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XII: Zusammenfassende und abschließende Bemerkungen.

Die „Historische Beziehung“ des Imperium Romanum zu „Germanien“ war - summa summarum betrachtet – in der Tat höchst eigenartig und auch einzigartig. Zu keiner anderen Grenzregion des Reiches gab es eine derartige „Beziehung“.

Kaiser Domitian sah sich einst(um 85 AD) angesichts der nun einmal de facto nicht erfolgten „Eroberung Germaniens“ veranlasst, in seinem Reich zwei „Germanische Kunst-Provinzen“(= Germania Inferior und Germania Superior) zu errichten, welche v.a. auf Kosten Gallischen Territoriums gingen.

Im Jahre 98 AD publizierte dann der römische Geschichtsschreiber Tacitus eine Schrift, welche das „Echte Germanien“ zum Thema hatte. Diese ist zwar kurz, dennoch aber reich an geographischer, politischer und kulturanthropologischer Information. Wahrscheinlich handelte es sich bei dieser Publikation aber nur um eine „Politische Spitze“ gegen das „Domitianische Regime“, welches dem Autor grundsätzlich widerlich war.

Hinsichtlich Mesopotamien, Sarmatien, Caledonien, Irland oder der „Afrikanischen Wüsten-Bewohner“ haben wir heute jedenfalls leider keine Schrift dieser Art zur Verfügung.

Bei Tacitus erscheinen die „Germanen“ jedenfalls als „Unverbrauchtes Naturvolk“, drittklassig zwar, aber angefüllt mit Tugenden, welche „Rom“ einst „groß“ gemacht hatten –

Und am Schluss war es dann in der Tat ein „Germane“, welcher dem längst völlig dekadenten „West-Römischen Regime“ im Jahre 476 AD ein Politisches Ende bereitete.

Die „Sogenannten Germanen“ – denn „Germane“ scheint eine Keltische, von den Römern übernommene Fremdbezeichnung zu sein – waren den Römern schon länger ein Begriff.

Julius Caesar – ein im Grunde aus dem Stoff Catilinas gemachter, „Übler Republikaner“ - wurde sodann mit dem „Germanischen Drang nach Westen“(welcher sodann Jahrhunderte später zum Durchbruch kommen soll!) zum ersten Mal konfrontiert, als sein Wille entstand, Gallien zu erobern.

Sein Konkurrent war hierbei der Germanenführer „Ariovist“, welcher bereits weite Teile Nordost-Galliens in seinen Besitz gebracht hatte. Und dessen „Territorial-Hunger“ war scheinbar längst nicht gestillt.

Caesar hat ihn zunächst gezielt beschwichtigt(v.a. Verleihung des Titels „König“) und sodann schon zu Beginn des „Gallischen Krieges“ militärisch vernichtet.

Allein aus Gründen der „Politisch-Militärischen Aufklärung“ überschritt Caesar zweimal den Rhein, also jenen Fluss, den man in Rom immer fälschlicherweise als „Absolute Schnitt-Stelle“ zwischen keltischer und germanischer Welt betrachtete.

Die Existenz des „Kelto-germanischen Mischvolkes“ der sogenannten „Belger“ belehrte aber Caesar und Rom darüber, dass sich schon lange vor Ariovist „Germanen“ in Gallien fest etabliert hatten. Der diesbezügliche, genaue historische Ablauf liegt nach wie vor im Dunkeln.

Die Caesarschen Brücken über den „Mächtigen Rhein“ beeindruckten übrigens nicht nur die „Alten Germanen“, welche stets per Schiff oder gar schwimmend überzusetzen pflegten. Auch die Nachwelt ist zurecht von diesen Projekten fasziniert. Sie stehen bis heute für die „Hohe Qualität der Römischen Kriegsmaschine“.

Caesar hatte kein besonderes Interesse an Germanien: Das dortige Volk wurde grundsätzlich als „Militärisch gefährlich“ erkannt. Von dort aus verpflichtete er sodann manche „Söldnertruppe“ für seinen eigenen Kriegs-Zweck. Das Land selbst aber wurde als „uninteressant“ betrachtet, es war in keiner Hinsicht der „Okkupatorischen Versuchung“ wert. Bezüglich „Britannien“ – bekanntlich reich an interessanten Bodenschätzen – hat Caesar immerhin viel mehr unternommen.

Nach einer politisch chaotischen Phase übernahm sodann Octavian als „Römischer Kaiser“ die Macht im Imperium Romanum.

Betreffs „Rhein-Grenze“ herrschte zunächst völlige Klarheit vor:

Agrippa, der selbstbewusste Freund des Augustus, verfolgte hier die „Puffer-Strategie“. Diese hätte man immerhin auch bezüglich einer „Elb-Grenze“ oder gar einer „Weichsel-Grenze“ verfolgen müssen.

Der „Politische Liebling“ des Augustus war aber ganz zweifellos sein Adoptiv-Sohn Drusus.

Doch dieser war – so Sueton – gegen das „Augustus-Regime“.

Er wollte v.a. nicht einfach nur „Kronprinz“ sein, sondern „selber erobern“, nach dem „Alten Muster der Republik“, nach dem „Alten Muster Alexanders“.

Drusus war gerade Statthalter in Gallien, als Germanen ins Reichsgebiet einbrachen.

Er zahlte nicht nur mit Gleicher Münze zurück, sondern überschritt überdies den Rhein und begann damit, weite Teile Germaniens zu erobern.

Was sollte Augustus als Vater und „Römischer Kaiser“ dagegen schon sagen? Drusus war offenbar - wie er selbst - „taten-hungrig“. Gegen einen haltlosen, ständig betrunkenen Sohn hätte gerade er – der sittenstrenge Augustus – seine Stimme sicherlich erhoben. Aber Drusus war offenbar „fähig“ und er lebte sich in Germanien als „Feldherr“ aus. Augustus rief ihn nicht zurück. Das Ziel des Drusus war die Weichsel.

Andererseits war Drusus wie gesagt ein Gegner seines Regimes und soll – so Sueton – einen „Putsch gegen den Vater, d.h. den Römischen Kaiser“ vorgehabt haben. Politisches Ziel: Wiederherstellung der Republik.

„Vater-Sohn-Konflikte“ sind bekanntlich grundsätzlich sehr kompliziert

Drusus setzte sich also die Weichsel als Endziel seiner Eroberungen. Doch als er im Begriff war, die Elbe in Richtung Weichsel zu überschreiten, ereilte ihn plötzlich der Tod. Ein Sturz vom Pferd soll die Ursache gewesen sein…

Augustus verfolgte nun als „Römischer Kaiser“ die „Eroberung Germaniens“ weiter und setzte hierfür Tiberius ein.

Im Jahre 7 BC galt Germanien sodann als „erobert“. Die Elbe, nicht die Weichsel wurde als „Ostgrenze des Imperiums“ definiert. 3 BC wurde Ahenobarbus zwecks Abschluss und Anbahnung von Friedensverträgen über die Elbe geschickt. Er war erfolgreich.

Die militärisch-politische Sinnhaftigkeit dieser Grenz-Ziehung an der Elbe war bereits durch eine „Schiffs-Expedition“(5 BC f.) vom Rhein bis in die Ostsee unterstrichen worden –

Kurz gesagt wurde damals die „Dänische Halbinsel“ als geographisches Hindernis für militärische Schiffs-Expeditionen im Bereich Nordsee/Ostsee erkannt. Abhilfe hätte hier freilich z.B. die Anlage eines „Elb-Ostsee-Kanals“ schaffen können, doch das Gebiet zwischen Elbe und Weichsel erschien in der Tat als nicht bedeutend genug, um ein solches Groß-Projekt zu rechtfertigen. Die neue Grenze war eindeutig die Elbe.

Bereits das eroberte „Rhein-Elb-Germanien“ hatte für das Reich eigentlich keinen besonderen Wert

Es war keine „Kornkammer“ wie etwa Africa und auch kein „Gold-Land“ wie Dacien. Vielmehr war es der traurige Überrest eines Großartigen Eroberungsplanes eines verstorbenen Kronprinzen, der mit sich selbst nicht ganz eins gewesen war…

Vorerst gar kein Problem für Augustus

Als jedoch im Jahre 9 AD im „Teutoburger Waldgebirge“ mehrere Römische Legionen durch Germanische Guerilleros unter Arminius niedergemetzelt wurden, da wurde „Germanien“ zum Problem.

Augustus konnte das „Reichsgebiet“ zwischen Rhein und Elbe nicht einfach so aufgeben und dachte somit schon früh über einen Gegenschlag nach.

Die „Rhein-Legionen“ wurden zunächst massiv aufgestockt, zwei „Heeresbezirke für Germanien“ an der Gallischen Grenze geschaffen. In seinen „Res Gestae“ hielt Augustus deutlich fest, dass dieses „Rhein-Elb-Germanien“ im Grunde „Teil des Imperiums“ sei. Das war Teil seines „Politischen Testamentes“. Noch zu seinen Lebzeiten führte Tiberius einen Gegenschlag. Zu einer „Besetzung“ des Gebietes zwischen Rhein und Elbe kam es aber nicht mehr. Augustus selbst hatte zu Vorsicht und Zurückhaltung gemahnt. Auch die Feldzüge nach seinem Tod brachten keine territorialpolitisch klaren Ergebnisse.

Die „Beherrschung Germaniens“ war vor allem deshalb generell schwierig bis unmöglich, weil sich die dortigen Stämme traditionell nie wirklich auf das römische „Geisel-System“ einließen.(Es gab auch nie ein germanisches Wort für „Geisel“!) Offenbar galten Personen, welche von den Römern als „Geiseln“ weggeführt wurden schon zu diesem Zeitpunkt als so gut wie tot. Geschlossene Verträge waren damit stets höchst fragil. Dieser historisch hochbedeutende Aspekt unterscheidet die Germanen klar von den anderen Völkern der Zeit.

Vom „Politischen Testament des Augustus“ rückte erst Kaiser Vespasian(69-79 AD) – ein radikaler Pragmatiker – mit Entschiedenheit ab. Germanien zwischen Rhein und Elbe wurde offiziell uninteressant.

Vespasian hatte sich als „Sieger“ des Bürgerkrieges vom Römischen Senat als Kaiser einsetzten lassen und die politische Devise war: „Rerum Novarum“. Bezüglich Germanien hieß das: „In der Beherrschung zeigt sich der Meister“!

Vespasian wollte an Rhein und Donau eine Klare Grenze, beide Flüsse sollten ferner mittels künstlicher Grenzanlage(= „Limes“) günstig verbunden werden. Das hierfür erforderliche Neuland wurde in der Folge erobert. Unter Kaiser Antoninus Pius(138-161 AD) soll der „Limes“ schließlich zur Vollendung gelangen. Dass eigentlich schon Agrippa(s.o.) der geistige Vater dieses Konzeptes war, steht außer Frage.

Vespasians Sohn und Nachfolger Domitian sah es dann – wie eingangs schon erwähnt – als angebracht, „Zwei Germanische Kunst-Provinzen“ auf Römischem Boden zu errichten.

Der Alte Plan, Germanien vom Rhein bis zur Weichsel zu erobern, wurde interessanterweise im 3. Jahrhundert von Kaiser Maximinus Thrax, dem „Ersten Soldatenkaiser“, wieder zum Leben erweckt. Dieser Feldzug sollte von einem großangelegten Völkermord an den Eingeborenen begleitet sein. Doch Thrax wurde gemeuchelt und Germanien blieb unbehelligt. Den Rest der Geschichte kennen wir.

Abschließend noch ein paar Gedanken zur Frage, was gewesen wäre, wenn Germanien vom Rhein bis zur Weichsel „Römische Provinz“ geworden wäre.

Hätte Thrax seinen Plan wirklich umgesetzt (bzw. umsetzen können!), dann wäre das Gebiet zunächst einmal entvölkert gewesen und hätte zunächst neu besiedelt werden müssen. Erst dann hätte ein „Aufbau“ im römischen Sinn stattfinden können. Ob die Verhältnisse bis zum „Hunnen-Sturm“ im 4. Jahrhundert stabilisiert hätten werden können, ist höchst fraglich.

Wäre das Gebiet aber schon unter Drusus zur „Provinz“ geworden, dann hätten ungefähr vier Jahrhunderte zur Verfügung gestanden, solide Verhältnisse zu schaffen. Es wäre gekommen zu:

a)     Einführung der typisch römischen Infrastruktur, d.h. vor allem zur Gründung von Städten(im Sinne von „urbs“) und der Herstellung eines leistungsfähigen Straßennetzes.

b)    Erschließung von Anbauflächen, Aufsuchung und Förderung von Rohstoffen.

c)     Romanisierung der Eingeborenen.

Und lange hätte man sich in Rom wohl darüber beklagt, dass Germanien mehr koste, als es einbringe

Gegen Norden(v.a. Skandinavien) und Osten(Reitervölker) hin hätten die Grenzen durch geeignete Maßnahmen geschützt werden müssen.

Innerhalb der östlichen Grenztruppen hätten mit Sicherheit Artillerie und Kavallerie eine überragende Rolle gespielt, hätte man es hier doch (vorwiegend) mit Reitervölkern zu tun gehabt. Vielleicht wäre das Imperium angesichts dessen viel besser gegen den „Hunnen-Sturm“ gewappnet gewesen und hätte ihn früh zum Stillstand gebracht. Eine „Große Völkerwanderung“ hätte es jedenfalls nicht gegeben.

Wenn das Weströmische Reich irgendwann zerfallen wäre, dann hätte die „Provinz Germanien“ beste Aussichten gehabt, sich wie Gallien zum „Flächenstaat“ zu entwickeln.

So aber blieb Germanien politisch zersplittert. Erst 1870/71 kam es zu einer Politischen Vereinigung. Die heutigen Begriffe bzw. Institutionen „Freistaat Bayern“, „Freistaat Thüringen“ etc. sind als Narben der einstigen Zersplitterung noch immer sichtbar.

Hätte Germanien ein solides, geschlossenes System dargestellt und hätte es keine Völkerwanderung gegeben, dann wäre auch die Bezeichnung „Deutscher“(= soviel wie „Volkszugehöriger“ bzw. „Germanischer Volksgenosse“) nie aufgekommen.(1) Diese war ja das Produkt der chaotischen Völkerwanderungszeit und hatte grundsätzlich den Sinn, die „Germanen“ von anderen Ethnien zu scheiden.

Nota bene: Hätte Drusus Erfolg gehabt, gäbe es den Namen „Deutschland“ heute gar nicht.

Ohne die obgenannte politische Zersplitterung Germaniens hätte sich auch dessen „Nation“ anders, und zwar im französischen Sinne entwickelt.(2)

Das auf die römische Provinz Gallien zurückgehende Frankreich war – trotz historischer Wirren –schon immer „Staats-Nation“, d.h. es herrschte traditionell ein inniges Verhältnis zwischen „Volk“ und „Staat“. Der „Raum“ war maßgebend, nicht das „Blut“.

In „Proto-Deutschland“ aber war das Verhältnis gerade umgekehrt: Hier suchte das „Blut“ bzw. eine „Kultur-Nation“ nach „Raum“, d.h. nach einem „Staat“. Man nennt das auch „Blut &. Boden-Ideologie“. Und für so manchen Zeitgenossen ist die „Deutsche Frage“ noch immer ungelöst…

Wäre Germanien nicht politisch zersplittert gewesen, dann wäre es logischerweise nie zur Politischen Vereinigung von 1870/71 gekommen, welche manchem Nachbarstaat und v.a. England zunächst so große Furcht einflößte. „Germanien“ – oder wie man das Land später auch immer genannt hätte – hätte ganz einfach als „Flächenstaat“ neben seinen Nachbarn existiert.

Bismarck, welcher die Politische Vereinigung von 1870/71 de facto herbeiführte, war es noch gelungen, die Ängste gegenüber dem „Deutschen Reich“ zu zerstreuen. Man sei satt und friedlich.

Diese politische Balance brachte erst Kaiser Wilhelm II. ins Wanken und schließlich zum Zusammenbruch, wollte er doch für sein Reich einen „Platz an der Sonne“. Man sei nun einmal „Großmacht“ und sollte das auch zeigen…

Am Ende torkelte er dann in den Ersten Weltkrieg hinein. Und den Rest der Geschichte kennen wir…

 

Anmerkungen:

1)    Siehe dazu EGGERS, Der Volksname Deutsch.

2)    Siehe zum Thema „Nationsbildung“ etwa KOHN, Idee des Nationalismus.; LEMBERG, Nationalismus.

 

Copyright: Elmar Oberegger 2016.