[ HOME ]        [ INHALTSVERZEICHNIS ]
 

 

 

 

 

ZWOTAUSENDUNDZWÖLF:

180 Jahre Eisenbahn in Österreich?

Kritischer Blick auf ein Jubiläum.

 

Immer wenn ich an die Jahreszahl  „1832“ denke, dann beschleicht mich als Eisenbahnhistoriker so ein ungutes Gefühl - Denn sofort assoziiere ich damit die Eröffnung der Pferdeeisenbahn von Budweis nach Urfahr-Linz(gemeinhin übrigens fälschlich mit „Pferdeeisenbahn Linz-Budweis“ bezeichnet).

Diese Bahn hätte ein „Großer technischer Wurf“ sein sollen, endete jedoch als Mißgeburt: Ihr geistiger Vater, nämlich Prof. Franz Anton Ritter von Gerstner wollte einst einen ganz neuen Weg in der „Überwindung von Gebirgen“ gehen und entwarf das Grundkonzept „Steilrampe bis zum Hochpunkt, von dort aus sodann Gefälle“. Doch noch vor Vollendung der Bahn sah er sich aufgrund von Intrigen genötigt, die Baustelle zu verlassen. Sein Schüler und Feind Schönerer übernahm die Führung(1829) und zerstörte sodann sein Werk.(s.u.)

Eröffnungsfahrt 1832:

Aus: F.Aschauer, Oberösterreichs Eisenbahnen, Wels 1964, Bildbeilage.

Im Waggon das Kaiserpaar, direkt dahinter sitzt Ing.Mathias Schönerer, der Zerstörer des Gerstnerschen Baukonzeptes(s.u.).

Bis heute ist dieses Gerstnersche Konzept der technische Maßstab in der Überwindung von Gebirgen. Auch die „Semmeringbahn“ war von diesem Prinzip durchdrungen. Das letzte große Eisenbahnwerk, welches auf Gerstners Grundlage errichtet wurde, ist die „Tibet-Bahn“. Allein die „Basistunnel-Methode“ heutiger Tage verlässt diese alte Technik deutlich.

Gerstners Methode fußte auf der Überzeugung, dass eine „Eisenbahn“ nur eine (durchgängige) „Straße“ sei. Damit erteilte er dem Englischen Vorbild eine klare Absage, wo man zur Überwindung von Gebirgen mittels Seilzug betriebene „Schiefe Ebenen(Inclined Planes)“ errichtete. Der Nachteil dieser Methode: Es kam notgedrungen zum „Systembruch“, d.h. die Lokomotive wurde abgespannt, der Zug an das Seil gekoppelt, hochgezogen, und sodann wieder per Lokomotive weiterbefördert – nach Gerstners Meinung allzu kompliziert, allzu zeitraubend!

Gerstner legte besonderen Wert auf das „von selbst Herabrollen“ der Züge im Gefälle. Damit würde die Kraft des Pferdes geschont, damit Energie gespart. Überhaupt könnten diese Gefälle-Züge logischerweise länger sein. Bergauf jedoch müssten die Züge, um ebenfalls die Kraft des Pferdes zu schonen, kürzer sein. Am Bahnhof des Hochpunktes(im Falle der Budweiserbahn Kerschbaum) wären die langen Züge zusammengestellt worden, wären die Züge überhaupt manipuliert worden.

Obiges Modell wirft übrigens auch ein interessantes Schlaglicht auf das „Energiebewusstsein“ des frühen 19. Jahrhunderts – Noch waren Kohle und Erdöl nicht in Hülle und Fülle vorhanden! Die Phase der „Energieverschwendung“ – von der wir in heutiger Zeit erst langsam Abstand nehmen (müssen) - kommt historisch erst später. Auch der Hafer war damals noch ein höchst kostbares und somit teures Gut!

Summa summarum stellte sich Gerstner also die Überwindung des Gebirges längenprofilsmäßig in Form eines Dreiecks vor: Ausgangspunkt-Hochpunkt-Endpunkt.

Der Bahnbau ging aus verschiedenen Gründen nicht glatt vonstatten. Besonders störend wirkte sich eine Inflation aus.

Vor diesem Hintergrund riss der intrigante Gerstner-Schüler Mathias von Schönerer den Bahnbau an sich und zerstörte - übrigens im Einvernehmen mit der Baugesellschaft – das Werk seines Meisters. Die Vorgabe der Gesellschaft: Rasche und billige Vervollständigung der Bahn! Und Schönerer gab sich dafür her! Gerstner schied 1828 aus.

Die von Schönerer geplante und errichtete Trasse sah schließlich wie folgt aus: Ab Urfahr-Linz bergauf, dann bergab bis zur Station Oberndorf, dann bergauf, wieder bergab, dann wirklich starker Anstieg(„Vorspann“ nötig!) bis kurz vor Lest, dann bis Lest wieder Gefälle.(s. Längenprofil)

Längenprofil der Budweiser Pferdeeisenbahn:

Aus: B.Enderes, Die Holz- und Eisenbahn Budweis-Linz, Berlin 1926(ND 2007), 18.

Ursprünglich sollte die Bahn bis Mauthausen geführt werden.

„Von selbst (herab-)rollen“ konnte da also gar nichts mehr, ständig waren Manipulationen notwendig(s. „Vorspannbetrieb“). Und dies kostete natürlich Zeit und Geld.

Gerstner schreibt 1839 zum „Fall Budweiserbahn“(Hervorhebungen, Einfügung d.Verf.):

„Die Grundsätze bei der Anlage dieser Bahnstrecke waren, keine grössere Steigung als 1:120, oder 44 Fuss per engl. Meile, dann keinen kleinern Krümmungshalbmesser als 600 österreichische oder 622 englische Fuss anzunehmen, ferner keine erstiegene Höhe wieder zu verlieren. Da die Bahn vorzüglich für den Salztransport berechnet war, so bestand der Oberbau aus Flachschienen(plate rails), die auf Holz genagelt waren, und das angenommene Maximum der Steigung gründete sich darauf, dass die Wagen nach damaliger Construction bei dieser Steigung auf Flachschienen von selbst herabzulaufen anfingen … So klar und deutlich die Grundsätze dieses Baues Jedermann erscheinen mussten, und so sehr auch der Erfolg der Fahrten allen Erwartungen entsprach, so wurden dennoch Vorschläge wegen Abänderung derselben gemacht, und von der Direction der Gesellschaft ohne weitere Untersuchung angenommen. Ich … machte … den Vorschlag, leichte Locomotiven zum Transporte zu gebrauchen, allein die Direction nahm auch hierauf keine Rücksicht, und liess nun den weitern Bau, an welchem ich keinen Antheil mehr hatte, vom Scheidungspunkte bis Linz nach einem Plane ausführen, wobei Steigungen von 1:46 oder 115 Fuss per engl. Meile in bedeutenden Strecken vorkamen, grosse erstiegene Höhen mehrmals verloren wurden, und häufig Krümmungen von 60 Fuss Halbmesser Statt hatten … Im Jahre 1832 wurde die ganze Bahn … eröffnet … und es gibt jetzt wohl keinen Menschen vom Ingenieur bis zum Fuhrmanne herab, welcher bei Bereisung oder Besichtigung der Bahn es nicht lebhaft bedauert, dass die Grundsätze, welchen ich bei der ersten Bahnhälfte verfolgte, nicht auch bei der zweiten Bahnhälfte angewendet wurden. Die Gesellschaft erleidet wenigstens einen Verlust von 5 Kreuzer per Centner, welches bei 500,000 Centner jährlich 41,666 Gulden beträgt, während die Mehrauslage, wenn man meinen Grundsätzen gefolgt hätte, nicht über 250,000 Gulden Conv.-Münze betragen hätte(!). Ueberdiess ist man jetzt in die Unmöglichkeit versetzt, Dampfkraft zu gebrauchen … Es gibt wohl keine Bahn … wo die Grundsätze des Baues bei ihren zwei Hälften so sehr verschieden sind … und es ist als Warnung für ähnliche Fälle nur zu wünschen, dass möglichst viele Personen die Bahn bereisen, und sich an Ort und Stelle von dem Erfolge des Baues nach beiden Grundsätzen überzeugen“(S. 56).

Schönerer ist überhaupt als ziemlich bedenkliche Figur innerhalb der österreichischen Eisenbahngeschichte zu betrachten, errichtete er doch auch den technisch völlig unnötigen „Katzbühel-Tunnel“ im Zuge der Gloggnitzerbahn.

„1832“ ist also eine eher traurige Jahreszahl für die österreichische Eisenbahngeschichte.

Überhaupt hätte man schon 2007 das obgenannte Jubiläum feiern sollen, das habe ich schon 2008 in meiner „Eisenbahngeschichte Oberösterreichs“(s. S. 1) gesagt:

Es war dieses Jahr 1827, als die Budweiserbahn noch unter der Ägide Gerstners das Territorium der heutigen Republik Österreich betrat. Damals war die „Erste Gebirgsüberwindung der Welt(!) ohne Benutzung der Schiefen Ebene“ also im Gange, noch nichts deutete auf den hochtraurigen Ausgang des Projektes(s.o.) hin!

Auf den Umstand, dass es bei dieser „Gerstnerschen Gebirgsüberwindung“ nicht ganz mit rechten Dingen zugegangen ist, hat zuletzt Prof. Sandgruber von der Universität Linz hingewiesen. In den „Oberösterreichischen Nachrichten“ schreibt er am 28.Mai 2011(Hervorhebung d.Verf.): Gerstner hatte

„… für den Scheitelpunkt der Bahn zwischen Donau und Moldau den falschen Pass gewählt: Der Weg über den Kerschbaumer Sattel ist nicht nur um 20 Meter höher, sondern auch um 8 Kilometer länger als der Weg über den Sattel von Deutsch-Hörschlag, den die heutige Sumerauer Bahn benutzt. Wenn es zutrifft, was ein Eisenbahnhistoriker jüngst behauptete, dass Anton Gerstner das bewusst tat, um damit die Möglichkeiten des Eisenbahnbaus im Gebirge zu demonstrieren, wirft das auf die technische und kaufmännische Kompetenz, immer die einfachste Lösung zu realisieren, nicht das beste Licht. Viel wahrscheinlicher ist, dass Gerstner im Gelände schlecht recherchiert oder sich schlicht vermessen hat“(S. 4).

Nun, mit diesem „Eisenbahnhistoriker“ meinte er natürlich mich. In rein wissenschaftlicher Hinsicht ist keineswegs erfreulich, dass Sandgruber hier rhetorisch jede Diskussion abblockt, quasi ein „Jesuitisches Dogma“ ausgibt. Doch man hat ihn inzwischen kontaktiert und die Sache in zivilisierter Form bereinigt(s. e-mails vom 28-05-11 und 30-05-11)

Fest steht:

Die heutige „Summerauer-Linie“ war längst hinreichend bekannt, war sie doch schon früher für einen „Donau-Moldau-Kanalbau“ ins Auge gefasst worden. Schon Gerstner senior, einst von der „Böhmisch-Hydrotechnischen Gesellschaft“ beauftragt, die „Donau-Moldau-Kanaltrassen“ gründlich zu studieren, wusste Bescheid. Und er fungierte schließlich offiziell beim Bahnbau als „Konsulent“ seines Sohnes.

Und worauf lässt nun der Umstand schließen, dass Gerstner diese „Summerauer Variante“ bewusst ignoriert hat? Man möge diese Frage doch einmal gründlich studieren und sodann schlüssig beantworten!

Technisch und auch in ökonomischer Hinsicht(selbst im Gerstnerschen Sinne!) war die „Kerschbaumer Variante“ auf jeden Fall höchst ungünstig. Geht man von Rybnik aus und fragt, wieviele Kilometer zu überwinden sind, bis das Gefälle(„von selbst Herabrollen“) eintritt, so kommt man bezüglich der „Summerauer Variante“ auf ca. 7 Kilometer, bezüglich der „Kerschbaumer Variante“ jedoch auf ca. 15 Kilometer. Das macht ein Verhältnis von ca. 1:2. Nur um sein „Großes Werk“ errichten zu können, nahm Gerstner also den doppelten Weg in Anspruch und musste bis Kerschbaum noch dazu mehrere Kunstbauten(bes. „Edlbrucker Brücken“) herstellen.

War Gerstner eher ein „Künstler“ und weniger ein „Praktischer Techniker“? Was hatte er von seinem Vorgehen?

Nun, wenn sein Gesamtkonzept aufgegangen wäre, d.h. Schönerer ihm nicht in die Quere gekommen wäre, dann hätte er aller Welt, besonders aber den Engländern - die ja damals noch immer der „Schiefen Ebene“ zu 100% verpflichtet waren - zeigen können, wie man eine „Gebirgs-Eisenbahn“ baut und wie der Betrieb auf ihr funktioniert. Er hätte also eine „Theorie“ fein säuberlich in die „Praxis“ übersetzt, ungeachtet dessen, dass rein praktische Gründe für die Errichtung der „Summerauer-Linie“ gesprochen hätten.

Ja, Gerstner war weitaus mehr „Theoretiker“ als „Praktiker“! Er war „Universitätsprofessor“, und kein „Pionier des Wilden Westens“!

Ferner entstammte er einer typischen „Aufsteiger-Familie“: Sein Großvater war noch einfacher Riemermeister gewesen. Vielleicht hat ihn sogar der Vater bestärkt, ein Werk zu schaffen, welches nach der Fertigstellung „Alle Welt“ mit Staunen erfüllt. Dass er den Sohn zumindest protegiert hat, zeigt, dass er ihm den Bahnbau übertrug, welcher ursprünglich an ihn herangetragen worden war. Offizielle Begründung: Sein hohes Alter. Doch er ließ es sich dennoch nicht nehmen, beim Bau selbst als „Konsulent“ zu fungieren!

Vielleicht werden wir die genauen Hintergründe der „Kerschbaumer Trasse“ nie erfahren. Bis dahin steht der Verdacht im Raum, dass Gerstner ein „Gauner“ war.

Doch auch dieser Verdacht kann die große technikgeschichtliche Leistung Gerstners nicht eintrüben. Er war sicherlich weniger „Gauner“, als vielmehr „Mensch“; sicherlich kein „Gott“. Alle, die Gerstner für einen „Gott“ halten, können meine Hypothese natürlich nur rundweg ablehnen! Besonders während des Nationalsozialismus war es üblich gewesen, den Meister zu vergöttlichen.

Sei es wie es sei:

Bezüglich seiner technikgeschichtlichen Bedeutung steht Gerstner geradezu turmhoch(!) über diesem Schönerer!

Gerade deshalb hätte man das Jubiläum „180 Jahre Eisenbahn in der Republik Österreich“ schon 2007 feiern sollen –

1827 hatte die Budweiser Pferdeeisenbahn unter der Ägide Gerstners die böhmisch-oberösterreichische Landesgrenze – welche seit 1918/19 Staatsgrenze ist – überschritten. Das ist das eigentlich historisch bedeutende Faktum.  

 

Quellen:

GERSTNER Franz Anton: Eisenbahnen in Oesterreich. In: Berichte aus den Vereinigten Staaten von Nordamerica, über Eisenbahnen, Dampfschiffahrten, Banken und andere öffentliche Unternehmungen. v. DERS. –Leipzig 1839, S. 55 ff.

OBEREGGER Elmar: Grundlinien der Eisenbahngeschichte Oberösterreichs. 1827-2008. –Sattledt 2008.

OBEREGGER Elmar: A Brief History of the „Budweiser Pferde-Eisenbahn“(= Horse-Drawn-Railway Budweis-Linz-Gmunden. 1807-1873/1903. –Sattledt 2010.

OBEREGGER Elmar: Die „Erste (österreichische) Eisenbahngesellschaft“ und ihr Netz. 1824-1903. –Sattledt 2008.

OBEREGGER Elmar: Professor Franz Anton Ritter v.Gerstner(1796-1840). Seine Bedeutung im Kontext der (österreichischen) Eisenbahngeschichte. Eine Standortbestimmung. –Sattledt 2009.

SANDGRUBER Roman: Mythos Pferdeeisenbahn. In: OÖN 28-05-11, S. 4 f.

 

Copyright: Elmar Oberegger 2011.