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DAS FREMDE ELEMENT:

Von der Träumerei bis zur „Versuchung“ des Mönches Elmar im Jahre 1000 AD. Essai über das „Fliegen“.

 

I: Das „Fliegen“ – Noch immer ein charismatisches Erlebnis?

Der „Ozean der Lüfte“ wird heute massiv bewirtschaftet: Blickt man an einem sonnigen Tag in Richtung Himmel, so fallen sofort diese „Silberfischchen“ auf, welche von dort nach da flitzen und beeindruckende Kondensstreifen hinterlassen.

Bekanntermaßen handelt es sich hier um riesige Jumbos, angefüllt mit Menschen, welche im Welt-Verkehr möglichst rasch von A nach B gelangen wollen. Uns ist dieses Himmels-Szenario heute, im Jahr 2015, völlig vertraut. Wie hätte aber ein Mensch vor 200 Jahren(1815) darauf reagiert?

Der Himmel ist heute sowohl industrialisiert als auch demokratisiert: Jeder kann heute „fliegen“. Vor 100 Jahren(1915) war das noch ganz anders.

Das Fliegen hat durch seine Industrialisierung und Veralltäglichung zweifellos viel von seinem einstigen Charisma eingebüßt. Im Flugzeug selbst jagt ein „Ablenkungs-Manöver“ das andere: Essen, fernsehen, lesen, trinken usf. Und dies ist bei den heutigen, in der Regel stundenlangen Flügen(!) auch gar kein Wunder.

Dennoch gibt es auch heute noch Menschen, für die die „Unterbrechung des Alltags“ durch einen Flug faszinierend ist. Der Luftraum ist nun einmal – wie übrigens auch das Meer – nicht die eigentliche Heimat des Menschen. Dieser Umstand ist sehr oft auch der Nährboden für Sehnsucht. Wir wollen in diesem Zusammenhang den Berliner Chansonnier Rainhard Mey zitieren, welcher in seinem 1973 geschriebenen Lied „Über den Wolken“ singt:

„Über den Wolken,

Muss die Freiheit wohl grenzenlos sein,

Alle Ängste, alle Sorgen, sagt man,

Blieben darunter verborgen, und dann

Würde was uns groß und wichtig erscheint,

Plötzlich nichtig und klein…“.

Reinhard Mey:

WIKI GEMEINFREI

„Fliegen“ kann als „Unterbrechung des Alltags“ auch ein Mittel sein, um das „Unbehagen in der Kultur“(Sigmund Freud) zu lindern. Interessant ist, dass uns Freud diesbezüglich vielerlei Methoden vorführt, so auch etwa die Einnahme von Drogen.(Vgl. FREUD 1930: 43 ff) Vom „Realen Fliegen“ spricht er jedoch nicht. Zweifellos aber hätte er auch dieses Mittel anerkannt.

Für Menschen, die unter Höhen- bzw. Flugangst leiden, ist der Ozean der Lüfte jedoch schlicht ein Ort des Schreckens.

 

II: Der erste Bericht über den „Flug eines Menschen“.

Der historisch erste Bericht über den „Flug eines Menschen“ wird uns in der Burckhardtschen Fassung des „Gilgamesch-Epos“(1958) überliefert, welche Erich von Däniken in seinem faszinierenden und legendär gewordenen Buch „Erinnerungen an die Zukunft“(1968) verwendet hat. Dort heißt es auf Tafel No. 7:

„Ein Adler packte mich mit ehernen Krallen und flog mit mir vier Stunden hinauf.

Er sprach zu mir: ‚Schau hinunter aufs Land! Wie sieht es aus? Blick auf das Meer! Wie erscheint es dir?‘

Und das Land war wie ein Berg, und das Meer wie ein kleines Gewässer.

Und wieder flog er höher, vier Stunden hinauf, und sprach zu mir: ‚Schau hinunter aufs Land! Wie sieht es aus? Blick auf das Meer! Wie erscheint es dir?‘

Und die Erde war wie ein Garten, und das Meer wie der Wasserlauf eines Gärtners.

Und wieder vier Stunden flog er höher und sprach: ‚Schau hinunter aufs Land! Wie sieht es aus? Blick auf das Meer! Wie erscheint es dir?‘

Und das Land sah aus wie ein Mehlbrei, und das Meer wie ein Wassertrog.

Zwei Stunden noch trug er mich höher hinauf, da ließ er mich fallen. Und ich fiel, und ich fiel und lag zerschmettert am Boden. Dies ist der Traum. Heiß vor Schrecken wachte ich auf“.

Erich von Däniken(1968: 90) ist sich aufgrund seines allgemein bekannten Paradigmas völlig sicher, dass hier ein Mensch tatsächlich einen „Flug“ in großer Höhe miterlebt hat. Er sah die Erde quasi von einer Perspektive „Über den Wolken“ und beschrieb diese Wolken folgerichtig als „Mehlbrei“, sah also die Erde aus heutiger, moderner (TV-)Perspektive(!) –

Doch diese gab es in der alten Zeit ja noch nicht! Vielleicht hat der (unbekannte) Autor der historischen Quelle aber auch nur während längerer Betrachtung des Himmels konsequent „Rückschlüsse“ durchgeführt.

Die Erde von ganz oben:

WIKI GEMEINFREI

„Und das Land sah aus wie ein Mehlbrei, und das Meer wie ein Wassertrog…“.

Der „Himmel“ wurde durch von Däniken vor allem deshalb für die Nachwelt „entzaubert“, als er davon ausgeht, dass die „Sogenannten Götter“ in Wirklichkeit „Raumfahrer aus dem All“ gewesen seien.(Vgl. 1968: 25 ff) Die Mythologisierung habe erst später begonnen und sei vor allem auf den Umstand zurückzuführen, dass die (primitiven) Erdenbewohner die „Irdische Wirkkraft der Götter aus dem Himmel“ noch nicht im heutigen Sinne „wissenschaftlich“ beschreiben hätten können.

Oder war die Reise des Enkidu doch nur ein „Drogen-Traum“? Geschrieben steht immerhin: „Dies ist der Traum. Heiß vor Schrecken wachte ich auf“.

Wie immer man alles nun interpretiert:

Erich von Däniken hat es über die Jahre verstanden, eine gewisse Spannung in die vorliegende Materie einzubringen. Ferner ist die Anzweiflung jeglichen „Vor-Wissens“ grundsätzlich als wissenschaftlich produktives Moment zu betrachten.

Obige – wie nun immer entstandene – Schilderung zeigt uns auf jeden Fall das „Göttliche Moment des Fliegens“. Dazu existiert auch noch eine andere interessante historische Quelle, nämlich der „Flug des Ikarus“.

 

III: Der Flug des Ikarus.

Die Erzählung vom „Flug des Ikarus“ entstammt der griechischen Mythologie.(Vgl. dazu HÖFER 1894; LUCK-HUYSE 1997: 39 ff.) Hier wurde aber niemand von einem Gott „mit-genommen“, sondern man wurde – wie etwa Odysseus – selbst tätig.

Daedalus und Ikarus flüchteten einst mit selbstgemachten – also menschlich hergestellten(!) – Flügeln von Kreta. Und alles ging gut, bis Ikarus die „Lust am Fliegen“ entdeckte und sich damit versündigte.

Es ging dann eben alles seinen ganz typischen Gang:

Er kam den Göttern und damit der Sonne zu nahe, das Wachs an den Flügeln schmolz dahin, die Federn flogen davon und er stürzte schließlich ins Meer. Schon von 15 Metern aus ist die Meeresoberfläche bekanntlich fast wie Beton. Ikarus starb.

Der Absturz des Ikarus:

WIKI GEMEINFREI

Die „Lust als Selbstzweck“ ist hier also offenbar das Haupt-Sujet, schon wie in anderer Form etwa einst im „Adam &. Eva-Mythos“ vorgetragen.

 

IV: Mönch Elmar von Malmesbury konnte es nicht lassen. Sein Flug-Experiment um 1000 A.D.

Um 1000 A.D. konnte der interessierte Beobachter im Raum Malmesbury(GB) ein höchst merkwürdiges Szenario erblicken:

Auf dem Turm der dortigen Abtei stand eine Figur mit aufgespannten Flügeln – heute würde sie wohl an so einen „Comic-Superhelden“ erinnern – und plötzlich sprang diese mutig weg, aufbrechend zum Flug. Der Name dieser „Figur“: Elmar(gem. der quellenmäßigen Überlieferung „Eilmar“, „Elmer“), Mitglied der genannten Abtei.(Vgl. dazu WHITE 1961)

Mönch Elmar landete übrigens höchst unsanft auf dem Erdboden und verletzte sich schwer. Er plante weitere Flüge, welche ihm sein Abt allerdings streng untersagte. Für ihn war sein Schäfchen ein schlichter „Spinner“. Sicherlich betrachtete er ihn sogar als „Sünder“, welcher leichtfertig das ihm von Gott zugewiesene Element verlassen hatte.

Mönch Elmar und sein abenteuerliches Fluggerät(freie Darstellung):

WIKIPEDIA

Schon 875 A.D. soll es übrigens in Spanien einen Flugversuch dieser Art gegeben haben. Die Quellenlage ist diesbezüglich jedoch problematisch. Somit darf Elmar von Malmesbury als „Erster Experimental-Flieger der Welt“ gelten – Er war ein wahrhaft erfindungsreicher und vor allem mutiger Mann!

Dass die Menschen einst in 10.000 Metern Höhe gemütlich essen und trinken(!) würden, konnte er noch nicht wissen, und er hat das wohl auch nie zu denken gewagt.

Ein „König der Lüfte“ des 20. Jahrhunderts:

PanAm-Werbung aus 1977.

Aus: Merianführer „Rothenburg“.

Vielleicht stellte der Mönch Elmar in der Folge noch theoretische Studien an. Darüber sind wir jedoch nicht unterrichtet.

 

Quellen:

BURCKHARDT 1958, s. Gilgamesch-Epos.

DÄNIKEN Erich: Erinnerungen an die Zukunft. Ungelöste Rätsel der Vergangenheit. –Düsseldorf 1968.

FREUD 1930 = FREUD Sigmund: Das Unbehagen in der Kultur und andere kulturtheoretische Schriften. –Frankfurt/M. 1994.

GILGAMESCH-EPOS: Das verwendete Zitat aus Burckhardt 1958(Wiesbaden) stammt eigentlich nicht aus dem Gilgamesch-Epos, sondern aus dem (wohl zeitgleich entstandenen) „Etana-Epos“. Vgl. dazu M. Haul, Das Etana-Epos, Ein Mythos von der Himmelfahrt des Königs von Kisch, Göttingen 2000; ferners R. Bernbeck, Siegel, Mythen, Riten. Etana und die Ideologie der Akkad-Zeit. In: Baghdader Mitteilungen 27 (1996), S. 159 ff.

HÖFER Otto: Ikaros 1. In: Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie II/1. –Leipzig 1894, Sp. 114 ff.

LUCK-HUYSE Karin: Der Traum vom Fliegen in der Antike. –Stuttgart 1997.

WHITE Lynn T.: Eilmer of Malmesbury, an Eleventh Century Aviator. A Case Study of Technological Innovation, its Context and Tradition. In: Technology and Culture 2 (1961), S. 97 ff.

 

Copyright: Elmar Oberegger 2015.