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FREIHEIT UND MENSCHENWÜRDE -

ALTE IDEALE DER BURSCHENSCHAFT. DIE VERIRRUNG DES ANTISEMITISMUS

 

In Andenken an meinen Freund Fritz Roubicek, der Mitglied der jüdisch-nationalen schlagenden Verbindung Unitas Wien  gewesen ist

 

I: Absicht.

Die Pest des Antisemitismus hat sich fürchterlich ausgewirkt. Sie führte zum  größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte.  Auch vor den Universitäten machte diese Pest nicht halt.  Auf Universitätsboden waren es während der Vorkriegszeit  u.a. Burschenschafter, die sich gegenüber Juden, auch wenn sie ihre eigenen Kollegen waren, in derber, unentschuldbarer Weise verhalten haben. Darüber schrieb u.a. Stefan Zweig in seinem Buch „Die Welt von gestern“.  Nicht zu unrecht schildert er, wahrscheinlich auf Grund eigener Erfahrungen, wie Burschenschafter und andere Mitglieder farbentragender deutschnationaler Studentenverbindungen sich als grobschlächtige Raufbolde gebärdet haben.  Diese Schlägertypen, „rechte“ wie „linke“ , widersprechen, dies soll hier aufgezeigt werden,  den Idealen der Burschenschaften und überhaupt den Ideen des Farbenstudententums.  Daher waren auch nicht alle Burschenschaften an diesen Untaten beteiligt, auf die sich Zweig bezieht. Nach dem letzten Krieg waren viele  Burschenschafter selbstkritisch, wie ich ausführen werde, sie distanzierten sich von jeder Form des Rassismus speziell vom Antisemitismus und bezeichneten diesen als verbrecherisch (siehe z. B. in Kaupp, 204).

In meinen Ausführungen will ich unter anderem zeigen, dass der Rassismus wesentlich den alten Freiheitsidealen, wie sie von den Burschenschaften vertreten wurden und werden, widerspricht.   Ich werde dartun, mit welcher Begeisterung Juden Mitglieder von Burschenschaften  und ähnlicher farbentragender Verbindungen waren.

Es soll aber auch gezeigt werden, dass es nicht alle  Burschenschafter mitgeheult haben, sie haben gesehen, dass die Ideologie des Nationalsozialismus ihren Idealen  gänzlich widerspricht.  Einige Burschenschafter wurden von den Nazis sogar hingerichtet.

Meine Ausführungen  widme ich dem Andenken an meinen Freund Fritz Roubicek  von der jüdischen Verbindung Unitas - ich hatte die Ehre, bei seinem Begräbnis die Abschiedrede zu halten  . Er war ein  begeisterter Farbenstudent, der alle Farbenstudenten schätzte und mit ihnen gerne zechte  – freilich soweit sie keine Antisemiten waren (siehe dazu näher unten).

 

II: Vorbemerkungen - Zum Begriff Bursch und Burschenschaft.

Zum Begriff Burschenschaft und Bursch seien zunächst ein paar Worte gestattet.  Unter Burschenschaft verstand man vor 1800 die Gesamtheit der Studenten einer Universität. Erst später spalteten sich die Studenten in verschiedene Burschenschaften und andere Bünde auf, wobei das Wort Bursch in allen farbentragenden Verbindungen heute noch verwendet wird.  Im Wort Bursch steckt das lateinische Wort Bursa für Studentenheim.  Der Bursarius, aus dem das Wort Bursch sich entwickelt,  war also zunächst der  Bewohner der Burse. Als  Bursch wird heute das Vollmitglied einer farbentragenden Studentenverbindung bezeichnet.

Burschenschaften gehörten zu den Trägern der deutschen Revolution von 1848, die Sozialdemokratie geht zum Teil auf Ideen der Burschenschaft zurück. Burschenschafter (oder Landsmannschafter) waren die Sozialisten Ferdinand Lassalle, Karl Marx ,  Gustav Struve, Viktor Adler u.a.  Radikaldemokratischer Revolutionär war der Corpsstudent Friedrich Hecker, der in seinem Denken den Burschenschaften nahe stand,  1848 die Abschaffung der Monarchie anstrebte und die deutsche Republik ausrufen wollte.   

Ein wunderbares Buch zum Thema Burschenschaft hat der hoch geachtete Professor der Universität Jena Günter Steiger  verfasst, es trägt den Titel „Aufbruch. Urburschenschaft und Wartburgfest.( Leipzig, Jena, Berlin 1967).  Ich hatte die Ehre, diesen angesehenen Historiker 1986, als ich Gast der Berliner Humboldt-Universität war, näher kennen zu lernen.  Steiger beschäftigte sich eingehend mit der Geschichte der Burschenschaft,  er meinte, dass die Burschenschaft zweifellos wertvolle Ideen  vertrat, ohne die die moderne  Demokratie nicht vorstellbar ist.

Allerdings war die Burschenschaft, wie noch zu erzählen sein wird, nicht vor antisemitischen Strömungen gefeit, die in Widerspruch zu ihren alten Ideen stehen.

 

II: Die Ideen der Französischen Revolution und die Gründung der Burschenschaft.

Die Burschenschaft wurde im Jahre 1815 im Gasthof zur Tanne in Jena gegründet.  Vor diesem pflanzten Burschenschafter den Freiheitsbaum der Jakobiner, das Symbol der Französischen Revolution. Im Sinne der Französischen Revolution und der europäischen Aufklärung strebte der Bürger nach der Befreiung aus der Geistesknechtschaft der Kirche und der Vorherrschaft des Adels. Man ging von der Gleichwertigkeit der Menschen aus. In der alten Burschenschaft  lehnte man daher auch konsequent den Adelstitel ab. Die Nation, das Volk,  stellte man als gleichwertig der Aristokratie gegenüber. Das Interesse an der Geschichte der eigenen Nation war geweckt.  Die Menschen sollten aus der Vormundschaft der Herrschenden befreit werden. Man wollte eine Verfassung, in der die Freiheitsrechte der Bürger gesichert werden.  Hier trat die Burschenschaft auf den Plan.

Die Herrschenden hatten Angst vor dem Freiheitsstreben der Bürger. Es war die politische Freiheit der Nation, die die Burschenschaft verlangte. Das Wort „Freiheit“ war den Mächtigen ein Gräuel.

Im revolutionären Frankreich dagegen berief man sich weiterhin , ähnlich wie die Burschenschaften, bewusst auf die Freiheit (neben Gleichheit und Brüderlichkeit)..

Der von den Burschenschaften als Freiheitsdichter verehrte Friedrich Schiller wurde 1792  Ehrenbürger des revolutionären Frankreich, und Jacob Grimm, der sich mit der Sprache und den Märchen der Deutschen beschäftigte, ernannte man 1841 zum Mitglied der französischen Ehrenlegion.  Von Jacob Grimm stammt der revolutionäre Satz, der durchaus in der Tradition der Burschenschaft steht: «Das deutsche Volk ist ein Volk von Freien, der deutsche Boden duldet keine Knechtschaft. Fremde Unfreie, die auf ihm verweilen, macht er frei.»

Im Sinne dieses Gedankens von Jacob Grimm ist der weite Geist der  Burschenschaft zu verstehen, die angetreten war, für Freiheit und Menschenwürde zu kämpfen. Im Widerspruch dazu entsteht schon sehr früh eine spezifische Art des Antisemitismus.  .Wie die Burschenschaften in diesen verfangen waren und wie  problematisch sich diese Verirrung ausgewirkt hat, soll gezeigt werden. Es soll aber auch gezeigt werden, dass nicht alle Burschenschaften ganz im Stile ihrer alten Grundwerte dabei mittaten.  Schließlich soll auch dargetan werden, dass moderne Burschenschaften selbstkritisch sind und sich vom Antisemitismus distanzieren -  im Sinne der Postulate von Freiheit und Menschenwürde.

Der Antisemitismus als eine Richtung, die jüdische Bürger und ihre Nachkommen oft auf widerliche Weise degradiert, ist nicht einheitlich.  Es gibt im wesentlichen drei Formen des Antisemitismus : den religiösen, den wirtschaftlichen und den rassistischen Antisemitismus. Alle drei Formen sind allerdings miteinander verwoben.  

 

III: Die drei Hauptrichtungen des Antisemitismus und die Burschenschaft.

1) Der religiöse Antisemitismus – katholische Kirche,  die Habsburger  und Martin Luther

Die Christenheit sah sich berechtigt, durch Hinweis auf gewisse Stellen im Neuen Testament, Menschen jüdischen Glaubens zu degradieren und  mit aller Brutalität zu verfolgen. Besonders krass war dies in Spanien während der Inquisition zwischen dem 13. Jh.  und 16. Jh., als Mauren und Juden, die durch Jahrhunderte hindurch u.a. gemeinsam die griechische Philosophie über Spanien nach Europa gebracht haben, mit Gewalt verfolgt und des Landes verwiesen wurden. Es war im Sinne der katholische Könige in Spanien, dass Juden verfolgt, verjagt und mitunter öffentlich verbrannt wurden. Der heilige Jakob, zu dem heute viele Menschen pilgern, wurde im 8. Jahrhundert „erfunden“, um Mauren und Juden zu vertreiben. Der Jakobsweg ist also eine echte antisemitische Wanderung, er ist eigentlich eine Kulturschande für Europa (siehe dazu mein Buch: Irrweg Jakobsweg – die Narbe in den Seelen von Juden, Mauren und Ketzern). Im Sinne dieses  religiösen Antisemitismus vertrieb der Habsburger Kaiser  Leopold I. im 17. Jahrhundert Juden aus der Gegend des heutigen 2. Bezirkes. Er ließ die jüdische Synagoge niederbrennen und an deren Stelle  eine katholische Kirche errichten. Aus „Dankbarkeit“ für diese Untaten des Kaisers heißt der 2. Bezirk Leopoldstadt.  Bekannt sind auch die  Hasstiraden Maria Theresias, die die Juden als Pest bezeichnete. Sie veranlasste auch, dass Juden 1744 aus Prag und Böhmen .vertrieben wurden. Unter dem aufgeklärten Kaiser Josef II. ging es den Juden besser.  Nach der Revolution von 1848, in der die in der burschenschaftlichen Tradition stehenden Revolutionäre  sich auch für die Freiheit der Juden und ihre Menschenrechte eingesetzt haben (siehe dazu unten die Rede des Rabbiner Mannheimers) ,  übernahm auch Kaiser Franz Josef  diese Ideen und schützte Juden. Antisemitische Tendenzen,  wie sie in früheren Zeiten üblich waren,  gab es allerdings  weiter bei Mitgliedern des Kaiserhauses. So bezeichnete die Enkelin des Kaisers Elisabeth (sie hatte einen Sozialdemokraten geheiratet und hieß Petznek, zu ihren großen Verehren zählte Bruno Kreisky ) einen jüdischen Bürger, der in ihrem Haus in der Hütteldorferstraße Untermieter war, als „Saujuden“, weil er auf ihre Kosten telefoniert hat (siehe bei:  Friedrich Weissensteiner: Die rote Erzherzogin. Das ungewöhnliche Leben der Tochter des Kronprinzen Rudolf. Wien 1984).                                

Ein religiöse Antisemitismus, der z.T. auch ein rassistischer war,  findet sich später bei den Christlich-sozialen und in katholischen CV-Verbindungen.  Schon 1920 forderte ein gewisser Engelbert Dollfuß (erfolglos) einen Arierparagrafen für alle Cartell-Verbände in Europa. Und 16 Jahre später behauptete der christlich-soziale Politiker Emmerich Czermak, Unterrichtsminister von 1929 bis 1932, dass man die Judenfrage zumindest im österreichischen CV gelöst habe: "Wir sind judenrein. (...) Für uns war es immer selbstverständlich, dass Halbjuden und jüdisch Belastete nicht in unsere Reihen gehören.".(E. Czermak, Der CV und die Judenfrage, in: Robert Krasser 1936, S. 61 f. -  http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96sterreichischer_Cartellverband).

Ein religiöser Antisemitismus – kein rassistischer – findet sich auch bei Martin Luther,

 der ähnlich  wie die katholische Kirche die  Juden im Zusammenhang  mit  dem Tode von Jesus brachte. Luther schimpfte über die Juden und  setzte sich für eine Mission der Juden ein. Er war aber ein Gegner ihrer Unterdrückung – im Gegensatz zur katholischen Kirche . Traten Juden einer christlichen Glaubensgemeinschaft bei, galten sie für Luther nicht mehr als Jude,

Ähnlich dachten auch die frühen Burschenschaften, wie nun erzählt  werden soll.. 

 

1.1. Anmerkungen zum Wartburgfest und zur Bücherverbrennung.

Der religiös motivierte Antisemitismus spielt auch 1817  beim berühmten Wartburgfest der Burschenschaft,  bei dem der absolutistische Staat bekämpft wurde,  eine Rolle.  Dieses Fest wurde in Erinnerung an die Verbrennung der päpstlichen Bulle durch Martin Luther im Jahre 1517 einberufen.   Bei diesem Fest wurde betont, dass nur deutsche christliche  Burschen in der Burschenschaft aufgenommen werden sollen. Bürger jüdischen Glaubens, die zu einer christlichen Religion übergetreten waren, wie Heinrich Heine, wurden allerdings akzeptiert. Dem mit der Burschenschaftsbewegung in Verbindung stehenden Ludwig Jahn wird später vorgeworfen, er sei Antisemit gewesen. Dies wird allerdings bestritten.  Vielmehr soll  er einen guten Kontakt zu dem jüdischen Studenten Salomon Friedrich Stiebel aus Frankfurt gehabt haben.  Anders war dies bei Ernst Moritz Arndt , der u.a. vor den Juden aus dem Osten warnte.  

Das Symbol dies Wartburgfestes war die alte Burschenschaftsfahne, die aus den Farben Schwarz-Rot-Schwarz mit einem goldenen Eichenzweig bestand. Gestiftet wurde sie,  wie auf der Fahne zu lesen ist, „von den Frauen und Jungfrauen zu Jena am 31. März 1816“.  Die Freiheitsfackel, die das französische Volk entfacht hat, sollte auch hier lodern.  Man wollte ein freies Deutschland und eine gesamtdeutsche Verfassung, in der die Bürgerrechte garantiert werden.  Allerdings wird den Studenten Deutschtümelei vorgeworfen, die angeblich im Nationalsozialismus endete. Zu Unrecht, wie der große deutsche Historiker Günter Steiger, er war Professor zu Zeiten der DDR an der Universität Jena, festhält. Er meint, es wäre falsch, Arndt und Jahn zu Ahnen des deutschen Faschismus zu stempeln, wie oft versucht wird. Eine solche Geschichtsschau ignoriert die Tatsache, dass man  Jahn und Arndt nur vor dem Hintergrund des damaligen absolutistischen Staates, den man bekämpfen wollte, verstehen könne. Es ist ein Irrtum, den Großvätern die Verbrechen der Enkel zum Vorwurf zu machen (siehe dazu: .Günter Steiger,  Aufbruch – Urburschenschaft und Wartburgfest, Jena, 1967)

Genauso ist es falsch, wie der Historiker Günter Steiger betont, die beim Wartburgfest durchgeführten Verbrennungen von militärischen Symbolen  und von Büchern (es wurde keine echten Bücher verbrannt, sondern nur Makulatur) mit der Verbrennung von Büchern durch die Nationalsozialisten gleichzusetzen.   Das öffentliche Verbrennen von Büchern ist zweifellos barbarisch. Man muss jedoch bedenken, dass die Studenten mit ihrer Verbrennung für damalige Verhältnisses nichts ungewöhnliches taten, schließlich hat das Verbrennen von Büchern und anderem  eine lange Tradition. So ist bekannt, dass die Schriften Rousseaus von Klerus und Adel verbrannt wurden. Ebenso ließ Friedrich II. von Preußen ein Buch Voltaires, mit dem er zunächst befreundet war, öffentlich verbrennen.   So führten die Studenten ohnehin nur das durch, was die Herrschenden akzeptiert hatten.  Das Verbrennen der Bücher am Wartburgfest war eine Protestaktion gegen den Absolutismus, schließlich landete auch ein Korporalstock und ein Offizierszopf als Symbole der Fürstenherrschaft auf dem Scheiterhaufen. Wenn auch das Buch von Saul Ascher, eines Juden, symbolisch verbrannt wurde, so nicht aus antisemitischen Gründen, wie fälschlich bisweilen behauptet wird, sondern weil Ascher sich über die romantischen „deutschtümelnden“ Fantastereien der Studenten belustigt hatte.

 

1.2. Die  Burschenschafter Heinrich Heine.

Grundsätzlich jedoch lässt sich für das beginnende 19. Jahrhundert sagen, dass jüdische Bürger, wenn sie ihre mosaische Religion aufgegeben haben und sich taufen ließen,  in den Burschenschaften akzeptiert wurden. Zu diesen Burschenschaftern, die aus einer jüdischen Tradition kamen und evangelisch wurden,  gehören u.a. Heinrich Heine und Julius Mosen. Es wird oft erzählt, man habe Heinrich Heine aus der Göttinger Burschenschaft ausgeschlossen , weil er Jude gewesen sei. Dies stimmt keineswegs. So schreibt der Historiker Oskar Scheuer (Mitglied der Burschenschaft Fidelitas, er starb als Burschenschafter und Jude im KZ), Heinrich Heine wäre aus der Burschenschaft geflogen, weil er das Keuschheitsgebot, das damals bei den Burschenschaftern üblich war, gebrochen habe. Man hatte ihn in der Knallhütte (!) zu Powende angetroffen. Darauf sei es zu einer Rauferei gekommen.  Heine dürfte es gefallen haben in der Burschenschaft.  Seiner Burschenzeit soll sich Heine mit allem Eifer hingegeben haben, so besuchte er fleißig den Fechtboden.  Auch Heine empfand es als Schmach, dass Deutschland zerklüftet und unterjocht war. In seinem Gedicht "Deutschland, ein Traum", das damals entsteht, zeigt sich das so:

„Einst (1815) stand ich in schönern Tagen

Auf dem höchsten Berg am Rhein;

Deutschlands Gaue vor mir lagen

Blühend hell im Sonnenschein.

Lausch ich jetzt (1819 – Aufhebung der Burschenschaft) im Sang der Wogen

Klingt viel andre Melodei:

Schöner Traum (von einem freien, vereinten Deutschland) ist schnell verflogen.

Schöner Wahn brach längst entzwei". 

Und in einem Aufsatz, den Heine mit "Die Romantik" überschreibt, heißt es zum Schluß:

"Deutschland ist jetzt frei; kein Pfaffe vermag mehr die deutschen Geister einzukerkern; kein adeliger Herrschling vermag mehr die deutschen Leiber zur Fron zu peitschen,und deshalb soll auch die deutsche (!) Muse wieder ein freies, blühendes, unaffektiertes deutsches Mädchen sein....".

 

1.3. Julius Mosen, Nachfahre einer deutschen jüdischen Familie , Burschenschafter in Jena und Dichter des Andreas Hofer- Liedes.

Im Jahre  1812 war die Universitätsstadt Jena, in der auch Friedrich Schiller gelehrt hatte, von den Franzosen besetzt. Die rebellischen Studenten hassten Napoleon, den sie als Diktator empfanden, und sympathisierten mit den Tirolern und ihrem Helden Andreas Hofer, die es als einzige gewagt hatten , Napoleon die Stirn zu bieten.  Ihre Sympathie wussten die Jenenser Studenten dadurch kräftig auszudrücken, dass sie zum Ärger des überaus vorsichtigen Herrn Rektors, der mit den Franzosen keine Probleme haben wollten, jodelten.

Das Jodeln war somit  zum Symbol der Rebellion gegen die Fremdherrschaft der Franzosen geworden.

In der  Biographie des Studenten Heinrich Riemann, der damals in Jena studiert hatte , heißt es dazu: "Jena hatte damals (als Riemann zu studieren begann, um 1812) 300 bis 400 Studenten und trotz des Ernstes der Zeit war mancher Übermut an der Tagesordnung. Namentlich das  J o d e l n  war sehr beliebt

In modum Tirolinensum ululare hatte es der Rektor in seinem Verbot genannt  , trotzdem dies unschuldige Vergnügen bei dreitägiger Karzerstrafe vom Senat verboten war. Dieses Verbot war auf Veranlassung der Franzosen, die darin einen Freiheitsruf hörten und Jena durch ihre geheime Polizei von Erfurt aus berwachten, erlassen worden. Auch Riemann hatte sich als junger Student eine solche Strafe zugezogen" .

Jodeln wurde also von den Studenten eingesetzt, um die Abneigung gegen das französische Militär  auszudrücken, aber auch um zu zeigen, dass ihnen der Kampf der Tiroler höchst sympathisch war,  nämlich als ein Symbol des Kampfes für  Freiheit und Menschenwürde. Die Tiroler hatten in den Studenten von Jena Freunde - also frühe Werbemanager - gefunden, die damals bereits den Namen Tirol in Deutschland verbreiteten. (Dafür sei ihnen gedankt)..

Zu den Studenten des revolutionären Jena gehörte auch um 1822 ein gewisser Julius Mosen, der wie die Studenten vor ihm Tirol und Andreas Hofer hoch schätzte.  

Julius Mosen stammte aus einer jüdischen Familie, die bis 1844 sich noch Moses nannte.  Die Familie Mosens findet sich Mitte des 16. Jahrhunderts in Prag. Julius Mosen , Mitglied der Burschenschaft Germania , war von Andreas Hofer derart begeistert, daß er das Lied "Zu Mantua in Banden der treue Hofer stand..."  dichtete, das später zur Tiroler Landeshymne wurde.  Julius Moses besuchte das Gymnasium in Plauen, er studierte ab 1822 Jurisprudenz und Philosophie in Jena, wo er der Burschenschaft beitrat.

 

1.4. Das Begräbnis der Märzgefallenen im März 1848 – die Rede des Rabbiners Mannheimer.

Obwohl die Burschenschaft damals auf Betreiben von Staatskanzler Metternich verboten waren,  identifizierten sich die Wiener Studenten mit der Burschenschaft, mit ihren Bräuchen und ihren Ideen. Darüber schreibt Hans Kudlich, der Bauernbefreier, der sich 1848 für die Befreiung der Bauern von ihrer Abhängigkeit  aus der Herrschaft des Adels eingesetzt hat.  Kudlich berichtet u.a. auch von burschenschaftlichen Mensuren, die heimlich gefochten wurden. 

Ein schönes Beispiel für den weiten Geist der der damaligen Studenten, die mit den burschenschaftlichen Ideen sich identifizierten,  ist das Begräbnis der der so genannten „Märzgefallenen“.  Die Revolution begann in Wien als am 13. März 1848 im Hof des Wiener Landhauses, als  der aus Ofen in Ungarn stammende jüdische Arzt Dr. Adolf Fischof eine feurige Rede gegen das damalige politische System  hielt und Pressefreiheit, Rede-, Lern-, Lehr- und Glaubensfreiheit forderte -  durchaus im Sinne der Burschenschaft. Es kam zum Tumult. Man forderte den Rücktritt Metternichs . Militär rückte gegen das Landhaus vor und begann in die Menge zu schießen. Unter den 15 Gefallenen waren zwei Juden, und zwar der  Technikstudent Karl Heinrich Spitzer und der Webergeselle Bernhard Herschmann.  Am 17. März fand die große Leichenfeier für die 15 Gefallenen statt.  Sie begann mit einem um 9 Uhr in der Universitätskirche abgehaltenen Messe.  Anton Füster, der Kaplan der Akademischen Legion, zu der sich die rebellischen Studenten ( die Burschenschaften waren damals verboten) vereinigt hatten, wurde gebeten , den Leichenkondukt zu führen. Doch die bischöfliche Kanzlei wollte dies dem Kaplan Füster verbieten, worauf dieser antwortete: „Wenn ein Bischof, ein König oder Kaiser stirbt, hält man da nicht zu Ehren des Verstorbenen Leichenreden ? Und sind so viele Menschen, die überdies für die Freiheit gefallen sind, nicht viel mehr wert als ein Bischof oder Kaiser?“  Die Leichen der Märzgefallenen bahrte man im Allgemeinen Krankenhaus  auf. Nach der Feier in der Universitätskirche marschierten die Studenten durch das Spalier tausender Wiener zum Spital. Als Kaplan Füster eintraf, sah er etwas, das ihn sehr berührte. Er sah, wie der Rabbiner Isak Noah Mannheimer und der Kantor Sulzer  in ihrem Ornat bei den beiden Särgen der beiden gefallenen Juden in einer gewissen Bescheidenheit standen. Füster, ergriffen von dieser Szene, lud die beiden „Ehrenmänner“ ein, an der Feier teilzunehmen.  Mit Verwunderung und Freude sahen dies die herumstehenden Wienerinnen und Wiener , denn es war etwas Einmaliges, dass ein jüdischer Rabbiner und ein katholischer Priester, begleitet vom  evangelischen Pastor Ernst Pauer, gemeinsam eine religiöse Feier durchführten. Der Leichenzug zum Schmelzer Friedhof war imposant. Viele Menschen begleiteten den Kondukt, schwarz-rot-goldene Fahnen, die Symbole der Burschenschaft und der deutschen Einheit – aber auch der deutschen Republik, wurden getragen, bürgerliche Kavallerie , die Akademische Legion und Musiker zogen hinaus zum Friedhof auf der Schmelz.  Dort wurden die 15 Särge gemeinschaftlich in eine große Grube gesenkt.  Man hatte erwartet, dass nun Kaplan Füster die erste Leichenrede halten werde. Doch dieser besann sich und trat dieses Ehrenrecht, „um die Intoleranz zu bekämpfen und die Staatskirche zu beschämen“ dem Rabbiner Mannheimer ab. Nun sprach Rabbiner Mannheimer die schönen und versöhnlichen Worte: „So bete ich für alle, die jüdischen Gefallenen und ihre christlichen Brüder, sie sind uns alle, und sind meinem Herzen einer wie die anderen wert und teuer, es sind Menschenseelen, geschaffen in Deinem Ebenbilde, und Gleichnisse , die Deinen Namen geheiligt auf Erden; so bete ich für sie mit aller Kraft meiner Seele um eine lichte Himmelsstätte, in Deinem Gottesreiche… Es sei mir noch ein Wort gegönnt an meine christlichen Brüder: Ihr habt gewollt, dass die toten Juden da mit Euch ruhen, in einer Erde“ Vergönnt nun aber auch denen, die den gleichen Kampf gekämpft und den schwereren, dass sie mit Euch leben auf einer Erde,  frei und unbekümmert wie Ihr… Ihr seid die freien Männer ! Gott weiß es: Keiner unter Euch fühlt es inniger und wärmer , wie viel die Errungenschaft der hingeschiedenen Tage gilt, nehmet auch uns auf als freie Männer und Gottes Segen über Euch !  Ich segne Euch alle, die Tausende nah und fern im Namen Gottes des Allmächtigen ! Amen!“ (in: Moritz Smets, Das Jahr 1848. Geschichte der Wiener Revolution, Wien 1872, S 14ff).

Diese Rede des Rabbiners Mannheimer gehört zu dem Schönsten und Ergreifendsten, das ich je gelesen oder gehört habe. In dieser Rede drückt sich jener weite Freiheitsbegriff aus, auf den sich auch die Burschenschaften grundsätzlich beriefen und berufen sollten.   Die Studenten setzten sich also mit der deutschen Fahne, der Fahne der Burschenschaft,  für die Freiheitsrechte auch der Juden ein. Besonders deutlich wird dies in einem Artikel, der im „Politischen Studenten-Courier“, unter dem Titel: „Der republikanische Jude“ erschien: „Kein Volk in der Welt ist so mannigfaltig gehofmeistert worden, als das jüdische. Denn es mag zu welcher Partei es nur will sich schlagen, so wird es getadelt und geschmäht… Es mögen daher alle Schreiber der jüdischen Schmähschriften bedenken. Dass sie durch dieselben … sehr leicht über eine ganze Nation schweres Unglück hervorrufen können, in dem sie die Juden bald als Reaktionäre und bald wieder als Republikaner verschreien“.    In den nach 1848 in Wien entstehenden Burschenschaften finden daher auch , wie noch zu erzählen sein wird, jüdische Studenten Aufnahme, wie z.B. Viktor Adler (Arzt und Politiker - Burschenschaft Arminia Wien),  Karl Emil Franzos (Schriftsteller – Burschenschaft Teutonia Wien), Otto Zuckerkandl (Chirurg – Burschenschaft Teutonia Wien) (siehe  dazu meinen Aufsatz „Die deutsch-freiheitlichern jüdischen Studenten“ in der „Jüdischen Kulturzeitschrift 1990, und meinen Aufsatz. „Die Rede des Wiener Oberrabbiners Mannheimer im März 1848“, in: “Die Gemeinde“, offizielles Organ der israelitischen Kultusgemeinde Wien,  1.4. 1988).

 

2. Der wirtschaftliche Antisemitismus

Zum religiösen Antisemitismus gesellte sich im 19. Jahrhundert ein wirtschaftlicher Antisemitismus. Diesem entsprechend wurden Juden samt und sonders als betrügerische Händler, Kaufleute, Bankiers, Fabrikanten u.ä.  degradiert. Ein Antisemit in dieser Richtung war der Landsmannschafter Karl Marx (er focht zwei Mensuren), der in seinem Aufsatz „Zur Judenfrage“ schreibt : der einzige Gott Israels ist das Geld.   Außerdem bezeichnete er den jüdischen Burschenschafter Ferdinand Lassalle,  der übrigens von Bismarck sehr geachtet wurde, spöttisch  als „Jüdchen Lassalle“. Lasalle stammte aus einer Händlerfamilie.

Dieser wirtschaftliche Antisemitismus, der ein sehr einseitiger ist und wohl auch auf Neid beruht, beherrschte sehr lange die Diskussion, bis heute.

Ein bekannter Antisemit dieser Ausprägung war wohl auch der österreichische christlich-soziale Politiker Leopold Kunschak (1871 – 1953). Kunschak, der in sehr armen Verhältnissen aufwuchs, war gelernter Sattler. Als solcher gründete er den christlichsozialen „Arbeiterverein“ . Kunschak war ein Gegner der Heimwehr und von Engelbert Dollfuß.  Kunschak schimpfte über die „judenliberale Presse“ und sah die christlich-sozialen Arbeiter von jüdischen Arbeitgebern gefährdet.  Er forderte eigene Schulen für Juden sowie Zugangsbeschränkungen für Juden zu den Universitäten.  Kunschak  meinte: „Entweder löst man die „Judenfrage“ rechtzeitig nach den Eingebungen der Vernunft und Menschlichkeit, oder sie wird gelöst werden in der Form des vernunftlosen Tieres, in der es seinen Feind angeht, in Formen wildgewordenen und unbändigen Instinkts.“  (siehe dazu u.a. bei: Emmerich Talos, Wolfgang Neugebauer: Austrofaschismus. 7. Auflage: Politik, Ökonomie, Kultur, 1933-1938, LIT Verlag, 2014).

 

3. Der rassistische Antisemitismus

Die gefährlichste Form des Antisemitismus , der sich mit den vorigen Formen verbindet, ist die des „rassistischen Antisemitismus“. Sie geht von der Vorstellung aus, die von der Anthropologie durch nichts zu rechtfertigen ist, dass mit jeder „Rasse“ bestimmte kulturelle und charakterliche u.ä. Eigenheiten verbunden sind. Ein Vertreter dieser Richtung war der berüchtigte  Georg Ritter von Schönener, der sich als ein Kämpfer für Alldeutschland bezeichnete. Im Nationalsozialismus kulminierte der bei Schönerer angelegte Rassismus zum Wahnsinn.

 

3.1. Theodor Herzl und die Burschenschaft - der Arierparagraph.

Begonnen hat dieser Wahnsinn im Jahr 1883, in dem mehr oder weniger plötzlich antisemitische Tendenzen in die deutschnationale Studentenschaft Österreichs Zugang fanden.  In diesem Jahr wurden bei einem Kommers zu Ehren von Richard Wagner von dem Schriftsteller  Hermann Bahr, einem Mitglied der Wiener Burschenschaft Albia,  eine antisemitische Rede gehalten.  Dies erboste Theodor Herzl, der ebenso Mitglied der Albia war, derart, dass es deswegen zu Zerwürfnissen mit der Burschenschaft kam und Herzl aus der Albia austrat.

Dabei ist festzuhalten, dass Herzl nicht aus antisemitischen Gründen, wie oft behauptet wird,  aus der Liste der Alben gestrichen wurde, sondern wegen der unqualifizierten Form seines Austrittsgesuches.  Zunächst hatte 1831Paul von Portheim, der aus einer jüdischen industriellen Familie stammte, beantragt, man möge Herzl  „cum infamia“, also ehrlos,  aus der Burschenschaft entlassen. Diesem Antrag folgte man allerdings nicht.  Paul von Portheim, der selbst Jude war,  Antisemitismus zu unterstellen ist wohl unberechtigt – man lese dazu den ausgezeichneten Aufsatz von Dietrich Herzog, den Vater des bekannten Filmregisseur Werner Herzog, „Theodor Herzl als Burschenschafter – und die Folgen“, (in: Burschenschaftliche Blätter, März 1976, S 39ff). Theodor Herzl blieb  aber trotz seines Austrittes  seiner Burschenschaft geistig weiterhin verbunden. So ist zu lesen, dass 1939 ein Herr Dickstein, er war Zionist, erzählt habe,  Herzl sei stets stolz auf seine Zugehörigkeit zu der „schneidigen“ Burschenschaft Albia gewesen (a.a.O., S 45). Herzog schreibt schließlich :“Theodor Herzl hat als Albe mit dem Namen des Jerusalem-Befreiers Tankred einst seinen Burscheneid auf den Wahlspruch der Burschenschaft ‚Ehre, Freiheit, Vaterland’ geleistet – später sein eignes Volk entdeckt und für seine Ehre und Freiheit einen guten Kampf gekämpft, um ihm ein Vaterland zu schaffen“ (a.a.O., S 46).

Vielleicht war dieser Richard-Wagner-Kommers auch der Anlass dafür, dass in vielen Burschenschaften leider  der Arierparagraph angenommen wurde und Georg Ritter von Schönerer mit seinem unseligen antisemitischen Programm  Furore machte. Seine Anhänger schlossen sich jedenfalls im Mai 1890 in Waidhofen an der Ybbs zu einem Verband zusammen, der für die „Ehre, Größe und Wohlfahrt des deutschen Volkes zu arbeiten und zu streiten“ beschloss, wobei jedermann von der Mitgliedschaft ausgeschlossen sein soll, bei dem „jüdisches Blut“ nachzuweisen ist. Und hier beginnt der Wahnsinn, der schließlich Dunkelheit über Europa bringen sollte.  Aber es gab damals auch Akademiker, die zur Mäßigung aufriefen, wie Professor Nothnagel, der mit anderen einen „Verein gegen Antisemitismus“ gründete und meinte,  es bestehe die Pflicht, die schmachvollen Angriffe gegen jüdische Mitbürger abzuwehren.  Dies nützte alles nichts.  1896 sprach man dem jüdischen Studenten Ehre und Satisfaktionsfähigkeit ab -  dies entsprach dem, was man als „Waidhofner Prinzip“ bezeichnete.

Einfügenswert ist hier, dass der Gründer der österreichischen Sozialdemokratie Viktor Adler Mitglied  der deutschnationalen Burschenschaft Arminia war. Adler stammte aus einer jüdischen Prager Familie,  die nach Wien ausgewandert war.   Zum Freundeskreis Adlers gehörte vorerst auch Schönerer, dessen großdeutsche und soziale Ideen auch den Vorstellungen Adlers entsprach. 1881 hatte Schönerer einen Aufruf zur Bildung eines „deutschnationalen Vereins“ erlassen. Er sollte die Grundlage der von ihm geforderten deutschen  Volkspartei bilden. Im Ausschuss für die Gründung dieses Vereins finden wir noch Viktor  Adler und Engelbert Pernerstorfer, aber auch Heinrich Friedjung, der ebenso wie Viktor Adler von jüdischer Herkunft war. 1882 kommt es zur Gründung dieses Vereins.    Adler, trennte sich allerdings von Schönerer, als dessen Antisemitismus offenkundig wurde. Er widmete sich nun voll den sozialen Problemen der alten Monarchie und gründete 1888 auf dem berühmten Hainburger Parteitag die Sozialdemokratische Arbeiterpartei, aus der die heutige Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ) hervorging.

Viktor Adler war ein Mann mit einem weiten Herzen, ganz im Stile der alten Burschenschaft. Bevor er sich journalistisch und politisch betätigte, war Viktor Adler als Armenarzt tätig. Dabei erfreute er sich großer Beliebtheit. Einem Patienten, der besonders erholungsbedürftig war, verschrieb er – hier zeigt sich der ehemalige Burschenschafter – ein paar Flaschen Rotwein. Da der Mann mittellos war,  schickte Adler seinen Kammerdiener Matthias, in den Keller, um ein paar von den besten Flaschen Wein  für seinen Patienten zu holen. Als der Vater Viktors nach Hause kam, meinte dieser, dass es für den Patienten auch der billige Tischwein getan hätte. „Für uns Gesunde ist er ja ganz gut“, erwiderte der Sohn, „aber an Kranken darf man nicht sparen“ (Max Ermers, Victor Adler Wien, 1932, S 104).

Der immer größer werdende Antisemitismus drang  nun in die Burschenschaften,  aber auch in den Alpenverein und in andere Bünde.  Der Antisemitismus im Alpenverein war schließlich so  stark, dass es jüdischen Bergsteigern sogar verwehrt wurde, Alpenvereinshütten zu betreten (siehe dazu das Kapitel über Otto Margulies)  Beim Burschentag von Eisenach 1920 kam es zu dem unmenschlichen, intoleranten, beklagenswerten und durch nichts zu entschuldigenden Beschluss, dass die Burschenschaft auf dem Rassestandpunkt stehe und nur arische Studenten aufnehme.  Wesentlich zu diesem Beschluss haben österreichische Burschenschaften beigetragen, die bereits in den Waidhofner Beschlüssen sich auf diesen Rassenantisemitismus festgelegt hatten.  Allerdings ist es falsch, auf Grund dieser Beschlüsse die Burschenschaften samt und sonders als Antisemiten abzustempeln.  Die Entwicklung verlief nämlich sehr unterschiedlich.  Es ist richtig, dass viele Burschenschaften dieses Prinzip des Arierparagraphen übernommen haben, aber nicht alle wie z.B. die Burschenschaften Fidelitas und Constantia in Wien. Sie widersetzten sich mit mehr oder weniger großen Erfolg dem Antisemitismus  (siehe dazu meinen Aufsatz  „Die deutschfreiheitlichen jüdischen Studenten“ in der  Jüdischen Kulturzeitschrift David (1990,Dezember) ).

 

3.2. Die unterschiedliche Entwicklung in den Burschenschaften – 22 Burschenschaften protestieren gegen den Arierparagraphen.

In der Verfassungsurkunde der Jenaer Burschenschaft von 1815 werden Juden keineswegs ausgeschlossen. Demnach konnten alle ehrenwerten und schuldenfreien Studenten aufgenommen werden. Im Lützower Freicorps, das gegen Napoleon kämpfte, und  aus dem sich die Burschenschaft in Jena zum Großteil rekrutierte, befanden sich 72 Juden, die zwischen 1813 und 1815 das Eiserne Kreuz erhalten haben (siehe den ausgezeichneten Aufsatz von P. Kaupp Antisemitismus und Burschenschaft.  Im Folgenden folge ich im Wesentlichen den Ausführungen Kaupps).                                                                                                               Interessant ist auch, dass die Giessener Burschenschaft 1816 Nicht-Christen und Nicht-Deutsche nicht ausschloss, wenn sie ehrenhafte Studenten waren.   Die Marburger Burschenschaft von 1817 allerdings gestattete allen Männern  die Aufnahme, die Deutsche sind, sie müssen jedoch Christen sein.                               Erheblich toleranter war die Burschenschaft in Heidelberg, die 1817 festhielt, dass jeder Immatrikulierte aufgenommen werden könne, nicht bloß  Deutsche,  sondern auch Ausländer „wie der Russe, … der Israelit so gut als der Christ“.

Allerdings beim ersten Burschentag in Jena heißt es, dass nur ein ehrenhafter Bursche, der Christ (!) ist, aufgenommen werden dürfe. Man überließ es jedoch den einzelnen Burschenschaften, ob sie Juden aufnehmen.  Beim Dresdner Burschentag wurde allerdings beschlossen, keine Juden aufzunehmen.   Es gab jedoch   Burschenschaften, die sich an diese Forderung nicht gehalten haben.  So hielt der Jenaer Burschenschafter Gustav Peter Körner (1809 – 1896), der emigrieren musste und Vizegouverneur von Illinois wurde, fest: „Unsere Verbindung nahm Juden und Heiden auf. Tue recht und fürchte niemanden, war die einzige unter uns gültige Religion“. 

Zu erwähnen ist wohl, dass am Burschentag in Frankfurt 1831 die Bestimmung gestrichen wurde, dass nur ein  Christ Mitglied der Burschenschaft werden dürfe. Juden war damit der uneingeschränkte Zugang zur Burschenschaft gestattet. Assimilierte Juden konnten also nun ohne Probleme in  Burschenschaften aufgenommen werden, wie z.B. zwei Söhne und zwei Enkeln des berühmten Musikers Felix Mendelssohn Bartholdy. Sie waren Mitglieder der Heidelberger Burschenschaft Allemannia, deren Mitglied auch der berühmte Soziologe Max Weber war.           Diese Liberalität schwand mit der Übernahme des Rassenantisemitismus. Während die Juden früher, wenn sie zu einer christlichen Religion übergetreten waren, akzeptiert wurden, gelang etwas ähnliches beim Rassenantisemitismus nicht mehr.  Die Judenfeindlichkeit nahm in vielen studentischen Verbindungen Ende des 19. Jh. zu. Nun wurden in diesen Studenten jüdischer Herkunft nicht mehr aufgenommen. Noch etwas Fatales kam hinzu: Nach dem 1. Weltkrieg suchte man Schuldige für die traurige Situation, in der sich Deutschland damals befand. Den Schuldigen fand man im  „Juden“.   Man sah im Juden keine Religion mehr, sondern eine Rasse, die sich schädlich im deutschen Volkskörper auswirkt. Fanatische Studenten schlossen sich dieser unheilvollen Idee an. Es muss jedoch der Redlichkeit halber erwähnt werden, dass viele Alte Herren der Burschenschaften die von den Aktiven 1920 gefassten antisemitischen Beschlüsse als  persönliche Kränkung empfanden. So wandte sich der Völkerrechtslehrer und Alter Herr der Burschenschaft Marchia zu Bonn Hans Wehberg (1885 – 1962) im „Berliner Tagblatt“ vehement gegen die antisemitischen Beschlüsse des Burschentags von Eisenach 1920.

Die Sache war also nicht so einfach.  In der Folge kam es zu einem wachsenden Widerstand in den Burschenschaften gegen den „Arierparagraphen“ und ähnlichen Auswüchsen.   22 Burschenschaften traten aus Protest  aus dem Dachverband der Deutschen Burschenschaft aus.

 

3.4. Das Beispiel der Wiener  Burschenschaft Fidelitas – gegen Antisemitismus und Fremdenhass.

Große Gegner des Antisemitismus befanden sich  in der Wiener Burschenschaft Fidelitas, die sich auf die alten Ideale der Burschenschaft und auf die Revolutionäre von 1848 berief.  Die Burschenschaft war deutschnational im Sinne der deutschen Republik.   In dem von dem Historiker Oskar Scheuer verfassten Buch „Die Burschenschaft Fidelitas zu Wien 1876 – 1926“ (erschienen 1926 in Wien) heißt es unter dem Titel „Unsere Grundsätze und Ziele“ u.a.: „…wir sind freiheitlich gesinnt wie die akademischen Legionäre von 1848…. Wir bekennen uns rückhaltlos zur Demokratie und verlangen einen Staat der Gleichberechtigten und Gleichverpflichteten, in dem der Wille des gesamten Volkes zu entscheiden hat, ohne dass jedoch die Mehrheit die unterlegene Minderheit  vergewaltige. Wir wünschen gesunde Entwicklung und nicht Gewalt (!) . Wir bekämpfen keine religiöse Überzeugung oder Weltanschauung und setzen uns für keine ein….Wir bekämpfen jene schädlichen Ansichten, die den deutschen Juden vom Deutschtum trennen wollen. Wer deutsch geboren, deutsch erzogen ist, die deutschen Kulturschätze in sich aufgenommen hat, wer deutsch fühlt, ist ein Deutscher… Wir pflegen alte studentische Sitte und wollen die überkommenen Formen deutschen Studentenwesens  mit neuem Geist und neuem Leben füllen… Die Wissenschaft und ihre Lehre muss frei sein und  bleiben..“ (Scheuer, Fidelitas, S 139).

Und schließlich bringt der Autor die „Richtlinien“ seiner Burschenschaft: „1. Wir sind deutschfreiheitlich im Gegensatz zu den Deutschradikalen (starrer, engherziger, unduldsamer Hass gegen alles Fremde , Voreingenommenheit und Unterdrückung alles Fremdsprachigen und Fremdkonfessionellen). … 3. Stellung zur Sozialdemokratie : Anerkennung alles dessen, was sozial, und demokratisch, fortschrittlich und kulturfördernd ist“. (a.a.O., S 140f).

 

3.5. Das Schicksal des (jüdischen) Burschenschafters und Bergsteigers Otto Margulies.

Vor einigen Jahren fiel mir als aktivem Kletterer und Bergsteiger bei einem Besuch des „Touristenfriedhofes“ in Johnsbach im Gesäuse unter den Gräbern der in den Felswänden der Gesäuseberge Abgestürzten ein Grab besonders auf. Auf dem marmornen hellen Grabstein las ich:

OTTO MARGULIES

Geb. 24. Mai 1899

verunglückte in der Hochtor-Nordwand

Am 29. Juni 1925

Alpenverein Donauland

Alpinistengilde im TV „Die Naturfreunde“

Burschenschaft im BC „Constantia“

zu Wien

 Mein alpin- und studentenhistorisches Interesse war geweckt. Besonders interessierten mich die Hinweise auf den Alpenverein und die Burschenschaft. Die Burschenschaft „Constantia“ war deutschnational und hatte eine Reihe von jüdischen Bürgern unter ihren Mitgliedern. Sie gehörte dem „BC“ (Burschen-Convent) an, der sich gegen die damaligen antisemitischen Strömungen mit mehr oder weniger großem Erfolg zu wehren versuchte. Der Alpenverein „Donauland“ – von 1921 bis 1925 eine eigenständige Sektion des Deutschen und Österreichischen Alpenverein dann aus diesem ausgeschlossen – war als Reaktion auf die Annahme des „Ariergrundsatzes“ durch die Sektion „Austria“ des Alpenvereins gegründet worden. In ihm fanden jüdische Bürger und alle die, die den Wahnsinn des Antisemitismus nicht mitmachen wollten, Aufnahme. Auch Margulies gehörte als „Sohn eines deutschen Juden und einer deutschen Arierin“, wie es in seinem Nachruf heißt (s.u.) dem Alpenverein „Donauland“ an.   Otto Margulies hatte das Unglück, bei der Begehung des Wiener-Neustädter-Steiges im Raxgebiet abzustürzen und als Folge ein Bein zu verlieren.  Durch außerordentliche Willenskraft lernte er auch als Einbeiniger wieder in den Felsen zu klettern und sogar schwieriges Gelände zu beherrschen.  Im Jahre 1922 erkletterte er den Sommerstein erstmalig über die Nordwand und  das Totenköpfl am Reichenstein erstmalig über den Südgrat. Ein Wettersturz in den Platten der Hochtornordwand brachte ihm und seinen Gefährten Hans Spiegler, Ernst Glattau und Franz Wegscheider am 29. Juni 1925 den Bergtod.  In der Planspitzennordwand verunglückten an jenem schwarzen Sonntag zwei, in der Hochtornordwand vier und auf dem großen Ödstein ein, zusammen also sieben Bergsteiger !  

Margulies war überzeugter Burschenschafter und ein kühner Bergsteiger. Dies geht aus dem für Otto Margulies in der Studentenzeitschrift „Deutsche Hochschule“ (1926) erschienenen „Nachruf“ hervor. Dieser „Nachruf“ ist nicht nur alpinhistorisch bedeutsam, sondern er berührt auch. Er zeigt die Perversität des Antisemitismus, der auch vor den Schutzhütten in den Bergen nicht haltmachte, und die traurige Situation für Leute von der Art des deutschnationalen (in der Tradition von 1848) Otto Margulies. Es erscheint mir daher wichtig, diesen Nachruft beinahe zur Gänze hier wiederzugeben:  „Wenn jemand das Schicksal der Deutschen in Österreich darstellen wollte, die keinen germanischen Stammbaum aufweisen, dann müsste er den Augenblick festhalten, da dem einbeinigen Otto Margulies, dem Sohn eines deutschen Juden und einer deutschen Arierin, das Nachtlager in der Schutzhütte von jenen verwehrt wurde, die ihr Natur-  wie ihr Nationalgefühl vornehmlich dadurch bekunden, dass sie das der anderen nicht anerkennen. Solches Geschehen – peinigend und beschämend für ihn nicht mehr als für Zeitgenossen – kann Otto Margulies nicht allzu sehr überrascht haben. Denkart und Handlungsweise waren ihm nicht neu, denn er lebte in Wien und war freiheitlicher  Farbenstudent (die deutschfreiheitlichen Verbindungen waren Gegner des Antisemitismus).  Unnötig zu sagen, dass er ein ausgezeichneter Couleurstudent war, rauflustig und gutmütig, zynisch und anständig, literarisch und künstlerisch begabt und als erster bereit, sich mit derbem Scherz darüber lustig zu machen.  Mit übermenschlicher Energie hat der einbeinige Otto Margulies es fertig gebracht, Tätigkeiten, die den vollen Einsatz des kräftigen Körpers fordern, wie Fechten und Schwimmen, Skilaufen und Klettern, nicht etwa nur mitzumachen, nein, meisterhaft zu beherrschen ….  Dieser Krüppel, der diesem Wort seinen Schrecken nahm, bewies uns, was ein ganzer Kerl ist. Mit seinem einen Bein stand er fester auf der Erde, in deren Schoß wir ihn vor wenigen Monaten gebettet haben, als wir alle – seine Freunde – mit unseren beiden“.  Dem Burschenschafter Otto Margulies, der in den Gesäusebergen am 29. Juni 1925 erfroren ist, wird ehrenhaft auf dem Johnsbacher Friedhof gedacht. Nur wenige von denen, die heute diesen Friedhof besuchen und vor dem Grab von Otto Margulies stehen,  wissen, welche  Traditionen und welches menschliche Schicksal sich hinter der Aufschrift auf dem Grabstein von Otto Margulies verbergen. Ich bitte die freundlichen Besucher des Johnsbacher Friedhofes am Fuße der Gesäuseberge vor dem Grab von Otto Margulies zu verweilen und ein paar Blumen auf dieses zu legen.  (In der  Jüdischen Kulturzeitschrift David im Juni 1991 erschien von mir ein im Wesentlichen gleicher Aufsatz).

 

3.6. Der Indianerforscher und jüdische Burschenschafter Franz Boas - die Burschenschaft „Alemannia Bonn“  hielt zu ihrem jüdischen Bundesbruder.

Ein gutes Beispiel für den Irrsinn des Rassenantisemitismus ist die Geschichte um den weltberühmten amerikanischen Anthropologen Franz Boas, der aus einer jüdischen Familie in Minden stammte.  Die Burschenschaft hielt zu ihm und er zu ihr.

Franz Boas verfasste ein Buch mit dem Titel „Rasse und Kultur“, in dem er nachwies, dass Kultur und Rasse nichts miteinander zu tun haben. . Alle Menschen, egal wie sie aussehen, haben das Recht auf ihre Würde.  Dies entspricht auch, wie ich meine, der Idee der Burschenschaft. 

Franz Boas verurteilte als echter Burschenschafter  jeden Rassismus und jede Erniedrigung anderer Kulturen, wie sie der  Nationalsozialismus predigte.  Es traf Franz Boas hart , dass  in Deutschland Deutsche  aufgrund ihrer jüdischen Abstammung nicht mehr als Deutsche gesehen wurden. Er meinte daher: "Ich bin deutscher als viele Deutsche deutscher Abstammung. Die Herren können sagen, was sie wollen, ich bin ein Deutscher, auch wenn meine Großeltern gläubige Juden waren."

Als Deutscher schrieb Boas 1933 einen "offenen Brief" an den deutschen Reichspräsidenten Hindenburg , den ich hier auszugsweise wiedergeben will:

"... Während des Weltkrieges verlangten die perfiden Verleumdungen Deutschlands ein Heraustreten aus der Stille des Gelehrtenlebens , und ich darf mich rühmen, daß zu einer Zeit, als die meisten Deutsch-Amerikaner sich ängstlich verkrochen und nicht einmal deutsch zu sprechen wagten, ich einer der wenigen war,  die mit Wort und Schrift dem Lügengewebe entgegentraten und die ihren deutschen Ursprung nicht zu leugnen suchten.... Und wo liegt  der Unterschied  zwischen dem extremen Links und dem extremen Rechts ? Es gibt wohl kaum jemand in Deutschland , der nicht auf das Tiefste das Unrecht empfindet, das Deutschland geschehen ist....  Wo liegt der Weg zur Rettung? Die einen verlangen eine Entwicklung des Nationalgefühls... Bei der herrschenden Partei (NSDAP) ist dieser Gedanke ja grundlegend, aber warum macht er vor den Deutschen Tirols halt, die am schwersten zu leiden haben..... Ich bin jüdischer Abstammung , aber im Fühlen und Denken bin ich Deutscher. Was verdanke ich meinem Elternhause ? Pflichtgefühl, Treue und den Drang, die Wahrheit ehrlich zu suchen.  Wenn dies eines Deutschen unwürdig ist, wenn Unfläterei, Gemeinheit, Unduldsamkeit, Ungerechtigkeit, Lüge heutzutage als deutsch angesehen werden, wer mag dann noch ein Deutscher sein? Ich habe mich immer mit Stolz einen Deutschen genannt, heute ist es fast so gekommen, daß ich sagen muß, ich schäme mich, ein Deutscher zu sein. Glauben Sie, daß ich eine Flagge achten kann, deren Symbol für mich eine persönliche Beleidigung ist , die mich und meine Eltern zu beschmutzen sucht ? Und trotz alledem kann ich die Hoffnung nicht aufgeben, daß die Zeiterscheinungen Fiebersymptome eines kranken Volkskörpers sind, der, obwohl auf das Tiefste verwundet, genesen wird, daß eine Zeit kommen wird, in der das Deutschland, das ich liebe (!) , wieder entstehen wird. Möge der  Tag der Genesung kommen! 

Ihr aufrichtig ergebener Franz Boas Columbia University, New York City, den 27. März   1933." (Uwe Carstens, 2007).     

Boas war also durch den Nationalsozialismus tief getroffen und beleidigt.

Auch die Bonner Burschenschaft Alemannia  stand unter dem Druck der Nazi, ihren Bundesbruder Franz Boas auszuschließen, doch dies wollte sie nicht und sträubte sich dagegen. Davon kündet ein Brief, den der Bundesleiter der Burschenschaft Alemannia Rechtsanwalt Dr. Bonhage am 21. Mai 1935 an den "Sprecher der Alten Burschenschaft" Dr. K. Hoppmann schrieb. "Sehr geehrter Herr Hoppmann !

Als Bundesleiter meiner Burschenschaft und unter Bezugnahme auf Ihr Schreiben vom 14.d.Mts., sowie den Beschluß der Bundesleitertagung der Alten Burschenschaft in Frankfurt a. M.  vom 12.Mai 1935 bitte ich hiermit, bei der für eine solche Entscheidung zuständigen Instanz zu beantragen,  dass meinem Bundesbruder Dr. Franz Boas aus Grantwood, New Jersey, 230  Franklin Av. USA   das Verbleiben in der Burschenschaft Alemannia zu Bonn  gestattet wird.

Zur Begründung tragen wir folgendes vor:  Herr Prof. Dr. Boas ist geboren am 8..7. 1858 in Minden als Sohn eines dortigen Kaufmanns. Er ist Volljude. Seit der Mitte der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts lebt er in Amerika. Er ist heute 77 Jahre alt.    Herr Professor Boas ist Professor für Anthropologie an der Columbia Universität in New York und zur Zeit einer der ersten und angesehensten xxxx Rasseforscher Amerikas. Er war einer der wenigen, die noch während des Krieges öffentlich für Deutschland zu reden wagten. .. Er begründete persönlich eine Hilfsaktion für die deutschen Bibliotheken und sammelte jahrelang in mühevoller Kleinarbeit grosse Mittel zu diesem Zwecke und zwar in kleinen und kleinsten Beträgen von wenigen Dollars, da grosse Geldgeber für Deutschland noch nicht vorhanden waren. .. Wegen seiner Verdienste um das Deutschtum wurde er von seiner früheren Universität Bonn zum Ehrenbürger ernannt. Während der Deutschenhetze nach dem Kriege war er behilflich, deutschfreundliche Artikel insbesondere Artikel gegen die Besatzungsgreuel in den Rheinlanden in der  "Nation" zu veröffentlichen, einer in Amerika viel gelesenen und bedeutenden Wochenschrift.

Mit altburschenschaftlichem Gruss und Heil Hitler ! 

Dr. Bonhage

Bundesleiter "

Obwohl seine Bundesbrüder sich für ihn einsetzen, ist Franz Boas durch den sich in Deutschland breit machenden Antisemitismus zutiefst getroffen worden.  Wahrscheinlich um seiner Burschenschaft keine Schwierigkeiten zu machen, trat Boas 1935 aus dieser aus, obwohl sich seine Bundesbrüder ihm eng verbunden fühlten, wovon dieser Brief zeugt. Jedenfalls sah sich Franz Boas von dem Deutschland, das er geliebt hat, betrogen. Er schreibt 1933 dazu: "Für jemand, der ein so starkes Heimatgefühl hat wie ich, ist dies alles schwer zu tragen".  Enttäuscht von Deutschland, dem seine Liebe gehörte, stirbt Boas am 21. Dezember 1942 bei einem Festessen, so wie man es von ihm erwartet hatte: in den Schuhen und nicht im Bett (R. Girtler, 2001).

 

3.7. Burschenschafter , die von den Nazis hingerichtet wurden.

Zu den Burschenschaftern, die während des 3. Reiches vom NS-Regime wegen ihres Widerstandes gegen die Verbrechen der Nazis hingerichtet wurden, gehören u.a. Hermann Kaiser, Robert  Bernardis , Rudolf Breitscheid und Karl Sack.

Hermann Kaiser wuchs in einem streng protestantischen Elternhaus in Remscheid auf. Er studierte an der Universität Halle und später an der Universität Göttingen Mathematik und Physik mit Nebenfach Geschichte und Kunstgeschichte. 1903 wurde er Mitglied der Burschenschaft Alemannia zu Halle. Kaiser war vollständig in die Operation Walküre des Heeres einbezogen und rückte somit in die Rolle einer der wichtigsten Organisatoren des geplanten Attentats auf Hitler vor. Hermann Kaiser wurde am 17. Januar 1945 vom Volksgerichtshof zum Tod verurteilt und hingerichtet.

Robert Bernardis (* 7. August 1908 in Innsbruck; † 8. August 1944 in Berlin-Plötzensee). Auch er wuchs in einer evangelischen Familie auf. Er besuchte die Gewerbeschule in Mödling, wo er der Fachstudentischen Burschenschaft Wiking zu Mödling beitrat. Er ging dann zum Militär und wurde schließlich Generalstabsoffizier in der deutschen Wehrmacht. Er war entsetzt von den Massenerschießungen in Russland. Und wurde zum Widerstandskämpfer. Schließlich war an dem Attentat vom 20. Juli 1944 auf Adolf Hitler und dem anschließenden Umsturzversuch beteiligt, indem er telefonisch die Operation Walküre in den außerhalb des Stadtgebietes von Berlin gelegenen Teilen des Wehrkreises III auslöste. Auch er wurde zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Burschenschafter  (Arminia Marburg) war auch Rudolf Breitscheid (1874-1944), er war sozialdemokratischer Politiker, 1919/20 preußischer Innenminister, seit 1920 Reichstagsabgeordneter, 1926-1930 Mitglied der Völkerbundkommission, gestorben ist er im KZ Buchenwald.

Karl Sack (1896-1945)  war Mitglied der Burschenschaft Vineta  in Heidelberg.  Ab 1942 war er "Chefrichter des Heeres" und war an allen Plänen des militärischen Widerstands maßgebend beteiligt. Er beteiligte sich aktiv 1944 am Hitler- Attentat , hingerichtet im KZ Flossenbürg.

 

3.8. Der „rasende“ Reporter  Egon Erwin Kisch – Prager Burschenschafter   - die berühmte Egon Erwin Kisch – Kneipe, an der Burschenschafter,  Corpsstudenten und Mitglieder jüdischer Verbindungen  teilnahmen.

Ein verehrungswürdiger Herr ist der berühmte Reporter Egon Erwin Kisch (1885 – 1948). Er stammt aus einer Prager jüdischen Tuchhändler- Familie.   Seine Methode des Beobachtens und Beschreibens  des alltäglichen Lebens machte ihn zu einem der bedeutendsten deutschsprachigen Prager Schriftsteller und Reporter.  Von Kisch können auch Soziologen und Ethnologen einiges lernen. In meinem Buch „ 10 Gebote der Feldforschung“ zitiere ich folgenden spannenden Satz von Egon Erwin Kisch, den ich an meine Studentinnen und Studenten weitergebe: „Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist phantasievoller als die Sachlichkeit. Und nichts Sensationelleres gibt es in der Welt als die Zeit, in der man lebt.“  Sehr überrascht war ich, als ich beim Studium  des Buches von Kisch „Aus Prager Gassen und Nächten“ las , dass er Prager deutschnationaler Burschenschafter war – er war Mitglied der Burschenschaft Saxonia“ - und sogar drei Mensuren gefochten hat.  Auch sein Bruder Paul Kisch, er war ein Klassenfreund von Franz Kafka,  war  begeisterter Burschenschafter, er starb im KZ.

 Kisch selbst betrachtete sich in späteren Jahren nach zahlreichen Reisen durch verschiedene Kontinente als „Weltbürger“. 1938 soll er sich im Gespräch mit Friedrich Torberg diesbezüglich geäußert haben:  Weißt Du, mir kann eigentlich nichts passieren. Ich bin ein Deutscher. Ich bin ein Tscheche. Ich bin ein Jud. Ich bin aus gutem Hause. Ich bin Kommunist. Ich bin Corpsbursch (!) . Etwas davon hilft mir immer.“ 

Zum 100. Geburtstag von Egon Erwin Kisch  im Juni 1985 veranstaltete ich mit meinem Freund Fritz Roubicek, Mitglied der jüdischen Verbindung Unitas,  eine Kneipe, ein rituelles Fest, zu  Ehren von Egon Erwin Kisch.  Über diese Veranstaltung erschien in der österreichischen Tageszeitung „Die Presse“ ein Bericht, den ich auszugsweise hier wiedergeben will: „Es war ein kurioses und überdies historisches Treffen, das da im Martin-Schlössl in Wien Währung stattfand: Deutschnationale Burschenschafter und liberale (ebenfalls schlagende) Corpsstudenten, Mitglieder jüdisch-nationaler Studentenverbindungen und Monarchisten, sowie Couleurstudenten des katholischen und österreichtreuen MKV und CV saßen gemeinsam an einem Tisch, um den 100. Geburtsgag eines Mannes zu feiern,  der in seiner Jugend ein begeisterter  Couleurstudent, aber auch Kritiker, … und weltanschaulich schließlich Kommunist war – den des rasenden Reporters Egon Erwin Kisch. …. Man erfreute sich gemeinsam an den Erinnerungen und Erzählungen über das legendäre Prager Couleurwesen und an den unzähligen Schnurren Egon Erwins Kisch…. Man freute sich auch über einen besonders lieben Gast, den pensionierten US-Diplomaten Dr. Edmund Schechter, der 1941 aus Österreich emigriert war und 1938 seine letzte Kneipe mitgemacht hatte.   *Seither gibt es wunderbare Sachen in Amerika, aber keine Kneipen’ , erzählte das Mitglied der ältesten jüdischen Verbindung Kadimah, der demnächst in Jerusalem eine Straße gewidmet werden soll“.

Es ist erwähnenswert, dass bei dieser Kneipe zu Ehren des ehemaligen jüdischen Farbenstudenten Egon Erwin Kisch ein Wiener  Burschenschafter den Vorsitz führte. Einige Zeit nach dieser Kneipe erhielt ich von einem Mitglied einer jüdischen Studentenverbindung aus Israel einen begeisterten Brief nebst einen Bild von seinen noch lebenden Kommilitonen, die sie mit Mütze und Band in Jerusalem  zeigt.

 

3.9. Fritz Roubicek vulgo Brünndl -  ein farbenstudentischer Freund.

In diesem Sinn habe ich mit meinem Freund Fritz Roubicek, er ist leider schon verstorben,  die im letzten Kapitel geschilderte Kneipe zu Ehren von Kisch durchgeführt. Fritz Roubicek, der Mitglied der jüdischen schlagenden Verbindung Unitas war und der eine Zeit in Auschwitz im KZ zu leiden hatte, war begeisterter Farbenstudent. Er schrieb ein schönes Buch mit dem Titel „So streng warn dort die Bräuche – Erinnerungen eines alten jüdisch-nationalen Couleurstudenten“.  Für Fritz Roubicek war wichtig, dass Farbenstudenten sich verstehen und  den Antisemitismus verabscheuen. Im Sinne von Fritz Roubicek ist es daher, das Gemeinsame der farbenstudentischen Tradition zu pflegen und die alten Ideale der Freiheit und Menschenwürde hoch leben zu lassen.   Als Fritz Roubicek 1990 starb, bat mich dessen Witwe Lilly,  bei seiner Verabschiedung eine Rede zu halten. Ich tat dies, ich fühlte mich sehr geehrt. Bei der Trauerfeier waren Wiener Farbenstudenten aus verschiedenen Kreisen anwesend.  Zu Ehren von Brünndl sangen wir , bevor der Sarg sich senkte, die Strophe eines alten Studentenliedes.  Bei dieser Trauerfeier war auch mein Freund Dr. Herwig Hofbauer von der Verbindung Austria-Germania anwesend, der  diese Parte für Brünndl verfasste:

 

3.10. Die schönen  Worte des früheren Kommunisten  Arthur Köstlers  über jüdische und andere Burschenschaften

Bei derselben schlagenden jüdischen Verbindung „Unitas“ wie Fritz Roubicek war auch Arthur Köstler, Philosoph, Schriftsteller, einige Zeit Kommunist.  Über seine Zeit als Wiener Farbenstudent schrieb er in seinem Buch „Pfeil ins Blaue“ schöne Worte:

„Es ist gewiß ein Paradoxon, daß diese erzkonservativen, anachronistischen, rauf- und sauflustigen Burschenschaften psychologisch gesünder waren als jede andere geschlossene Gemeinschaft oder Clique, der ich seither begegnet bin. Blicke ich heute als ein Veteran zahlloser Fehden und Fraktionskämpfe in den Ghettos der Zeitungsredaktionen, der kommunistischen Zellen und Schriftstellerkongresse auf jene Zeit zurück, scheint es fast unglaublich, daß ich, ein höchst neurotischer junger Mensch, drei jahre im täglichen engsten Kontakt mit einer Gruppe von jungen Intellektuellen - noch dazu jüdischen - verbracht habe, ohne einen einzigen Streit miterlebt zu haben oder gar in einen solchen verwickelt worden zu sein. Vielleicht war das einzig in jener einmaligen Wiener Atmosphäre des Lebenlassens und der erotischen Toleranz, gepaart mit traditioneller Disziplin und höflichem Zeremoniell möglich. In den meisten anderen Burschenschaften, ob alldeutsch, liberal oder zionistisch, herrschte die gleiche Harmonie. Dagegen gab es in den sozialistischen Studentenvereinigungen ständig Krach und Streit, obwohl sie uns als Bandaffen, Barbaren und Erzreaktionäre verschrien“.

 

3.11. Der Brief Bruno Kreiskys – sein deutsch-freiheitlicher Onkel Oskar

Es gibt einen bemerkenswerten Brief des früheren österreichischen Bundeskanzlers Bruno Kreisky , den dieser an meinen Freund Martin Haidinger geschrieben hat.  Martin Haidinger hatte bei Bruno Kreisky brieflich angefragt, ob er eine Beziehung zu einer „schlagenden Verbindung“ gehabt habe. Anlass zu diesem Brief  war  wohl auch die berühmte  Kisch-Kneipe (s.o.), zu deren Mitveranstaltern ich gehörte.  Schließlich schreibt Kreisky in seinen „Erinnerungen“: “Zwei Brüder meines Vaters, der eine, Oskar Kreisky, Professor für Deutsch und Französisch, der andere, Otto, ein angesehener Advokat in Wien, waren Mitglieder einer schlagenden Verbindung gewesen, die  „Budovisia“ hieß, weil ihre Mitglieder aus Budweis stammten. Bei jedem sich bietenden Anlass, so schien es mir, sangen die beiden mit großer Ergriffenheit die deutschen Turn- und Studentenlieder, und ich kann heute noch viele dieser Lieder auswendig, von ‚Burschen heraus’ bis zur ‚Wacht am Rhein’…. Ludwig der älteste der Brüder, ebenfalls deutsch-freiheitlich, setzte die Lehrertradition fort und war Schuldirektor in Iglau. Er hat sich nicht ohne Erfolg für die Erhaltung des Deutschtums in Böhmen eingesetzt und in seiner Eigenschaft als Schulrat um jede deutschsprachige Schulklasse in seinem Bezirk gekämpft. Das hat ihn aber nicht davor bewahrt, später mit seiner ganzen Familie von den Nazis ‚ins Gas’ geschickt zu werden“. (Kreisky, Erinnerungen, 2007, S 46). In diesen paar Sätzen zeigt sich die ganze Perversität der Nazis mit ihrem Menschenhass und ihrem Antisemitismus.  Diese Sätze zeigen aber  auch auf, dass Juden sehr wohl in den deutsch-freiheitlichen Studentenverbindungen, zu denen  Burschenschaften und Corps gehörten,  aktiv sein konnten und waren.

Der Brief Bruno Kreiskys zu dieser Thematik sei hier voll inhaltlich wiedergegeben: „Bruno Kreisky                       Wien, am 24. Juni 1986

Lieber Herr Haidinger !

Ich möchte mich erstens einmal entschuldigen für die späte Beantwortung Ihres Briefes. Einer meiner Onkel, Dr. Otto Kreisky, Rechtsanwalt in Wien, wurde mit seiner Frau aus Wien deportiert und in Aschwitz vergast. Der zweite war Professor Oskar Kreisky, der nach kurzer Haftzeit in Amerika an einem College arbeitete, nach dem Krieg zurückgekehrt ist, nicht zuletzt deshalb, weil er hier viele Freunde aus seiner schlagenden liberalen deutschfreiheitlichen Studentenverbindung hatte. Es war dies die Budovisia und die deshalb, weil beide in Budweis in der Mittelschule waren, wo mein Großvater in der dortigen Lehrerbildungsanstalt tätig war.   Ich möchte noch hinzufügen, sie war nicht jüdisch-deutschnational orientiert, viele die diesem Corps angehörten, waren Katholiken und Protestanten. Ich selbst habe – wie Sie richtig annehmen – keiner Studentenverbindung angehört, ich war schon sehr früh Sozialdemokrat.

Beeindruckt hat mich jedoch die verlässliche Freundschaft, die die Angehörigen dieses Corps verbunden und sich auch in schweren Zeiten bewahrt hat. Wahrscheinlich war das auch mit ein Grund für die Rückkehr meines Onkels aus Amerika.

Ich freue mich, Ihnen die Auskunft geben zu können.

Mit den besten Grüßen

Ihr Bruno Kreisky“.

Anfügen möchte ich noch, dass ich manchmal mit dem Sohn von Bruno Kreisky Peter, wenn wir uns bei unseren Radfahrten am Ring begegneten, über seine Großonkeln sprach.  Stets sprach er in Hochachtung von diesen Herrn und dürfte auch stolz darauf gewesen sein, dass zwei von ihnen bei deutschfreiheitlichen „schlagenden“ Studentenverbindungen waren. 

 

3.12. Die alten Symbole und Rituale farbenstudentischer Verbindungen – die alte Sprache

Die Burschenschaften und mit ihnen die anderen farbentragenden Studenten- verbindungen haben einen  Schatz, den es zu pflegen gilt und den auch jüdische Studenten zu schätzen wussten. Es ist dies eine alte studentische Kultur, die in das Mittelalter zurückgeht und die voll von schönen Symbolen und Ritualen ist. Verirrungen wie die des Antisemitismus haben auf diesem Boden keinen Platz. Die Freude am gemeinsamen Umtrunk und gewachsene Disziplin, verbunden mit ritueller Höflichkeit ganz im Stil des Symposion der griechischen Antike und der alten Vaganten   verschaffen den Verbindungen ihre besondere Poesie , die  seit alters her in Kneipliedern besungen wird. 

Ähnlich wie bei Jägern, Ganoven, Musikanten und Kellnern haben auch die farbentragenden Studenten eine alte Sprache, die z.T. auf das Latein des Mittealters zurückgeht. Dazu gehören Wendungen und Befehle, in denen mitunter Latein und Deutsch vermischt werden) wie:

Bursch ( in ihm steckt das Wort Bursa für Studentenheim. Der Bursarius war also der  Bewohner der Burse. Der  Bursch ist Vollmitglied einer Studentenverbindung.  Mit Burschenschaft war ursprünglich die Gesamtheit der Studenten einer Universität gemeint),

Silentium (Ruhe, Schweigen)

Omnes af loca (alle auf ihre Plätze)

Peto verbum (ich bitte um das Wort)

Habeas (Du hast es – das Wort)

Ad exercitium salamandri (Mit diesen Worten beginnt der berühmte Salamander, bei dem zu Ehren eines oder mehrerer Anwesenden nach einem bestimmten Ritus Bier getrunken wird).

Koloquium  (mit diesem Wort wird das Silentium aufgehoben)

Kommers    (studentische Feier )

Krasser  Fuchs (junger Student)

Kneipe (geselliges Trinkgelage , es ähnelt dem Symposion der Antike)                                                     

Cantus  (Gesang, Lied)

Moos haben (Geld haben),

Kohlen (Unsinn reden),

Deckel  (Studentenmütze),

Landesvater (feierliches Durch stechen der Hüte),

Hundsfott (Schurke),

Nymphe  (Freudenmädchen),   

Flaus (Kneipjacke)

Mensur ( studentisches  Fechten. Mensur kommt von mensura ab –  der Bereich des Fechtens wird „abgemessen“),

Biermensur (ein Duell mit  Bier, wobei nach bestimmten Regeln ein Bierglas geleert wird).

Die Sprache wird u.a. bei den Kneipen deutlich, in denen sich lateinische Wörter mit deutschen verbinden.

 

4. Nachbemerkungen – das Verbrechen des Antisemitismus

Der Rassenantisemitismus hat zum größten Verbrechen an der Menschheit geführt.

Die Burschenschaft hat gelernt, ebenso wie der Alpenverein, der CV und andere Bünde, dass der Antisemitismus in jeder Form zu verabscheuen ist..

Nach der Wiederbegründung der Deutschen Burschenschaft 1950 begann man sich daher selbstkritisch mit der Vergangenheit zu beschäftigen.   Am Burschenschaftertag von 1958 distanzierte sich die „Deutsche Burschenschaft“, der auch die österreichische Burschenschaften angehörten, mit Nachdruck von jedem Antisemitismus und Rassenwahn ( !!)  Es heißt dazu: „Das Verbrechen, die das Dritte Reich an den Juden begangen hat, verpflichtet jeden Deutschen , alles in seinen Kräften stehende zu tun, um zur Verständigung unter den Völkern beizutragen.  Die Deutsche Burschenschaft bekräftigt daher ihren Willen, auch in Zukunft antisemitische Tendenzen, wo immer sie auftreten, energisch entgegenzutreten“ (Rechtsausschuss der Deutschen Burschenschaft des VVAB  (Hg.) Textsammlung der Deutschen Burschenschaft, Loseblattsammlung. IV/94. IV a I.).

Diese Gedanken stimmen mit den poetischen Überlegungen von Josef Viktor von Scheffel, Heidelberger Burschenschafter, dem wir viele schöne Lieder  (z. B. „Im schwarzen Walfisch zu Askalon“) verdanken, überein, der in einer Zeit , da nicht wenige Burschenschafter begannen, rassistisches Gedankengut zu übernehmen, dies postulierte: „Ein Hoch dem deutschen Reich, doch Gott behüts vor Klassenhass und Rassenhass und derlei Teufelswerken!“ (1871).

 

5. Literatur (u.a..).

Carstens, Uwe: Franz Boas’ „Offener Brief“ an Paul von Hindenburg. In: Tönnies-Forum. Jahrgang 16, 2007, S. 70–75

Ermers, Max : Victor Adler , Wien, 1932

Czermak, E. : CV und die Judenfrage, in: Robert Krasser 1936, S. 61 f. -  http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96sterreichischer_Cartellverband).

Dvorak, Helge:  Biographisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft. Band I   Politiker, Teilband 3: I–L. Heidelberg 1999, S. 53–55.

Girtler, Roland : Die Rede des Wiener Oberrabbiners  Mannheimer im März 1848, in: Die Gemeinde, Offizielles Organ der  Israelitischen  Kultusgemeinde Wien, April. 1988

Girtler, Roland :  Die deutschfreiheitlichen jüdischen Studenten, in: David, Jüdische Kulturzeitschrift, Dezember 1990, S 18ff

Girtler,  Roland : Otto Margulies  Burschenschafter und Mitglied des  Alpenvereins, in: David, Jüdische Kulturzeitschrift , Juni 1991

Girtler : Roland : Franz Boas –  (jüdischer)  Burschenschafter und Schwiegersohn eines österreichischen Revolutionärs von 1848, in:  Anthropos, Nr. 96, 2001  Bonn

Girtler Roland : Irrweg Jakobsweg, Die Narbe in den Seelen von Juden, Muslimen und Ketzern, Graz 2005

Herzog, Dietrich: Theodor Herzl als Burschenschafter – und die Folgen, in: Burschenschaftliche Blätter, März 1976, S 39ff

Kaupp, Peter :  Burschenschaft und Antisemitismus, Dieburg 2004   (Dateiabruf   unter: www.burschenschaft.de)

Köstler, Artur : Pfeil ins Blaue. Bericht eines Lebens. 1905–1931. Desch, München/Wien/Basel 1953

Kreisky, Bruno:  Erinnerungen – Das Vermächtnis des Jahrhundertpolitikers, Wien 2007

Roubicek, Fritz : So streng warn dort die Bräuche – Erinnerungen eines alten jüdisch-nationalen Couleurstudenten

Scheuer, Oskar F. :Heinrich Heine als Student, Bonn 1922

Scheuer, Oskar F. : Die Burschenschaft Fidelitas zu Wien,  Wien 1926.

Smets, Moritz : Das Jahr 1848. Geschichte der Wiener Revolution, Wien 1872

Steiger, Günter : Aufbruch – Urburschenschaft und Wartburgfest, Jena, 1967

Talos, Emmerich u.  Wolfgang Neugebauer:   Austrofaschismus. 7. Auflage: Politik, Ökonomie, Kultur, 1933-1938, LIT Verlag, 2014

Weissensteiner, Friedrich : Die rote Erzherzogin. Das ungewöhnliche Leben der Tochter des Kronprinzen Rudolf. Wien 1984).

 

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