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„ALBIS“

„... flumen inclutum et notum olim; nunc tantum auditur“. Zur Geschichte des Bedeutungsverlustes der Elbe im Kontext der „Römischen Öffentlichkeit“.

Essai.

 

Die Elbe(germanolat. „Albis“) seiso der römische Geschichtsschreiber und ehemalige Senator Tacitus(ca. 58-120 AD) in Kapitel 41 seines Werkes „Germania“ – innerhalb der „Römischen Öffentlichkeit“(also vorwiegend im Senat) „einst“(olim) ein „vielgenannter“(inclutum) und „wohlbekannter“(notum) Fluss gewesen. „Nun“(nunc) aber würde man ihn nur noch vom Hörensagen kennen.

Elbmündung und weiterer Verlauf landeinwärts:

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Es ist völlig offensichtlich, dass Tacitus mit diesen Worten dem Leser kurz und bündig den Umstand näherbringen will, dass die Elbe innerhalb der „Römischen Öffentlichkeit“ einen ziemlich erheblichen Bedeutungsverlust durchgemacht habe: „Nunc“ bedeutet hier ganz zweifellos die Zeit der Abfassung der „Germania“, also ungefähr das Jahr 100 AD. „Nunc“ also als „Heute“.

Germanien in seiner (historischen) Gesamtheit:

Copyright: Elmar Oberegger

Aber was soll im obigen Zitat eigentlich „olim“ bedeuten? In welcher Phase der römischen Geschichte war die Elbe eigentlich „vielgenannt“ und „wohlbekannt“?

Wann war die Zeit, als die Elbe ein (Teil-)Thema von Senatorischen Reden(mit ihrer oft überflüssig-schwülstigen Rhetorik) gewesen war, andererseits Teil von politischen Diskussionen wichtiger Personen beim Gelage? Dem einfachen römischen Bäcker, der römischen Dirne war die Frage der „Genauen Reichsgrenzen“ nämlich eigentlich egal und damit auch dieser „Albis-Fluss“ dort droben im kalten, germanischen Nordosten.

Wenn Tacitus „olim“ verwendet, spricht er dann bereits als Historiker oder schon als Zeitzeuge?

Hat er also jene Phase, in der über die Elbe eifrig gesprochen wurde, noch selbst – zumindest teilweise – miterlebt oder wurde ihm nur berichtet, dass dem so gewesen sei? Dieser Frage soll hier nachgegangen werden.

„Vielbesprochen“ war die bereits zuvor grundsätzlich bekannte Elbe sicherlich angesichts des rätselhaften Todes des „Unersättlichen Drusus“(Drusus Avidus) in der Magdeburger Gegend im Jahre 9 BC –

Hinter ihm lag ein im Jahre 12 BC am Rheinufer begonnener Blut- und Siegesrausch. Vom Feind wurde er gefürchtet und gehasst, von seinen Soldaten und germanischen Verbündeten aber geliebt. Auch Kaiser Augustus imponierte – vor allem anfangs – die großartige Leistungsfähigkeit seines Stiefsohnes. Drusus war genauso skrupellos und hart wie er selbst. Er soll ihn sehr geliebt haben.

Es ist aber bekannt, dass Drusus den Plan verfolgte, einen „Putsch“ gegen das Augustus-Regime durchzuführen, um die Republik – für ihn ein „Symbol der Freiheit“ – wiederherzustellen. Damit hing quasi die Gefahr eines Neuen Bürgerkrieges in der Luft und es wäre somit nur logisch gewesen, wenn Kaiser Augustus – der schon einmal einen „Bürgerkrieg“ zu führen hatte – seinen Sohn frühzeitig hätte beseitigen lassen. Natürlich auf heimtückische Art und Weise, um keinen „Politischen Märtyrer“ aus ihm zu machen, was vielleicht wiederum Zündstoff für einen Neuen Bürgerkrieg hätte sein können. Konkret überliefert ist dazu aber gar nichts.

Woran Drusus nun genau starb, ist ebenfalls nicht genau überliefert: Der Großteil der Autoren spricht von einer „Krankheit“(Giftanschlag?), allein Livius(Per., 142) spricht davon, dass er an den Folgen eines „Sturzes vom Pferd“(wurde ein Kieselstein unter seine Satteldecke gelegt?) verschied.

Für unseren Zusammenhang ist aber ohnehin nur von Bedeutung, dass er bei Magdeburg bereits darangegangen war, die Elbe zu überbrücken, um in weiterer Folge wohl bis zur Weichsel zu gelangen, die damals als „Ostgrenze Germaniens“ betrachtet wurde. Drusus war offenbar längst psychisch in einer „Caesar-„ bzw. „Alexander-Imitatio“ gefangen: Ob er am Ende „König Germaniens“ geworden wäre oder mit seiner bewaffneten Macht – wie einst Caesar – gegen Rom gezogen wäre, bleibt eine offene Frage.

Magdeburg und die Elbe heute:

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Ersetzt wurde Drusus umgehend durch seinen Bruder Tiberius, welcher in seinen folgenden militärisch-politischen Operationen die Elbe bereits klar als „Grenze des Imperiums“ betrachtete: Jeglicher Größenwahn, jegliche „Imitatio“ großer Männer der Geschichte lagen ihm völlig fern.

Im Jahre 7 BC feierte er seinen „Triumph über Germanien“. Damit schlägt die Geburtsstunde der im Osten durch die Elbe begrenzten „Germania Romana“. Jenseits davon befinde sich die „Germania Libera“, also das „Barbaricum“.

In der Germania Romana legten die Römer in der Folge nach Cassius Dio(Hist. 56, 18) „... städtische Ansiedlungen an, und die Barbaren wurden zur Ordnung der Römer erzogen. Sie gewöhnten sich an ihre Märkte und hatten friedliche Zusammenkünfte ... Sie merkten kaum, dass sich ihr Wesen veränderte“.

Um Christi Geburt brach allerdings im Gebiet ein breitflächiger Aufstand(„Immensum Bellum“) aus, den Statthalter Vinicius aber einigermaßen unter Kontrolle hatte. Die Existenz eines germanischen Rebellen-Führers ist übrigens nicht überliefert, der „Große Aufstand gegen das Imperium“ dürfte also völlig unkoordiniert abgelaufen sein.

Schließlich rückte wieder Tiberius in die Germania Romana ein und legte die Unruhen vorerst völlig still. Im Jahre 6 AD erreichte er erneut die Elbe, damit die bereits feststehende Ostgrenze des Imperiums. Das Gebiet zwischen Elbe und Weichsel wurde auch jetzt nicht behelligt.

Unter dem Statthalter Varus kam es dann aber im Jahre 9 AD zu einer neuerlichen Rebellion, welche aufgrund ihrer Intensität die vorhergehende tief in den Schatten stellte. Und auch ein Aufstands-Führer ist in aller Deutlichkeit überliefert: Arminius, Sohn des Cheruskerfürsten Segimer und kriegserfahrener(„Pannonischer Aufstand“) römischer Offizier. Als Kind war er einst nach Rom verschleppt worden, um zukünftig (auch) in Germanien der „Römischen Sache“ dienlich zu sein. Doch diese schon so lange gepflegte „Strategie der Entfremdung vom Vaterland“ ging hier gründlich nach hinten los.

Arminius lockte Varus und dessen Streitkräfte heimtückisch in unwegsames Gebiet und es gelang schließlich, ca. 20.000 römische Soldaten(!) zu liquidieren. In die Geschichte ging dieses Ereignis als „Schlacht im Teutoburgerwald“ ein.

Im Zuge dieser Rebellion wurde den Römern auch noch an anderen Orten der Germania Romana militärisch das Kreuz gebrochen. Allein der an der Lippe gelegene Stützpunkt Aliso konnte damals nicht erobert werden –

Die weit verbreitete These, dass das Gebiet zwischen Rhein und Elbe ab 9 AD „völlig römerfrei“ gewesen sei, ist also unrichtig. Im Jahre 10 AD kam es dann in Aliso zum „Großen Ausbruch“. Velleius Paterculus schreibt dazu(Hist. 2, 119):

„Anerkennung verdient ... die Tüchtigkeit des Lagerkommandanten L. Caedicius und derer, die, mit ihm zusammen in Aliso eingeschlossen, durch riesige Massen von Germanen belagert wurden. Unter Überwindung aller Schwierigkeiten, die der Mangel an Lebensmitteln unerträglich und der Ansturm der Feinde unüberwindlich machte, fassten sie weder übereilte Entschlüsse noch begnügten sie sich mit tatenloser Vorsicht. Sie warteten den geeigneten Moment ab, dann bahnten sie sich mit dem Schwert die Rückkehr zu den Ihrigen“.

Kaiser Augustus reagierte natürlich zunächst mit größter Bestürzung auf den Verlust von ca. 20.000 militärischen Fachkräften, hielt dann aber in Kapitel 26 seines 13 AD vollendeten „Tatenberichtes“(= Res Gestae) mit Stolz fest:

„Bei allen Provinzen des römischen Volkes, denen Völkerschaften benachbart waren, die unserem Spruche nicht gehorchten, habe ich die Grenzen erweitert. Die gallischen und spanischen Provinzen und ebenso Germanien habe ich befriedet, ein Gebiet, welches durch den Ozean von Gades bis zur Mündung der Elbe umschlossen wird“.

Daraus geht eindeutig hervor, dass die Ereignisse von 9 AD für Kaiser Augustus summa summarum nur eine „Rebellion innerhalb des Reiches“ darstellten –

Es war zwar ganz ohne Zweifel die mit Abstand bedeutendste Rebellion innerhalb der Geschichte des Imperium Romanum aber immerhin doch nur eine Rebellion. Die Elbe blieb somit die „Ostgrenze des Reiches“ und es sei somit Sache der zukünftigen Kaiser, die abtrünnige „Germania Romana“ zurückzuholen. Das war sozusagen das „Germanische Testament des Augustus“.

Unter Augustus‘ Nachfolger Tiberius versuchte sodann Germanicus, Sohn des Drusus Avidus, zwischen 14 und 16 AD eine Rückeroberung. Doch eine Mischung aus militärischer Inkompetenz und Pech führte dazu, dass dieses Unternehmen in schiefes Licht geriet und der Kaiser dem Germanicus den „letzten, wohl alles entscheidenden Kriegszug“ nicht mehr genehmigte. Ferner waren beide keineswegs durch Liebe oder Sympathie verbunden.

Die Elbe blieb aber wohl vor allem unter den Senatoren grundsätzlich im Gespräch und es ist davon auszugehen, dass man in den Reden immer wieder rhetorisch die „Rückholung der Germania Romana“ verlangte. Dies sei immerhin ein gewichtiger Teil des Augusteischen Testamentes, und schon dadurch „Heilige Pflicht“.

Vielleicht war es genau diese Stimmung, welche Kaiser Caligula im Jahre 39 AD zu seinem „Marsch gegen Germanien“ veranlasste. Überliefert ist das allerdings nicht. Der Caligula-Feldzug wurde übrigens zu einer noch größeren Farce als jener des Germanicus.

Längst erschien die Germania Romana als „Horror-Land“, auf dem offenbar ein ganz besonderer Fluch lastete. Dies empfand wohl v.a. Kaiser Claudius so, hatte er doch dort seinen Vater Drusus verloren. Dazu trat dann auch noch der peinliche Misserfolg seines Bruders Germanicus. So wollte Claudius letzten Endes nichts von einer Heimholung der Germania Romana wissen und konzentrierte sich lieber auf Britannien.

Kaiser Nero war sodann in erster Linie „Künstler“ und „Sportsman“, konnte sich also nicht auch noch um die Frage der „Elb-Grenze“ kümmern. Der Boudicca-Aufstand in Britannien war schon lästig genug. Viele Senatoren haben ihm wohl auch das mit vorgehaltener Hand übelgenommen, das Thema „Albis“ dürfte also noch immer – wenngleich versteckt – „Teil der Römischen Öffentlichkeit“ gewesen sein.

Dann ein „Neuer Bürgerkrieg“, aus dem schließlich Vespasian siegreich hervorging – Ein überaus schlauer Kerl, welcher sein Geld zeitweilig auch als Muli-Händler verdient hatte. Und von diesem „Geist“ dürfte auch sein „Gentleman-Agreement mit dem Senat“ gekennzeichnet gewesen sein: Das Verhältnis „Kaiser-Senat“ war inzwischen völlig zerrüttet, Claudius etwa war sogar zum „Staatsfeind“ erklärt worden und nur mit Mühe konnte er bestehen.

Vespasian, der Sieger des Bürgerkrieges, hätte nun alle Machtmittel in der Hand gehabt, den Senat im Staub zu zertreten wie eine giftige Schlange, doch genau das tat er nicht. Vielmehr ließ er sich von diesem mittels der „Lex de imperio Vespasiani“ als Kaiser einsetzen. Im Jahre 69 AD trat er sein Amt an, seine Regierung dauerte dann ca. 10 Jahre. In dieser Zeit wurde Tacitus Senator.

Für unseren Zusammenhang wichtig ist die Feststellung, dass mit dieser „Lex de imperio Vespasiani“ das Verhältnis „Kaiser-Senat“ vorerst stabilisiert wurde und Vespasian somit gewisse politische Gestaltungsfreiheit besaß. Vor diesem Hintergrund ging er nun u.a. daran, die „Germanische Affäre“ endlich auf seine Weise aus der Welt zu schaffen.

Sein Konzept war: Rhein und Donau sollten fortan die „Grenzflüsse des Imperiums“ sein, ferner sei eine direkte, künstlich befestigte Verbindungslinie zwischen beiden Flüssen zu schaffen. Damit war die „Idee des Limes“ geboren, welcher sodann v.a. unter seinen Nachfolgern auf großartige Weise realisiert wurde.

Entscheidend ist nun, dass der Senat diese klare Absage an die „Elbe als Grenzfluss des Imperiums“ offenbar sang- und klanglos durchgehen ließ. Ein anderer Kaiser wäre wohl – im Kontext glänzender Rhetorik(!) – als „Verräter“ oder gar als „Staatsfeind“ betitelt worden, wenn er verfahren wäre wie Vespasian. Auch der ehemalige Senator Tacitus findet zum Thema Vespasian als „Geschichtsschreiber“ eigentlich nur gute Worte.

Für unseren Zusammenhang ist nun festzuhalten, dass es vor obigem Hintergrund offenbar kein Senator mehr für angebracht erachtete, über die Elbe groß zu sprechen. Sie geriet somit langsam aber sicher in Vergessenheit und Tacitus konnte somit um 100 AD festhalten, dass sie nur noch vom „Hörensagen“ bekannt sei.(s.o.) Tacitus spricht hier also mehr als Zeitzeuge denn als Historiker.

Dieses Abrücken von der Elbgrenze manifestierte sich auch in der durch Kaiser Domitian, dem Sohn Vespasians, um das Jahr 85 AD durchgeführten Gründung einer in zwei Teile gegliederten „Germania Romana Nova“(= Germania Inferior und Germania Superior) auf vorwiegend gallischem Gebiet. Damit war die Germania Romana – zumindest symbolisch – ins Reich zurückgekehrt, die „Germanische Affaire“ (scheinbar) endgültig behoben.

Die „Germania Romana Nova“: „Germania Inferior“ und „Germania Superior“.

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Copyright: Elmar Oberegger

Und die Elbe? Nur noch Teil von Nimmerland! Eigentlich war das alles letzten Endes nur die logische Konsequenz jener Politik, welche sein Vater eingeleitet hatte. Diese war eigentlich traurig und stagnativ, eben die Politik eines ehemaligen Muli-Händlers. Trotzdem sehnte sich Domitian nach Profilierung.

Inwiefern Domitians Schritt übrigens auch in sachlich-ethnischer Hinsicht gerechtfertigt war, ist ungewiss, fest steht aber, dass bereits eine große Anzahl von Germanen diesseits des Rheins lebte.

Tacitus jedenfalls brachte diese Politik Domitians auf die vielzitierte Palme: Man müsse als Kaiser schon ziemlich heruntergekommen sein, um zwei „Kunst-Provinzen“ aus dem Boden zu stampfen…

Die Existenz dieser immerhin seit ca. 85 AD real(!) vorhandenen Provinzen ignorierte er sodann auch in seiner um 100 AD abgefassten „Germania“ völlig, als er gleich zu Beginn in aller Klarheit festhielt:

„Germania omnis a Gallis Raetisque et Pannoniis Rheno et Danuvio fluminibus, a Sarmatis Dacisque mutuo metu aut montibus seperatur...”.

Eigentlich hätte er schreiben müssen:

„Germania est omnis divisa in partes tres: Germania Inferior, Germania Superior et Germania Libera“.

Das von Tacitus völlig ignorierte “Dreiteilige Germanien” seit ca. 85 AD:

Copyright: Elmar Oberegger

Der Elbfall im Riesengebirge, ca. einen Kilometer nach dem Ursprung:

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Literatur:

OBEREGGER Elmar: Drusus Avidus und seine Erben. 3 Bde. -Sattledt 2016.

 

Copyright: Elmar Oberegger 2016.