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V: Rom und Germanien nach dem Tod des Drusus(9 BC) – Tiberius übernimmt das Kommando, beendet die Eroberung des Rhein-Elb-Gebietes und feiert 7 BC seinen Triumph. Ahenobarbus überschreitet freundschaftlich die Elbe(3 BC). Die Statthalterschaft von Marcus Vinicius wird um Christi Geburt von „Breitflächigen Unruhen“ gekrönt. Tiberius kehrt schließlich zurück. Die Elbe als „Neue Rheingrenze“. Der misslungene Feldzug gegen König Marbod(6 AD). Nach dem Tod des Drusus(9 BC) übernahm der spätere Kaiser Tiberius das militärische Kommando in Germanien.(1) Ein Befehl des Augustus, bis zur Weichsel vorzustoßen, blieb aus. Tiberius:
WIKI GEMEINFREI Weder „Persönliche Profilierung durch Blutige Schlachten“ noch ein „Drang nach Osten“ lagen Tiberius nahe, und so strebte er im Grunde danach, „Günstige Verträge“ mit den einzelnen Stämmen auszuhandeln. Letztlich hatte er jene Suppe auszulöffeln, welche Drusus, der „Große Held“, dem Imperium eingebrockt hatte… Indem Tiberius die Sugambrer an der Römischen Seite des Rheins ansiedelte, führte er – zu einer Zeit, als dies eigentlich als höchst unpassend erschien(!) – das einst von Agrippa ins Leben gerufene Konzept fort. Hat Tiberius bereits insgeheim damit gerechnet, dass das Gebiet zwischen Rhein und Elbe einst wieder aufgegeben werden wird? Wir wissen es nicht. Im Jahre 7 BC feierte er jedenfalls seinen „Triumph über Germanien“. Brutalität pur: „Triumph über die Germanen“(Gemma Augustea).
WIKI GEMEINFREI Kaiser Augustus ging mit der Frage der neuen Elbgrenze höchst vorsichtig um.(2) Oberstes Gebot war – wie uns Strabon berichtet(s. Geogr. 7, 293) – die Germanischen Stämme jenseits der Elbe möglichst nicht zu verstimmen. Auch hier schimmern die Strukturen des „Agrippa-Konzeptes“(s.o.) durch. So schickte er im Jahre 3 BC Ahenobarbus zum Zweck des Abschlusses von „Freundschafts-Verträgen“ hinüber.(s. etwa Tac. Ann. 4, 44, 2) Alles ging glatt, man betrank sich wohl mit Germanischem Bier und Römischem Wein. Die „Gastfreundschaft“ der alten Germanen war ja nach Tacitus legendär. In Kapitel 21 seiner „Germania“ schreibt er: „Geselligkeit und Gastfreundschaft pflegt kein anderes Volk hingebender. Einem Menschen, gleich welchem, kein Obdach zu bieten, gilt als Unrecht. Jeder nimmt ihn je nach seinem Vermögen mit einem zubereiteten Mahl auf. Wenn nichts mehr da ist, dann weist und geleitet ihn der bisherige Wirt an einen anderen gastlichen Platz; sie betreten, obwohl uneingeladen, den nächsten Hof. Das macht aber nichts: Mit gleicher Freundlichkeit werden sie aufgenommen. Zwischen einem Bekannten und einem Unbekannten sieht, soweit es das Gastrecht betrifft, niemand einen Unterschied. Wenn der Weiterziehende um etwas bittet, ist es Sitte, ihm den Wunsch zu erfüllen, und mit gleicher Unbefangenheit erbittet man sich eine Gegengabe. Sie freuen sich über Geschenke, rechnen einem aber die Gaben nicht vor und fühlen sich auch durch das Erhaltene nicht verpflichtet. Das Verhältnis zwischen Wirt und Gast ist eben herzlich“. Ahenobarbus errichtete – wie Cassius Dio überliefert(s. Hist. 55, 10a, 2) – am Elbufer noch einen „Augustus-Altar“ und zog dann heimwärts. Der Kaiser belohnte ihn für seine Taten schließlich mit den Triumphal-Insignien.(3) Es ist heute nicht abzuschätzen, inwiefern die Eroberungszüge des Drusus die Germanische Bevölkerung zwischen Rhein und Elbe in ihrer konkreten Lebens- und Alltagsbewältigung beeinträchtigt haben: Sicherlich waren Häuser neu zu bauen, in der Bestellung der Felder und im Bereich der Jagd fehlten Väter und Söhne. Das Milchvieh war sicherlich dezimiert worden. Diejenigen, die alles verloren hatten, zogen wohl hungernd durch die Gegenden. Vor diesem Hintergrund entstand mit großer Wahrscheinlichkeit so manche Räuber-, Söldner- oder Menschenjäger-Karriere. Die Germanischen Seherinnen wussten wohl auch auf diese Schwere Zeit einen Reim und baten wahrscheinlich viele Kräftige Jünglinge zum „Vieraugen-Gespräch“… Es verhielt sich also – rein strukturell betrachtet – alles ganz genauso wie in anderen Regionen, welche von der Römischen Armee heimgesucht worden sind. Tacitus legt in Kapitel 30 seiner Schrift „Agricola“ dem Caledonier-Hauptmann Calgacus zum Thema „Römer“ folgende Worte in den Mund: „Stehlen, morden, rauben heißen sie mit falscher Bezeichnung ‚Herrschaft‘, und wo sie ‚Einöde‘ schaffen, nennen sie das ‚Frieden‘“. Doch die Zeit – spätestens ab dem Triumph des Tiberius(7 BC) – scheint auch eine Ära des „Konstruktiven Aufbaus ganz Neuer Verhältnisse im Römischen Sinn“ gewesen zu sein. Cassius Dio berichtet hierzu(Hist. 56, 18): Die Römer… „… legten städtische Ansiedlungen an, und die Barbaren wurden zur Ordnung der Römer erzogen. Sie gewöhnten sich an ihre Märkte und hatten friedliche Zusammenkünfte … Sie merkten kaum, dass sich ihr Wesen veränderte“.(4) Marcus Vinicius war damals „Statthalter Germaniens“. Über sein „Regime“ schweigen sich die antiken Schriftsteller interessanterweise völlig aus. Fest steht aber, dass dieses schließlich um Christi Geburt von „Breitflächigen Unruhen“(= Immensum Bellum) gekrönt wurde.(5) Wir wissen hierüber anhand der recht spärlichen Überlieferung bei Velleius Paterculus(s. 2, 104 ff.) nur soviel, dass das insofern kein „Großer Aufstand“ war, als sich die beteiligten Stämme nicht zur Wahl eines „Allgemeinen Führers“ entschlossen hatten und damit ihre Aktionen nicht vorteilhaft koordinieren konnten. Auch in Gallien hatte man sich einst viel zu spät zum „Geschlossenen Widerstand“ gegen Caesar entschließen können und das hätte diesem dann ja fast den Kopf gekostet. Vinicius legte diese Unruhen über die Jahre so gut es ging still und erhielt dafür vom Kaiser sogar einen „Triumph“. Doch in der Folge rückte wieder Tiberius nach Germanien ein. Er erreichte nach schweren Kämpfen um 6 AD erneut die Elbe. „Und eben dahin fuhr, dank dem wunderbaren Glück und Weitblick des Feldherrn, unter Einhaltung des verabredeten Zeitpunktes, unsere Flotte, die die Buchten des Ozeans ringsum befahren hatte. Sie kam von einem vorher nie gehörten und unbekannten Meer her und fuhr nun die Elbe stromaufwärts. Sie hatte den Sieg über eine Menge von Völkern errungen und verband sich nun … mit dem römischen Heer…“, berichtet uns Velleius Paterculus(Hist. 2, 105).(6) Genannt wird hier also jene legendäre „Römische Nord(Ost)-Schiffs-Expedition“, welche im Jahre 5 AD begonnen worden war und klar zeigte, dass eine Besetzung des Elbe-Weichsel-Gebietes in der Tat militärisch nicht opportun war. Rein wissenschaftlich betrachtet brachte diese Unternehmung allerdings einen Großen Fortschritt. Dazu später noch genauer. Den Umstand, dass Tiberius die Elbe erreicht hatte(s.o.), kommentiert Velleius Paterculus bezeichnenderweise so(Hist. 2, 105): „Es gab nichts mehr in Germanien, was hätte besiegt werden können, außer dem Volk der Markomannen…“. Daran ist klar zu erkennen, dass die Idee des Drusus, bis zur Weichsel zu vorzumarschieren, längst völlig in der Versenkung verschwunden war. Paterculus tut hier darüberhinaus gar so, als ob es neben den Rhein-Elb-Stämmen und den Markomannen gar keine „Germanen“ gäbe. Aber es gab sie natürlich und Paterculus bestreitet diese Tatsache ansonsten selbstverständlich nicht. Seine obige Aussage ist nur als Rhetorischer Kunstgriff zu verstehen, welcher klar verdeutlichen sollte, dass im Zentrum der Macht die Elbe zu 100% als „Neue Ostgrenze“ begriffen wurde. Als Tiberius um 6 AD auf das andere Ufer der Elbe hinüberblickte, konnte er gut die vor Wut schnaubende „Jungmannschaft“ erkennen, deren Waffen nur so „blitzten“. Paterculus will dem Leser nun offenbar suggerieren, dass die „Römische Frage“ bei den Germanen ein „Generationen-Problem“ darstellte und erzählt folgende Geschichte: Ein älterer Germane von hohem Rang sei vorsichtig mit einem Boot herübergekommen und hätte den Wunsch geäußert, Tiberius persönlich treffen zu dürfen. Dies wurde ihm gewährt. Paterculus legt ihm sodann folgende Worte in den Mund(Hist. 2, 105): „Wahrlich, unsere Jugend ist verrückt! Während sie Eure Gottheit, wenn Ihr fern seid, verehrt, fürchtet sie vielmehr Eure Waffen, wenn Ihr gegenwärtig seid, als dass sie sich unter Euren Schutz begäbe. Aber ich habe, dank Deiner gütigen Erlaubnis, oh Caesar, heute die Götter gesehen, von denen ich vorher nur hörte, und ich habe keinen glücklicheren Tag meines Lebens gewünscht oder erlebt“. Er durfte sodann auch noch die Hand des Tiberius berühren. Danach ruderte dieser Germane – sich immer wieder nach ihm umblickend – zu seinen Leuten zurück. Aus dieser zweifellos eindrucksvollen Geschichte nun die allgemeine These abzuleiten, dass die jungen Germanen grundsätzlich gegen die Römische Herrschaft gewesen seien, die älteren(und weiseren!) aber dafür, wäre jedoch letzten Endes unrichtig: Es stimmt zwar, dass Arminius – welcher Rom einst die „Niederlage im Teutoburger Waldgebirge“(9 AD) bescheren soll – zur jungen Generation gehörte und sein pro-römischer Gegenspieler und „Schwiegervater“ Segestes schon älter war, dennoch aber besaß er in seinen Reihen auch Genossen älteren Semesters wie z.B. seinen Vater Segimer. Die Gesamtstimmung an der Elbe war damals jedenfalls höchst gespannt und Tiberius musste erkennen, dass das Augusteische Konzept einer Ruhigen Ostgrenze – einst durch Ahenobarbus 3 BC gekonnt angebahnt(s.o.) – wohl nicht oder nur sehr schwer umzusetzen war. Mit neuen kriegerischen Auseinandersetzungen war also zu rechnen. Doch wozu das alles? Germanien hatte dem Imperium nun einmal wenig bis gar nichts zu bieten. Wäre Drusus Avidus, der „Große Held“, damals nicht einmarschiert, hätte man es glatt unbehelligt gelassen. Schon früh hatte sich herausgestellt, dass die Stämme zwischen Elbe und Weichsel Unterstützung vom mächtigen Markomannenkönig Marbod erhielten.(7) Sein Reich umfasste Böhmen und das Nördliche Mähren, sein Einflussbereich erstreckte sich im Westen bis zur Elbe, im Norden bis zur Ostsee, im Osten bis zur Weichsel und im Süden bis zur Donau. Die Hauptstadt nannte sich „Marobudum“(8) und bestand – nach Tacitus(s. Ann. 2, 62) – grundsätzlich aus einem Königsschloss(„Regia“) und einem benachbarten Kastell. Von der Ostsee bis zur Donau: Das „Marbod-Reich“ und seine Einflusszonen(Skizze).
Copyright: Elmar Oberegger Die Hauptstadt(= „oppidum“) dieses Reiches hieß „Marobudum“. Bisher konnte sie nicht exakt lokalisiert werden. Wahrscheinlich befand sie sich bei Budweis. Die Markomannen hatten einst im Maingebiet gelebt, waren von Drusus besiegt und sodann im Jahre 8 BC von Tiberius zur Kapitulation gezwungen worden. Danach setzte man sich unter der Führung des Marbod in Richtung Osten ab, wo es zum Aufbau eines Neuen Machtbereiches kam. Und dies offenbar ohne Genehmigung Roms! Das „Marbod-Reich“ war also letzten Endes ein „Kind“ der Politik des Imperium Romanum seit Drusus Avidus. Doch dieses „Kind“ war von Rom aus nie gewollt und blieb ungeliebt. König Marbod hingegen sah das „Römische System“ für sich selbst und sein „Reich“ in vielerlei Hinsicht(Militärwesen, Kultur) als Vorbild. Deshalb lebten – wie Tacitus berichtet(s. Ann. 2, 62) – in seiner Hauptstadt auch viele Kaufleute aus dem Imperium Romanum. König Marbod – Ein „Romanisierter Germane“:
Copyright: E.Stifter Zeichnung von E.Stifter(2015). Tiberius entschloss sich noch im Jahr 6 AD zur Vernichtung des Marbod-Reiches und begann dieses Unternehmen auch umgehend. Die germanischen Stämme zwischen Elbe und Weichsel sollten damit „trockengelegt“ werden. Mit der teilweisen Eingliederung des Markomannen-Gebietes hätte man zusätzlich eine ziemlich glatte Grenzlinie von der Elbe bis zur Donau ziehen können.(s.o. Karte „Römischer Gebietszuwachs nördlich von Italien unter Augustus“) Doch plötzlich brach der „Pannonische Aufstand“ aus, welcher zur Aufgabe dieses Vorhabens führte und die Römischen Kräfte bis zum Jahr 9 AD massiv band.(9) An dieser Großen Militäraktion war übrigens auch ein gewisser Arminius beteiligt, ein Germane aus dem Stamm der Cherusker: „Schon sein Gesichtsausdruck und seine Augen verrieten das Feuer seines Geistes“, soll später berichtet werden.(10) Rom konnte in der Tat froh sein, dass sich König Marbod während dieses Krieges neutral verhielt, denn einen gleichzeitigen „Germanischen Aufstand bzw. Angriff“ hätte man sicherlich nicht so leicht verkraftet. König Marbod wurde aufgrund seiner offensichtlich wohlwollenden Haltung von Rom durchaus belohnt, blieb aber letzten Endes eine Suspekte Figur, deren „Macht“ man eben vorerst anerkennen müsse. Aber man arbeitete im Prinzip gegen ihn. Im Jahr 18 AD stürzte er sodann aufgrund „Interner Konflikte“: Rom stand hier in der Tat nicht an seiner Seite. Vielmehr erhielt der einst so stolze „Germanische Heer-König“ sodann im „Imperium“ Asyl, und zwar in Ravenna. Dort blieb er – politisch völlig kaltgestellt – bis zu seinem Tod.
Anmerkungen: 1) Siehe zu Tiberius NICKBAKHT, Tiberius’ Adoption durch Augustus.; SCHRÖMBGES, Tiberius und die Res Publica Romana.; SEAGER, Tiberius.; LEVICK, Tiberius, the Politician.; SHOTTER, Tiberius Caesar.; HAEHLING, Tiberius.; YAVETZ, Tiberius. 2) Siehe zum Thema „Augustus und Elbgrenze“ den höchst instruktiven Aufsatz von DEININGER, Germaniam pacare. Zur neueren Diskussion über die Strategie des Augustus gegenüber Germanien. 3) Siehe zu Ahenobarbus MOELLER, Domitius Ahenobarbus. 4) Wann sonst soll diese Phase stattgefunden haben, wenn nicht ungefähr zwischen 7 BC und dem Ausbruch der Unruhen um Christi Geburt(= „Immensum Bellum“)? 5) Zum Begriff „Immensum Bellum“ siehe Velleius Paterculus(Hist, 2, 104, 2): „Das Vaterland hielt den Schutz- und Schirmherrn seiner Herrschaft nicht lange in der Hauptstadt zurück, sondern sandte ihn alsbald nach Germanien, wo drei Jahre zuvor unter M.Vinicius … ein gewaltiger Krieg entbrannt war“. 6) Dass hier eine Menge von Völkern „besiegt“ worden sei, ist falsch. Es wurden lediglich „Freundschaftsverträge“ geschlossen. Dazu noch später. 7) Siehe dazu MÄRTIN, Varusschlacht, S. 131. Siehe zu König Marbod etwa DOBIAS, King Maroboduus as a Politician.; KEHNE, Marbod.; STEIN, Maroboduus.; KEHNE/SALAC, König Marbod. 8) Strabon(Geogr. 7, 291) nennt diese Stadt „BOIAIMON“. „BOIHAEMUM“ war der antike Name für „BÖHMEN“(s. Tac. Germ. 28). Die Bezeichnung bedeutet schlicht „Heim der (keltischen) Boier“. Dieser Stamm war vor Marbod in diesem Gebiet politisch maßgebend. 9) Siehe zum „Pannonischen Aufstand“ etwa DZINO, Illyricum in Roman Politics 229 BC-68 AD, S. 149 ff. 10) Velleius Paterculus, Hist., 2, 118.
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