[ HOME ]        [ ZURÜCK ]
   
   
 

DIARRHOE:

Ein „Naturphänomen“ im Kontext der europäischen Geschichte.

Was im berühmten „Prinz Eugen-Lied“ nicht besungen wird.

Essai.

 

Als Generalleutnant Prinz Eugen v. Savoyen – seit 1703 „Präsident des Hofkriegsrates“  – im Sommer des Jahres 1717 mit seiner Armee vor Belgrad stand, verspürte er ganz plötzlich krampfartige Schmerzgefühle im Unterleib und sah sich dringendst genötigt, schnellstens eine Toilette aufzusuchen –

Dieses Szenario ist zwar quellenmäßig nicht direkt überliefert, doch lässt die quellenmäßige Überlieferung dessen Konstruktion durchaus zu. Der große Feldherr war an Durchfall(Diarrhoe) erkrankt.

Prinz Eugen(1663-1736) auf einer Münze:

Sammlung Weifert

Ferner war ihm längst bekannt, dass es nicht nur ihm so erging: Weite Teile seiner Truppen teilten bereits sein Schicksal und irrten vom Durchfall geplagt im Lager umher. Zahlreiche Soldaten hatten noch zusätzlich unter Fieberschüben zu leiden, viele starben bereits.

Der Durchfall suchte den Feldherrn und seine Armee nach einer Phase akribischer militärstrategischer Vorbereitungen heim: Alles war genau durchdacht, genau geplant und erfolgversprechend. Nun aber stand alles an der Kippe. Bemerkenswert ist übrigens, dass der Feldherr nicht dem Fieber anheimfiel, sondern schon nach kurzer Zeit wieder gesundete und somit voll in der Lage war, einen Weg aus dieser Krise zu suchen…

Im Zuge der „Friedenskonferenz von Karlowitz“(1699) waren dem Osmanischen Reich, mit dem es seit der „Schlacht am Kahlenberg“(1683) militärisch bergabging, erneut weite Gebiete abgenommen worden. Istanbul sann seither auf Revanche.

Als Opfer dieser Rachebestrebungen suchte man sich schließlich Venedig aus, einen Mitunterzeichner des Karlowitzer Vertrages und somit Verbündeten Wiens. Am 10. Dezember des Jahres 1714 kündigte Sultan Achmed II. der Signoria den Frieden auf. Venedig wandte sich daraufhin an Kaiser Karl VI. um Hilfe. Doch da es sich in der Vergangenheit Österreich gegenüber nicht immer korrekt verhalten hatte, zögerte man zunächst und der osmanische Plan schien aufzugehen.

Prinz Eugen, der Militärstratege, jedoch sah die Dinge von vorne herein ganz anders: Ein neuer Krieg, noch dazu von den Türken selbst heraufbeschworen, würde die günstige Aussicht auf neue territoriale Gewinne im Donauraum bieten, ein weiterer Schritt hin zur Beherrschung des direkt vor Istanbul liegenden(!), westlichen Schwarzmeerstrandes. Damit hätte Wien seine Hand sozusagen an die Kehle des Sultans gelegt, den Feind im Osten gewissermaßen stillgelegt. Ein lohnendes, aber 1714 noch fernes Ziel, welches der Kaiser aufgrund der Entmachtung Prinz Eugens übrigens nie erreichen soll. Prinz Eugens Erben waren „typisch österreichische Stümper“, die glaubten, dass militärische Siege einfach so vom Himmel fallen –

Aber mit den Türken war trotz ihrer Schwächung nicht zu spaßen! Dazu noch später.

Der neue Krieg begann erst im Sommer des Jahres 1716, und zwar bei Peterwardein(Novi Sad): Hier gelang es Prinz Eugen, eine zahlenmäßig weit überlegene(ca. 1:3) türkische Streitmacht zu besiegen und er marschierte in der Folge gegen Belgrad, welches sich schon zwischen 1688 und 1690 in österreichischer Hand befunden hatte. Mit dessen Rückeroberung hatte er sich über die Jahre nie so richtig abfinden können.

Ja, mit den Türken war nicht zu spaßen: Sie hatten das 1690 zurückgeholte Belgrad als „Zukünftigen Zankapfel“ bestens befestigt und ausgerüstet. Prinz Eugen wusste das und wusste somit von vorne herein, dass nur ein „Überraschungs-Coup“ den Sieg bringen könne. Das hieß: Wirklich alle Zeitgenossen und auch die Türken erwarteten, dass er über die Save hinweg angreifen werde. Somit entschloss er sich dazu, genau dies nicht zu tun, sondern nur den entsprechenden Anschein zu erwecken. All‘ das musste natürlich streng geheim bleiben und so war es glücklicherweise auch. Nicht einmal der Kaiser war bis wenige Tage vor dem Abmarsch am 14. Mai 1717 eingeweiht.

Der alte „Balkan-Fuchs“ befahl sodann, bei Semlin(heute: Beograd-Zemun) an der Save „Demonstrationen“ durchzuführen, um den Feind in seinem Glauben zu belassen, d.h. zu täuschen. Der Hauptstoß aber wurde via Pancevo geführt: Prinz Eugen hatte sich doch tatsächlich dazu entschlossen, den mächtigen Donaustrom zu überschreiten und ganz Europa blickte schließlich mit Bewunderung und Spannung auf ihn.

Im Morgengrauen des 15. Juni wurde der Übergang eingeleitet, welcher völlig problemlos ablief. Sodann rückte man gegen Belgrad vor und bezog Stellung. Die Truppenstärke umfasste ca. 100.000 Mann.

Skizze zur Strategie des Prinzen Eugen:

Copyright: Elmar Oberegger

Diese Stellung besaß eine doppelte Struktur: Einerseits war sie gegen Belgrad gerichtet, andererseits gegen das naturgemäß erwartete Entsatzheer der Osmanen. Dieses ließ nicht allzu lange auf sich warten: Am 30. Juli 1717 wurde es vom Kalemegdan aus bereits in der Ferne erblickt, worauf sich größtes Jubelgeschrei unter den Belagerten breitmachte. Truppenstärke des Entsatzheeres: Ungefähr 200.000 Mann(= 2:1 gegen Prinz Eugen).

Prinz Eugen war nun auch von Süden her eingeschlossen: Vor ihm die Festung, links und rechts zwei Flüsse, südlich das türkische Heer.(s. Karte) Der Feind machte ferner Anstalten, den Nachschub abzuschneiden.

Der wahre und gefährlichste Feind des großen Feldherrn war aber in der damaligen Situation ein unerwartet aufgetretener, sich ungehemmt entfaltender Keim, welcher seine Leute und auch ihn selbst befiel.(s.o.) Die Soldaten starben wie die Fliegen. Bald war seine Truppe auf ca. 90.000 Mann zusammengeschrumpft, wozu natürlich auch der türkische Beschuss beigetragen hatte. Aber auch in diesem Rest wütete der Keim ungehemmt weiter.

Prinz Eugen war klar, dass er nun sofort handeln müsse und war hierbei von größtem Trotz erfüllt, den er durchaus auf seine Leute zu übertragen vermochte. „Sieg oder Tod“ hieß die Devise! Inzwischen war die tatsächlich noch „kampffähige“ Truppe – trotz Heranführung einer Verstärkung(!) – auf ca. 60.000 Mann zusammengeschrumpft. Und „König Durchfall“ klopfte im Hintergrund den Taktstock, diktierte dem Feldherrn quasi die Entscheidungen.

Angesichts der vorherrschenden Notlage sah sich Prinz Eugen veranlasst, noch in der Nacht vom 15. auf den 16. August 1717 Aufstellung nehmen zu lassen und so mancher hatte damals wohl nicht nur aus Angst die Hosen voll. Nach außen hin aber regierten Trotz und Kampfeswille. Der Feind hatte damit nicht gerechnet, war somit unaufmerksam und verschlief diesen aus Verzweiflung(!) heraus entstandenen Aufmarsch.

In der Morgendämmerung wurde Prinz Eugen erneut das Opfer der Natur: Kurz nachdem das Angriffssignal ertönt war, fiel plötzlich dichtester Nebel ein und es entstand größtes Chaos, über dem nur noch der „Mut der Verzweiflung“ schwebte. Den Tod vor Augen habend kämpften die durch Diarrhoe dezimierten und geschwächten Österreicher mit größter Verbissenheit und ihr Anblick muss für den Feind von Beginn an furchterregend gewesen sein. So furchterregend, dass sich das gesunde und truppenmäßig weit überlegene türkische Heer(ca. 3:1) zunehmend auflöste. Zuletzt flohen die legendären Janitscharen.

In der Tat wäre die Frage in den Raum zu stellen, ob diese Schlacht auch unter anderen Voraussetzungen derart glücklich ausgegangen wäre oder ob es nicht die Diarrhoe als „Naturereignis“ war, welche den Sieg herbeiführte.

Die Festung Belgrad kapitulierte sodann am 18. August, am 22. d.M. zog Prinz Eugen unter feierlichem Geschützdonner in die Stadt ein.

Belgrad war damit dem sogenannten Abendland zurückgegeben und wurde zum „Bollwerk des Deutsch-Katholizismus“ ausgebaut.

Die Serben, welche sich seit der „Schlacht am Amselfeld“(1389) als „Letzte Bastion des Christentums im Südosten“ betrachteten und bis heute so betrachtet werden wollen, wurden zwar in der Folge als Schismatiker durchaus diskriminiert, ihr Glaube aber toleriert. Summa summarum war man mit der Herrschaft des christlichen Kaisers hochzufrieden: Diesem stand man viel näher als dem muslimischen Sultan.

Wäre es nach dem Prinzen Eugen gegangen, dann wäre der Feldzug mit Sicherheit fortgesetzt worden, doch Kaiser Karl VI. dachte noch nicht daran „Nägel mit Köpfen“ zu machen und schloss im Sommer 1718 mit Istanbul den „Frieden von Passarowitz(Posarevac)“: Dieser brachte zwar bedeutende Gebietsgewinne, rein militärstrategisch betrachtet war dieser aber prekär, da die Osmanen nur geschwächt, nicht aber dauerhaft unter Kontrolle gebracht worden waren.(s.o.)

Im Jahr 1719 kam es zur Krise zwischen Kaiser und Prinz Eugen: Der große Feldherr wollte seine De-Facto-Entmachtung nicht hinnehmen und dachte an Rücktritt. Dazu kam es aber denn doch nicht. Im Jahr 1736 verstarb er in Wien.

Schon kurz nach seinem Tod gelang es nun einigen Schaumschlägern, den Kaiser für den „Großen Marsch auf Istanbul“ doch noch zu gewinnen. Und dies trotz des Umstandes, dass die Armee schon seit Jahren vernachlässigt worden war.

Erwartungsgemäß holte man sich eine blutige Nase und u.a. das einst unter größten Mühen(!) eroberte Belgrad wurde im Jahr 1739(„Friede von Belgrad“) wieder aufgegeben: Man hatte keineswegs wie eine Löwin um ihr Junges gekämpft, sondern sich schon nach kurzer Schlacht(23. Juli 1738) feige zurückgezogen – Es gab kein „Österreichisches Thermopile“ an Donau und Save!

Kein Leonidas: Feldmarschall Graf Olivier Wallis(1673-1744).

WIKI GEMEINFREI

Nach der verlorenen Schlacht bei Grocka(23.07.1738) flüchtete er – Belgrad im Stich lassend – gleich bis nach Pancevo.

Das haben die Serben „Österreich“ zum Teil bis heute nicht richtig verziehen. Österreich hatte seine Rolle als „Befreier“ der „christlichen Balkanslawen“ endgültig verspielt und es dauerte nicht allzu lange, da sprach man in Serbien – zunächst versteckt und sodann ganz offen – von einer „Domaca Politika“, also einer „Eigenen Politik“ möglichst abseits der Großmächte, denen man (zurecht) nur noch misstraute.

Und mit „Österreich“ ging es ab 1739 unaufhaltsam bergab

 

Quellen &. Literatur:

HUMMELBERGER Walter: Die Türkenkriege und Prinz Eugen. In: Unser Heer. Hrsg. v. Herbert S. Fürlinger. –Wien u.a. 1963, S. 85 ff.

OBEREGGER Elmar: Österreich und „Die Serben“. Zu Genese und Geschichte eines Konfliktverhältnisses. Von den „Türkenkriegen“ bis 1914. Essai. –Sattledt 2014.

STEFANOVIC-VILOVSKY Theodor: Belgrad unter der Regierung Kaiser Karls VI. 1717-1739. –Wien 1908.

TROST Ernst: Prinz Eugen von Savoyen. –Wien/München 1985.

 

Copyright: Elmar Oberegger 2016.