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X: Der „Lange Weg“ zur „Irischen Lösung“(41-69 AD)(= Handelskontakte bei strikter territorial-politischer Trennung). Der „Grenz-Gedanke“(= Rhein-Limes-Donau) als Antithese zum „Testament des Augustus“. Kaiser Vespasian als (offizieller) Geistiger Vater. Seine Nachfolger. Tacitus(ca. 58-120 AD) zum „Problem Germanien“. Cassius Dio(ca. 163-229 AD) zum „Problem Germanien“. Zum Wirtschaftskontakt „Imperium Romanum“ „Germanien“. Die Zerstörung des „Limes“(259/260 AD) durch die „Alamannen“.

An dieser Stelle ein kurzer Rückblick:

Kaiser Augustus hat in seinem – immerhin auch in Stein gemeißelten(!) – Tatenbericht „Res Gestae“(= Monumentum Ancyranum) der Nachwelt einst u.a. mitgeteilt:

„Omnium provinciarum populi Romani, quibus finitimae fuerunt gentes, quae non pararent imperio nostro, fines auxi. Gallias et Hispanias provincias item Germaniam qua includit Oceanus a Gadibus ad ostium Albis fluminis, pacavi“.

“Pacavi”, “Pacare” – vor allem daran entzündet sich die Große historische Frage, ob Augustus nun so ein quasi „Gottgegebener Friedensfürst”(= Heiland?!) war, oder in Wirklichkeit nur so ein höchst „Irdischer Gewalt-Mensch“, der unter dem höchst edlen Titel „Friede“ anderen Völkern „Seinen Willen“, d.h. „Seine Herrschaft“ aufzwang.

„RE-BELLION“(= von lat. „bellum“), die „Erneuerung des Krieges(gegen einen Verordneten Frieden)“ ist das genaue Gegenstück zu „PACARE“: Und genau dies führte Arminius im Jahr 9 AD durch. Zu „WIRKLICHER HERRSCHAFT“ gelangte er – wie wir gesehen haben – freilich nicht.

Die oben zitierte Aussage des Augustus stellt bezüglich „Germanien zwischen Rhein und Elbe“ sein „Testament“ dar und ist somit ein „Völkerrechtliches Dokument“. Das Gebiet sei „römisch“, vorerst aber nicht unter „Römischer Kontrolle“. Die Wiedereingliederung ins Reich sei als Ziel zu betrachten.

Seine Nachfolger stellten dieses „Prinzip“ nie offen in Frage, weder durch Wort noch durch Tat. Tiberius gab das „Militärische Problem Germanien“ nach den erfolglosen Feldzügen des Germanicus zunächst einfach an Tiberius Drusus weiter, welcher aber untätig blieb.(s.o.) Erst später wurde die Bedeutung dieser Unternehmungen – um Germanicus politisch nachträglich zu schaden –  radikal umdefiniert.(s.o.)

Erst unter Kaiser Claudius begann die Sache wirklich brüchig zu werden, genügend Zeit war bereits vergangen(s.o.). Wir gehen zurück zur oben bereits erwähnten „Drusus-Imitatio“ des stolzen Feldherrn Corbulo im Jahre 47 AD.(1) Was ging damals vor sich? Tacitus berichtet darüber in seinen Annalen(11, 18 ff.):

„Um dieselbe Zeit fielen die Chauken … in den Heeresbezirk Germania Inferior ein, während Corbulo noch im Anmarsch war. Ihr Führer war Gannascus vom Stamm der Canninefaten. Er hatte in unserem bundesgenössischen Heer gedient, war dann entlaufen, trieb jetzt mit leichten Fahrzeugen Seeräuberei und verwüstete namentlich die Küste der Gallier, deren Reichtum und unkriegerische Art er genau kannte. Als Corbulo in der Provinz angelangt war, verfuhr er mit großer Vorsicht … Er führte die Kriegsschiffe auf dem Rhein und die übrigen Schiffe, soweit sie brauchbar waren, durch die Küstengewässer und Kanäle heran. Die Kähne der Feinde wurden in den Grund gebohrt, Gannascus vertrieben. Sobald die Ruhe für den Augenblick wieder hergestellt war, brachte er die Legionen … wieder zur alten strengen Zucht zurück … Übrigens wirkte diese Strenge auf die Soldaten und auf die Feinde ganz verschieden. Sie erhöhte unsere Tapferkeit und brach den wilden Mut der Barbaren. Auch die Friesen, die seit ihrer Empörung, die mit der Niederlage des L. Apronius begann, feindselig oder doch unzuverlässig waren, stellten Geiseln und ließen sich willig auf dem Gebiet ansiedeln, das ihnen Corbulo zuwies. Er gab ihnen einen Senat, Beamte und Gesetze. Damit sie sich seinen Befehlen nicht wieder entzögen, legte er bei ihnen einen befestigten Platz an, nachdem er Gesandte geschickt hatte, die die Großchauken zur Übergabe veranlassen und zugleich Gannascus heimlich beseitigen sollten. Diese Anschläge gegen einen Überläufer und Wortbrüchigen waren nicht erfolglos oder unedel. Aber die Ermordung des Gannascus erregte die Gemüter der Chauken, und Corbulo war es, der den Samen der Empörung ausstreute, was seinen Ruf bei vielen erhöhte, bei manchen aber verdunkelte. Warum er denn den Feind reize? Ein Misserfolg werde dem Reich schaden; habe er aber Erfolg, so sei ein kriegsberühmter Mann für den Frieden gefährlich und für einen unkriegerischen Fürsten lästig. Claudius widersetzte sich denn auch einem neuen Angriff auf die Germanen in dem Grad, dass er den Befehl gab, die vorgeschobenen Truppen  auf das diesseitige Rheinufer zurückzunehmen. Corbulo war schon damit beschäftigt, sein Lager auf feindlichem Gebiet aufzuschlagen, als man ihm diesen schriftlichen Befehl überbrachte. Obgleich ihn bei dieser Überraschung mehrere Dinge zugleich bestürmten: Ehrfurcht vor dem Kaiser, Verachtung von Seiten der Barbaren und Spott der Bundesgenossen, sagte er doch nichts weiter als: ‚Wie glücklich waren doch einst die Feldherren Roms‘! und gab das Zeichen zum Rückzug“.

Der „Corbulo-Vorstoß“ in Richtung Elbe im Jahre 47 AD.(Skizze):

KARTE

Copyright: Elmar Oberegger

Offenbar nur der erste Schritt eines größeren Unternehmens.

Dass es sich hierbei um eine Drusus-Imitatio gehandelt hat, zeigt Corbulos Ausspruch „Wie glücklich waren doch einst die Feldherren Roms“! Allein dessen geplantes Ausmaß bleibt ungewiss. Aus dieser Bemerkung geht auch die tiefe Verachtung hervor, welche Corbulo zu diesem Zeitpunkt dem Kaiser – immerhin der Sohn des legendären Drusus(!) und somit mit dem Namen „Germanicus“ ausgestattet – entgegenbrachte. Dieser repräsentiere alles, nur nicht „Rom“!

Dass Claudius übrigens – wie Tacitus oben andeutet – eine Art „Friedens-Engel“ gewesen sei, ist unrichtig, hatte dieser doch bis 44 AD weite Teile Britanniens erobert. Auch der Erfüllung des Testamentes des Augustus erteilte er nie eine grundsätzliche Absage. Doch Priorität wies er dieser Sache ebensowenig zu. Die Wiedereingliederung Germaniens wurde weiterhin mit dem Vermerk „Eilt nicht“ versehen.

Wie wenig Gestaltungsspielraum der politisch von vorne herein höchst umstrittene Claudius hatte, zeigt der Umstand, dass er sich bei Corbulo nach seiner „Rückruf-Aktion“ insofern entschuldigte, als er ihm die Triumphabzeichen gab. Tacitus schreibt in seinen Annalen dazu(11, 20):

„Der Kaiser bewilligte die Triumphabzeichen, obgleich er ihm die Weiterführung des Krieges verweigert hatte“.

Nur so konnte der Kaiser gröberer Kritik v.a. von Seiten mächtiger Senatoren entkommen, welche wie Corbulo dachten. Später wurde Corbulo übrigens unter würdigen Bedingungen in den Osten geschickt bzw. „ent-sandt“.

Nach dem Tod des Claudius im Jahre 54 AD kam Kaiser Nero an die Macht. Das Interesse an Germanien blieb weiterhin gering. Sodann schlitterte das Reich in einen Bürgerkrieg. Aus diesem ging schließlich ein Mann siegreich hervor, welcher erstmals imstande war, klare Akzente hinsichtlich der „Germanischen Affaire“ zu setzen: Kaiser Vespasian(69-79 AD).(2)

Vespasian:

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Sein Blick ist hier – im Gegensatz zu Drusus Avidus(s.o.) –  geradeaus(!) gerichtet, nicht spekulierend mit dem „Osten“, aber auch nicht mit dem „Westen“. Vespasian war Überzeugter Pragmatiker, wenn es um „Konkrete Politische Probleme des Reiches“ ging. Ebenso verwaltete er das Vorgefundene.

Er stammte aus einfachen Verhältnissen, verdiente nach Sueton(s. 4) sein Geld früher u.a. als Maultier-Händler und besaß damit einen höchst gesunden Bezug zur Realität. Da er mit Augustus nicht verwandt war, fiel es ihm umso leichter, dessen Testament unter den Tisch fallen zu lassen.

Für diesen politisch mutigen Schritt – und es soll nicht sein einziger bleiben! – bedurfte es allerdings der Rückendeckung durch den Senat, dessen Verhältnis zu seinen Vorgängern Tiberius ausgenommen – nicht sehr glücklich war. Vespasian, der Schlaue Maultierhändler, schloss mit dem Senat also einen „Kuh-Handel“ ab, welcher seinen offenen Ausdruck im „Lex de Imperio Vespasiani“ fand(3) – Er ließ sich also nach allen Regeln der „Alten Kunst“ einsetzen. Rein militärisch betrachtet hätte er dies keineswegs nötig gehabt, hatte er doch alle Mittel in der Hand, um den Senat zu ignorieren bzw. einzuschüchtern. Die Senatoren wussten das sehr genau. Allein aus Machtpolitischen Gründen(!) erschien ihm aber gerade das als nicht opportun! Vespasian wollte einen ruhigen Senat, schlicht gesagt, er wollte Politische Gestaltungsfreiheit. Leistung und Gegenleistung traten somit in ein ausgeglichenes Verhältnis, der „Kuh-Handel“ war perfekt.

Dieses „Sich-Einfügen in die Alte Tradition“, durchgeführt durch einen derart mächtigen Mann, wurde öffentlich mit Größter Begeisterung aufgenommen. Tacitus schreibt darüber in seinen Historien wie folgt(4, 3 f.):

„In Rom … beschloss der Senat alle bei Herrschern üblichen Ehren auch für Vespasian, freudigen Sinnes und hoffnungssicher. Denn man hatte den Eindruck, dass der in Gallien und Spanien begonnene Bürgerkrieg, der auch Germanien, dann Illyrien ergriffen und schließlich Ägypten, Judäa, Syrien und alle Provinzen und Heere durchzogen hatte, nun endlich gleichsam durch Entsühnung des ganzen Erdkreises sein Ende gefunden habe. Die Hochstimmung steigerte noch ein Schreiben Vespasians, das so abgefasst war, als dauere der Krieg noch an: So wirkte beim ersten Hinsehen seine Ausdrucksweise. Im übrigen sprach er aber als Princeps, in bescheidenem Ton von sich, voll Hochachtung über den Staat. Und der Senat ließ es an Willfährigkeit nicht fehlen…“.

Kaiser Claudius etwa war nur durch die Prätorianer an die Macht gekommen und vom Senat sofort zum „Staatsfeind“ erklärt worden. Nur mit Mühe konnte er dieses Verhältnis über die Jahre bessern. Aber der Senat saß ihm trotzdem immer im Genick.

Kaiser Vespasian schickte sich nun an, die seit 9 AD schwelende „Germanische Affaire“ endgültig zu bereinigen – Kein erfreulicher, aber ein längst überfälliger Schritt. Ungefähr 60 Jahre waren seit Beginn der „Rebellion“ in der „Germania Romana“ zwischen Rhein und Elbe schon vergangen und seine Vorgänger konnten sich nie zu einer klaren staatspolitischen Zukunftsentscheidung durchringen. Man sollte zwar eine Rückeroberung durchführen, das gebot das „Testament des Augustus“, aber andererseits brauchte man dieses Gebiet nicht unbedingt.(s.o.) Wozu also ein Risiko eingehen?

Vespasian, welcher wie schon gesagt mit Augustus nicht verwandt war, fühlte sich nun dessen Testament ganz offensichtlich nicht mehr verbunden. Und der Befriedete Senat konnte damit leben, die Sache wurde somit öffentlich nicht aufgeblasen, niemand fiel dem Kaiser in den Rücken.

Sein Konzept bezüglich „Germanien“(s. Karte):

a)     Rhein und Donau werden grundsätzlich zu „Grenz-Flüssen“.

b)    Der zwischen beiden Flüssen sich aufspannende „Germanische Landzipfel“(Reinhard Wolters) sei zur Erreichung einer möglichst glatten Gesamtgrenze dem Imperium anzugliedern und mittels Künstlicher Anlagen(= „Limes“) vom übrigen Germanien abzuschotten.

Grund-Konzept Vespasian: Möglichst kurze Verbindung zwischen den „Neuen Grenzflüssen“ Rhein und Donau.

Copyright: Elmar Oberegger

Kaiser Vespasian begann damit, dieses in der Tat zukunftsträchtige Konzept(!) umgehend zu realisieren. Besondere Eile legte er hier allerdings nicht an den Tag.

Der Name „Elbe“ bzw. „Elb-Grenze“ verschwand jedenfalls angesichts dieser Neuen Politik in der Folge zunehmend aus dem Römischen Bewusstsein. Tacitus hält ungefähr 30 Jahre nach Regierungsantritt des Vespasian in Kapitel 41 seiner Schrift „Germania“ einmal fest:

In diesem Gebiet „… entspringt die Elbe, einstmals ein vielgenannter und wohlbekannter Fluss. Jetzt hört man bloß noch von ihm reden“.

Domitian(81-96 AD), Sohn und (zweiter) Nachfolger des Vespasian trieb das väterliche Konzept schließlich weiter voran.(4)

Domitian:

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Schon immer fühlte sich dieser gegenüber seinem Vorgänger und Bruder Titus(79-81 AD) zurückgesetzt, hatte dieser doch „Judäa“ samt dessen Goldschatz zum Eigentum Roms gemacht. Doch was blieb da für ihn? Er ging nun ganz einfach daran, sich in Germanien seine „Lorbeeren“, also seinen „Triumph“ zu verdienen. Seinen Feldzug gegen den stolzen und gefährlichen Stamm der Chatten führte er höchst erfolgreich durch. Bis zur Elbe kam er also nicht, er wollte offenbar auch gar nicht dorthin. Trotzdem gab er den Slogan „Germania Capta“ aus, welcher sogar in Form einer Münze verewigt wurde.(5) Der Bau des „Limes“ begann.

Ferner erklärte Domitian – um das Jahr 85 AD herum – die bisherigen „Heeresbezirke für Germanien“(gegr. 9 AD) zu „Römischen Provinzen“.(6) Die konkreten Namen:

a)     „GERMANIA INFERIOR“(Hauptstadt: Col. Agrippina/Köln).

b)    „GERMANIA SUPERIOR“(Hauptstadt: Mogontiacum/Mainz).

Beide Provinzen umfassten – wie die alten Heeresbezirke –  ursprünglich nur Gallisches Territorium. Das eroberte Germanische Neuland(= „Dekumatland“) wurde sodann der Provinz „Germania Superior“ zugeschlagen.(7)

Germania Inferior:

Copyright: Elmar Oberegger

Hauptstadt: Col. Agrippina(Köln).

Germania Superior:

Copyright: Elmar Oberegger

Hauptstadt: Mogontiacum(Mainz).

„GERMANIEN“ war jedenfalls nun endlich „TEIL DES RÖMISCHEN REICHES“ geworden! Kein Zweifel!

Wirklich kein  Zweifel?

Um das Jahr 98 AD publizierte der Geschichtsschreiber Tacitus – dem das Domitianische Regime(81-96 AD) bekanntlich höchst widerlich war – jedenfalls seine Schrift „Germania“, deren „Sinn“ man verschieden interpretieren kann.(8) Wir gehen davon aus, dass es sich hierbei summa summarum um eine Spitze gegen die „Germanien-Politik“ des Kaisers Domitian(s.o.) handelt. Tacitus wollte dem Publikum offenbar in aller Klarheit und Tiefe(!) vorführen, was „Germanien“ wirklich ist, und was „Germanien“ eben nicht ist.

Dieses Moment tritt gleich zu Beginn deutlich hervor, wenn er schreibt:

„Germania omnis a Gallis Raetisque et Pannoniis Rheno et Danuvio fluminibus, a Sarmatis Dacisque mutuo metu aut montibus seperatur…”.

Die Existenz der beiden Germanischen Provinzen Roms(s.o.) – immerhin ein völkerrechtliches Faktum(!) – ignoriert er aber völlig. Denn ansonsten hätte er ja schreiben müssen: „Germania est omnis divisa in partes tres: Germania Inferior, Germania Superior et Germania Libera“.

Germania est omnis divisa in partes tres - Die historische Realität zum Zeitpunkt der Publikation der “Germania” des Tacitus:

Copyright: Elmar Oberegger

Ferner bestreitet er sogar, dass der durch den Limes abgeschottete „Germanische Landzipfel“(R.Wolters) innerhalb des Reiches(= „Dekumatland“, Provinz Germania Superior) „germanisch“ sei.(s. Karte) Und dies obwohl er eingangs eindeutig(!) davon spricht, dass „Germanien“ durch Rhein und Donau begrenzt sei.(s.o.) Tacitus zu dieser Frage wörtlich am Ende des 29. Kapitels:

„Nicht zu den Völkern Germaniens möchte ich jene rechnen, die das Dekumatland bebauen, obwohl sie sich jenseits des Rheins und der Donau niedergelassen haben. Hier haben sich allerlei leichtfertige und von der Not kühn gemachte Gallier den besitzmäßig strittigen Boden angeeignet. Später wurde der Limes hergestellt und die Besatzungen weiter vorgeschoben, und nun gilt ihr Gebiet als Vorland unseres Reiches und als Teil der Provinz“.

Tacitus legt also größten Wert auf die Erwähnung der „Gallisierung“ des Dekumatlandes und nimmt ferner den Namen „Germania Superior“ nicht einmal in den Mund! Über die genaue Strukturgeschichte(!) dieser „Gallisierung“ schweigt er sich aber aus.

Die Errichtung der Provinzen „Germania Superior“ und „Germania Inferior“ sei nach Tacitus also letzten Endes nichts Anderes als Politischer Humbug gewesen, durchgeführt von einem Zweifelhaften Kaiser. Andererseits kommt er aber nun einmal nicht umhin, zuzugeben, dass es auf dem Boden des Imperiums „Germanen“ gibt.(s. Kap. 28)

Hinsichtlich der Frage der „Germanischen Provinzen“ des Imperiums ist übrigens Cassius Dio ca. 100 Jahre später ganz anderer Meinung. Er schreibt(Hist., 53, 12, 5 f.):

„… einzelne nordische Stämme, die wir Germanen nennen, haben das ganze Keltenland am Rhein in Besitz genommen und bewirkt, dass es Germanien genannt wird, das obere das Land bis zu den Quellen des Stromes, das untere das bis zum britannischen Ozean“.

Der Germanien-Experte Reinhard Wolters resumiert zur Sache im Jahr 2011 schließlich wie folgt:

„Das linke Niederrheingebiet war von den über den Rhein gekommenen Batavern, Cananefaten, Ubiern und Sugambrern besiedelt, doch auch die Bevölkerung des Oberrheines war bereits vor der Errichtung des Limes nach Osten durch eingewanderte suebische Gruppen überwiegend germanisch“(9).

Also war es letzten Endes doch richtig bzw. zumindest sachlich vertretbar, die „Neuen Provinzen“ jeweils mit dem Namen „Germanien“ auszustatten? Bevölkerungsstatistiken fehlen. Zweifellos aber waren die Germanen an der Grenze ein Faktor von Großer politischer Bedeutung. Mit ihrer Ansiedlung wurde zumindest ein Teil des alten „Agrippa-Konzeptes“(s.o.) umgesetzt. Dauerhaft kanalisieren bzw. steuern konnte man den „Germanischen Drang nach Westen“(s.o.) aber – wie die Geschichte zeigt – trotzdem nicht. Letzten Endes steht fest, dass die beiden Germanischen Provinzen Roms letztlich „Kunst-Provinzen“ waren.

Mit der Errichtung dieser ging wie schon gesagt auch die Herstellung des Limes einher.(10) Das Konzept des Vespasian(s.o.) begann „Konkrete Formen“ anzunehmen.(s. Karte)

Der „Rhein-Donau-Limes“ um 100 AD:

Copyright: Elmar Oberegger

Die strikte politische Germanien-Formel „Handelskontakte bei strikter territorialpolitischer Trennung“ wurde zum Standard. Wir wollen dies als „Irische Lösung“ bezeichnen, da das Verhältnis zu Irland ganz genauso strukturiert war.

Agricola bzw. Kaiser Domitian konnten sich einst – trotz militärisch höchst günstiger Aussichten – einer Besetzung der Insel enthalten(s. Tac. Agr. 24, 2 f.), Handelskontakte aber wurden nicht abgelehnt.

Der Unterschied zu Germanien liegt hier lediglich darin, dass die Stämme Irlands nie aggressiv gegen das Imperium Romanum auftraten. Der „Meeres-Limes“ zwischen Britannien und Irland(Hibernia) war somit politisch eigentlich überflüssig.

Hibernia(Irland) und das Imperium Romanum:

Copyright: Elmar Oberegger

Seine endgültige Gestalt erlangte der „Limes“ schließlich unter Kaiser Antoninus Pius(138-161 AD).(11) (s. Karte)

Der „Limes“ in seiner Vollendung(2. Jh):

Copyright: Elmar Oberegger

Um den „Ausbau“ des Limes haben sich vor allem die Kaiser Trajan und Hadrian verdient gemacht.

Welche Waren gingen nun – übrigens auch schon vor Errichtung des Limes – von Germanien aus in „geregelter Form“ ins Römische Reich?(12)

a)     Blondes Frauenhaar zur Herstellung von Perücken für die Frauen der „Besseren Gesellschaft“ in Rom bzw. Italien. Ein ganz besonders kostbares Exportgut!

b)    Tierhäute.

c)     Gänse, Schweine und Fische.

d)    Bernstein(Das Hauptvorkommen befindet sich in der Königsberger Gegend).

e)     Sklaven.

f)      Pferde.

Welch‘ überragende Bedeutung der Sklaven-Handel besessen haben muss, zeigt folgende Anektote aus der Schrift „Agricola“ des Tacitus. Wenn man in Germanien wehrlos Menschenjägern in die Hände fiel, war man eigentlich schon verloren. Tacitus schreibt(28):

„Im gleichen Sommer wagte eine Kohorte Usiper – in Germanien ausgehoben und nach Britannien verlegt – eine große und denkwürdige Tat. Sie hieben einen Centurio und die Legionssoldaten nieder, die zur Unterweisung im Dienst in den Manipeln verteilt waren und als Beispiel und Vorgesetzte dienten, und bestiegen drei Liburnen, nachdem sie mit Gewalt Steuerleute beigebracht – Einer führte auch das Ruder, zwei machten sich verdächtig und wurden getötet. Dann fuhren sie, noch ehe das Gerücht sich verbreitet hatte, wie eine wunderbare Erscheinung längs der Küste hin. Später gingen sie an Land, um sich Wasser und anderes Nötige zu holen, stießen mit sehr vielen Britanniern, die ihr Eigentum verteidigten, zusammen und kamen endlich – oft siegreich, oft geschlagen – in solche Not, daß sie die Schwächsten der Ihren, später die durchs Los Bestimmten aufzehrten. So umsegelten sie Britannien, verloren durch ihre Unkenntnis der Steuerkunst die Schiffe und wurden, da man sie für Seeräuber hielt, zuerst von den Sueben, dann von den Friesen abgefangen. Und es gab welche, die – auf dem Handelsweg verkauft und durch Weitertausch der Käufer auch bis zu unserem Rheinufer gebracht – die Erzählung eines solchen Schicksals mit Glanz umgab“.

Durch den geregelten Wirtschaftskontakt mit dem Römischen Reich kam man nun auch nachhaltig mit Edelmetallen in Berührung. Tacitus schreibt zu diesem Thema in Kapitel 5 seiner um 100 AD erschienenen Schrift über die Germanen:

„Aus dem Besitz und dem Gebrauch dieser Edelmetalle machen sie sich nicht sonderlich viel. Man kann beobachten, dass silberne Gefäße, die ihre Gesandten und Fürsten als Geschenk erhielten, bei ihnen keinen anderen Wert besitzen als aus Ton geformte. Unsere Grenznachbarn indessen wissen wegen des Handelsverkehrs Gold und Silber wohl zu schätzen, ja bestimmte Sorten unseres Geldes anerkennen und nehmen sie gern. Tiefer drinnen im Land dagegen treibt man in einfacherer, älterer Art noch Tauschhandel. Von unserem Geld sagt ihnen das alte, schon lange bekannte zu: Die Stücke mit gezähntem Rand und die mit dem Bild eines Zweigespanns. Auch halten sie sich lieber ans Silber- als ans Goldgeld, nicht aus einer besonderen Vorliebe, sondern deshalb, weil die größere Zahl von Silbermünzen für sie beim Einkauf billigen Kleinkrams bequemer zu verwenden ist“.

Vor allem im stark römisch geprägten „Reich des Marbod“(s.o.) dürften Gold und Silber höhere Bedeutung gehabt haben als anderswo.

Hinzuweisen ist aber angesichts der Ausführungen des Tacitus vor allem darauf, dass sich in Germanien die „Arbeitsteilung“ nicht, und wenn nur unzureichend entwickelt hat. Damit drang das „Geld“ auch nicht nachhaltig in den wirtschaftlichen Kreislauf ein und z.B. die Herstellung von bemerkenswerten Groß-Bauten durch „Spezialisten“ – wie wir das von Griechen und Römern kennen – blieb aus.(13) Der Germane benötigte etwa für „Religiöse Erfahrungen“ keine Tempel aus Stein, hierfür genügte ihm bereits eine in Freier Natur vorfindbare(!) „1000jährige Eiche“. Wer hier nun intelligenter ist, Römer und Griechen oder Germanen, das sei dahingestellt. Fest steht, dass der Germane in vielerlei Hinsicht weitaus weniger Aufwand betrieb als seine Nachbarn aus dem Süden.

Ein weiteres Resultat dessen, dass „Geld“ nur sehr beschränkt als „Zahlungs-Mittel“ erkannt und somit flächendeckend in geregelten Umlauf gesetzt wurde, ist die „Verschatzung“, d.h. Edelmetalle wurden gerne vergraben. Doch dort drunten in der Erde waren sie dem Wirtschafts-System entzogen und nutzten eigentlich niemandem. Der „Schatz“ wurde jedenfalls zum durchgängigen Motiv in Germanischen Märchen und Sagen.

Der Limes hielt nicht einmal 200 Jahre. Um 260 AD wurde er vom mächtigen germanischen Stammesverband der „Alamannen“ überrannt und musste aufgegeben werden.(14) Das „Dekumat-Land“ wurde somit „germanisch“, also der Provinz „Germania Superior“ wieder entzogen.

Zur weiteren Geschichte der beiden Germanischen Provinzen des Römischen Reiches: Unter Diokletian(284-305 AD) wurde die den Provinzen übergeordnete Verwaltungseinheit „Diözese“ eingeführt. „Germania Inferior“ wurde um 300 AD in „Germania Secunda“, „Germania Superior“ in „Germania Prima“ umbenannt. Letztere Provinz wurde ferner territorial stark beschnitten: Der südliche Teil ab Strassburg wurde der neuen Provinz „Sequania“ zugeschlagen. Sowohl Germania Prima als auch Germania Secunda wurden Teil der Diözese „Galliae“.(s. Karte)

Die „Zwei Germanischen Provinzen“ im Kontext der „Diözese No. 13: ‚Galliae‘“(ab ca. 300 AD bis 476 AD):

Copyright: Elmar Oberegger

 

Anmerkungen:

1)    Zu Corbulo siehe SCHUR, Untersuchungen zur Geschichte der Kriege Corbulos.; SYME, Domitius Corbulo.

2)    Siehe zu Vespasian und seinen Nachfolgern BENGTSON, Die Flavier. Vespasian, Titus, Domitian.; PFEIFFER, Die Zeit der Flavier.

3)    Siehe zur Einführung BRUNT, Lex de imperio Vespasiani.

4)    Zu Domitian siehe REITZ, Domitian.; WITSCHEL, Domitian.

5)    Ein Bild dieser findet sich etwa bei WOLTERS, Römer in Germanien, S. 68.

6)    Siehe dazu BECHERT, Germania inferior.; BECHERT, Römisches Germanien zwischen Rhein und Maas.; KLEE, Germania Superior.

7)    Zum Dekumatland siehe LEIBINGER, Decumates agri.; G. NEUMANN u.a.: Decumates agri.; SONTHEIMER, Decumates agri.

8)    Siehe dazu TIMPE, Romano-Germanica. Gesammelte Studien zur Germania des Tacitus.; JANKUHN/TIMPE(Hrsg.), Beiträge zum Verständnis der Germania des Tacitus. -Göttingen 1989.; LUND, Zur Gesamtinterpretation der Germania des Tacitus.; NEUMANN/SEEMANN(Hrsg.), Beiträge zum Verständnis der Germania des Tacitus.

9)    WOLTERS, Römer in Germanien, S. 77.

10)           Siehe zur Geschichte des Limes FABRICIUS u.a., Der obergermanisch-raetische Limes des Roemerreiches.; KEMKES, Der Limes.; SCHALLMAYER, Der Limes.

11)           Zu Antoninus Pius siehe HÜTTL, Antoninus Pius.

12)           Siehe dazu etwa MARTIN-KILCHER, Handel und Importe. Das Imperium Romanum als Wirtschaftsraum.

13)           Siehe dazu WALKER, Das Geld in der Geschichte, S. 25 ff.

14)           Siehe dazu KÜHNEN(Hrsg.), Gestürmt- Geräumt- Vergessen? Der Limesfall und das Ende der Römerherrschaft in Südwestdeutschland.; NUBER, Staatskrise im 3. Jahrhundert. Die Aufgabe der rechtsrheinischen Gebiete.; NUBER: Zeitenwende rechts des Rheins. Rom und die Alamannen.; NUBER, Das Ende des Obergermanisch-Raetischen Limes - eine Forschungsaufgabe.; REUTER, Das Ende des raetischen Limes im Jahr 254 n. Chr.; STEIDL, Der Verlust der obergermanisch-raetischen Limesgebiete.

 

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