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ABENTEUER KORALMBAHN:

Zu bisheriger Geschichte und Strukturen eines österreichischen Eisenbahnprojektes.

 

I: Allgemeines.

Die seit 2001 grundsätzlich i.Bau befindliche, ca. 127 Kilometer lange „Koralm-Bahn“ wird einst die österreichischen Landeshauptstädte Graz und Klagenfurt auf direkteste, schnellste und damit bequemste Weise verbinden.(1)

Sie ist also keine „Echte Notwendigkeit“, sondern vielmehr das Produkt eines eitlen Strebens nach „Bequemlichkeit“. Politische Landesinteressen(!) kommen hinzu.

Bereits daraus ergibt sich, dass dieses Projekt in unserem längst höchstverschuldeten Staat einen volkswirtschaftlichen Unsinn bzw. ein „Abenteuer“ darstellt. Kosten und Nutzen stehen keineswegs in Einklang. Die zukünftigen Generationen werden – entweder in direkter oder indirekter Form(2) - auch diese österreichische Fehlinvestition bitter abzahlen müssen. Die endgültigen Baukosten stehen heute (naturgemäß) noch nicht einmal fest.

Der heutige – übrigens vielbenutzte – Schienenersatz-IC-Kurs Graz Hbf.-Koralmautobahn-Klagenfurt Hbf.(eingeführt 2007)(3) wird als viel zu langsam angesehen. Er überwindet die Strecke Graz Hbf-Klagenfurt Hbf. in 2 Stunden.

IC-Bus vor dem Grazer Hauptbahnhof:

Copyright: Elmar Oberegger

Auf der zu errichtenden „Koralmbahn“ werden die Schnellzüge zukünftig im Schnitt mit ca. 127 km/h unterwegs sein(zum Vergleich: IC-Geschwindigkeit Linz-Wels-Linz durchschnittlich 125 km/h), die Strecke Graz-Klagenfurt also in ca. einer Stunde überwinden.

Die neue Bahn wird nach ihrer vollständigen Eröffnung durchgängig zweigleisig und elektrifiziert sein. Ergeben wird sie sich aus folgenden Baumaßnahmen:

a)     Um-, Ausbau- und Neubaumaßnahmen im Bereich Klagenfurt Hbf.-Wolfsberg Süd/Westmund Koralmtunnel(Kärntnerbahn, Jauntalbahn, z.T. Lavanttalbahn).

b)    Neubau des „Koralmtunnels“(32,8 km).

c)     Um-, Ausbau- und Neubaumaßnahmen im Bereich Graz Hbf.-Ostmund Koralmtunnel(Südbahn, Wieser Zweig der „Köflacherbahn“).

Eisenbahnsituation im Bereich Klagenfurt-Koralm-Graz vor Inangriffnahme der Koralmbahn:

Copyright: Elmar Oberegger

Skizze zu Verlauf und Strukturen der zukünftigen „Koralmbahn“:

Copyright: Elmar Oberegger

Schon 2016 soll eine Röhre des sich seit 2008 grundsätzlich i.Bau befindlichen(= „Baubeginn Baulos KAT 1“) Haupttunnels vollendet sein, was darauf schließen lässt, dass noch vor dem offiziellen Eröffnungstermin 2022 der Eisenbahnverkehr Graz-Klagenfurt-Graz aufgenommen werden kann.

Nach der Verkehrsaufnahme auf der Koralmbahn kann ein im 1-Stundentakt strukturierter IC-Verkehr Wien-Klagenfurt wechselweise via Judenburg(2-Stundentakt) und Graz(2-Stundentakt) abgewickelt werden. Dieses System ist ganz interessant, aber nicht absolut notwendig:

Copyright: Elmar Oberegger

 

II: Zur Geschichte der „Eisenbahnverbindung Graz-Klagenfurt-Graz“. 1930 - Die Koralmbahn als „Notstandsbau“?

Im Jahr 1857 wurde die Große Transitlinie Wien-Graz-Marburg/D.(= Maribor)-Triest feierlich eröffnet.

Schon vorher hatten Interessenten die Konzession für eine Anschluss-Linie Klagenfurt-Maribor erhalten. Leider blieben sie erfolglos. Realisiert wurde dieses Projekt erst im Jahr 1863 durch die „k.k. priv. Südbahn-Gesellschaft“, die Erste Eisenbahnverbindung Graz-Klagenfurt somit hergestellt.(4)

Die Eisenbahnverbindungen Graz-Klagenfurt-Graz im historischen Rückblick(mit div. Planungsvarianten):

Copyright: Elmar Oberegger

Dass obgenannte Verbindung eher ein „Nebenprodukt“ des Eisenbahnbau-Geschehens der Zeit war und einen Umweg darstellte(s. Karte), schien vorerst niemanden zu stören, man war offenbar froh, zumindest diese zur Verfügung zu haben. Mit dem Schnellzug konnte man in ca. 200 Minuten von Graz nach Klagenfurt reisen.

Weder in der Österreichischen Eisenbahnkarte aus 1864 noch in der Karte der Wüllerstorf-Urbairschen Denkschrift(1866) wurde eine geplante Abkürzungslinie eingezeichnet.(5) Wüllerstorf-Urbair erachtete übrigens die Verbindung Klagenfurt-Maribor noch dazu als zweitrangige Landesbahn und nicht als „Erstrangige Reichsbahn“. Für ihn war also die Verbindung Graz-Klagenfurt-Graz überhaupt relativ uninteressant.

Bis 1869 entstand durch das Zusammenspiel von „k.k. priv. Kronprinz Rudolfsbahngesellschaft“ und „Südbahngesellschaft“ die Verbindung Graz-Bruck/M.-Klagenfurt(s. Karte), welche etwas länger ist als die ältere Mariborer Verbindung.(6) Auch diese war ein „Nebenprodukt“ des Eisenbahnbau-Geschehens der Zeit.

In den 1880er Jahren spielte die private „Köflacher-Bahn“ mit dem Gedanken, ihren Wieser Zweig über den Radlpass bis nach Saldenhofen(Vuzenica)(= Linie Maribor-Klagenfurt) zu verlängern.(7)

Dies hätte eine nicht unbedeutende Abkürzung des Weges zwischen Graz und Klagenfurt gebracht(s. Karte), doch Kosten und Nutzen wurden von der Privatbahn-Gesellschaft damals akribisch berechnet. Es kam schließlich zu einem negativen Ergebnis. Und der Staat sah damals offenbar kein „Förderungs-Bedürfnis“.

Ein Schnellzug Graz Hbf.-Radlpass-Klagenfurt wäre jedenfalls ca. eine halbe Stunde kürzer unterwegs gewesen als der Schnellzug Graz-Maribor-Klagenfurt. Durch einen hauptbahnmäßigen Ausbau des Wieser Zweiges der Köflacherbahn(Hauptbahn 2. Ranges, siehe Genese „Pyhrnbahn Linz-Selzthal“) wäre dieser Wert durchaus geringfügig zu verbessern gewesen. Doch niemand war am Projekt Graz-Radlpass-Klagenfurt interessiert.

Daran änderte auch die Errichtung der privaten „Sulmtaler Lokalbahn“ im Jahr 1907 nichts.(8) Diese nahm in Leibnitz ihren Ausgang und stellte – bei Pölfing-Brunn in den Wieser Zweig der Köflacherbahn einmündend - die direkte Verbindung Leibnitz-Wies her.(s. Karte) Hätte man diese Bahn in den „Radlpass-Plan“(s.o.) einbezogen, dann wäre immerhin ein Umbau der Köflacherbahn im Bereich Graz – Pölfing-Brunn entfallen. Die Herstellung der Linie Graz-Leibnitz-Radlpass-Klagenfurt hätte aber mit Sicherheit auch keine überragende Fahrzeitverkürzung gebracht.

In der österreichischen Eisenbahnkarte von 1911 ist kein Eisenbahnplan Graz-Klagenfurt verzeichnet, ebensowenig wie in der Röllschen Karte aus 1915.(9)

Als 1918/19 die Donaumonarchie zerbrach, begann der bisher „Herkömmliche Eisenbahnverkehr“ zu stocken: Ein großartiger Verkehrs- Wirtschafts- und Gesellschaftsraum war untergegangen. „DIE GRENZE“ wurde (leider) zum „DOGMA“.

Während es in früherer Zeit etwa den legendären Schnellzug Wien-Graz-Maribor-Klagenfurt-Lienz-Brenner-Innsbruck gab, so galt nach 1918 die Route Graz-Bruck/M.-Klagenfurt als Richtlinie für den Grazer Reisenden. Doch diese Linie war nicht Teil einer Transitlinie, deshalb war die Fahrt umständlich und zeitaufwendig.

Somit begann man über die Frage der Errichtung einer „Koralmbahn“ nachzudenken. Doch erst die „Weltwirtschafts-Krise“(1929 ff.) gab den Ausschlag für eine öffentlichkeitswirksame Initiative, welche noch heute politisch hochgehalten wird -

1930 erschien in der Zeitschrift der „Graz-Köflacher-Bahn“ ein Artikel(Heft 16, S. 241 ff.), in welchem die Errichtung einer Linie Graz-Koralm-Klagenfurt vehement gefordert wurde:

Die „Koralmbahn“ letztlich als „Volkswirtschaftlich Produktives Arbeitsbeschaffungsprogramm“, dennoch aber im Grunde als „Förderung für die Südlichen Länder der Republik“.

Aus heutiger Sicht ist es wirklich hochtraurig, dass man sich damals in Wien nicht für die Herstellung der neuen Bahn entschließen konnte! Stellt man nämlich etwa die beiden Notstands-Projekte „Großglockner Hochalpenstrasse“ und „Koralmbahn“ gegenüber, so spricht doch – rein volkswirtschaftlich betrachtet – alles für das zweite Projekt:

Die Hochalpenstrasse war und ist nur eine Touristenattraktion ohne jede tiefere Verkehrsbedeutung. Die Koralmbahn aber hätte immerhin zwei österreichische Landeshauptstädte auf direkteste und bequemste Weise miteinander verbunden. Sie war schon damals nicht absolut notwendig, dennoch wäre ihre Errichtung in Form einer „Arbeitsbeschaffungs-Maßnahme“ legitim und sinnvoll gewesen.

Heute aber erscheint die „Koralmbahn“ als „Sinnloses Millionengrab“, welches von einem höchst-verschuldeten Staat offenbar aus bestimmten Gründen unbedingt realisiert werden muss…

Man kam nie auf die Idee, dass dieses Geld besser angelegt worden wäre, wenn man es in die Etablierung eines „National-Taktes“ nach dem Vorbild der Schweiz investiert hätte.

 

III: Es begann mit diesem „Haiderschen Gugelhupf“… - Bemerkungen zum heutigen öffentlichen Diskurs zum Thema. Prof. Knoflacher(TU Wien) als Feindbild No. 1 der Koralmbahn-Befürworter.

Ein großer Vorkämpfer für die Koralmbahn war mit Sicherheit der ehemalige Kärntner Landeshauptmann Dr. Jörg Haider, welcher sich vom (angeblich) „Großen österreichischen Eisenbahn-Kuchen“ ein gutes Stück herunterschneiden wollte: Wenn die Westbahn so teuer ausgebaut werde, dann dürften die südlichen Länder, besonders Kärnten(!), nicht ins Hintertreffen geraten! Das war seine tiefe Überzeugung.

Dr.Jörg Haider(1950-2008) – Ein großer Vorkämpfer für die „Koralmbahn“!

Aus: Werbung Wahlkampf oö.Landtagswahl 1991.

Schon im Frühjahr 2001 begann unter seiner Führung der Bahnbau in Kärnten. Ungefähr ein Jahr später musste er jedoch wieder eingestellt werden(Entscheidung Verwaltungsgerichtshof).

Diese „Kuchen-Metapher“ wandte er sodann 2001 höchst öffentlichkeitswirksam an, als er seiner alten Freundin Monika Forstinger in ihrer Funktion als Verkehrsministerin vor laufender Kamera einen „Kärntner Gugelhupf“ überreichte.(10) Auf diese Weise wurde sie dafür belohnt, dass sie sich seinem Willen gebeugt, also das Koralmbahnprojekt forciert hatte.

Durch Haiders entschlossenen Auftritt manifestierte sich sozusagen die Grundstruktur der heutigen „Koralmbahn-Ideologie“: Die „Selbstbewussten Südländer“ sollen eben auch ein „Stück vom Kuchen“ bekommen, und dabei fragt dann keiner mehr so genau nach, ob dieses auch wirklich genießbar bzw. für den Gesamtstaat noch verdaulich, kurzum „sinnvoll“ ist.

Signifikant für den öffentlichen Diskurs ist, dass man bereit ist, die Sache „Koralmbahn“ mit größtem Fanatismus zu forcieren bzw. zu verteidigen; mit der Sinnhaftigkeit bzw. mit dem Wahrheitsgehalt der Argumente nimmt man es sodann eben nicht so genau. All‘ das erinnert an die im 19. Jahrhundert stattgefundene Debatte um die „Neuen österreichischen Alpenbahnen“.(11) Angesichts so mancher Aussage müsste man in der Tat die Frage stellen, ob es mittlerweile nicht bereits einen „Koralmwahn“ gibt! Mit anderen Worten: Der öffentliche Diskurs ist längst völlig verseucht.

Und dieser Sumpf treibt so seine Blüten: So betrachtet ein Kärntner im Internet die Koralmbahn mittlerweile sogar als Ausfallstor in Richtung Peking(!).

Möglicherweise wird bald ein Steirer die Bühne betreten, welcher seiner Umwelt versichert, dass es in seinem Heimatland nach Eröffnung der Bahn mehr Sonnenstunden geben werde, die dortigen Kühe mehr Milch geben werden, die Fruchtbarkeit der Weinstöcke und Frauen massiv und nachhaltig gehoben werde…

Auch Haiders Nachfolger und die Steiermark sind längst auf den Geschmack gekommen. Vor allem erkannte man den hohen politischen (Streit-)Wert des Gegenstandes. Die Freude liegt derweil bei den (schlauen) „Österreichischen Tunnelbauern“, welche schon wieder ein lukratives Projekt an Land ziehen konnten.

Noch 2006 wurde von den ÖBB in einem internen Gutachten auf den höchst geringen volkswirtschaftlichen Nutzen der Koralmbahn hingewiesen.(12) Doch schon kurz darauf war man schon wieder „auf Linie“ und ist es bis heute. Mit aller Macht wird das Projekt also durchgedrückt.

Univ.-Prof.Dr.Hermann Knoflacher(TU Wien) ist heute der prominenteste Kritiker des Koralmbahn-Projektes und deshalb für die Befürworter das Feindbild No. 1.(13)

Der Kärntner Landeshauptmann Gerhard Dörfler ist derweil siegessicher. In einer „Bezahlten Anzeige“(Profil) vom 31. Oktober 2011 lässt er den Gegnern ausrichten:

„Ja, man hat uns belächelt – den Wichtigmachern ist jetzt allerdings das Lachen vergangen“(14).

Wenn man so eine (sündteure) „Anzeige“ schaltet, dann kann man es sich sicherlich leisten, derart auf den Tisch zu hauen. „Politisch korrekt“ ist diese Aussage aber sicherlich nicht. Sie passt in den vorhandenen Diskurs.(s.o.)

Aber sie ist signifikant für die Struktur des öffentlichen Diskurses zum Thema.

Und: Der Herr Landeshauptmann täuscht sich. Das Gelächter beginnt vielleicht erst. Dazu mehr im nächsten Abschnitt.

 

IV: Zur transitären Bedeutung des Projektes. Die Sache mit diesem „Korridor“. Dörflers „Bezahlte Anzeige“(profil, 31. Oktober 2011) – Von Skandinavien bis nach Ravenna!

Dass die Koralmbahn einst eine bequeme Verbindung zwischen Graz und Klagenfurt herstellen wird, wurde bereits mehrmals erwähnt.

Besitzt sie aber auch noch eine Bedeutung, die darüber hinausgeht? Oder hätte im Prinzip die heute vorhandene IC-Busverbindung zwischen beiden Städten ausgereicht? Übrigens entstand diese keineswegs vor billigem Hintergrund, musste doch zuvor einmal unter größten Kosten und Mühen die „Koralm-Autobahn“ hergestellt werden. Viele vergessen dies nur allzu leicht, wenn sie diese Verbindung heute als minderwertig einschätzen!

Festzuhalten ist, dass die Städte Klagenfurt und Graz zur Zeit der Donaumonarchie grundsätzlich auf recht befriedigende Weise in das (mittel-)europäische Eisenbahnnetz integriert wurden. Die Tore stehen eigentlich überallhin offen. Dass diese viel zu wenig genutzt wurden und werden, das ist natürlich wieder ein anderes Problem.

Wo sind denn heute etwa die direkten Schnellzug-Verbindungen Graz-Linz-Prag, Graz-Budapest, Graz-Ljubljana-Triest/Koper/Rijeka, Graz-Ljubljana-Venedig, Graz-Zagreb-Split/Sibenik/Zadar, Graz-Beograd etc.? Alle wären sie zu realisieren, wenn man nur entsprechende internationale Verträge abschließen würde. Und man möchte meinen, dass das gerade im Machtbereich der EU höchst einfach ist.

Graz im Kontext des (mittel-)europäischen Eisenbahnnetzes:

Copyright: Elmar Oberegger

Die Koralm ist für Graz sicherlich nicht das „Tor zur Welt“! Viel wichtiger als die Koralmbahn wäre der Ausbau der Linie Selzthal-Bischofshofen, über welche der Verkehr „Graz-Westeuropa“ abgewickelt wird. Davon aber spricht heute überhaupt niemand!

Der Politik scheint die eigentlich schon sehr lange vorherrschende, höchst mangelhafte Integration von Graz völlig egal zu sein. Auch die denkwürdige Eliminierung der IC-Verbindung Linz-Graz-Linz im Jahr 2010 wurde in der Steiermark und in Graz ohne größeren Protest hingenommen.(15)

Denn als viel wichtiger erscheint offenbar das „Koralmbahn-Projekt“.

Betrachtet man nun aber beigegebene Karte, so ergibt sich, dass dieses für keine einzige Grazer Fernverbindung wirklich von Nutzen ist.

Auch die Herstellung einer Direttissima Graz-Koralm-Klagenfurt-Venedig ist ganz einfach deshalb überflüssig, weil bereits eine gute Venedig-Verbindung via Ljubljana existiert.(s. Karte) Erneut kommen wir zum Schluss: Kosten und Nutzen des Projektes befinden sich nicht in Einklang.

Natürlich: Vielleicht wird die neue Verbindung irgendwie bequemer und auch direkter sein, doch um welchen Preis!

Es ist nicht immer schlau, den „Direktesten Weg“ anzupeilen bzw. zu gehen. Dies unterstrich bereits der Eisenbahnexperte Karl Büchelen bei einem Vortrag im Jahre 1892: Man dürfe nicht übersehen,

„… daß die geringere effective Länge einer Bahnlinie nicht das ausschlaggebende Kriterium für deren Güte und Brauchbarkeit ist, daß vielmehr eine Reihe von Factoren mitberücksichtigt werden müssen, dies aber nur von Fachmännern geschehen kann. Als dem Czaren von Rußland seinerzeit das Project für eine Bahn vorgelegt wurde, schüttelte derselbe den Kopf über den Unverstand der Techniker, welche die beiden Endpunkte der Bahn nicht durch eine Gerade verbunden, sondern eine vielfach gebrochene Linie eingezeichnet hatten, einestheils um Bergen, Seen und anderen kostspielige Arbeiten verursachenden Hindernissen auszuweichen, anderntheils um die zwischen den beiden Bahnendpunkten gelegenen größeren Städte in die Bahntrace einzubeziehen. Der Czar nahm ein Lineal zur Hand, verband die beiden Endpunkte durch eine Gerade und befahl, daß nach diesem seinem Projecte die Bahn gebaut werde. Man glaube nun nicht, daß so etwas bloß ein Czar thut; selbst in Österreich haben wir Nichtfachmänner, welche sich aber gleichwohl berufen erachten, Bahnprojecte aufzustellen und mit dem Lineal in der Hand die kürzesten und ihrer Ansicht nach zweckmässigsten Bahnverbindungen auf der Karte auszumitteln“(16).

So wäre eine Direttissima Graz-Eisenerz-Linz(= übrigens ein regelrechtes Dorado für unsere Schlauen Tunnelbauern!) sicherlich direkt und bequem, bezüglich der Direttissima Graz-Amstetten-Budweis aber strukturell nicht verwertbar, gar nicht zu reden von der Direttissima Graz-Scheibbs-Prag. Die Realisierung dieser drei Direttissima-Verbindungen wäre also hinausgeworfenes Geld.

Beigegebene Karte erhellt das Grundproblem der „Direttissima“.

Von Graz ausgehende „Direttissima-Verbindungen“:

Copyright: Elmar Oberegger

Die Karte zeigt klar, wie un-ökonomisch manche Direttissima-Verbindungen sein können. Zu verweisen wäre ganz besonders auf Graz-Triest/Graz-Koper!

Hinsichtlich der Verbindung Graz-Adria ist die Koralmbahn also völlig überflüssig. Der Verkehr hätte auch weiterhin gut via Ljubljana verlaufen können.

Um der Koralmbahn sozusagen eine größere Transitbedeutung auf-zu-pfropfen hat man – wie uns Dörfler in seiner „Bezahlten Anzeige“(s.o.) stolz berichtet - 2004 auf einer Verkehrstagung in Villach das System „Baltisch-Adriatischer Korridor“ erfunden. Der Gesamtstaat spielte hier von Beginn an mit.

Ursprünglich sollte dieser von Danzig ausgehen und – die Seehäfen Koper und Triest übrigens aussparend(!) - bis Bologna führen.(17) Wohl als man bemerkte, dass „dieses Bologna“ gar nicht an der Adria liegt, machte man eben in der Karte ein „Strichale“ hinüber nach Ravenna.(s. Karte)

Dieses Modell präsentiert uns nun 2011 Herr LH Dörfler in seiner zuvor bereits erwähnten „Bezahlten Anzeige“ in der Zeitschrift „Profil“(31.Oktober d.J.). Im Norden jedoch machte man kein einfaches, kurzes „Strichale“, sondern landete gleich in Helsinki, also in Skandinavien(!).(s. Karte)

Somit wurde also aus dem „Baltisch-Adriatischen-Korridor“ ein „Baltisch/Skandinavischer-Koralm-Adria-Korridor“. Zur weiteren Bedeutungserhöhung der Koralmbahn sollte man vielleicht die Nordlinie gleich bis zum Polarkreis hinaufziehen und die Südlinie bis nach Palermo hinunter. Damit könnte immerhin eine „Achse Klagenfurt-Palermo“ entstehen. Und niemand könnte sodann mehr die großartige Gesamt-Bedeutung der Koralmbahn in Zweifel ziehen!

Grundstrukturen des „Dörflerschen Korridor-Modells“ gem. den Angaben in der „Bezahlten Anzeige“(Zeitschrift „Profil“) vom 31. Oktober 2011(S. 78 f.):

Copyright: Elmar Oberegger

Sollte angesichts dieses Dörflerschen Modells nun irgendein Leser gelacht haben; dieses wird ihm sogleich vergehen. Denn Dörfler sagt in dieser Bezahlten Anzeige auch:

„Wie es EU-Verkehrskommissar Kallas ausgedrückt hat, wäre es jetzt zu vermessen, über Geld zu sprechen“.

Dieses gestörte Verhältnis zum Geld scheint überhaupt so eine typische „Kärntner Spezialität“ zu sein!

Wirklich fatal ist aber:

Dieser „Adria-Ostsee-Korridor“(oder wie man ihn auch immer nennen soll!) ist genauso überflüssig wie die Direttissima Graz-Koralm-Venedig.

Denn ein solcher Korridor existiert bereits seit 2001 südlich von Österreich. Er nimmt im Seehafen Koper seinen Ausgang und verläuft via M.Sobota bis zum Ostseehafen Danzig.(18) Gewonnen wurde er durch eine durch unproblematisches Gelände verlaufende slowenisch-ungarische Verbindungsstrecke, welche jederzeit billig doppelgleisig ausgestaltet werden kann. Schon die Herstellungskosten der Verbindungslinie selbst waren relativ niedrig gewesen.

Österreich unternimmt jedoch keinerlei Versuche, von diesem vorhandenen Korridor zu profitieren, sondern baut vielmehr selbst einen „Adria-Ostsee-Korridor“.(s.o.) Doch dieser besitzt zwei geographische Nadelöhr-Stellen, weshalb seine Errichtung immens teuer sein wird. Folgende Baumaßnahmen sind umzusetzen:

a)     Koralmtunnel.

b)    Semmering-Basistunnel.

Im Jahr 2023 soll der neue Korridor in Dienst gestellt werden.

In der beigegebenen Karte wird übrigens davon ausgegangen, dass am Ende nicht Bologna oder Ravenna den Endpunkt des Korridors darstellen werden, sondern vielmehr Triest und/oder Koper.

Der bestehende(2001) und der neue(2023?!) „Adria-Ostsee-Korridor“:

Copyright: Elmar Oberegger

Ob es gelingen wird, den bisher gut via M.Sobota verlaufenden Verkehr nach Österreich hineinzuziehen? Fest steht schon heute, dass es hier gezielter, natürlich zu subventionierender Konkurrenzierungs-Maßnahmen im Bereich des Tarifs bedarf. Auch diese Kosten hat sodann der Steuerzahler zu tragen. Vielleicht werden diese Maßnahmen auch das Verhältnis zu Slowenien weiter eintrüben. Keine rosigen Aussichten…

Mit Sicherheit mutet sich das höchstverschuldete Österreich bezüglich „Koralmbahn“ und „Adria-Ostsee-Korridor“ viel zu viel zu. Kosten und Nutzen stehen dort wie da keineswegs in Einklang.

Die Zukunft wird die weitere Entwicklung zeigen!

Das „Abenteuer Koralmbahn“ ist noch längst nicht in seine letzte Phase eingetreten!

Fest steht aber schon heute:

Die transitäre Bedeutung der Bahn ist aufgepfropft, der Eisenbahnverkehr Graz-Klagenfurt hätte also dauerhaft mittels IC-Bus abgewickelt werden sollen. Eine Eisenbahn in diesem Bereich ist zwar höchst bequem, doch um „Bequemlichkeiten“ sollte sich gerade ein höchstverschuldeter Staat wie Österreich nicht kümmern; vielmehr um „Notwendigkeiten“.

Eine wirklich stattliche Bahn!

Copyright: Elmar Oberegger

Partie der neuen Koralmbahn südlich von Graz(zur Bauzeit).

 

V: Karikatur zum Thema.

Eisenbahnpolitik in Österreich:

Aus: WIKI GEMEINFREI

„Für Großprojekte wird die Erde aufgehackt, und niemand will den Austrotakt“.

 

VI: Anmerkungen.

1)     Siehe zum Thema v.a. die Wikipedia-Artikel „Koralmbahn“ und „Koralmtunnel“ sowie Michael A. POPULORUM: Direttissima Graz-Klagenfurt durch die Koralpe(„Koralmbahn“).In: DEEF. –Internet 2011.

2)     Der klassische Arbeitnehmer über die Steuerzahlung, derjenige, der keine Arbeit hat über Kürzungen der Sozialleistung. Darunter zählen wir etwa auch die Kinder.

3)     Vgl. Elmar OBEREGGER: Koralmbahn-Projekt. In: Enzyklopädie zur Eisenbahngeschichte des Alpen-Donau-Adria-Raumes. –Internet 2006 ff.

4)     Siehe zur Geschichte der Kärntnerbahn Herbert DIETRICH u.a.: Die Südbahn und ihre Vorläufer. –Wien 1994, S. 30.

5)     Siehe Elmar OBEREGGER: Die Entwicklungsphasen des österreichischen Eisenbahnnetzes. 1808-1918. –Sattledt 2008; Bernhard v.WÜLLERSTORF-URBAIR: Ein Eisenbahnnetz für die österreichische Monarchie. In: Österreichische Revue 1886, S. 22 ff.

6)     Siehe zur Geschichte der Rudolfsbahn Elmar OBEREGGER: Zur Geschichte der Kronprinz Rudolf-Bahn. –Sattledt 2007.; zur Geschichte der Südbahn siehe Elmar OBEREGGER: Die Südbahn-Gesellschaft und ihr Netz. –Sattledt 2007.

7)     Siehe Art. „Graz-Köflacher-Bahn“. In: Enzyklopädie zur Eisenbahngeschichte des Alpen-Donau-Adria-Raumes. –Internet 2006 ff.

8)     Siehe zur Geschichte dieser Linie den entsprechenden Artikel in Enzyklopädie Alpen-Donau-Adria a.a.O.

9)     Vgl. Victor RÖLL: Österreichische Eisenbahnen. In: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. Hrsg. v. Ders. –Berlin/Wien 1912 ff.

10)            Vgl. Wiener Zeitung vom 22. Januar 2001. Die Botschaft war offenbar: Du hast für Kärnten ein gutes Stück vom Österreichischen Eisenbahnkuchen heruntergeschnitten, Kärnten belohnt dich dafür mit einem ganzen Gugelhupf.

11)            Diese Debatte begann ca. 1870 und dauerte bis ca. 1900. Siehe dazu die Art. „Transalpina“ und „Zweite Eisenbahnverbindung mit Triest“. In: Enzyklopädie Alpen-Donau-Adria a.a.O.

12)            Vgl. OBEREGGER, Koralmbahn-Projekt a.a.O.

13)            Vgl. zu Knoflachers Denken etwa Hermann KNOFLACHER: Landschaft ohne Autobahnen. Für eine zukunftsorientierte Verkehrsplanung. –Wien 1997.

14)            “Erfolg für Jahrhundertschienen-Projekt nach Europa geht von Kärnten aus“. In: Profil 44 (2011), S. 78 f.

15)            Mit der Eliminierung dieser Verbindung wurde gleichzeitig der „NAT‘91“ zerstört. Dieser Umstand bzw. dieser (traurige) historische Vorgang wurde überhaupt in Gesamtösterreich völlig ignoriert. Siehe dazu Elmar OBEREGGER: Zur traurigen Geschichte des „NAT‘91“. Von den Anfängen bis zum Zusammenbruch. 1990-2010. –Sattledt 2011.

16)            Karl BÜCHELEN: Linz-Triest. Eine Eisenbahnfrage. –Linz 1892(Vortrag, gehalten im Deutsch-nationalen Vereine zu Linz am 2. Juli 1892), S. 2.

17)            Siehe Wiki-Art. „Koralmbahn“(03-11-11).

18)            Siehe den Art. „Adria-Ostsee-Korridor“. In: Enzyklopädie Alpen-Donau-Adria a.a.O.

 

Copyright: Elmar Oberegger 2011.