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IV: Die „Natur-„ und „Verkehrsverhältnisse in Germanien“ insbesondere zur Zeit des Drusus. War die „Varus-Schlacht“(9 AD) nur in Germanien möglich? Das „Germanische Städtewesen“. Die Germanen – Ein „Völlig unzivilisiertes Volk“?

Betrachtet man die antiken Berichte über die Feldzüge des Drusus, so ergibt sich letztlich, dass er sich – wie Caesar in Gallien – in völlig normalem Gebiet fortbewegt hat. Gerade so, wie ein „Fisch im Wasser“. Es ist – entgegen des vorherrschenden „Geschichts-Bildes“ – keine Rede von „Sumpf“, „Wald“ oder „Dschungel“.(1)

Drusus hat die vorhandenen Verkehrsstrukturen – wie es wohl bei einem Römischen Feldzug durchaus üblich ist – lediglich ergänzt:

Von besonderer Bedeutung war die Errichtung eines Kanals vom Rhein übers Wattenmeer bis zur Nordsee. Der römische Geschichtsschreiber Florus(s. Hist. 2, 30, 28) berichtet ferner, er habe den „Hercynischen Wald“ erschlossen. Aus Caesars „Gallien-Bericht“ ergibt sich jedoch, dass dieser bereits zu seiner Zeit per Weg(!) durchquert werden konnte.(2)

Woher kommt also nun die heute so weit verbreitete These, „Germanien“ sei ein „Sumpf-Dschungel“ gewesen, welcher noch dazu „weglos“ oder „nahezu weglos“ war?

Beginnen wir beim Geographen Strabon, welcher ca. 64 BC geboren wurde und ca. 23 AD starb. Zu Germanien schreibt er in seiner „Geographie“(7, 293):

„Von der Elbe ist der Rhein gegen dreitausend Stadien entfernt, falls es gerade Wege dorthin gäbe: So aber muss man wegen des unebenen Geländes wie auch infolge von Sumpfland und Wäldern große Umwege machen“.

Diese Aussage wirkt schon deshalb eigenartig, da „Gerade Wege“ auf unserer Erde überhaupt in der Minderheit sind. Hinsichtlich des Gebietes zwischen Elbe und Weichsel schreibt er ferner, dass dieses völlig unbekannt sei.(s. 7, 294)

Mela schreibt sodann um 43 AD über Germanien insgesamt(Cosmogr. 3, 26): „Das Land bietet durch seine vielen Flüsse und seine vielen Berge starke Hindernisse und ist größtenteils durch Wälder und Sümpfe unwegsam“. Somit weiß er offenbar bereits viel mehr als Strabon, welcher ja erklärte, Germanien zwischen Elbe und Weichsel sei „Terra Incognita“.(s.o.)

Aber wer von diesen Autoren war selbst in Germanien und hat dort grundlegend geforscht? Im Grunde war man abhängig von „Gewährsmännern“, welche man interviewte und sodann aus dem erzählten Stoff seine Schlüsse zog. So schreibt Mela in seinem Bericht(3, 56) z.B. über die sogenannten „Oeonen“,

„… die sich nur von Eiern von Sumpfvögeln und von Hafer ernähren, und die pferdefüßigen Hippopoden und Panuatier, die riesige Ohren haben, groß genug, um den ganzen Körper, der übrigens nackt ist, zu bedecken und so die Kleidung zu ersetzen. Diese Kunde finde ich … sogar bei Gewährsmännern, denen ich sonst ohne Bedenken folge“.

Hier folgte Mela seinen „Gewährsmännern“ also als vernünftiger Römer nicht, andere Aussagen, welche ihm als glaubhaft erschienen(!) übernahm er aber schon. Inwiefern jeweils die Realität widergespiegelt wurde, ist nicht exakt festzustellen.

Plinius/Ä.(ca. 23-79 AD) schreibt in seiner „Naturgeschichte“(16, 6): „Ein anderes Wunder bilden die Wälder: Sie bedecken das ganze übrige Germanien und vereinen mit der Kälte das Dunkel“.

Dieser kann zwar für sich in Anspruch nehmen, ab dem Jahr 47 AD nachweislich als Armeeoffizier unter Corbulo für ungefähr zehn Jahre in Germanien gewesen zu sein, doch auch er lernte Land und Leute offenbar nur periphär kennen(Chaukengebiet, nördl. Mittel- und Oberrhein).(3) Sein Werk „Bellorum Germaniae libri XX“(= 20 Bücher über die Germanenkriege) ist übrigens leider verschollen.

Besonders prominent bezüglich des „Germanien-Themas“ wurde jedenfalls die Schrift „Germania“ des Tacitus, welche im Jahr 98 AD erschien und in der (mindestens) das gesamte Gebiet zwischen Rhein und Weichsel ins Blickfeld genommen wird. Auch er war nie dort und folgt in seinem Bericht offenbar primär Mela, wenn er in Kapitel 5 festhält:

„Das Land sieht zwar im einzelnen recht verschieden aus, ist jedoch im ganzen schaurig durch seine Urwälder oder hässlich durch seine Moore“.

Woher er diese These nun auch immer bezog: Hierbei handelt es sich um eine klassische Null-Aussage, welche auch auf andere Gebiete innerhalb und außerhalb des Römischen Reiches(Britannien, Noricum, Balkangebiet etc.) leicht anwendbar wäre.

Angesichts der oben zitierten Aussagen ist nun die Frage interessant, warum das Thema „Wald und Sumpf“ bei den antiken Schriftstellern nie im Zusammenhang mit den Drusus-Zügen vorkommt. Eigentlich hätte es dieser in Germanien aufgrund der oben geschilderten geographischen Verhältnisse militärisch ziemlich schwer haben müssen und dies wäre natürlich auch erwähnenswert gewesen. Doch wir finden dazu nichts.(s.o.)

Hinsichtlich seiner Infrastruktur war Germanien sicherlich nicht mit einer wohlausgestalteten Römischen Provinz oder einem bereits gut entwickelten Gebiet im Orient vergleichbar, es besaß – eine zentrale Regierung entbehrend – kein Breitflächiges, solides, stets bestens gewartetes Straßen-Netz.

Dasselbe trifft aber auch für andere Regionen wie z.B. Illyrien – welches u.a. die legendären Waldgebirge Bosniens umschloss – zu. Die Anlage „Römischer Straßen“ und „Siedlungen“ begann dort übrigens erst ab dem Jahr 9 AD, also nach dem „Pannonischen Aufstand“, ca. 18 Jahre nach der ursprünglichen Besetzung.(4)

Eine militärische Auseinandersetzung nach Art der „Varus-Schlacht“ hätte sich also z.B. auch im Bosnischen Wald leicht abspielen können. Und beinahe wäre es während der Niederschlagung des „Pannonischen Aufstandes“(6-9 AD) auch dazu gekommen. Obwohl Tiberius hier stets höchst überlegt und vorsichtig agierte, saß er plötzlich in einer Falle, aus der es grundsätzlich kein Entrinnen gab. Der Aufstandsführer Bato ließ ihn aber entkommen, was dieser später wohl nicht bereute. Sueton schreibt dazu in seiner Tiberius-Biographie(20):

„Den Pannonierhäuptling Bato beschenkte er reich und wies ihm Ravenna als Wohnsitz zu, aus Dankbarkeit dafür, dass er ihn einst mit seinem Heer aus einem schwierigen Gelände, wo er eingeschlossen war, hatte entkommen lassen“.

Die genauen Einzelheiten sind hier zwar unklar, doch dürfte mit ziemlicher Sicherheit ein „Waldgebirge“ der Ort des Geschehens gewesen sein. Und ferner bestand damals offenbar die Reale Chance, ein Römisches Heer völlig zu vernichten. Über die Frage, was politisch passiert wäre, wenn Bato zugeschlagen hätte, kann man heute nur spekulieren

Betrachtet man eine gängige Wirtschaftskarte des Römischen Reiches, so fallen weite Zonen auf, welche keinem besonderen Zweck dienten. Diese waren offenbar unerschlossen und wohl teils auch dicht bewaldet. Auch Sümpfe mag es dort gegeben haben. Auch nach der Anlage eines „Römischen Straßennetzes“ blieben also viele Gebiete relativ unerschlossen oder überhaupt unerschlossen:

So entstand etwa das steiermärkische Kloster Admont im Jahre 1074 AD in einer Gegend, welche unter den Römern nur eine „Wildnis“ abseits der „Pyhrn-Straße“(Ovilava-Aquileia) dargestellt hat.(5) Auch Römische Provinzen waren also nach ihrer „Erschließung“ nicht frei von Wald und Sumpf

Vielmehr scheint eher das Genaue Gegenteil der Fall zu sein, wenn wir die „(Früh-)mittelalterliche Rodung“ im ehemaligen Reichsgebiet betrachten, deren Dimension noch heute von Ortsnamen wie „Reith“, „Reuth“, „Roith“, „Röd“, „Rode“ oder auch „Waldkirchen“ angezeigt wird.

Tacitus hätte seine Aussage(s.o.) also in der Tat auch auf einige andere Gebiete des Römischen Reiches anwenden können. Darüberhinaus hätte sich – abgesehen nun von der Frage wie stark bewaldet bzw. sumpfig das antike Germanien nun wirklich(!) war – eine „Varus-Schlacht“ auch woanders abspielen können.(s.o.) Offenbar – und wir werden noch darauf zurückkommen – wurde Germanien erst angesichts dieser Schlacht zum „Bewaldet-sumpfigen Horrorland“ hochstilisiert.

Zum „Städtewesen Germaniens“ schreibt Tacitus im Jahr 98 AD schlicht(Germ. 16):

„Nullas Germanorum populis urbes habitari satis notum est…“.

In der Römischen Sprache gibt es nun Drei allgemeine Begriffe für „Stadt“:

a)    Urbs.

b)    Civitas.

c)     Oppidum

Tacitus bemerkt um 100 AD also nur, dass die Germanen keine „Städte“ im Sinne von „Urbs“ hätten.

Detail einer typischen germanischen Siedlung(Nachbau):

WIKI GEMEINFREI

„Nullas Germanorum populis urbes habitari satis notum est…“(Tac. Germ. 16).

Claudius Ptolemaios jedoch erwähnt um 150 AD – also ca. 50 Jahre nach Publikation der „Germania“ des Tacitus – in seiner „Geographie“(s. 2, 10) über neunzig „Germanische Oppida“ und es ist nicht davon auszugehen, dass diese in einer Zeitspanne von nur 50 Jahren(!) ganz einfach vom Himmel gefallen sind. Wahrscheinlich existierten diese schon zur Zeit des Drusus (und schon vorher). „Oppidum“ bedeutet konkret „Festung“ bzw. „Ländliche Stadt“.

Die germanischen Städte(= „Oppida“) der Antike(nach C. Ptolemaios):

Copyright: Elmar Oberegger

Warum Tacitus diese „Oppida“ in seinem Germanien-Bericht völlig ignoriert, bleibt ungewiss.

Sicherlich: Diese „Oppida“ waren auf keinen Fall „Wirtschaftlichen Zentren“ nach „Römisch-Orientalischem Vorbild“, also nicht „urban“(s.o.) im eigentlichen Sinne. Aber sie waren immerhin „Germanische Kultur-Leistungen“, welche noch dazu nicht zu 100% von den Kelten übernommen worden sind.(6)

Zwischen Rhein und Elbe finden wir übrigens geringfügig mehr Oppida vor als zwischen Elbe und Weichsel.(7) Als „gänzlich oppidalos“ präsentiert sich allerdings die Dänische Halbinsel.(s. Karte) Aus diesem Umstand darf man wohl nicht einfach folgern, dass es dort in der Tat keinerlei Oppida gab. Vielmehr ist davon auszugehen, dass in den Quellen des Ptolemaios(v.a. Militärkarten, Reisehandbücher von Kaufleuten) dort eben keine verzeichnet waren, das Allgemeine Römische Interesse an diesem Raum also nur höchst gering war, sich also – wenn überhaupt – auf die (westliche?) Küste beschränkte.

Die Bedeutung dieser „Oppida“ war wohl in erster Linie politisch geprägt, wir haben es hier wahrscheinlich mit „Residenzen“ und „Flucht-Burgen“ zu tun. Vielleicht stellten manche zusätzlich oder sogar ausschließlich Raststationen(s. „Bernstein-Straße“) dar.

Erstürmung eines „Germanischen Oppidums“ durch die Römer:

WIKI GEMEINFREI

Detail aus der Markussäule in Rom.

Vielleicht darf man sich ein solches „Germanisches Oppidum“ wie Cetinje(= die ehemalige Hauptstadt Montenegros) vorstellen, welches um 1900 gerade einmal 3000 Einwohner(!) hatte.(8) Besonders aber „Hitlers Berghof“ würde wohl dem Schema „Germanisches Oppidum“ entsprechen.

Die Archäologische Forschung steht bezüglich des Problems „Germanische Oppida“ eigentlich noch ganz am Anfang und erschwerend kommt hinzu, dass die Germanen bekanntlich mit Holz bauten. Überreste sind also kaum zu finden.

Prunkvoll mögen die aus Holz verfertigten Gebäude aber schon gewesen sein. Tacitus schreibt(s. Germ. 16), dass sich die Germanen zumindest sehr gut auf „Innen-Verputz“ verstanden:

„Manche Wandstellen bestreichen sie recht sorgfältig mit so sauberem, glänzendem Lehmverputz, dass es wie Bemalung und farbige Verzierung wirkt“.

Die eigentliche „Urbanisierung“ des Germanischen Raumes östlich der ehemaligen Römischen Reichsgrenze beginnt übrigens erst im 8. Jahrhundert AD.(9)

Die Germanen waren zwar „unter-entwickelt“, aber eben – wie andere Völker auch(!) – nur relativ(d.h. in Bezug auf das Römische Reich) „unter-entwickelt“, keineswegs aber „extrem unter-entwickelt“. Ein schlichtes „Wald- &. Sumpf-Volk“ waren sie nie, ihr Ruf ist mancherorts(s.o.) schlechter als die historische Realität. Josef Lindauer schreibt zusammenfassend:

„Waldbewohner … waren die Germanen nicht; denn die ausgedehnten waldfreien Lößgebiete Süddeutschlands und großer Teile Norddeutschlands waren damals längst bewohnt und für den Anbau genutzt. Man siedelte wohl gern am Waldrand, aber nicht im Wald; Menschenland und Wald sind ‚getrennte Welten‘, im Märchen klingt das noch nach“(10).

 

Anmerkungen:

1)    Siehe Consolatio ad Liviam, 17 f./ S. 311 ff./ S. 384 ff.; Velleius Paterculus, Hist. 2, 97, 2; Sueton, Claud. 1; Periocha(Livius-Auszug) 139 ff.; Orosius(aus Livius) 6, 21, 12 ff.; Cassius Dio, Hist. 54, 32 f./54, 36, 3 f./55, 1, 1 ff./Seneca ad Marciam 3, 1; Florus, Hist. 3, 21 ff.

2)    Caesar schreibt(6, 25, 1): „Die Ausdehnung des hercynischen Waldes … entspricht einem zügigen Fußmarsch ohne Gepäck von neun Tagen. Anders kann sie nicht bestimmt werden, da die Eingeborenen kein Wegemaß kennen“. Also wäre wohl von einer Entfernung von ca. 300 Kilometern auszugehen.

3)    Zur Biographie des Plinius/Ä. siehe etwa KÖNIG, Plinius der Ältere.

4)    Vgl. WILKES, The Illyrians, S. 205 ff.; Die Dalmatinische Küste war übrigens schon im Jahre 168 BC in den Besitz der Römer gelangt. Siehe zum Gesamtthema DZINO, Illyricum in Roman Politics 229 BC-68 AD.

5)    Siehe dazu etwa OBEREGGER, St. Gallen und Burg Gallenstein.

6)    Siehe dazu SCHUMACHER, Die Oppida Germaniens bei Ptolemaios.

7)    In der Beschreibung des Ptolemaios finden wir etwa folgende Städte vor: „TREVA“(bei Hamburg), „MARIONIS“(bei Lübeck), „ALISUS“(bei Berlin), „SUSUDATA“(bei Berlin). Als östlichste Städte gibt er an: „ASCAUCALIS“(bei Osielsko in Polen), „SETIDAVA“(bei Konin in Polen). Beide in unmittelbarer Nähe des Weichselufers. Als südlichste Städte gibt er an: „ANABUM“(bei Komarno/Slowakei), „MEDIOLANIUM“(bei Korneuburg), „USBIUM“(bei Linz; „Ybbs a.d. Donau“?) und „ABILUUM“(bei Freistadt in Oberösterreich).

8)    Siehe dazu MIJOVIC, Cetinje kao feniks.

9)    Arnstadt(Thüringen) wird urkundlich zum ersten Mal im Jahre 704 AD erwähnt. Siehe dazu KIRCHSCHLAGER u.a.(Hrsg.), Chronik von Arnstadt.

10)           LINDAUER in der von ihm besorgten Herausgabe der „Germania“ des Tacitus(München 1975), S. 89.

 

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