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IX: ALLGEMEINE ANALYTISCHE BETRACHTUNG DER EISENBAHNNETZE DER ÖSTERREICHISCHEN LÄNDER UM 1914. 1) Einleitende Bemerkungen. Im folgenden Abschnitt soll eine möglichst anschauliche Analyse der Eisenbahnnetze der österreichischen Länder um 1914 durchgeführt werden. Die österreichischen Länder vor 1914:
Copyright: Elmar Oberegger Als Grundlage hierfür wurden v.a. Victor Rölls entsprechende statistische Angaben aus dem Jahre 1915 herangezogen.(1) Interessant ist, dass dort die Frage der „Netzdichte“ der jeweiligen Länder(= km:qkm) verschwiegen wird. Dies mag nach Karl Bachinger darauf zurückzuführen sein, dass der Staat besonders seit Beginn der „Zweiten Staatsbahnphase“(1880-1918)(2) „… in der Förderung des Eisenbahnbaus ein wichtiges Mittel … zum nationalen Interessensausgleich“(3) erkannte. Bachinger setzt noch hinzu: „Man war bemüht, alle Landesteile möglichst gleichmäßig zu erfassen…“. Dazu muss man allerdings wissen, dass um 1880 die Ausgestaltung des Hauptbahnnetzes bereits weitgehend abgeschlossen war. Der „Lokalbahnbau“(s.o.) blieb ohnehin bis 1918 in privater Hand, wenngleich dieser nur vor dem Hintergrund einer staatlichen Konzession möglich war. Die oben genannte Gesinnung war jedoch in der Tat vorhanden und manifestierte sich z.B. im Zuge eines Vortrages(Linz 1892) des Eisenbahnspezialisten Karl Büchelen zum Thema „Pyhrnbahn“. Büchelen war gegen die Errichtung dieser Bahn, denn: „Beim Betrachten der Eisenbahnkarte finden wir, daß Oberösterreich ein engmaschiges Bahnnetz hat, insbesondere aber auch mit Hauptbahnen und Eilzugsrouten ausgestattet ist, und zwar nicht bloß von Ost nach West, sondern auch von Nord nach Süd. Die Einschiebung einer dritten Hauptbahn zwischen die ohnehin nahe gelegene Rudolfs- und Salzkammergutbahn wäre daher volkswirtschaftlich nicht gerechtfertigt zu einer Zeit, wo große Ländergebiete der allernothwendigsten und dringendsten Bahnverbindung gänzlich entbehren“(4). Über die spezifische Bedeutung der Pyhrnbahn(!) spricht er hier also gar nicht. Röll wollte also das Problem der jeweiligen Netzdichte der österreichischen Länder wohl deshalb verschweigen, um den Neidkomplex zwischen den Ländern nicht zu stimulieren. Dass die Monarchie 1915 ohnehin schon dem Untergang geweiht war, konnte er nicht wissen. In heutiger Zeit stellt das Problem der Netzdichte kein Politikum mehr dar und kann deshalb ohne Einschränkungen dargestellt werden.
2) Zur kilometermäßigen Ausdehnung der jeweiligen Netze. Nach Röll besaß jedes österreichische Land um 1914 im Durchschnitt 1532 Eisenbahnkilometer. Wir unterscheiden hier nun in Länder mit einer über-durchschnittlichen Anzahl von Eisenbahnkilometern und einer unter-durchschnittlichen Anzahl von Eisenbahnkilometern. a) Über-durchschnittlich.
Copyright: Elmar Oberegger b) Unter-durchschnittlich.
Copyright: Elmar Oberegger
c) Kommentar. Galizien liegt hier also auf Platz 2, Böhmen unbestritten auf Platz 1. Die Differenz zwischen beiden Ländern beträgt 2640km, was übrigens die gesamten Eisenbahnkilometer Niederösterreichs(2477km) übersteigt. Nicht zu vergessen ist hierbei aber, dass Galizien das größte österreichische Land darstellte. Dennoch kam es hier nur auf Platz 2.
3) Zur Größe der einzelnen Länder. Nach Röll besaß jedes österreichische Land um 1914 im Durchschnitt eine Größe von 21429qkm. Methodisch gehen wir vor wie oben. a) Über-durchschnittlich.
Copyright: Elmar Oberegger b) Unter-durchschnittlich.
Copyright: Elmar Oberegger
c) Kommentar. Galizien liegt hier mit 78497qkm klar an der Spitze, der Unterschied zu Böhmen beträgt 26550qkm, also ca. die Fläche Alt-Tirols. Umso erstaunlicher also die Tatsache, daß Böhmen Galizien im Bereich der Eisenbahnkilometer klar überflügelt(s.o.).
4) Zur durchschnittlichen Netzdichte(km:qkm). Nach Röll besaß jedes österreichische Land um 1914 im Durchschnitt eine Netzdichte von 0,076(= km:qkm). Methodisch gehen wir vor wie oben. a) Über-durchschnittlich.
Copyright: Elmar Oberegger b) Unter-durchschnittlich.
Copyright: Elmar Oberegger
c) Kommentar. Galizien, das größte altösterreichische Land, liegt in dieser Hinsicht nun ganz hinten(12. Platz von 15). Dafür rückte etwa das kleine Schlesien ganz nach vorne. Von 15 Ländern ist nur ein Drittel(= 5) von über-durchschnittlicher Netzdichte, der Rest ist relativ gleichmäßig erschlossen. Eine Ausnahme bildet lediglich Dalmatien(= 0,017), welches das unbestrittene Schlusslicht darstellt(s. Statistik). Den Gegenpol bildet Böhmen(= 0,130) aus. Letzten Endes erkennen wir aber um 1914 in der Tat eine „Struktur der gleichmäßigen Erschließung“(s.o. Bachinger-These). (Kleine) Unterschiede blieben freilich bestehen und hätten jeweils als Politikum hochstilisiert werden können.
5) Kurze Betrachtung der einzelnen Netze. a) Allgemeines. Betrachtet man das gesamte altösterreichische Eisenbahnnetz(s. Karte Kap. II), so fällt auf, dass es sich in Nordböhmen am dichtesten gestaltet. Das Terrain war dort zwar schwierig, das ökonomische System jedoch facettenreich und sehr gut entwickelt. Die Wirtschaftskraft des alten Böhmen war weltbekannt. Zum Konnex Geographie-Wirtschaft lesen wir im Artikel „Eisenbahngeographie“ der Röllschen Enzyklopädie(5) u.a.: „Die vertikale Bodengliederung macht sich geltend, indem alle bedeutenderen Gebirgszüge auch bedeutende Lücken der Eisenbahnnetze verursachen; Mittelgebirge und Hügellandschaften gestatten zwar dichtere Eisenbahnnetze, fordern aber doch viele und auffallende Krümmungen der Linien, während die Bahnnetze der Flachländer die geradesten und regelmäßigsten Linien aufweisen“. Ob nun Lücken in einem Eisenbahnnetz vorhanden sind, das hängt aber auch von den wirtschaftlichen Verhältnissen ab. Bei Röll wird generell festgestellt, dass das Eisenbahnbedürfnis immer dort am größten ist, „… wo die meisten und schwersten Lasten mit größter Schnelligkeit befördert werden sollen“. Das schüttere Netz des eigentlich gut industrialisierten Vorarlberg wäre somit einerseits auf die Geographie als auch auf den Umstand zurückzuführen, dass man dort Textil- und nicht Schwerindustrie betrieb. Das (scheinbar) durchschnittlich dichte, jedoch aber keine markanten Verdichtungs-Zonen aufweisende Netz des industriell bestens entwickelten Schlesien(Hüttenbetrieb, Maschinen, Textilien, Papier u.v.a.m.) ist hingegen auf die geographischen Verhältnisse zurückzuführen. In der Regel fallen in Alt-Österreich aber bezüglich einer mangelhaften Netz-Struktur wirtschaftliche Unterentwicklung und problematische geographische Verhältnisse zusammen(Tirol, Dalmatien, Bukowina u.v.a.m.). b) Böhmen. Das Netz:
Copyright: Elmar Oberegger Erste Eisenbahn: Budweis-Trojern(1827).
c) Schlesien. Das Netz:
Copyright: Elmar Oberegger Erste Eisenbahn: Landesgrenze gg. Mähren-Oderberg(April 1847).
d) Niederösterreich. Das Netz:
Copyright: Elmar Oberegger Erste Eisenbahn: Floridsdorf-Deutsch Wagram(1838).
e) Mähren. Das Netz:
Copyright: Elmar Oberegger Erste Eisenbahn: Landesgrenze gg. Niederösterreich-Brünn(1839).
f) Oberösterreich. Das Netz:
Copyright: Elmar Oberegger Erste Eisenbahn: Landesgrenze gg. Böhmen-Urfahr/Linz(1832).
g) Küstenland. Das Netz:
Copyright: Elmar Oberegger Erste Eisenbahn: Landesgrenze gg. Krain-Triest(1857).
h) Vorarlberg. Das Netz:
Copyright: Elmar Oberegger Erste Eisenbahn: Staatsgrenze gg. Bayern-Bludenz(1872).
i) Steiermark. Das Netz:
Copyright: Elmar Oberegger Erste Eisenbahn: Graz-Mürzzuschlag(1844).
j) Kärnten. Das Netz:
Copyright: Elmar Oberegger Erste Eisenbahn: Landesgrenze gg. Steiermark-Klagenfurt(1863).
k) Bukowina. Das Netz:
Copyright: Elmar Oberegger Erste Eisenbahn: Landesgrenze gg. Galizien-Czernowitz(1866).
l) Salzburg. Das Netz:
Copyright: Elmar Oberegger Erste Eisenbahn: Landesgrenze gg. Oberösterreich-Salzburg Stadt(1860).
m) Galizien. Das Netz:
Copyright: Elmar Oberegger Erste Eisenbahn: Landesgrenze gg. Preußen-Krakau(1847).
n) Krain. Das Netz:
Copyright: Elmar Oberegger Erste Eisenbahn: Landesgrenze gg. Steiermark-Laibach(1849).
o) Tirol. Das Netz:
Copyright: Elmar Oberegger Erste Eisenbahn: Innsbruck-Kufstein(1858).
p) Dalmatien. Das Netz:
Copyright: Elmar Oberegger Erste Eisenbahn: Split-Siveric(1876).
6) Anmerkungen. 1) Vgl. Victor RÖLL: Eisenbahngeschichte Österreichs in Grundzügen(1915). –Sattledt 2009, S. 39 ff. Der folgende Text erschien bereits 2010 in fast unveränderter Form in der Reihe „Veröffentlichungen des Info-Büros für österreichische Eisenbahngeschichte“(No. 3). 2) Siehe zu den Entwicklungsphasen des österreichischen Eisenbahnnetzes Elmar OBEREGGER: Die Entwicklungsphasen des österreichischen Eisenbahnnetzes. 1808-1918. –Sattledt 2008. 3) Karl BACHINGER: Das Verkehrswesen. In: Die Habsburgermonarchie 1848-1918. Bd. I. Hrsg. v. Alois Brusatti. –Wien 1973, S. 321. 4) Karl BÜCHELEN: Linz-Triest. Eine Eisenbahnfrage. –Linz 1892(Vortrag, gehalten im deutsch-nationalen Vereine zu Linz am 2.Juli d.J.), S. 4. 5) Art. „Eisenbahngeographie“. In: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. Hrsg. v. Victor RÖLL. –Berlin/Wien 1912 ff.
Copyright: Elmar Oberegger 2011. |
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