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VIII: DAS LOKALBAHNWESEN.

1)    Allgemeines: Zur Rechts- und Strukturgeschichte. Statistisches.

Seit dem Erlass des „Ersten Lokalbahngesetzes“ v. 25. Mai 1880 war in juristischer Hinsicht völlig klar, was eine „Lokalbahn“ eigentlich ist; nämlich eine Bahn, welche gemäß dieses Gesetzes konzessioniert worden ist.

Insofern ist heute klar festzustellen, dass die „Erste Lokalbahn Österreichs“ die konzessionierte Linie von Hullein nach Kremsier(Mähren) war.(1) Die erste Lokalbahn jedoch, welche vor dem Hintergrund obigen Gesetzes eröffnet worden ist, stellt die Linie Linz-Kremsmünster(„Kremstalbahn“) dar. 1881 wurde sie dem Verkehr übergeben.(2)

Wachstum des Lokalbahnnetzes aufgrund des Gesetzes von 1880:

Nach: V.Röll, Eisenbahngeschichte Österreichs in Grundzügen(1915), Sattledt 2009, 23 ff.

1886 war das Jahr des stärksten Wachstums.

Das Lokalbahnwesen fußte bis 1914 fast ausschließlich auf privatem Kapital. Offenbar rechnete der Staat damit, dass sich die Sache irgendwie von selbst regeln würde. In Bayern etwa vertraute man darauf nicht. Hier nahm der Staat auch das Lokalbahnwesen in die eigene Hand.(3)

Wenn privates Engagement und somit privates Kapital im Spiel sind, dann ist eigentlich immer mit Konkurrenzkämpfen zu rechnen, welche der Volkswirtschaft letzten Endes schaden. Der Staat selbst hatte schließlich gute Gründe gehabt, das Hauptnetz fast völlig an sich zu reißen.(s.o.)

Ganz „Einzigartige Spitzenreiter“ hinsichtlich des „Konkurrenz-Kampfes“ im Lokalbahnbereich waren in Österreich sicherlich die Städte Wels und Linz – Bis heute zum Schaden der Volkswirtschaft! Die für den oberösterreichischen Kernraum strukturell hochwichtige Verbindung Wels-Rohr-Steyr war auf drei Privatgesellschaften(!) aufgeteilt und konnte sich damit nie richtig etablieren. In der Folge verkam sie völlig – Der Grund dafür, warum es heute keine „S-Bahn Wels-Steyr“ gibt, Steyr somit im eisenbahnmäßigen Verkehrsgeschehen ziemlich am Rande steht! Siehe u.a. dazu den entsprechenden Abschnitt unten.

Nach 1880 kam es zum Erlass weiterer „Lokalbahngesetze“(4): Bedeutsam wurde v.a. jenes aus 1887, wo man auch die „Schmalspur“ zuließ. Allgemein üblich wurde somit die 76cm-Spur, welche auch in Bosnien-Herzegowina üblich war. Man wollte damit einen „Kriegs-Fahrpark“ im Hinterland aufbauen. Und in der Tat wurden sodann nach Kriegsbeginn viele Lokomotiven und Waggons ins Krisengebiet verlegt – Einige sollen übrigens nie wieder zurückkehren!

Die erste Linie im Hinterland, welche mit der 76cm-Spur ausgestattet wurde, war die „Steyrtal-Bahn“(Endausdehnung: Garsten-Steyr-Pergern-Bad Hall/Klaus).(5) Hervorzuheben ist, dass die Schmalspur einen billigen Bahnbau ermöglichte: Es konnten enge Kurvenradien angelegt, und somit eventuell etliche teure Tunnels vermieden werden.

Zu einem echten Wachstumsschub kam es am Lokalbahnsektor erst um die Jahrhundertwende(s. Statistik):

Grober Überblick zum Wachstum des Lokalbahnnetzes gemäß der erlassenen Gesetze:

Nach: V.Röll, Eisenbahngeschichte Österreichs in Grundzügen(1915), Sattledt 2009, 23 ff.

Eine strukturelle Definition des Begriffes „Lokalbahn“ fehlte längere Zeit gänzlich. Erst im Spezialgesetz von 1910(s. RGBl 149) wurde festgehalten, dass eine „Lokalbahn“ grundsätzlich folgende Merkmale aufweise. Zusammenfassend kann quasi als „Idealtypus“ gelten:

a)     Eine Lokalbahn ist bezüglich ihrer technischen Anlage(Spurweite, Kurvenradien, Betriebsmittel) und ihrer Leistungsfähigkeit(v.a. Fahrgeschwindigkeit) gegenüber einer „Hauptbahn“ unterlegen.

b)    Eine Lokalbahn zweigt von einer Hauptbahn ab.

c)     Eine Lokalbahn ist in der Konzessionsurkunde eindeutig als „Lokalbahn“ bezeichnet.

Somit ist eine „Lokalbahn“ also strukturell nicht einfach nur eine „Zweigbahn“, da eine solche ja technisch den gleichen Standard haben kann, wie die Hauptlinie(s. etwa Zweig Bruck/M-Leoben, Südbahngesellschaft).

Was im Gesetz von 1910(s.o.) nicht explizit erwähnt wurde(dort wurde allgemein nur von „Verkehr“ gesprochen): Eine Lokalbahn weist sowohl Personen- als auch Güterverkehr auf.

Denn würden auf einer Lokalbahn nur Güter transportiert, dann müsste man von einer „Schlepp-Bahn“ sprechen. In der Bukowina etwa übernahmen solche Schleppbahnen teilweise aber auch personenverkehrsmäßige Dienste.(6)

In der realen Definition nahm man es dann übrigens gar nicht so genau. Im Gesetz von 1910(s.o.) werden auch die „Kleinbahnen“ erwähnt, welche im Grunde nicht von einer Hauptbahn abzweigen, sondern nur von rein örtlicher Bedeutung sind, also z.B. nur zwei Gemeinden miteinander verbinden. Da ist es sodann höchst verwunderlich, dass die Linie Unterach-See am Mondsee(1907), welche einen echten „Inselbetrieb“ darstellte und nur ca. 3 Kilometer aufwies, offiziell als „Lokalbahn“ betrachtet wurde, während die weitaus längere Linie Triest-Opicina(1906; ca. 5km plus Verlängerungslinie von 1km bis zum Vorplatz des neuen Bf. Opicina StB/Karstbahn) immer nur als „Kleinbahn“ aufgefasst wurde.(7)

Und ein weiteres Beispiel wäre hier zu nennen: 1896 wurde der k.k.priv. Aussig-Teplitzerbahngesellschaft die Linie Teplitz-(Settenz)-Reichenberg(128 Kilometer!) konzessioniert, welche sodann noch den stattlichen Namen „Nordböhmische Transversalbahn“ erhielt. Die Eröffnung erfolgte 1900.(8)

Die Unterach-Seer-Bahn und die Nordböhmische Transversalbahn: Beides „Lokalbahnen“ – Doch strukturell(!) waren sie nie vergleichbar!

Wenn wir nun vor obigem Hintergrund in der Geschichte zurückgehen, und die Frage stellen, welche Bahn nun in struktureller Hinsicht die „Erste Lokalbahn Österreichs“ war, so kommen wir zu folgendem Schluss:

Nachdem 1860 die „Westbahn“(Elisabethbahngesellschaft) Wien-Linz-Lambach-Salzburg eröffnet wurde, bildeten sich gleich zwei abzweigende Bahnen heraus, welche im strukturellen Sinn(!)  als „Lokalbahnen“ zu begreifen wären. Sie waren der Überrest des alten Netzes der „Ersten Eisenbahngesellschaft“(Hauptstrang: Budweis-Linz-Lambach-Gmunden). Über das Verhältnis „Elisabethbahngesellschaft“ - „Erste Eisenbahngesellschaft“ wurde oben bereits ausführlich gesprochen.(s. „Vorgeschichte der Westbahn“) Diese Bahnen waren:

a)     Lambach-Gmunden; direkt abzweigend vom neuen Bahnhof Lambach(Westbahn), schmalspurig, seit 1856 zumindest mit Lokomotiven betrieben. Güter- und Personenverkehr. Bis 1903 erfolgte die Umstellung auf Normalspur. Diese Abzweigung kann noch heute jeder betrachten.

b)    Linz-Budweis; direkt abzweigend(seit 1858) vom neuen Linzer Hauptbahnhof; schmalspurig; bis ungefähr zur Eröffnung der neuen Linz-Budweiser-Bahn(1873) noch grundsätzlich mit Pferden(!) betrieben. Güter- und Personenverkehr.

Die „Ersten beiden Lokalbahnen Österreichs“ – Überreste der „Alten Budweiserbahn“(Budweis-Linz-Lambach-Gmunden):

Copyright: Elmar Oberegger

Ganz zweifellos sind beide Bahnen von den oben festgestellten Lokalbahn-Merkmalen gekennzeichnet. Die Linz-Budweiser-Strecke war übrigens ungefähr genauso lang wie die „Nordböhmische Transversalbahn“(s.o.).

Die alte Abzweigung der „Linz-Budweiserbahn“ vom neuen Linzer Hauptbahnhof zum „Südbahnhof“(ehem. Bf. „Zur Eisernen Hand“):

Copyright: Elmar Oberegger

Heute ist das Terrain des „Südbahnhofes“ Marktgelände.

Die „Prag-Lanaer-Pferdebahn“ übrigens, welche scheinbar(!) ab 1851 von der großen Transitbahn Hamburg-Bodenbach Grenze-Prag-Wien in Prag abzweigte, kann nicht für sich in Anspruch nehmen, die „Erste Lokalbahn Österreichs“ gewesen zu sein. Betrachtet man nämlich die örtlichen Verhältnisse näher, so zeigt sich, dass sie mit der Hauptbahn nicht verbunden war.(s. Karte) Dazu kommt, dass auf ihr ausschließlich Güter transportiert wurden, sie also nur eine „Schleppbahn“ darstellte.(9)

Prag-Lanaer-Bahn und Wien-Prag-Bodenbach-Hamburger-Bahn(1851):

Copyright: Elmar Oberegger

 

2)    Die „Österreichische Lokalbahn-Gesellschaft“ – Ein Kurzportrait.

Der Sitz der „Österreichischen Lokaleisenbahngesellschaft“(ÖLEG) befand sich zunächst in Prag, ab 1886 in Wien. 1894 wurde sie verstaatlicht.(10)

Die ÖLEG besaß nie ein kohärentes Netz. Vielmehr nahm man „Einästungen“ in das vorhandene Eisenbahnnetz vor, einer „Stammstrecke“ fühlte man sich nie verbunden. Die diesbezüglichen Aktionsräume waren Böhmen, Mähren, Schlesien und Niederösterreich.(s. Karte)

Die Strecken der „Österreichischen Lokaleisenbahngesellschaft“ im Jahr ihrer Verstaatlichung(1894):

Copyright: Elmar Oberegger

Alles begann mit dem 1880 vollzogenen Aufkauf der „Peceker Industriebahn“: Damit ging auch die bereits von den Vorbesitzern erworbene Konzession für die Strecke Caslau-Zawratetz auf die ÖLEG über. Das Jahr 1880 brachte übrigens noch weitere Konzessionen ein.

Bis 1882 wurde jedenfalls die Linie Caslau-Zawratetz(samt Zweigbahn nach Bucic) errichtet. Gleich darauf wurde auch noch die Drahtseilbahn(5km) vom Endpunkt Zawratetz bis zum Kinsky’schen Steinbruch bei Prachowitz verwirklicht.

1880 war der ÖLEG aber auch die Konzession für die Linie Pecek-Zasmuk(samt Abzweigungen) verliehen worden. Vor diesem Hintergrund soll es zum Umbau der alten „Peceker Industriebahn“ kommen. 1882 konnte die neue Bahn von Pecek nach Zasmuk(samt Abzw.) dem Verkehr übergeben werden. Doch schon zwei Jahre später wurde diese an die „k.k. priv. österr.-ung. Staatseisenbahngesellschaft“ verkauft. Damit trennte sich die ÖLEG also von ihrer ursprünglichen Stammlinie(1880).

Die Linie Pecek-Zasmuk(mit Abzw.):

Copyright: Elmar Oberegger

Eröffnet 1882. Bis 1884 im Besitz der ÖLEG.

Die weiteren Konzessionen des Jahres 1880 waren:

a) Smidar-Hochwessely(eröffnet 1882; 1885 gem. mit der Brandeis-Mochow-Linie, s.u. gegen die Lokalbahn Nusle-Modran der „Böhmischen Commerzialbahnen“/BCB eingetauscht.)

b) Chodau-Neudek(eröffnet 1881; Das Schleppgleis Chodau-Friedrichsschacht wurde von der Buschtiehrader-Eisenbahngesellschaft angekauft.)

c) Kaschitz-Schönhof(eröffnet 1881).

1881 erhielt die ÖLEG die Konzession für die Zweigbahn Caslau-Mocovic(eröffnet 1882).

Die weiteren Konzessionen dieses Jahres waren:

a) Königshan-Schatzlar(eröffnet 1882).

b) Olmütz-Cellechowitz(mit Abzw., eröffnet 1883).

c) Ung.Hradisch-Ungar.Brod(eröffnet 1883, umgehend an die „k.k. priv. österr.-ung. Staatseisenbahngesellschaft“ verkauft.)

d) Brandeis-Mochow(eröffnet 1883, ging durch Tausch, s.o., an die „Böhmischen Commerzialbahnen“ über.

Die Konzessionen von 1882 waren:

a) Schönhof-Radonitz(eröffnet 1884).

b) Pohl-Wsetin(mit Abzw.; später von Mähr.Weißkirchen aus gebaut, eröffnet 1885, Strecke 1887 an die „Kaiser Ferdinands-Nordbahn-Gesellschaft“ verkauft.

1883 wurde die Lokalbahn Neusattel-Elbogen(eröffnet 1877) angekauft. Die geplante Verlängerung bis Giesshübel soll nie realisiert werden. Die Konzession für die Elbogener Lokalbahn ging damals übrigens noch nicht auf die ÖLEG über.

1883 wurde die Konzession für die Linie B.Leipa-Niemes(mit Abzw.) erworben. Die Eröffnung fand noch im selben Jahr statt.

1884 geht endlich auch die Konzession der Elbogener Lokalbahn offiziell auf die ÖLEG über.

Das Jahr 1884 bringt aber auch noch eine weitere Konzession, nämlich jene von St. Pölten nach Tulln. An diese waren aber Bedingungen geknüpft:

Grundsätzlich wollte man staatlicherseits den Bereich Wien-St.Pölten entlasten, aber auch im Bereich Wien-Nordwest eisenbahnmäßige Erschließungsarbeit leisten. Unter wirtschaftlich günstigen Bedingungen sollten auf Verlangen des Staates folgende Linien hergestellt werden:

a) Judenau – St.Andrä-Wördern.

b) Traismauer-Mautern.

c) Mautern-Krems.

d) Krems-Langenlois-Horn-Sigmundsherberg.

e) Tulln bzw. St.Andrä-Wördern – Wien.

f) Klosterneuburg-Tulln.

Die Linie St.Pölten-Tulln wurde jedenfalls 1885 eröffnet.

In das Jahr 1884 fällt auch noch die Konzessionierung der Linie Budweis-Salnau(eröffnet 1892).

1885 wurde die Linie Hannsdorf-dt.Staatsgrenze gg. Ziegenhals(mit Abzw.) konzessioniert.

1886 wurde sowohl die Linie Herzogenburg-Krems als auch die Linie Hadersdorf-Sigmundsherberg konkret konzessioniert(eröffnet 1889).

1887 wurde nach entsprechenden Verhandlungen die im Ausland liegende Strecke Staatsgrenze-Ziegenhals konzessioniert.

Im Jahr 1888 konnte die Strecke Hannsdorf-Grenze-Ziegenhals endlich eröffnet werden.

Das letzte große Werk der ÖLEG vor ihrer Verstaatlichung war also die Herstellung der Budweis-Salnauer-Bahn(1892).

 

3)    Zu Geschichte und Bedeutung der „Wippachtal-Bahn“.

Die Leitidee für die Herstellung dieser Lokalbahn bestand darin, die landwirtschaftlichen Kostbarkeiten zwischen Görz und Haidenschaft zu erschließen.(11) Über das Wippachtal(slowen. Vipava) schreibt Josef Rabl u.a.:

„Tal und Hügelgehänge strotzen vor Fruchtbarkeit. Weit hinan im Wippachtale findet man die Reben, wie in Oberitalien, auf freiem Felde, wo zwischen den Äckern Rebenreihen, ‚plante‘ genannt, hinziehen. Die Weinproduktion des Wippachtales dürfte auch ganz bedeutende Ziffern erreichen; schätzt man doch die des krainischen Anteiles auf weit über 100.000 hl. Auch an edlem Obst ist das Wippachtal reich, und es liefert Kirschen, Marillen und Trauben frühzeitig in hervorragender Qualität. Ansehnliche Eträgnisse liefern die Seidenraupen- und Bienenzucht“(12).

Kein Wunder also, dass das weithin bekannte österreichische Marmelade-Unternehmen „Darbo“ einst in dieser Gegend entstand: Es war Rudolf Darbo gewesen, welcher 1879 in Görz ein „Obst-Dampfwerk“ gründete.

Die Wippachtalbahn wurde bereits 1897 konzessioniert. Verlauf: Görz Südbahn-Prvacina-Haidenschaft(Normalspur).(13)

Die offizielle Eröffnung fand sodann im Jahre 1902 statt. Damals bestand aber bereits der Plan, den Abschnitt von km 4,5 bis km 12,4 in die neu zu errichtende „Karstbahn“(= Verbindung Triest-Tauern/Pyhrn) einzubeziehen. Umgehend begann in diesem Bereich der hauptbahnmäßige Ausbau, welcher auch die Stationsgebäude betraf.

Somit ist die Wippachtalbahn neben der oberösterreichischen Kremstalbahn(Linz-Klaus) die zweite Lokalbahn, welche direkt in das Konzept „Neue Alpenbahnen“(Triest-Tauern/Pyhrn) einbezogen wurde. Durch diese Eingliederung entstand schließlich der „Görzer Knoten“(s. Karte).

Wippachtalbahn und Görzer Knoten:

Copyright: Elmar Oberegger

Der untere Teil des Gleisdreiecks wurde mittlerweile aufgelassen, der ursprüngliche Verlauf der Wippachtalbahn somit unterbrochen.

Der Rest der Bahn(Prvacina-Haidenschaft/Ajdovscina, s. Karte) steht noch heute in Betrieb.

 

4)    Hervorragendes Beispiel zur negativen Seite der „Privaten Lokalbahnen“: Zur Geschichte der Verbindungen Wels-Kirchdorf/Steyr.

Wenn wir einen Blick auf die beigegebene Karte werfen, dann fällt eine ganz eigenartige Struktur auf: Es sieht gerade so aus, als ob ein unheilvoller südöstlicher Hauch jene Bahnlinien, welche Wels, Steyr und Kirchdorf an der Krems auf direktem Wege verbinden sollten, nach Norden hin verlagert hätte. Dies ist natürlich nicht passiert: Das, was wir auf der Karte erkennen, hat klare historische Ursachen, welche nun geklärt werden sollen.

Die heutigen Eisenbahnverbindungen Wels-Steyr und Wels-Kirchdorf a.d. Krems mit jeweiliger Direttissima:

Copyright: Elmar Oberegger

In erster Linie geht diese Struktur auf die „Lokalbahn-Konflikte“ zwischen Wels, Linz und auch Steyr zurück, welche im 19. Jahrhundert stattfanden. Wenn sich der Staat also wirklich darauf verlassen hat, dass die Akteure am Lokalbahnsektor letzten Endes das „Gemeinwohl“ im Auge hätten, dann wurde er gerade hier, in Oberösterreich, schwerstens enttäuscht. Und nach 1918 gab es niemanden, der danach trachtete, die verfahrene Struktur doch noch zum Erblühen zu bringen.

Alles hatte damit begonnen, dass die Stadt Wels schon vor der Mitte des 19. Jahrhunderts danach trachtete, Ausgangspunkt einer „Pyhrnerbahn“ zu werden, welche via Kirchdorf an der Krems verlaufen und bis Rottenmann(= Selzthal) reichen sollte.(14) Später sprach man sogar von einer „Nordsüdbahn“(Böhmen-Wels-Kirchdorf an der Krems-Selzthal).

Als dieses Projekt besonders angesichts der 1873 ausgebrochenen Wirtschaftskrise unrealisierbar wurde, wollte man es in der Folge zumindest teilweise umsetzen. Zunächst ging es um die Errichtung einer Bahn nach Kirchdorf an der Krems. Doch Linz hatte inzwischen denselben Plan und nur aufgrund größter Engstirnigkeit konnte man sich nicht einigen, d.h. sah von der gemeinsamen Gründung einer Eisenbahngesellschaft ab. Man zog den Krieg vor.

Als sich sodann ab ca. 1878 die Gründung einer Linzer Kremstalbahn-Gesellschaft immer deutlicher abzuzeichnen begann, suchte Wels den Kontakt zu Steyr. Gemeinsam planten beide Städte schließlich die Errichtung einer Lokalbahn(s. Karte), welche das Linzer Projekt naturgemäß im Raum Rohr kreuzen würde. Über diesen Umweg wollte Wels also die Verbindung nach Kirchdorf an der Krems doch noch herstellen.

Geplanter Verlauf der Wels-Steyrer-Bahn(mit geplanter Linz-Kremsmünsterer-Bahn):

Copyright: Elmar Oberegger

Doch Wels und Steyr verfolgten offenbar letzten Endes divergierende Interessen, und so blieb das Projekt unrealisiert.

Die Eisenbahnverbindung Wels-Steyr entstand aber bis 1893 dennoch, und zwar unter der Ägide dreier Gesellschaften(s. Karte):

1887: Eröffnung des Teilstücks Rohr-Bad Hall(Linzer „Kremstalbahngesellschaft“).

1891: Eröffnung des Teilstücks (Garsten-)Steyr LB-Pergern-Bad Hall(Steyrer „Steyrtalbahngesellschaft“). Dieses war schmalspurig(76cm).

1893: Eröffnung des Teilstücks Wels-Sattledt-Rohr(Welser „Eisenbahngesellschaft Wels-Aschach“, später „Welser Lokalbahngesellschaft“).

Die Eisenbahnverbindung Wels-Steyr ab 1893:

Copyright: Elmar Oberegger

Die „Kremstalbahngesellschaft“ – welche sowohl gegen die Welser, als auch gegen die Steyrer war(siehe bes. die Broschüre „Die Kremstalbahn und ihre Concurrenzlinien“, Linz 1890) – sträubte sich ganz besonders gegen den Anschluss des Welser Projektes in Rohr, konnte diesen jedoch aber nicht verhindern, da der Staat in die Sache schließlich direkt eingegriffen(„behördlicher Auftrag“) hatte.

Dem Staat ging es hierbei offenbar vor allem um die Herstellung der Verbindung Wels-Steyr. In der Tat aber hatte Wels nun auch einen – wenngleich eher umständlichen – Zugang nach Kirchdorf an der Krems erlangt.(s. Karte)

Die Verbindung Wels-Kirchdorf a.d. Krems ab 1893:

Copyright: Elmar Oberegger

Jedenfalls wurde die Einfahrt in Rohr in süd-nördlicher Richtung angelegt, sodass der Verkehr gegen Steyr im Prinzip flüssig verlaufen konnte: Die Kirchdorfer Züge jedoch mussten in Rohr, also im „Bahnhof des Feindes“ gestürzt werden.

Wie stark das Interesse am Eisenbahnverkehr Wels-Steyr war, zeigt der Umstand, dass in Bad Hall ein Normalspur/76cm-Terminal eingerichtet wurde.(s. Karte)

Struktur des Bad Haller Normalspur/76cm-Terminals:

Copyright: Elmar Oberegger

Die Kremstalbahngesellschaft machte den Welsern jedoch in der Folge derartige Probleme, dass diese schließlich Kirchdorf und das Kremstal aufgaben und bis 1901 die „Almtalbahn“ von Sattledt bis Grünau errichteten. Damit hatte man sozusagen einen „Kremstal-Ersatz“ gefunden. Dieses Projekt war sehr erfolgreich. Der Abschnitt Sattledt-Rohr wurde in der Folge zwar noch betrieben, wurde aber immer bedeutungsloser.

Die Kremstalbahn war noch vor 1914 verstaatlicht worden und nach 1918 hätte die Chance bestanden, auch die Welser und die Steyrer Gesellschaft zu verstaatlichen. Zumindest aber hätte der Staat massiv dafür plädieren können, eine dritte Schiene zwischen Wels und Bad Hall anzubringen. Wäre diese Maßnahme gesetzt worden, dann hätten die Züge Wels-Steyr-Wels nahtlos auf der 76cm-Spur verkehren können und der Personenverkehr wäre sicherlich forciert worden. Auch den Verkehr Wels-Kirchdorf an der Krems hätte man – übrigens ganz ohne Ausbaumaßnahme(!) - forcieren können.

Doch man tat in der Folge beides nicht: Vielmehr wurde 1933 das Teilstück Bad Hall-Sierning aufgelassen und damit die Eisenbahnverbindung Wels-Steyr unterbrochen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zu weiteren Auflassungen, sodass von der einstigen Verbindung nur noch kümmerliche Reste übrig sind(s. Karte). Zuletzt fiel der Abschnitt Rohr-Bad Hall der Zerstörung zum Opfer(2007).(15) Heute wird er größtenteils als Radweg genutzt.

Verbindung Wels-Steyr: Überreste der Steyrbrücke in Pergern(2007).

Copyright: Elmar Oberegger

Obiges Beispiel zeigt in der Tat sehr deutlich die Schwäche des „Privatbahnsystems“ im Lokalbahnbereich. Es wäre wohl für Österreich überhaupt vorteilhafter gewesen, wenn – wie in Bayern – der Staat diesen Verkehrssektor frühzeitig an sich genommen hätte.

 

5)    Zu Geschichte und Bedeutung der „Kimpolunger-Bahn“.

Nachdem Österreich im Jahre 1772 Galizien annektiert hatte, stellte sich sogleich die Frage einer günstigen Verkehrsverbindung zwischen dem Osten dieser neuen Provinz und Siebenbürgen.(16) Vor diesem Hintergrund reifte der Gedanke heran, die zum Osmanischen Reich gehörige „Bukowina“ zu annektieren, um damit eine spangenartige Straßenverbindung zwischen beiden Gebieten herstellen zu können.

Der Osmanisch-Russische Krieg(1768-1774) bot schließlich Gelegenheit, die Bukowina an sich zu bringen: Nachdem das Osmanische Reich unterlag, erfolgte 1774 die österreichische Okkupation. Der Protest Istanbuls war zwar erheblich, doch man war letzten Endes nicht gewillt, gleich noch einen Krieg zu führen und auch diesen vielleicht zu verlieren. So kam es 1776 zur Annexion. Ein paar kleine Gebiete mussten dem Sultan wieder zurückgegeben werden, der Gutteil jedoch ging an Österreich.

Interessant ist nun, dass die damit gewonnene, neue Straßenverbindung Ostgalizien-Siebenbürgen vor dem Ersten Weltkrieg nie eisenbahnmäßig ausgestaltet worden ist.(s. Karte)

Eisenbahnnetz der Bukowina 1910:

Copyright: Elmar Oberegger

Die Idee zu einer solchen „Siebenbürgen-Bahn“ entstand bereits im Jahre 1862 und war seither fixer Bestandteil der österreichischen Eisenbahnplanung. Kaum dass die die Gründung einer privaten Bahngesellschaft konkret ins Auge gefasst war, da scheiterte das Projekt auch schon. Emanuel A. Ziffer schreibt dazu(1891):

„Die Concessions-Verhandlungen konnten, nachdem im November 1865 das Bauproject dem k.k. Handelsministerium überreicht wurde, und der Bukowinaer Landtag in der Session desselben Jahres zu Gunsten des Baues einer Bahn in das Moldawathal eingetreten war, zu Anfang des Jahres 1866 begonnen werden. Durch die damals eingetretenen Zeitverhältnisse mussten die Verhandlungen unterbrochen und konnten später nicht mehr aufgenommen werden“(17).

Von Relevanz war hierbei mit Sicherheit die verlorene „Schlacht von Königgrätz“(1866), vor allem aber der „Ausgleich mit Ungarn“(1867). Siebenbürgen kam zu Ungarn und seither war diese Bahnfrage keine rein österreichische Angelegenheit mehr. Militärisch bedeutend war die geplante Linie besonders für den Fall, dass die Bukowina von Süden her versorgt werden müsste.

Zunächst löste sich der Hauptbahnplan in einer Lokalbahndebatte auf: 1885 wurde sodann die Linie Hatna-Kimpolung(ca. 67km) der „Bukowinaer Lokalbahngesellschaft“ konzessioniert und bis 1888 hergestellt.

Diese „Kimpolunger-Bahn“ soll einst zur tragenden Säule der „Siebenbürgener Kriegs-Notverbindung“ werden, welche 1914 sofort in Angriff genommen wurde.

Zuvor rückte der Schienenstrang noch weiter in Richtung Grenze: Eröffnung Kimpolung-Valeputna(1901), Eröffnung Valeputna-Dorna Watra(1902). Daneben entstanden auch Zweigbahnen(s. Karte).

Verlauf und Zweigbahnen der Kimpolunger-Bahn:

Copyright: Elmar Oberegger

Wie gesagt nahm man 1914 sofort die Errichtung einer Eisenbahnverbindung von Dorna Watra nach Siebenbürgen in Angriff: Man führte den Schienenstrang bis zum Fuße des Hochgebirges und schaltete sodann eine Steilrampe mit ca. 80 Promill Höchststeigung(!) ein. Nachdem der Hochpunkt passiert war, ging es wieder massiv bergab – Betrieben wurde dieses System mittels benzin-elektrischer Triebwägen(4-5 Waggons). Ihre Leistung betrug 150 PS. Dieser Inselbetrieb bedingte die Anlage von Terminals an jedem Ende der Steilrampen. Im Jahre 1915 wurde das große Werk dem Verkehr übergeben.

Nach dem Krieg wurde dieses System von Rumänien übrigens vorerst weiterbenutzt. Nach der Errichtung der neuen Verbindung(1938) wurden die Steilrampen jedoch aufgelassen.(s. Karte)

Siebenbürger-Linie: Die „Kriegs-Notbahn“(1915) und die neue Bahn(1938).

Copyright: Elmar Oberegger

 

6)    Anmerkungen.

1)     Vgl. Peter F. KUPKA: Das Lokalbahnwesen in Oesterreich. In: GdÖU I/2, S. 467 ff. Hier: S. 510.

2)     Vgl. Paul TÜRK: Geschichte der Kremstalbahn von der Gründung bis zur Verstaatlichung(1880-1906)(1906). –Sattledt 2010, S. 1.

3)     Vgl. Elmar OBEREGGER: Zur Eisenbahngeschichte des Alpen-Donau-Adria-Raumes I. –Sattledt 2007, S. 17.

4)     Vgl. besonders die gute Zusammenfassung bei Franz ASCHAUER: Oberösterreichs Eisenbahnen. Geschichte des Schienenverkehrs im ältesten Eisenbahnland Österreichs. –Wels 1964, S. 67 ff.

5)     Siehe Elmar OBEREGGER: Die Steyrtalbahn. Garsten-Steyr Lkalbahnhof-Pergern-Bad Hall/Klaus. –Sattledt 2007.

6)     Vgl. Elmar OBEREGGER: Zur Eisenbahngeschichte der Bukowina. Eine Skizze. –Sattledt 2009, S. 1.

7)     Siehe Ferdinand GOTTSLEBEN: Lokal- und Kleinbahnwesen. In: GdÖU V., S. 283 ff. Hier: S. 302.

8)     Siehe Art. „Aussig-Teplitzer-Bahn“. In: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. Hrsg. v. Victor Röll. –Berlin/Wien 1912 ff.; KUPKA a.a.O., S. 512.

9)     Vgl. dazu Elmar OBEREGGER: Zum Problem „Erste Lokalbahn Böhmens“. –Sattledt 2010.

10)            Siehe zum Thema den entsprechenden Art. in: Enzyklopädie zur Eisenbahngeschichte des Alpen-Donau-Adria-Raumes. –Internet 2006 ff.

11)            Siehe zum Thema den entsprechenden Art. in: Enzyklopädie zur Eisenbahngeschichte des Alpen-Donau-Adria-Raumes a.a.O.

12)            Josef RABL: Illustrierter Führer auf der Tauernbahn und ihren Zugangslinien. –Wien/Leipzig 1906, S. 242 f.

13)            Vgl. GOTTSLEBEN a.a.O., S. 209.

14)            Siehe zu diesem Abschnitt Elmar OBEREGGER: Grundlinien der Eisenbahngeschichte Oberösterreichs. –Sattledt 2008, S. 40 ff.

15)            Siehe dazu Elmar OBEREGGER: Zur traurigen Eisenbahngeschichte von Bad Hall. 1887-2007. –Sattledt 2008.

16)            Siehe zu den folgenden Ausführungen OBEREGGER, Bukowina a.a.O., S. 12 ff.; Art. „Kimpolunger-Bahn“. In: Enzyklopädie zur Eisenbahngeschichte des Alpen-Donau-Adria-Raumes a.a.O.

17)            Emanuel A. ZIFFER: Die Localbahnen in Galizien und der Bukowina im Anschlusse an die k.k. priv. Lemberg-Czernowitz-Jassy-Eisenbahn. 2 Bde. –Wien 1891 u. 1908. Hier: Bd. 1, S. 48.

 

Copyright: Elmar Oberegger 2011.