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ANABASIS

Über die großartige und interessante Balkan-Reise des jungen Roland Girtler(1961)

Wien–Beograd–Athen–Istanbul &. Retour per „Schubhäftling“

Eine Erinnerung im Jahre 2003

 

I: Der 9. September 2003: „Rast“ beim „Baum mitten in der Welt“

Der 9. September 2003 war ein Tag, welcher von schwerer Schwüle, Dunst und Nebelschwaden gekennzeichnet war.

An diesem Tag hatte ich ein Treffen mit meinem edlen Freund Prof. Dr. Roland Girtler, um Recherchen für sein Buch „Pfarrersköchinnen“(erschienen 2005 bei Böhlau) zu machen.

Univ.-Prof. Dr. Roland Girtler:

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Per pedes brach ich von Sattledt aus bald genug auf, um ihn am Bahnhof von Kremsmünster abholen zu können. Er weilte gerade in seinem Elternhaus in Spital am Pyhrn.

Der Zug aus der Richtung Selzthal war pünktlich: Um 09:45h betrat er polternd und heulend das Bahnhofsgelände. Und heraus sprang Girtler, bestens gelaunt, mich sofort herzlich begrüßend.

Unser Wanderziel war der Pfarrhof von Pfarrkirchen bei Bad Hall, wo wir mit dem legendären „PaWü“(= Pater Wühöm‘/Wilhelm) und dessen Pfarrersköchin, Frau Hermine Mayr ein „Ero-episches Gespräch“ führen wollten. Mein Onkel Pater Thomas Eckerstorfer(1923-1998) war jahrzehntelang dort Pfarrer gewesen.

Da unser Weg weit war, machte ich den Vorschlag, im Bahnhofsrestaurant „Zum König“ noch eine kleine Stärkung zu sich zu nehmen.

Diese Idee gefiel Girtler gar nicht: Zuerst etwas leisten, dann erst Pause! Schon immer sei das seine Devise gewesen. Im Stiftsgymnasium sei er in diesem Sinn erzogen worden.

So nahm ich einen tiefen Schluck aus meiner Wasserflasche und die Wanderung ging los.

Via „Tempetal“ erklommen wir schließlich den „Baum mitten in der Welt“(Seehöhe 488m), wo damals noch ein Gasthaus betrieben wurde. Bevor wir dort ankamen, wurde links aus der Ferne der damalige Bürgermeister Franz Fellinger – offenbar mit einem amtlichen Problem im Gelände beschäftigt – sichtbar, welcher Girtler sofort erkannte, und dieses „Grüß‘ Dich“ rief.

Girtler zu mir: „Wer issn‘ des“?! Ich: „Herr Bürgermeister Fellinger von Kremsmünster“. Girtler hinüber zu Fellinger: „Herr Bürgermeister – Grüß Gott, meine Verehrung und Hochachtung“! Und er winkte ihm kurz zu. Fellinger blieb auf Distanz.

Der „BAUM MITTEN IN DER WELT“: Seit 1823 Koordinaten-Ursprung der Katastral-Vermessung von Salzburg, Oberösterreich und Böhmen.

Girtler sagte nun, dass wir an diesem bedeutenden Ort, in diesem Gasthaus eine „Rast“(wohlgemerkt: keine „Pause“!) einlegen müssten. Zur „Ehrung des Ortes“ gewissermaßen…

„Grüß Gott, is‘ do wer“!, rief Girtler, als wir das Gasthaus betraten und uns umzusehen begannen. Der Chef fabrizierte in der Küche gerade Semmelknödel mit Bärlauch, grüßte hochfreundlich herüber und flüsterte dem danebenstehenden  Lehrmädchen zu, dass „Der Girtler“ da sei…

Als wir im schönen Gastgarten platzgenommen hatten, war auch schon die (streng dreinblickende) Wirtin zur Stelle. Der Gastgarten sei zu so früher Stunde zwar geschossen, aber…

Und da erfolgte schon Girtlers übliche Tee-Bestellung:

„Bitte einen halben Liter kochend heißes Wasser und ein Säckchen Tee daneben hinlegen“ – Er möchte die Zieh-Zeit des Tees nämlich immer höchstselbst überwachen…

 

II: „Waaßt’t eigentlich, wia I domois‘ mei‘ Frau auf’grissn‘ hob“?

Diese „Zieh-Zeit des Tees“ ist bei Girtler immer kurz. Nur so sei der Tee „erfrischend“. Schon bald schlürfte er also laut seinen Tee und fragte mich ganz plötzlich:

„Waaßt’t eigentlich, wia I domois‘ mei‘ Frau auf’grissn‘ hob“?

Ich verneinte, gerade schwitzend auf die weißen Nebelschwaden im Tal blickend

„Jetzt hea‘ ma‘ amoi‘ zua‘, des is‘ wirklich interessant“, sagte er und nahm erneut schlürfend einen Schluck.

„Hab‘ ich Dir schon erzählt, dass ich im Sommer 1961 bis Istanbul unterwegs war, vorwiegend per Autostopp? Die Erzählung hat meine Frau damals eben wirklich fasziniert. I woar damit halt a klasser Kerl für sie! Was soll‘ I mach‘n? Heit‘ bin I ihr Maunn‘. Und wos tat‘ I ohne sie? Sie is‘ a wirklich guate Frau!“

 

III: Der Anabasis gen Südosten Beginn(1961)…

Alles begann Ende Juni 1961, als sich der damalige Jura-Student Roland Girtler – ungefähr 20 Jahre alt – mit einem Freund in einem Wiener Cafe traf.

Beide sollten „Rechts-Anwälte“ werden, hatten ihre Eltern immer gesagt. Doch beide wollten sowas nicht werden und kamen somit im Studium nicht so recht voran.

„Naja, mein Freund, das war irgendwie so ein Zögerer-Typ. Der hatte immer Angst. Doch ich sagte: Im Juli fahren wir nach Istanbul, Wurscht, wie wir hinkommen – Schluß fertig! Und ab da war‘s dann ausgemacht“.

Zunächst fuhr man per Bahn. Am Wiener Südbahnhof fand man sich schließlich an einem Julimorgen des Jahres 1961 ein, um einen Zug in Richtung Balkan zu besteigen. Die österreichisch/jugoslawische Grenze bei Spielfeld/Straß war das erste Ziel, denn „Österreich“ glaubte man eh‘ zu kennen und überhaupt war die „Reisekasse“ noch gut gefüllt. Die Eisenbahn konnte man sich also spielend leisten.

Das alte Gebäude des Wiener Südbahnhofes(heute abgerissen):

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„Ja, da ging‘s mit dem Zug zuerst schnell durch so niederösterreichische Weingarten-Kulissen“, berichtete Girtler.

Weingarten in der Gumpoldskirchner Gegend:

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„Längere Fahrt durch die Ebene. Doch bei Gloggnitz ist es dann auf den berühmten Semmering hinaufgegangen. Die Bahn hat Ritter von Ghega gebaut – sicherlich ein feiner Herr! Langsam aber sicher ging es höher und höher hinauf – wirklich eindrucksvoll! Dann die Steiermark: Mürzzuschlag, Bruck an der Mur, bald Graz, dann in schneller Fahrt an die Grenze“.

Semmeringbahn: Kalte Rinne-Viadukt.

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An der Staatsgrenze in Spielfeld wollte man dann – gesteuert durch die Lust auf‘s Abenteuer – per Autostopp weiterreisen. Der Weg zum Auto-Grenzübergang in Spielfeld war einigermaßen beschwerlich, doch man schaffte ihn.

Ein serbischer Geschäftsmann(Girtler: „Eben so a G‘schäftlmacher, aber ein feiner Herr, ein interessanter Mensch, sehr sympathisch“!) nahm die beiden Studenten schließlich in seinem Lieferwagen mit. Sein Ziel war Beograd, die damalige Hauptstadt Jugoslawiens.

Der Student Roland Girtler war damals besonders von zwei geistesgeschichtlichen Aspekten beeinflusst:

Einerseits von den Anfängen der „Hippie-Bewegung“ in den USA, andererseits von der „Alt-deutschen Wanderkultur“.

Das US-amerikanische Buch „On the Road“ von Jack Kerouac, welches bereits 1959 auf Deutsch vorlag(Titel: „Unterwegs“), war in den europäischen Studentenkreisen über lange Zeit aktuell. Auch Girtler kannte es und war von seiner „Botschaft“ fasziniert. Der Wert der „Studentischen Freiheit“ wurde damals in der Tat hoch gehandelt!

Andererseits stellte u.a. folgender Reim einen wichtigen geistig-emotionalen Bezugspunkt für Girtler dar. Es handelt sich um einen alt-deutschen „Wanderer-Reim“. Sofort zitierte er ihn mit Freude:

„Bin ein Fahrender Gesell‘,

Kenne keine Sorgen,

Labt‘ mich heut‘ der Felsenquell,

Ist es Rhein-Wein morgen“.

Diese Verse stammen vom bekannten deutschen Dichter Rudolf Baumbach.

Rudolf Baumbach(1840-1905):

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Es war also letztlich ein ganz interessantes „ideologisches Gemisch“, welches Girtler im Jahr 1961 dazu bewog, die große Reise von Wien nach Istanbul zu unternehmen.

Die Reise mit dem serbischen Geschäftsmann ging zunächst durch die sogenannte „Unter-Steiermark“(slow. „Stajerska“). Dieses Gebiet wurde Österreich nach 1918 – weil mehrheitlich slawisch – weggenommen und kam zu Jugoslawien, damals mit „SHS-Staat“ bezeichnet. Zu Zeiten der Donaumonarchie reichte die Steiermark in der Tat vom Bosruck bis vor die Tore der kroatischen Stadt Varasdin. Grün und saftig die Landschaft. Schön Marburg an der Drau, bzw. „Maribor“, die Metropole der „Stajerska“.

Marburg an der Drau(Maribor):

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Nach Maribor folgte dann schnell Zagreb und schließlich dieses „Ewige Slawonien“ bis Beograd. Girtler erzählte:

„Die Fahrt, die war wirklich fad und anstrengend. Irgendwie eine einzige grüne Ödnis. Ein paar Berge. Stundenlang. Ich war froh, als wir endlich ausgestiegen sind – Am Stadtrand von Belgrad“.

 

IV: Beograd – „Eine freundliche und weltoffene Stadt“.

Man verabschiedete sich am Belgrader Stadtrand freundlich vom „Herrn Chauffeur“(Girtler nochmals: „A wirklich liaba Kerl...“) und marschierte in Richtung Stadtzentrum – Die Hauptstadt Jugoslawiens war also erreicht:

Beograd:

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„Ja, Belgrad“, sagte Girtler, „das ist ja ein interessanter Ort, um den schon die Kelten gekämpft haben. Historisch übriggeblieben aus der alten Zeit ist heute vor allem die Burg, der sogenannte Kalemegdan. Das ist ein türkisches Wort, denn die Türken waren ja die meiste Zeit dort. Das heißt soviel wie ‚Festung‘. Salzburg hat eine Festung, Belgrad auch. Viele Städte haben eine Burg … Wir haben sofort einmal in einer billigen Kneipe Cevapcici gegessen; diese Hunds-Trümmerln, serviert mit viel frisch geschnittenem Zwiebel. Wirklich sehr,  sehr gut. Eine echte Stärkung! Damals war ich ja noch kein Vegetarier“.

Tito:

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Er wusste von Girtlers Aufenthalt in Belgrad offiziell nichts…

Girtler über die allgemeine Atmosphäre im damaligen Beograd: „Eine wirklich europäische Stadt. Wirklich erstaunlich. Eine freundliche und weltoffene Stadt“.

Man wollte Geld sparen und – es war immerhin Sommer! – unter freiem Himmel übernachten; im Schlafsack. Am frühen Abend verkroch man sich; in der Nähe des „Hotel Moskau“.

Ein jugoslawischer Polizist wurde schließlich auf die beiden Vagabunden aufmerksam und stellte sie sofort mit strenger Mine zur Rede.

Obwohl dieser während des Krieges irgendwo in Deutschland in einem Konzentrationslager gefangen war, gestattete er den beiden „Deutsch-Sprechern“ schließlich diese eine Nächtigung unter freiem Himmel. Aber morgen, um Punkt 6:00 Uhr sei Schluss mit diesem Theater! So ging man an diesem Abend auseinander...

Girtler berichtete über den weiteren Verlauf der Ereignisse:

„Aber in der Früh hat er uns dann um Punkt 6:00 Uhr zackig an’gschrien‘. Und zwar so: ‚AUFSTEHEN UND ANTRETEN‘. Das war dieses ‚KZ-Deutsch‘, diese brutale ‚KZ-Sprache‘. Und wir standen dann da, mit verschlafenen Augen“.

Der Polizist winkte die Vagabunden dann mit heftiger und entschiedener Geste weg – „Der jugoslawische Polizist war eh‘ sehr nett, er hat uns die eine Nächtigung gestattet, und uns dann sogar noch aufgeweckt“.

Die Fahrt ging schließlich weiter in Richtung Südosten, nach Nis. Girtler: „In der Antike ‚Naissus‘ genannt“.

 

V: Weiter nach Nis – „Dort, das war schon ein ganz anderes Serbien“.

Am südöstlichen Stadtrand von Beograd wurden die beiden Vagabunden zunächst von einem serbischen Lehrer-Ehepaar, „welches mit einem ganz alten, schäbigen Auto unterwegs war“, aufgenommen, sodann ging es kurzzeitig mit einem „Ochsenkarren“ weiter.

Es begann zu regnen. Trotzdem setzte man die Reise fort, teilweise sogar zu Fuß. Die Autobahn Beograd-Nis wurde damals erst gebaut. Der Weg bis Nis war äußerst beschwerlich.

Doch die Mühe lohnte sich:

„In Nis, da war für mich dann ein wirklicher Kulturwandel festzustellen: Massenhaft Zigeuner, Moslems und so. Märkte, auf denen massenhaft so kleine grüne und rote Paprikas angeboten wurden, in so Netz-Säcken. Belgrad, das lag wirklich weit hinter uns. Aber das war eine kulturelle Distanz und keine geographische. Das möchte ich wirklich betonen. Dort, das war schon ein ganz anderes Serbien. Mit Belgrad hatte das nichts mehr zu tun“.

Nis:

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„Die Leit‘ waren wirklich nett zu uns. Und interessiert vor allem! Interessiert an unserer Kultur, die für sie ja fremd war“, berichtete Girtler. Dort und da sei für die „Deutschen Vagabunden“ auch etwas Essbares abgefallen.

„Interessant war, daß die Leute dort Deutschland und Österreich nie getrennt haben. Mich störte das, rein politisch. Denn ich bin überzeugter Österreicher! Und ich habe auch gesagt, daß wir aus Wien, aus Österreich sind. Immer wieder. Aber für die Leute dort waren wir eben nur dieses Volk im Norden“, berichtete Girtler.

 

VI: Nach Titov Veles(Mazedonien) – „Mir haben sie die Sonnenbrillen gestohlen, meinem Freund den Pullover … So ist das eben im Leben“.

Sodann ging es nach Titov Veles weiter. Girtler:

„Titov Veles, benannt nach Tito, ich weiß nicht wie das heute heißt, ehrlich. Dort war‘s aber eigentlich wie in Nis. Nur fahrendes Volk: Geschäftsleute und Studenten – interessant! Jugoslawische Studenten waren wie wir ebenfalls unterwegs. Mir haben sie die Sonnenbrillen gestohlen, meinem Freund den Pullover. Klar: Wir hatten ja trotz allem mehr als sie. So ist das eben im Leben“.

Titov Veles:

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Interessant sind folgende Überlegungen Girtlers zum Phänomen „Jugoslawien“:

„Immer, wenn wir dort im Süden Jugoslawiens in der steinigen Hitze dagesessen sind und auf eine Mitfahr-Möglichkeit gewartet haben, da dachte ich darüber nach, inwiefern dieses Land überhaupt zusammengehört. Oben in Slowenien, in der Untersteiermark, da waren noch diese stattlichen Häuser und diese saftigen Gräser. Auch in Slawonien. Doch im Süden, da war irgendwie wenig bis gar nichts. Ständig das Geräusch der Grillen. Und ich habe mich aus Langeweile im Messer-Werfen gegen die verdörrten Bäume am Weg geübt. Es war dort immer wahnsinnig heiß. Naja, damals dachte man zumindest, es gehört das alles zusammen. Der Zerfall Jugoslawiens war aber trotz allem wirklich unnötig und schädlich, meine Meinung“.

Über Gevgelija kamen die Vagabunden schließlich nach Griechenland hinein und Ruckzuck ging‘s weiter bis zur weltbekannten Hafenstadt Thessaloniki.

 

VII: In Thessaloniki – „Ein buntes Getriebe“.

„Damals war ich noch nicht verheiratet und ich hab‘ die griechischen Mädeln ganz einfach nur fesch gefunden, wirklich liabe Madeln! Am Abend haben sie sich alle gezeigt“, berichtete Girtler. „Irgendwie war das archaisch. Ein buntes Getriebe. Ein so ein griechisches Madel hatte sogar Interesse an mir, doch als sie erfuhr, daß ich nur Vagabund bin, und kein Geld habe, verschwand sie. Ganz plötzlich. So ist es eben“.

Thessaloniki – Der „Weiße Turm“:

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Die folgende Nacht war problematisch:

„Wir übernachteten auf einem Wein-Hügel, irgendwo außerhalb von Thessaloniki, in einem Dorf. Um Mitternacht kam Angst auf, denn man hörte - halb im Traum – schwere Schritte. Immer wieder. Wie von einem Zyklopen, bildete ich mir zumindest ein, im Traum. Doch das war nur ein alter, störrischer Esel, der herumstampfte. Wahrscheinlich stundenlang. Wir haben wirklich schlecht geschlafen. Am Morgen sahen wir den Übeltäter. Nur ein alter, blöder, aggressiver Esel“.

In diesem griechischen Weingarten legte man nach dieser schweren Nacht noch eine Pause ein, um sich erholen zu können. Man döste. Doch die ruhige Atmosphäre ward schon nach kurzer Zeit wieder erheblich gestört. Girtler berichtet:

„Am Vormittag war dann plötzlich Geschrei zu hören, und wir wußten nicht was los war. Das war Weiber-Geschrei. Eindeutig. Wir gingen der Sache nach. Es waren die Klageweiber des Dorfes. Es fand gerade ein Begräbnis statt. Das konnten wir von unserem Hügel aus gut sehen. Dort, in Griechenland läßt man dem Gefühl noch freien Lauf. Da schreien sie, wie sie wollen. Natürlich ist auch das nur ein Ritual“.

Man begab sich schließlich auf die Hauptstraße. Noch vor der Mittagsstunde wurden die Vagabunden von einem „Griechischen Psychologen“ – derart bezeichnete er sich selbst zumindest – bis nach Athen mitgenommen.

„Der war, wie sich sehr schnell herausstellte, völlig besoffen und las während der schwierigen Fahrt durchs griechische Gebirge noch dazu die Tageszeitung. Eingehüllt war diese Szenerie mit orientalischem Gedudel aus dem Autoradio. Oft haben wir geglaubt, daß uns bei der nächsten Kurve alle der Teufel holt“, erinnerte sich Girtler.

Auf diese Weise kam man also bis nach Athen, der Hauptstadt Griechenlands.

 

VIII: Athen – Ein echtes Drecksnest“!

Zum ersten Mal in seinem Leben betrat Roland Girtler den Boden dieser berühmten Stadt:

„Athen, ja, da hatte ich als Kremsmünsterer Student eigentlich immer so eine andere Vorstellung. Athen: Ein Ort der Reinheit, Heimat der Philosophie! In Wahrheit: Ein echtes Drecksnest! Andererseits aber wieder total schön, imponierend. Doch überall roch es nach Urin. Und nach Autoabgasen. Damals, 1961“, berichtete Girtler. „Ich kann nur von damals sprechen“, setzte er mit Nachdruck hinzu.

Athen: Die Akropolis.

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„Aber, daß ich in nun, also damals, in Athen war, das war irgendwie für mich interessant“, berichtete Girtler.

„Lehrer von mir waren bis heute nicht dort. Sie sind ja auch mittlerweile fast alle gestorben. Ich meine diese Kremsmünsterer Kloster-Lehrer. Wir mußten die alt-griechischen Texte übersetzen. Und wenn wir es nicht konnten, bekamen wir ja gleich einen Fünfer! Aber ich war wirklich in Athen, ich war in Griechenland! Sie, meine Lehrer jedoch nicht. Ich bin stolz darauf, wirklich in Athen gewesen zu sein“!

Nun ging es weiter in Richtung Türkei.

 

XI: Auf nach Istanbul! Mit dem Linienbus…

„Mit einem Griechen, den wir am Athener Markt kennengelernt haben, konnten wir schließlich bis in die Gegend von ‚Adrianopel‘ mitfahren. Das heißt türkisch ‚Edirne‘. Dort legten wir uns auf freiem Feld friedlich zur Ruhe“, berichtete Girtler.

Am Morgen wanderte man weiter in Richtung Orient und wurde schließlich von einem türkischen Linienbus bis nach Istanbul mitgenommen – überraschenderweise gratis!

Warum das?!

Girtler: „Die Türken sympathisierten damals vor allem mit den ‚Deutschen‘. Daß wir eigentlich ‚Österreicher‘ waren, hat gar keine Rolle gespielt. Genauso wie zuerst in Nis, in Serbien. Ich war für sie ein ‚Alman‘, also ein ‚Deutscher‘ und damit ein hochgeehrter Mann! Das war so, damals. Die Trennung von Deutschland und Österreich sei überflüssig, denn beide Völker würden ja ‚deutsch‘ sprechen, haben die Mitfahrer gesagt. Das war so irgendwie das einfache Volk. Die Deutschen hätten es schließlich nur gut mit der Türkei gemeint, nach dem Ersten Weltkrieg, meinte man. Der Name ‚Österreich‘ aber war ihnen irgendwie fremd. Eigenartig. Der Hauptbegriff war immer nur ‚Deutschland‘. Als ‚Deutsche‘ fuhren wir also gratis mit“.

Die Türkei stand zu diesem Zeitpunkt in der Tat in einem engen, fast schon traditionellen Verhältnis mit „Deutschland“:

Besonders in den 1930er Jahren waren viele deutsche Wissenschaftler in die Türkei gegangen, um ihr Wissen an den dortigen Universitäten zu lehren. Das sogenannte „Dritte Reich“ hatte sie aus politischen Gründen verstoßen.

Das „Deutsche Wissen“ war im stark westlich orientierten System des Mustafa Kemal Atatürk(= „Vater der Türken“) überaus willkommen. Dennoch mussten die „Deutschen“ vor dem Antritt ihres Lehrauftrages die türkische Sprache erlernen.

Während der Busfahrt zeigten sich bald die westlichen Vororte Istanbuls, und man betrat schließlich das Gelände eines heruntergekommenen Busbahnhofs. Von dort aus begann eine Wanderung durch die Stadt.

 

XII: Istanbul – „Das war schon eine andere Welt, im allerersten Augenblick. Diese moslemischen Gebetsausrufer, dieses Schreien“.

Girtler berichtete:

„Ja, Istanbul war nun wirklich ein extremer kultureller Einschnitt. Das war schon eine andere Welt, im allerersten Augenblick. Diese moslemischen Gebetsausrufer, dieses Schreien. Die andere Tracht. Die Männer hocken dort herum. So war‘s aber auch teilweise schon in Jugoslawien, besonders in Titov Veles. Im Orient sitzt der Mann nicht, sondern er hockt. Das war so die Atmosphäre der Stadt. Im Bazar ging es wild zu. Feilschen, Geplapper. Die Sprache verstanden wir natürlich nicht“.

Istanbul:

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Girtler berichtete weiter:

„Istanbul, der Name heißt ja übersetzt ‚In-die-Stadt‘, wahrscheinlich war das der Eroberungsruf der Osmanen. Eigentlich ist er vulgär-griechisch. Früher hieß die edle Stadt ‚Konstantinopel‘, noch früher ‚Byzanz‘. Unter den christlichen Slawen wurde sie ‚Cari-Grad‘, also ‚Kaiser-Stadt‘, genannt. ‚Byzanz‘ war aber der gängige Name im Mittelalter. Man ist dort mit einem Fuß in Europa, mit dem anderen bereits in Asien, also in ‚Anatolien‘, was übersetzt heißt: ‚Land der aufgehenden Sonne‘. Also ‚Orient-Land‘. Wenige Leute wissen das“.

Girtler und sein Kumpan nächtigten neben der berühmten „Hagia Sophia“ auf freiem Feld:

„Hagia Sophia, das ist wieder so ein Name, der leicht mißverständlich ist“, berichtete Girtler.

„Errichtet wurde das Gebäude unter dem christlichen Kaiser Justinian. Aber es wurde nicht etwa einer christlichen Heiligen namens ‚Sophia‘ gespendet, sondern der ‚Heiligen, christlichen Weisheit‘ selbst. ‚Sophia‘ ist griechisch und bedeutet auf Deutsch ‚Weisheit‘. ‚‘Hagia‘ heißt ‚heilig‘ . Wir haben dort, abgesehen davon, wirklich sehr gut geschlafen, ohne Störung, wirklich“.

 

XIII: Beginnende Geldnot in Istanbul - „Hungrig waren wir schon, aber gebettelt haben wir nie. Wir kamen eigentlich immer zu einem Stück Brot, vor allem über unseren Schmäh, den wir in Wien gelernt haben“.

Bereits bei der Ankunft in Istanbul war der ohnehin von vorne herein schmal bemessene Geldvorrat der Wiener Vagabunden nur noch dürftig. In der Stadt verschlimmerte sich die finanzielle Lage zusehends.

Girtler schlug nun vor, schnellstens heimzureisen.

Er berichtete: „Hungrig waren wir schon, aber gebettelt haben wir nie. Wir kamen eigentlich immer zu einem Stück Brot, vor allem über unseren Schmäh, den wir in Wien gelernt haben“.

Ein gepflegter türkischer Herr gab den Deutschen Vagabunden schließlich eine gute Geldspende

Girtler: „Der hatte so einen ganz gepflegten französischen Schnauzbart – Ein wirklich ganz feiner türkischer Herr“!

Nun ging es sofort zum Bahnof zu einem Zug in Richtung Wien

 

XIV: „Schubhaft“ in Belgrad. Die Eisenbahnreise bis nach Graz. Sodann ging es heimwärts. Die „Kosten der Schubhaft-Angelegenheit“ sind heute beglichen!

Man kam per Eisenbahn bis nach Belgrad.

Nach der Ankunft ging Girtler sofort zur dortigen Österreichischen Botschaft“ und bat für sich und seinen Kumpan ganz unverblümt um Geld.

Doch nicht „Geld“ hatten beide dort in Aussicht, sondern „Schubhaft“

Girtlers Reisekumpan lief sofort eilig davon – Er hat ihn übrigens nie wieder zu Gesicht bekommen: „Daß er eine feige Nuß war, das wußte ich ja eh‘ schon. Schon vor der Abfahrt“, sagte Girtler.

Roland Girtler jedoch stellte sich der „Schubhaft“ mit stolzem Charakter, welcher in der Kremsmünsterer Klosterschule ausgeprägt worden war.

Per Eisenbahn wurde er schließlich an die österreichische Grenze bei Spielfeld abgeschoben. Vom „Österreichischen Botschafter“ bekam er hierfür 100 Schilling als „Hand-Geld“. Mit diesem konnte er zumindest bis Graz reisen, wo ein Onkel von ihm lebte.

Graz:

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Nach einem Anruf fand sich dieser auch umgehend im Grazer Bahnhofs-Restaurant ein, und spendierte dem überaus hungrigen Neffen ein Gulasch und ein Glas Bier.

Auch die Weiterfahrt nach Wien hat er ihm finanziell ermöglicht.

Die „Kosten“, welche der „Österreichischen Botschaft in Belgrad“ erwachsen waren, hat Univ.-Prof. Dr. Roland Girtler mittlerweile längst ganz ordnungsgemäß beglichen…

 

XV: Epilog – „Bin ein Fahrender Gesell‘/Kenne keine Sorgen/Labt‘ mich heut‘ der Felsenquell/Ist es Rhein-Wein morgen“. Und wir brachen auf in Richtung Pfarrkirchen bei Bad Hall

Girtler fasste im Garten des Gasthauses „Zum Baum mitten in der Welt“ schließlich zusammen:

„Diese Rückforderungen von der Botschaft waren mir schon damals irgendwie völlig ‚Wurscht‘. Das war mir niemals eine wirkliche Last. Obwohl ich damals gerade Jus studierte, war ich dennoch bereits ‚Sozial-Forscher‘. Und dort sind ‚lebendige Erlebnisse‘ der größte Lohn. Obwohl mir die Reise nach Istanbul manches gekostet hat, so sage ich noch heute, daß sie sich ausgezahlt hat. Hätte ich ein ‚Reicher Mann‘ werden wollen, dann hätte ich einfach ein ‚neues koffeinhältiges Erfrischungsgetränk‘ erfunden oder ein Bordell aufgemacht. Ich war und bin eben Sozialforscher“.

So und nicht anders endete Girtlers Erzählung beim „Baum mitten in der Welt“...

Prof.Dr. Roland Girtler – „König der Landstraße aus Überzeugung“:

Copyright: Elmar Oberegger

Schließlich brachen wir vom „BAUM MITTEN IN DER WELT“ auf und wanderten nach Pfarrkirchen bei Bad Hall, wo das geplante „Ero-Epische Gespräch“ mit dem PaWü und Frau Pfarrersköchin Hermine Mayr erfolgreich stattfand.

Querfeldein ging‘s sodann zum Kremsmünsterer Bahnhof zurück.

Nach einem Guten Bier und einer Kräftigen Kürbis-Suppe im Gasthof „Zum König“ bestieg Professor Girtler schließlich freudig und gestärkt den letzten Zug in Richtung Selzthal.

Abfahrt: 20:15 Uhr…

 

Copyright: Elmar Oberegger 2013.