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I: Vorbemerkung.

Schauplatz Paris Lodron-Universität Salzburg, Hörsaal „Wallis-Trakt“, Sommersemester 1991:

Eine kräftige deutsche Gelehrtengestalt marschiert mit entschlossenem Schritt zum Rednerpult. Titel der Vorlesung: „Das Zeitalter des Augustus“. Vortragender: Prof. Dr. Peter Robert Franke, Gastprofessor aus Saarbrücken. Im Auditorium ein gewisser Elmar Oberegger, Student im ersten Semester.

Diese Vorlesung war schlichtweg hinreißend: In goldenem Deutsch(= in Salzburg nicht zu 100% üblich!) und mit glänzender Rhetorik führte er uns auf vielschichtige Weise in die Strukturen des „Augustus-Regimes“ ein.

Kurz vor dem Ende des Semesters gab Prof. Franke dann bekannt, dass sich jeder Hörer für die Prüfung ein „Spezial-Gebiet“ wählen dürfe. Darüber könne man sodann zusätzlich sprechen. Voraussetzung sei die Erarbeitung und Abgabe einer entsprechenden Bibliographie.

So ging Oberegger nach seinem Vortrag umgehend zu ihm hin und äußerte den Wunsch, das Thema „Augustus und die Germanenfrage“ vorbereiten zu dürfen. Da er sich hier wohl etwas ungeschickt anstellte, fragte Prof. Franke schließlich: „Welches Semester“? Oberegger: „Erstes Semester“. Franke: „Nun, das lassen wir dann wohl lieber, nicht“?

In der letzten Vorlesungsstunde hatte Prof. Franke ein ungewöhnlich saures Gesicht auf. „Meine Damen und Herren. Ich habe gerade Prüfungen zu meiner Vorlesung vom letzten Semester abgenommen. Da kamen Leute, die ich in der Vorlesung gar nie gesehen habe. Sowas ist dann natürlich oft leider ‚Nicht genügend‘! Ja, leider. Seien sie also vorsichtig: Ich als Numismatiker kann mir Gesichter viel besser merken als andere Leute“.

Und als Oberegger dann zur Prüfung ging, sagte Prof. Franke sofort: „Na, sie hab‘ ich ja nicht oft in der Vorlesung gesehen“. Das war ein schwerer Schlag für mich. Ich wies ihn auf meine persönliche Frage zum Spezialthema hin und versuchte meine Präsenz in der Lehrveranstaltung auch noch mit anderen Mitteln zu beweisen.

Nun gut. Die erste Frage. Und ich hatte dazu wirklich viel zu sagen. Und ich redete und redete. Franke dann plötzlich von oben herab: „Erstaunlich. Erstes Semester, ja? Also, wenn sie bei mir in Saarbrücken wären, dann würde ich sie sofort als Doktorand zu mir nehmen. Und mit welcher Rhetorik sie den Stoff bringen. Großartig! Ja, und wissen sie nun auch etwas zum Spezialgebiet? Ich frage nur“.

Und wieder begann ich zu referieren. Denn schon seit Jahren hatte mich das Thema „Rom und die Germanen“ fasziniert und ich war damit natürlich bestens vorbereitet.

Die Atmosphäre wurde nun immer lockerer und freundschaftlicher. Prof. Franke sagte mir eine ganz großartige Karriere als Universitätslehrer voraus und gab mir die Bestnote. Auch verlangte er meine Privatadresse. Er wollte mir unbedingt ein persönliches Geschenk machen. Und in der Tat kam dann bald per Post die Hadrian-Biographie von Stewart Perowne bei mir an. Ich bedankte mich mit einem freundschaftlichen Brief.

Aber wie es im Leben so ist: Man verlor sich in der Folge leider aus den Augen…

Als ich unlängst in meiner Bibliothek schmökerte, fiel mir die obengenannte Hadrian-Biographie in die Hände und ich dachte an die „Alten Zeiten“. Ich fragte mich, was aus Prof. Franke wohl geworden sei und durfte nach kurzer Recherche freudig feststellen, dass er heuer seinen 90. Geburtstag(!) feiern wird. Angesichts dessen entschloss ich mich spontan dazu, etwas zum Thema „Rom und die Germanen“ zu schreiben und ihm das Ergebnis zu widmen.

Im vorliegenden Essai soll vor allem die Frage erörtert werden, warum „Germanien vom Rhein bis zur Weichsel“(= Germania Magna) nie „Römische Provinz“ geworden ist.

Germanien in seiner (historischen) Gesamtheit(Skizze):

Copyright: Elmar Oberegger

Tacitus, Germania 1: „Germania omnis a Gallis Raetisque et Pannoniis Rheno et Danuvio fluminibus, a Sarmatis Dacisque mutuo metu aut montibus separatur; cetera Oceanus ambit, latos sinus et insularum immensa spatia complectens…”. Auch das Dekumatland war früher germanisch besiedelt. Der Begriff “Germania Magna” kommt erst mit Claudius Ptolemaios(ca. 150 AD) auf.

Hierzu existieren bekanntlich zwei landläufige Antworten – um nicht zu sagen „Mythen“ – welche nicht nur in den Schulen, sondern auch in populären Zeitschriften, im TV und sogar teils von wissenschaftlichen Leuten immer wieder gern gegeben werden:

1)    Germanien sei eine Art „Sumpf-Dschungel“ gewesen(1), welchen die Römer nie „durchdringen“ hätten können. Demgemäß war es für den Kabarettisten Gerhard Polt natürlich völlig normal(!) den Helden „Germanikus“ seiner gleichnamigen Kinokomödie(2004) aus „Sumpfing“ abstammen zu lassen.(2)

2)    Ferner seien die Germanischen Krieger für die Römer ganz einfach „zu hart“ gewesen. An beiden Faktoren habe man sich schließlich „Die Zähne ausgebissen“. Träger u.a. dieser Botschaft ist noch heute das „Herrmanns-Denkmal“ in Deutschland. Es soll an den angeblich stolzen, ritterlichen Kampf des Arminius(= Hermann) gegen die Römer im Teutoburger Waldgebirge(9 AD) erinnern. Dass es sich hierbei – wie gezeigt werden wird – um einen höchst hinterlistigen und feigen Kampf handelte, wird auch noch heute generell nicht gesehen, steht doch immerhin das „Ansehen Deutschlands“ am Spiel. Mit der Moral nahmen’s aber auch die Römer in der Tat nie so genau!

Das „Arminius-Denkmal“ in Deutschland:

WIKI GEMEINFREI

Arminius = (H)Arminius = (H)Erminius = Hermin = Herman = Hermann.

Diese Thesen bzw. Mythen sollen im Rahmen dieses „Essais“ historisch-kritisch hinterfragt werden.(3)

Ausgangspunkt ist hierbei natürlich die Grund-Frage, wie das „Römische Germanien-Problem“ bzw. die spätere „Germanische Affaire“ eigentlich zustande gekommen sind.

Julius Caesar erkannte ganz klar den Rhein als Grenze des Reiches. Dieselbe Sicht teilte Agrippa, der Mächtige Weggefährte des Augustus.

Germanien war nun einmal kein „Gold-Land“ wie etwa Dakien, keine „Kornkammer“ wie etwa Africa oder Ägypten. Für das Imperium war das Land also relativ wertlos. Eine Vorschiebung der Reichsgrenze bis zur Elbe oder gar bis zur Weichsel erschien schon deshalb als nicht erstrebenswert.

In politisch-strategischer Hinsicht erschien es – zumindest aus damaliger Perspektive – darüberhinaus im Prinzip als völlig egal, ob die Reichsgrenze nun am Rhein, an der Elbe oder gar an der Weichsel liegt.(4) Überall hätte man grundsätzlich „Grenzsicherung“ betreiben müssen. Ganz anders war die Lage in Illyrien: Dort war die Erreichung der Donau zur soliden und dauerhaften Sicherung der Reichsgrenze von essentieller Wichtigkeit.

Drusus, der Liebling des Augustus, dachte hinsichtlich Germanien offenbar ganz anders: Wir gehen davon aus, dass für ihn die Eroberung der „Germania Magna“ einfach nur eine persönliche Prestige-Angelegenheit war. Er wollte nicht einfach nur „Naturgemäßer Thronfolger“ sein, sondern vor allem ein „Großer Mann“ v.a. im Alten, republikanischen Sinne.

Dass er hierbei eine eher perverse – v.a. von Caesar geprägte – Vorstellung von einer „Republik“ hatte, steht fest. Drusus war, wie es später einmal heißen soll, „unersättlich“. Deshalb nennen wir ihn in diesem Essai „Drusus Avidus“.

Mit seinem im Jahr 12 BC gestarteten Angriff auf „Germanien vom Rhein bis zur Weichsel“ baute Drusus eine Schwere Erblast für das Reich auf, nämlich die „Germanische Affaire“

Er selbst verunglückte zu jener Zeit tödlich, als er sich gerade anschickte, die Elbe in Richtung Weichsel zu überqueren…

Kaiser Augustus, welcher überzeugend ein „Römisches Regime“ zwischen „Orientalischem Hofstaat“ und „Republik“ aufgebaut hatte, konnte Drusus besonders aufgrund seiner unzweifelhaft vorhandenen „Militärischen Kompetenz“ schwerlich stoppen. Jedenfalls war ihm ein „Tatenhungriger Kronprinz“ weitaus lieber als etwa ein versoffener und in Rom herumsitzender.

Und Augustus konnte nach dem Tod des Drusus auch nicht mehr zurückrudern, das verbat die „Ideologie des Imperium Romanum“. Er konnte lediglich die Eroberung des Raumes zwischen Elbe und Weichsel unterbinden. Auf dem Rhein-Elbe-Gebiet bestand er aber als „Römischer Kaiser“. Drei Statthalter, nämlich Vinicius, Sentius und Varus, wurden in der Folge eingesetzt.

Unter Varus schließlich wurden 9 AD im „Teutoburger Waldgebirge“ drei Legionen durch Aufständische unter der Führung des Arminius vernichtet.(„Varusschlacht“, s.o.) Kaiser Augustus erkannte dies aber letzten Endes nur als „Rebellion“: Für ihn war Germanien zwischen Rhein und Elbe ganz klar „Teil des Imperiums“ und dessen militärisch-politische Wiedereingliederung wurde schließlich zu seinem „Politischen Testament“(s. „Res Gestae“).

Die „Germanische Affaire“ war damit als „Politikum“ geboren und soll noch mehrere Kaiser mehr oder weniger beschäftigen –

Sie alle waren im Grunde „Erben des Drusus Avidus“.

Unter Kaiser Vespasian(69-79 AD) – welcher radikaler Pragmatiker war - wurde bezüglich der „Germanischen Affaire“ sodann ein (scheinbar) „Ganz Neuer Weg“ beschritten. Sein Konzept:

Herstellung einer „Soliden Grenze“ zwischen dem „Imperium Romanum“ und „Germanien“. Eigentlich hatte schon Agrippa dieses Konzept einst vorgelegt.(s.o.)

Im 3. Jahrhundert nach Christus schickte sich sodann ein Römischer Kaiser ernsthaft an, die „Germanische Affaire“ durch die vollständige Eroberung und „Entvölkerung“ der Germania Magna radikal, d.h. für immer zu erledigen…

 

Anmerkungen:

1)    So nennt z.B. Matthias SCHULZ seinen Artikel über Arminius(s. Der Spiegel 51/2008, S. 127 ff.) „Feldherr aus dem Sumpf“. Der „Sumpf-Mythos“ wird z.T. zumindest historisch-kritisch hinterfragt bei Kristina MAROLDT: Dunkles Sumpfland. In: Spiegel Geschichte 2 (2013), S. 56 ff.

2)    Auf dem DVD-Cover ist ferner zu lesen: „Aus den Tiefen des germanischen Waldes kommt ein Mann, der Rom das Fürchten lehrt“. In einem Dialog zwischen der germanisch-stämmigen Römerin Thusnelda und Germanikus kommen die Sätze vor: „Warum fahrn‘ sie nicht zurück? Was, in den Sumpf“?!

3)    In diese Richtung geht auch das Buch „Die Germanen“(2007), hrsg. v. SPITRA und KERSKEN. Es kann gar nicht genug Publikationen dieser Art geben.

4)    Auf die Frage, wie die Geschichte verlaufen wäre, wenn die Weichsel zur neuen Ostgrenze geworden wäre, kommen wir im letzten Kapitel noch zurück.

 

Copyright: Elmar Oberegger 2016.