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DIE ÜBERRESTE DER ALTEN RUDOLFSBAHN
ZWISCHEN DER SLOWENISCHEN GRENZE UND TARVIS:
Ein eisenbahngeschichtlicher Dialog in Vorchdorf/OÖ am 22. Januar 2010.

 

OBEREGGER: Guten Tag, Herr Hüttner. Vielen herzlichen Dank für die Zusendung der schönen Fotos zu den Überresten der Rudolfsbahn. Wie kommen Sie zu diesen Fotos?

HÜTTNER: Ja, wenn ich ein wenig ausholen darf? Es begann 1983 im Mühlviertel während eines Urlaubes. Bei einer Wanderung kamen wir in der Nähe von St. Oswald bei Haslach zum alten Grenzstein vom Jahr 1788, er befindet sich unmittelbar am Zwettlbach, dem Grenzbach zur damals noch kommunistischen ČSR. Das Wissen, hier unmittelbar an der Grenze zu einer anderen Welt zu stehen, die man als drohend empfand, löste damals wohl ein etwas mulmiges Gefühl aus.

O.: Grenzen sind überhaupt faszinierend. Sie haben eine zauberhafte Wirkung auf Menschen. Ob es hier nun um Schmuggler geht oder einfache Touristen. Professor Girtler hat ja einmal ein Buch über "Schmuggler und Grenzen" geschrieben. Grenzen faszinieren den Menschen. Man betrachte nur den Übertritt vom alten Jahr ins neue Jahr zu Silvester. Auch hier wird eine Grenze überschritten.

Grenzsteine a.d. slow.-ital. Grenze, zwischen ihnen verlief die alte Rudolfsbahn:

Copyright: Rudolf Hüttner

H.: Ja, und dann in den 1990ern fuhren wir einmal von Friaul herauf durch Pontebba. Bis hierher reichte bis 1797 die Republik Venetien. Ein alter Grenzstein mit dem Markus-Löwen erinnert im Ort in der Ufermauer auf der westl. Fluss-Seite sogar noch daran. Zwischen 1866 und 1918 verlief hier wieder die Grenze, nun zwischen Italien und Österreich. Der österreichische Ort hieß "Pontafel" und gehörte zum Kronland Kärnten. Und beim Überqueren der ehemaligen Grenze bemerkte ich auf der früheren österreichischen Seite noch einen Grenzstein, der an diesen einstigen Grenzverlauf erinnert. Schließlich entwickelte sich irgendwann die Idee, Österreich vom Mühlviertler bis zum Pontafler Grenzstein zu Fuß zu durchwandern. Als Richtungsvorgabe sollte der 14. östl. Längengrad dienen.

O.: Wo verläuft der?

H.: Ungefähr so: Die Grenze quert er nördlich von Aigen-Schlägl, dann über Wels, Almsee, Tauplitz, Sölktal, Schladminger Tauern nach Kärnten, dort über Flattnitz, Ossiach, Velden zur Grenze Österreich-Slowenien etwas westlich des Karawanken-Eisenbahntunnels. Die Verlängerung führt knapp westlich von Idria durch die Mitte Istriens zur Adria östlich von Pula.

O.: Und da sind sie genau entlanggegangen?

H.: Nein, nein, nicht haarscharf genau. Aber es war doch die Orientierungslinie. Beginnend am 15. Juni packte ich die Strecke in 4 Etappen. Weggegangen bin ich gleichsam "zum Eingehen" vom Dreisesselberg, also ein Stück westlich des 14. Längengrades, zuerst entlang der Grenze, dann entlang des "Schwarzenbergschen Schwemmkanals" in südöstl. Richtung bis zu dem Punkt, wo der 14. Längengrad die österreichische Grenze schneidet. Ein wenig weiter südöstlich davon steht der schon erwähnte St.Oswalder Grenzstein. Dieser Schwemmkanal, 1789 - 1793 errichtet, war ja für die damalige Zeit ein technisches Meisterwerk. Aber gerade die Eisenbahnbauten nördlich und südlich des Böhmer-, bzw. Bayrischen Waldes haben ihm dann die wirtschaftliche Bedeutung zum Holztransport entzogen. Mein Weg ging nun hinunter nach Süden, bis zum "Mittagskogel" in Kärnten. Dort überquerte ich die "Karawanken". Und wie sich da ins Tal der Sava Dolinka der Blick auftut, sehe ich plötzlich dort eine Brücke über den Gebirgsfluss Belca und in der Verlängerung auf beiden Seiten etwas, was nach Schotterstraße aussah. Die Brücke ließ in mir die Erinnerung aufkommen, dass durch das Tal ja einmal eine Bahnstrecke bestanden hatte. Die Brücke könnte ein Rest davon sein.

O.: Ja, eben die Rudolfsbahn. Rein theoretisch hätten sie früher dort in den Zug steigen und auf den Gleisen der Rudolfsbahn bis Gmunden fahren können.

H.: Schön wär's gewesen! Um nun aber nach Tarvis zur Bahn zu kommen, benützte ich den Bus von Podkluže, wo ich das Tal erreicht hatte, über Kranjska Gora zur italienischen Grenze bei Rateče. Um den Bus nicht zu versäumen, konnte ich mir leider die vorhin genannte Brücke über die Belca bei Podkluže nicht mehr ansehen. In Rateče nun deutete mir der Busfahrer an: Nach Tarvis? Nix Bus, nix Bahn, nur zu Fuß! So marschierte ich auf die andere Talseite zur vermuteten ehemaligen Bahntrasse, fand dort tatsächlich zuerst einen geschotterten Radweg, der zur Grenze führte. Und dort die positive Überraschung: eine asphaltierte, breite Straße, als Radweg beschildert, anscheinend erst vor ein, zwei Jahren fertiggestellt. Wegweiser wiesen zu den Laghi di Fusine, bzw. Tarvisio. Ein Blick entlang des einsehbaren Abschnitts sagte mir, das konnte nur die ehemalige Bahntrasse sein, nun zum Radweg ausgebaut. So dachte ich mir: Wenn schon zu Fuß nach Tarvis, dann richte ich mein Augenmerk und den Fotoapparat darauf, was an die einstige Bahnstrecke erinnert. Das macht dann diesen Fußmarsch aus eisenbahngeschichtlicher Sicht wieder interessant. Und so sind diese Fotos entstanden. Im September ging's zu Fuß nachträglich noch auf der Trasse von Tarvis bis knapp vor Ugovizza, von dort aber aus Zeitgründen mit dem Bus bis Pontebba.

O.: Selbstverständlich ist es ja nicht, dass man sich für die Eisenbahngeschichte interessiert. Sind Sie Eisenbahnfreund?

Der Abschnitt Tarvis-Jesenice im eisenbahngeschichtlichen Kontext:

Copyright: Elmar Oberegger

H.: Mein Vater war Triebwagenführer bei der Firma Stern &. Hafferl. Er ist auf der "Vorchdorfer-Bahn" und der "Traunsee-Bahn" gefahren. Insofern bin ich ein wenig "vorbelastet". Auch in meiner Funktion als Hauptsschullehrer habe ich, wenn es thematisch hineinpasste, immer etwas über Eisenbahngeschichte einfließen lassen.

O.: Interessant finde ich vor allem, wie weit die Rudolfsbahn nach Süden reichte. Habe das schon angedeutet. Der südliche Endpunkt war Laibach, Ljubljana. Viele Historiker haben das nach dem Ende des Ersten Weltkrieges ignoriert. Auch nach 1945 ging das so weiter. Erst das große Buch von Herrn Rauter und Herrn Rainer öffnete wieder nachhaltig den Horizont, es zeigt uns klar die Weite und die Ausdehnung des Netzes der Rudolfsbahn.

H.: Von meinem Wohnort Vorchdorf aus gesehen ist der Gmundner Hauptbahnhof der nächste Bahnhof der ehemaligen Rudolfsbahn. Gmunden und Ljubljana in einem Netz. Das finde ich großartig!

Das gesamte Netz der "Kronprinz Rudolf-Bahn":

Copyright: Elmar Oberegger

O.: Ja, das ist Mitteleuropa. Ich hoffe, dass Mitteleuropa auch geistig wieder ganz zum Leben erwacht. Die EU leistet hier wichtige Dienste.

H.: Bitte sagen Sie mir, welche Funktion diese Strecke Tarvis-Staatsgrenze-Jesenice eigentlich hatte. Warum wurde sie aufgelassen?

O.: Nun, die Rudolfsbahn-Gesellschaft wollte ursprünglich einen Schienenstrang zum Meer errichten, kam jedoch nur bis Laibach. Von dort führte zwar das Gleis der Südbahngesellschaft bis Triest, einen eigenständigen Schienenstrang nach Triest brachte die Rudolfsbahn aber selbst nie zustande.

Alte Stützmauer:

Copyright: Rudolf Hüttner

H.: War das ein Problem?

O.: Die österreichischen Privatbahnen spielten sich auf wie kleine Königreiche, die eben ihre eigenen Interessen verfolgten. Eine Kooperation war immer schwierig. Im vorliegenden Fall brachte erst die Eröffnung der Staatsverbindung Triest-Hrpelje-Laibach-Prag/Wien die Lösung.

H.: Wann wurde die Strecke Tarvis-Jesenice nun errichtet? Was hatte sie für eine genaue Funktion?

O.: Die 1873 eröffnete Strecke Tarvis-Jesenice bewältigte zunächst das Karawanken-Massiv, indem es dieses umfuhr. Damit wurde die bis 1728 ausgebaute Loiblstraße, welche die Verbindung Klagenfurt-Triest herstellte, konkurrenziert. Dieser Weg war schwierig. Per Bahn gab es zwar einen Umweg, doch die Transporte wurden sicher und verlässlich abgewickelt.

H.: Ja, und seit wann ist sie aufgelassen? Und was meinten Sie mit "Staatsverbindung Triest-Prag"?

O.: Nach den Angaben meines Freundes Dr. Peter Staudacher wurde der Abschnitt Tarvis-Grenze im Jahr 1967, der Abschnitt Grenze-Jesenice 1969 aufgelassen. Er schrieb u.a. darüber in seiner eisenbahnarchäologischen Diplomarbeit.

H.: Die Italiener machten also den Anfang.

Ehemalige Brücke:

Copyright: Rudolf Hüttner

O.: Ja, und Tito soll das in seinem Gebiet abgetragene Material den Albanern geschenkt haben. Ich weiß aber nicht, ob das in das Kosovo ging oder nach Albanien selbst. Man müsste dem vielleicht einmal nachgehen. Sicher weiß ich hier nichts. Ein Gerücht.

H.: Und diese "Staats-Verbindung"?

O.: Ach ja. 1874 war der Schienenstrang Triest-Prag/Wien im Prinzip fertiggestellt. 1884 wurde dann die Rudolfsbahn de facto verstaatlicht. 1887 eröffnete man dann die Bahn Triest St.Andrä-Hrpelje, welche an die Staatsbahn Divaca-Pula anschloss.

H.: Und die private Südbahn nach Laibach hinauf?

O.: Die wurde vom Staat per Maut benützt. Man hat sie einfach gemietet. Das wurde natürlich strikt per Gesetz untermauert. So kann man sagen, dass über die Bahnlinie Tarvis-Jesenice einst der "Triester Verkehr" lief. Ein Umweg, aber bitte. 1879 war es bereits zur Herstellung der Linie Tarvis-Pontafel/Grenze gekommen. Das war das Verbindungsglied nach Venedig hinunter.

Die "Staats-Verbindung" Triest-Hrpelje-Prag/Wien:

Copyright: Elmar Oberegger

H.: Und war diese Linie Tarvis-Jesenice auch erfolgreich?

O.: Die Wirtschaft war in der Monarchie bis ca. 1900 ohnehin zerrüttet. Also meiner Meinung nach nicht. Nach meinen Daten verkehrte hier nicht sehr viel.

H.: Und dann kam ja 1906 der Karawankentunnel. War das ein Todesstoß?

Neuer Radweg auf alter Bahntrasse:

Copyright: Rudolf Hüttner

O.: So könnte man es durchaus sehen. Die Karawanken wurden nun auf moderne und großartige Weise überwunden, der direkte Weg von Jesenice nach Villach und Klagenfurt hergestellt. 1906 wurde auch die Wocheinerbahn eröffnet, welche von Jesenice aus via Görz Triest erschloß. Das Gesamtkonzept zur neuen Erschließung Triests nannte man "Transalpina".

H.: Und eine zur Lokalbahn degradierte Linie Tarvis-Jesenice brauchte man dann irgendwann nicht mehr?

O.: Offenbar nicht. Die Linie war auf Italien und Jugoslawien aufgeteilt und offensichtlich wollte man hier keinen Verkehr mehr. Zur konkreten Verkehrsabwicklung 1918-1967 müsste man einmal Nachforschungen anstellen. Wo die Daten sind, weiß ich nicht. Man müsste sich dem Problem eben einmal speziell widmen.

H.: Naja, als Resumee könnte man also sagen, dass diese Linie Tarvis-Jesenice im Prinzip einmal eine Eisenbahnlinie von großer mitteleuropäischer Bedeutung war. Obwohl sie wirtschaftlich nicht gar so erfolgreich war.

Altes Bahnwärterhaus zwischen dem ehem. Bf. Tarvisio Centrale und Tarvisio Città:

Copyright: Rudolf Hüttner

O.: Ja, so könnte man es sagen. Und Ihre Fotos tragen dazu bei, diese Linie nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Nochmals größten Dank dafür. Ich selbst habe ja bisher nur Überreste der Rudolfsbahn in Slowenien fotografiert.

H.: Dieses Gespräch war für mich sehr interessant, und ich hoffe, dass wir in Kontakt bleiben werden.

O.: Ich danke Ihnen für dieses Gespräch und bleibe gerne mit Ihnen in Kontakt.

 

Copyright: Rudolf Hüttner/Elmar Oberegger 2010.