozean“ größtenteils(!) befahren. Claudius Ptolemaios(ca. 100-160 AD) soll diesen später bekanntlich „Oceanus Germanicus“ nennen, sowohl Nord- als auch Ostsee umfassend.(s. Geogr. 2, 10)

„Um Germanien herum“ kann hier – da Germanien nun einmal keine Insel darstellt(und auch nie als solche aufgefasst wurde!) – nur heißen: An seiner Nordküste entlang.

Also führte die Fahrt offenbar von der Rheinmündung, dem Beginn des Germanenlandes, bis zumindest in die westliche Ostsee hinein. Dabei umrundete man naturgemäß(!) die Dänische Halbinsel beim „Kimbernkap“(= „Cimbrorum promunturium“), heute „Kap Skagen“ genannt.

Man erkannte die „Ostsee“ sodann ganz real und klar als „Unermessliches Meer“(2) innerhalb des „Oceanus Septentrionalis“, also des „Germanischen Ozeans“. Dieses Meer war – wie auch Velleius Paterculus(s. Hist. 2, 105) sehr richtig schreibt(s. Kap. IV dieser Arbeit) – den Römern zuvor völlig unbekannt gewesen. Und nur über Gerüchte hörte man auf dieser Expedition – wie Plinius/Ä. andeutet – offenbar auch vom „Nördlichen Eismeer“.

Das durch diese Expedition neu erworbene „Wissen“ fand nun quellenmäßig erstmals deutlichen(!) Niederschlag in der 98 AD erschienenen Schrift „Germania“ des Tacitus. Er bezieht sich übrigens gleich zu Beginn auf diese und nennt sie „Kriegszug“.(3)

Seine erste Beschreibung der Germanischen Nordküste im ersten Kapitel ist noch recht abstrakt gehalten: „… die übrigen Gebiete umgibt ein Ozean, der weite Landausbuchtungen und unermessliche Inselräume einschließt…“. Doch in Kapitel 37 spricht er sodann eindeutig vom „Sinus Germaniae“, also dem „Germanischen Landvorsprung“ welcher von den Kimbern bewohnt werde.(4) Hinsichtlich Existenz und Struktur der Dänischen Halbinsel herrschte also nach dieser Expedition grundsätzlich Klares Bewusstsein vor.

Auffällig bei der analytischen Betrachtung der oben genannten Quellen ist jedenfalls der Umstand, dass dort einerseits der Name „Ozean“ als Über-Begriff gebraucht wird, andererseits der Begriff „Meer“ als untergeordnete Kategorie. Demnach besteht der „(Germanische) Ozean“ also aus „Meeren“: Plinius/Ä. kannte bereits die Nordsee, die Ostsee und gerüchteweise das Nördliche Eismeer.(s.o.)

Auch Tacitus nahm die These von der „Dreiteiligen Struktur“ des Germanischen Ozeans grundsätzlich auf, seine Äußerungen dazu präsentieren sich jedoch als ziemlich verschwommen.

Offenbar stellte er sich das heutige Skandinavien als mehr oder weniger große „Insel“ vor –

Klein genug, um in der abstrakten geographischen Gesamtbetrachtung des ersten Kapitels nicht als eigenständiger Faktor erwähnenswert zu sein, groß genug aber, um drei Teile eines Ozeans voneinander zu scheiden:

a)     Das westliche Ende des „Oceanus Germanicus“, allgemein gebräuchlich wurde hierfür der Name „Mare Germanicum“(= Nordsee).(s. Tac. Germ. 1)

b)    Das „Mare Suebicum“, die „Ostsee“.(s. Tac. Germ. 45)

c)     Und das „Mare pigrum ac prope immotum“(= Das träge und fast reglose Meer), also das „Eismeer“ nördlich der Ostsee.(s. Tac. Germ. 45)(5)

Ob sich die Sache mit dieser „Insel“ für die Nachwelt nun reimt oder nicht:

Dieses Konzept liegt offenbar den Ausführungen des Tacitus zugrunde. Dass er von einem gesamten „Germanischen Ozean“ ausgeht, geht übrigens auch daraus hervor, dass er gewisse „Inselbewohner“ wie etwa die „Suionen“(= die Schonen in Südschweden) ganz klar als „Germanen“ betrachtet.(s. Kap. 40 bzw. 44)(6)

Grobe Skizze zur Vorstellung des Tacitus vom „Gesamten Germanischen Ozean“:

Copyright: Elmar Oberegger

Erstellt aufgrund seiner Angaben im Werk „Germania“.

Diese Theorie vom „Germanischen Ozean“ übernahm – wie bereits gesagt – in späterer Folge grundsätzlich auch Claudius Ptolemaios(ca. 100-160 AD). In seiner „Weltkarte“ ist ebenso die Dänische Halbinsel eingezeichnet, welche das „Mare Germanicum“ vom „Mare Suebicum“ scheidet.

Zur allgemeinen Lage der „Germania Magna“ hielt er fest(Geogr. 2, 10):

„Die Westgrenze Germaniens ist der Rheinfluss, die Nordgrenze der Germanische Ozean … (es folgt nun die detaillierte Beschreibung der Küstenlinie Rhein-Elbe-Kap Skagen/Dänemark-Weichsel, Anm. d. Verf.) … die Südgrenze besteht aus der westlichen Donau“.

Auszug aus der Weltkarte des Claudius Ptolemaios(ca. 150 AD):

Copyright: Elmar Oberegger

Die Expedition aus dem Jahre 5 AD hatte sich also in wissenschaftlicher Hinsicht auf jeden Fall ausgezahlt, gegenüber Eratosthenes(s.o.) wurde ein großer Wissens-Fortschritt erzielt.

Obige historisch-geographische Erörterung wird übrigens für den weiteren Verlauf unserer Darstellung noch von besonderer Bedeutung sein.(s. Kap. XI)

„Sinn“ hatte diese Expedition auch für Kaiser Augustus, welcher diesbezüglich das Wort „Krieg“ übrigens nicht in den Mund nimmt. Voll Stolz konnte er in seinem „Lebens-Bericht“ namens „Res Gestae“ in Kapitel 26 verkünden:

Meine Flotte segelte über den Ozean von der Mündung des Rhein weg in östliche Gegenden bis zu den Ländern der Cimbern, wohin weder zu Lande noch zu Wasser irgendein Römer bis zu diesem Zeitpunkt je gelangt war. Die Cimbern, Charyden und Semnonen sowie andere germanische Völkerschaften dieses Gebietes erbaten durch Gesandte meine und des römischen Volkes Freundschaft“.

Um „Geographie“ hat sich Augustus hier wohl nicht groß gekümmert, ihm ging es allein ums Politische Prestige.

Rein militärisch betrachtet ergab diese Expedition folgendes Bild der Lage:

Würde man für die militärische Besetzung des Gebietes zwischen Elbe und Weichsel die Flotte einsetzen wollen(= Vorstoß ins Landesinnere über die Mündungen von Oder und Weichsel), dann wäre man vor allem mit dem schwerwiegenden Problem der im Weg stehenden „Dänischen Halbinsel“ konfrontiert. Dasselbe hat auch für mögliche „Straf-Expeditionen“ der Folgezeit zu gelten. Jedesmal hätte diese umständlich umfahren werden müssen. Drusus war sich dessen noch nicht bewusst gewesen.

Die „Dänische Halbinsel“ als Barriere zwischen Nord- und Ostsee:

Copyright: Elmar Oberegger

Die Ideal-Lösung für dieses Problem hätte natürlich die Anlage eines Nordsee-Ostsee-Kanals – ungefähr vom späteren Hamburg bis zum späteren Lübeck – dargestellt.(7) Ungeklärt wäre allerdings die Frage geblieben, ob sodann nicht mit dauernden militärischen Angriffen der Stämme im Bereich des Nördlichen Ostsee-Ufers zu rechnen gewesen wäre. Entsprechende Vorkehrungen hätten diesbezüglich auf jeden Fall getroffen werden müssen. Alles war letzten Endes eine „Kosten/Nutzen-Rechnung“

Diese Expedition unterstrich jedenfalls die bereits bestehende Ansicht, dass eine Eroberung des Gebietes zwischen Elbe und Weichsel für das Imperium nicht opportun wäre. Man wusste nun endgültig, woran man war.

 

Anmerkungen:

1)    Das Problem des „eigentlichen Sinns“ der Aussage des Plinius/Ä. spiegelt sich v.a. wider, wenn man gewisse Übersetzungen betrachtet. Bei CAPELLE(S. 403) heißt es z.B.: „Der nördliche Ozean ist zum größten Teil befahren unter der Regierung des verewigten Augustus, als die Flotte Germanien bis zum kimbrischen Vorgebirge umsegelte und von dort aus ein unermessliches Meer erblickte oder vom Hörensagen bis zum Skythenlande und den von allzuviel Feuchtigkeit strotzenden Gebieten kennenlernte“. Bei E. WEBER(„Augustus. Meine Taten. Res Gestae divi Augusti“, München/Zürich 1989, S. 125) heißt es: „Die Nordsee aber wurde zum größten Teil befahren unter den Auspizien des göttlichen Augustus, indem die Flotte Germanien umrundete und bis zum Vorgebirge der Cimbern und hernach über die unendliche, nur mehr der Sage nach bekannte Weite des Meeres bis zu den Landstrichen der Skythen gelangte“.

2)    Siehe dazu auch Velleius Paterculus, Hist. 2, 105.(s. Kap. IV dieser Arbeit.)

3)     “…nuper cognitis quibusdam gentibus ac regibus, quos bellum aperuit“(Tac. Germ. 1). Wie bereits in Kap. IV dieser Arbeit bemerkt wurde: Der Begriff “Kriegszug” erscheint hier als Übertreibung. Es kam damals nur zum Abschluss von „Freundschaftsverträgen“.

4)    Tac. Germ. 37: “Eundem Germaniae sinum proximi Oceano Cimbri tenent…“.

5)    Tacitus dazu wörtlich: „Dann kommen, schon im Ozean, die Völkerschaften der Suionen…“(44). Sie leben also nicht auf einer „Insel innerhalb der Ostsee(= Mare Suebicum)“, sondern auf einer (ganz eigenständigen) „Insel im Ozean“, deren Südküste damit gleichzeitig die Nordküste des Mare Suebicum darstellt. In Kap. 45 schreibt Tacitus dann: „Nördlich der Suionen liegt noch ein anderes Meer, träge und fast reglos…“. Dies unterstreicht erneut die Vorstellung einer „Insel im Ozean“, im Norden davon das Eismeer, im Süden davon die Ostsee.

6)    In Kap. 40 spricht Tacitus von einem „Germanenhain“ auf einer „Insel des Ozeans“. Mit dem Gebrauch des Namens „Ozean“ wollte er hier offenbar rhetorisch den geheimnisvoll-mythischen Charakter der Angelegenheit steigern. Die Lage dieser Insel dürfte ihm nicht einmal in Umrissen bekannt gewesen sein. Aber er erachtete die Erzählung zu diesem Hain nun einmal als interessant genug für seine Darstellung.

7)    Im Jahre 1398 wurde ein solcher übrigens – einem anderen Zweck folgend – in der Tat dem Verkehr übergeben. Siehe dazu MÜLLER/HAPPACH-KASAN, Der Elbe-Lübeck-Kanal. Auch die Anlage einer leistungsfähigen Straße zu einem (zu errichtenden) Ostseehafen wäre für Rom eine Option gewesen.

 

Copyright: Elmar Oberegger 2016.